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95 Prozent aller Gefängnisinsassen sind männlich – daran liegt es

Männer müssen lernen, ihre Emotionen wahrzunehmen, meint der Sozialpädagoge Rüdiger Jähne. Das senke unter anderem die Kriminalitätsrate.

Hallo Rüdiger, Männer haben Lösungen, keine Probleme. Was sagst du dazu?

Ja, das stimmt. Männer versachlichen häufig Dinge und versuchen, sie zu lösen. Es gibt aber im Leben Situationen, da gibt es keine Lösungen. Wenn ein uns wichtiger Mensch stirbt, dann ist er weg. Ich kann nichts dagegen tun, es gibt keine Lösung. Das muss ich anerkennen. Wir können vieles in unserem Leben gestalten, manchmal haben diese Spielräume jedoch ein Ende.

„Ich habe Freunde, die wissen nicht, wann sie das letzte Mal geweint haben“

95 Prozent aller Gefängnisinsassen und 70 Prozent aller Obdachlosen sind männlich. Männer begehen dreimal so oft Suizid wie Frauen. Männer stellen über 80 Prozent der Alkohol- und Drogentoten. Was ist die Wurzel allen Übels?

Männer lernen häufig nicht, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu schauen, welche Bedürfnisse dahinterstecken. Der Satz „Männer weinen nicht“ klingt überholt, wirkt aber immer noch nach. Ich habe Freunde, die wissen nicht, wann sie das letzte Mal geweint haben.

Jeder kennt die Situation: Was hast du denn? – Nichts. Und alle spüren, dass da was ist. Von diesem „Nichts“ wegzukommen und anzuerkennen, dass eben doch etwas ist, und dem auf die Spur zu gehen, ist zentral für viele Krisen im Leben.

„Es gibt keine negativen oder positiven Emotionen“

Wie sieht ein guter Umgang mit Gefühlen aus?

Erst mal gilt es innezuhalten, die Gefühle zu spüren und herauszufinden, ob ich jetzt traurig oder verärgert bin – ohne sie direkt abzuwehren. Und wir sollten Gefühle nicht bewerten. Es gibt keine negativen oder positiven Emotionen. Das ist eine Falle – Gefühle sind ein Kompass für unsere Bedürfnisse.

Nehmen wir zum Beispiel die Einsamkeit. Im besten Fall merke ich, dass ich einsam bin und nehme Kontakt mit Freunden auf. Oder ich kann sagen: Ich bin einsam, da schütte ich jetzt mal sechs Bier drauf. Kann ich auch machen, dann spüre ich die Einsamkeit nicht mehr. Aber ich spüre dann auch nichts anderes mehr.

„Es ist normal, Krisen und Probleme zu haben“

Warum braucht es spezielle Beratungsangebote für Männer?

Durch die direkte Ansprache von Männern wollen wir sie dafür sensibilisieren, dass es normal ist, Krisen und Probleme zu haben. Außerdem arbeiten bei uns Männer. Das macht es leichter anzudocken, gerade wenn es um Gefühle geht.

Kommen die Männer aus eigenem Antrieb oder werden sie von ihren Frauen geschickt?

Ich sage immer, die kommen alle eigenständig. Manche wissen es nur nicht. (lacht) Männer erzählen oft von anderen: ihrer Frau, ihren Kindern oder ihrem Chef. Dann gilt es, ganz klar zu sagen: Ja, aber weder Ihr Chef, noch Ihre Frau oder Ihre Kinder sind jetzt hier, sondern Sie! Was wollen SIE denn?

„Wir betreiben Friedensarbeit“

Was würdest du dir für die Zukunft wünschen?

Es wäre schön, wenn wir als Gesellschaft erkennen, dass unsere Gefühle unser Leben lebenswert machen – und nicht, wie viel Geld wir auf dem Konto haben. Ich finde, am Ende geht es darum, Freunde im Leben zu haben, mit Glück noch eine Partnerin, und den Tag mit Dingen zu verbringen, die ich selbst für sinnvoll erachte.

Ich bin davon überzeugt: Wenn Männer ihre Bedürfnisse wahrnehmen, kommunizieren und diese auch verstanden werden, dann trinken sie weniger, begehen weniger Straftaten und sind weniger gewalttätig. In dieser Hinsicht betreiben wir Friedensarbeit.

Die Fragen stellte MOVO-Volontär Pascal Alius.

Rüdiger Jähne ist Sozialpädagoge. Er arbeitet als Referent für Jungen- und Männerarbeit beim Sozialdienst katholischer Männer (SKM).