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Michael Blume (Foto: SCM Bundes-Verlag / MOVO / Rüdiger Jope)

„Jedes Leben zählt!“: Der Mann, der 1.000 Menschen rettete

Michael Blume hat 1.000 jesidischen Frauen und Kindern geholfen, aus dem Nordirak zu fliehen. Wie kam es dazu?

Herr Blume, am 23. Dezember 2014 bekamen Sie aus dem Auswärtigen Amt und dem Innenministerium in Berlin „gelbes Licht“ für welche Aktion?

Michael Blume: Das Land Baden-Württemberg dürfe 1.000 jesidische Frauen und Kinder aus dem Nordirak aufnehmen, die sich auf der Flucht vor dem IS befanden. Allerdings war es nur „gelbes Licht“, weil die sagten: „Wir spielen doch nicht den Buhmann und verbieten eine humanitäre Aktion. Macht es, aber bitte auf eigene Verantwortung und auf eigenes Risiko!“

Welche Frage stellte Ihnen Ministerpräsident Winfried Kretschmann daraufhin?

Blume: Er fragte mich: „Würden Sie es denn machen, Herr Blume?“

Sie kamen sich vor wie im Film „Schindlers Liste“. Sie besprachen diesen wahnsinnigen Auftrag mit Ihrer Frau. Sie schaut Ihnen in die Augen und sagt?

Blume: Meine Frau ist Muslimin. Sie schämte sich sehr, was der IS im Namen ihres Glaubens da im Irak anrichtet. Sie brach in Tränen aus, sagte dann aber: „Wir glauben beide, dass Gott uns einmal fragen wird, was wir mit den Elenden vor unserer Tür gemacht haben. Michael, mach es! Jedes Leben zählt!“ Wir hatten drei kleine Kinder. Sie hat die 14 Dienstreisen über 13 Monate in den gefährlichen Irak mitgetragen.

Waren Sie schon immer so ein tapferer und cooler Mann?

Blume: (schmunzelt) Nein! (lacht) Ich war für Mädels nicht cool, nicht chic, nicht so richtig vorzeigbar. Meine Familie stammt aus der ehemaligen DDR. Mein Vater hat Stasihaft und Folter erlitten. Ich bin daher mit einer tiefen Dankbarkeit gegenüber unserem Rechtsstaat und den Menschenrechten aufgewachsen. Dazu kam, dass ich als Jugendlicher einen Sinn im christlichen Glauben gefunden habe. Die glückliche Beziehung mit meiner Frau hat mich zum Mann reifen lassen.

„Hätte ich im Blick auf die Not dieser Frauen und Kinder Nein gesagt, hätte ich mich nie wieder im Spiegel anschauen können“

Was hat Ihnen geholfen, Ihr Potenzial zu entfalten?

Blume: (spontan) Unbedingt geliebt, ein Kind Gottes zu sein, aber eben auch das Wissen und die Erfahrung: Ich bin nicht unfehlbar, ich darf auch scheitern. Der Rückhalt meiner Frau, die mir in dieser schwierigen Entscheidung vermittelt hat: Es lohnt sich, sein Bestes zu geben. Sie hatte verstanden: Hätte ich im Blick auf die Not dieser Frauen und Kinder Nein gesagt, hätte ich mich nie wieder im Spiegel anschauen können.

Sie retteten mit einem kleinen Team über 1.000 Jesidinnen das Leben. Sie setzen sich ein für Geschundene, Geflüchtete … Ist dies in Ihrer DNA angelegt, weil Ihr Vater in der DDR im Knast saß, Ihre Eltern aus der DDR flüchten mussten?

Blume: Unbedingt. Als Jugendlicher habe ich eine große Politikverdrossenheit um mich herum erlebt. Dies hat mich unglaublich geärgert. Wir Menschen, die wir im Wohlstand und in Freiheit aufwachsen, tendieren leicht dazu, dies zu verachten, nicht mehr wertzuschätzen. Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass wir in einer Demokratie leben, dass wir Menschenrechte haben, dass Mädchen die Schule besuchen dürfen und Frauen die gleichen Rechte haben wie Männer. Dafür sollten wir kämpfen! Mein Vater hat Folter ertragen, weil er wollte, dass seine Kinder einmal in Freiheit aufwachsen. Wer bin ich, der ich dieses Geschenk der Freiheit wegwerfen würde oder anderen vorenthalte?

Nadia Murad, eine der Jesidinnen, die Sie gerettet haben, erhielt im Dezember 2018 den Friedensnobelpreis. Welches Gefühl löste dies in Ihnen aus?

Blume: Ich war mit Ministerpräsident Kretschmann bei der Verleihung in Oslo dabei. Das war sehr bewegend. Nadia selber war zuerst gar nicht so glücklich darüber, weil ihr damit klar war: Jetzt kann ich mich nicht mehr zurückziehen, jetzt muss ich ein Leben lang eine öffentliche Rolle einnehmen. Sie, diese tapfere Frau, hat dieses Geschenk, aber eben auch diese Herausforderung dann angenommen und der freien Welt signalisiert: Frauenrechte sind nicht selbstverständlich und gerade wir Männer sollten dafür einstehen.

Beinahe-Antisemitismus-Skandal: „Das wird eine heftige Geschichte“

Sie brechen als junger Mann ein Volkswirtschaftsstudium ab, um Religionswissenschaften zu studieren. Mit einem Aufsatz über Ihre Biografie als „Wossi“ gewinnen Sie einen Preis. Die Stuttgarter Zeitung veröffentlicht einen Artikel über Sie. Diesen Beitrag liest …?

Blume: (lacht) … Staatsminister Christoph Palmer. Ich hatte damals einen Beitrag zum Thema „Heimat und Identität“ eingereicht. Damit gewann ich einen Preis als einziger Deutscher ohne Migrationshintergrund, wenn wir die DDR nicht mitzählen. Palmer hat mich dann von der Universität direkt ins Staatsministerium geholt.

Am 11. April 2007 sagte der damalige württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger in Freiburg auf der Beerdigung von Hans Filbinger, einem seiner Vorgänger, den Satz: „Filbinger war kein Nationalsozialist. Es gibt kein Urteil von ihm [Anm.d.Red.: Er war NS-Marinerichter], durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.“ Warum wurde Ihnen da mulmig?

Blume: An der Rede war ich nicht beteiligt. Als ich sie hinterher hörte – heute würde sie ja sofort im Internet stehen –, war klar: Das wird eine heftige Geschichte. Diese Aussage könnte ihn sein Amt kosten. Man soll ja über Verstorbene nichts Böses sagen, aber hier war eine Grenze überschritten worden, eine Umdeutung passiert. Unbestrittene Tatsache ist: Filbinger hat noch in den letzten Kriegstagen Menschen zum Tode verurteilt.

Wie haben Sie die politische Kuh vom sprichwörtlichen Eis bekommen?

Blume: Ich habe Günther Oettinger geraten, den Vorwärtsgang einzulegen, nicht darauf zu warten, dass die medialen Rücktrittsforderungen abebben. Wir sind zur jüdischen Gemeinde Stuttgart gefahren, haben mit dem Zentralrat der Juden direkt gesprochen. Die jüdischen Gemeinden wussten, dass Oettinger ein feiner Kerl und kein Antisemit ist, aber die mediale Dynamik hätte alle zermalmen können. Der Ministerpräsident bedauerte den Fehler, die jüdische Gemeinde zog die Rücktrittsforderung zurück.

Und Sie bekamen ein Dankeschön der Kanzlerin?

Blume: (lacht) Sie haben sich aber gut informiert! Ja. Angela Merkel rief Günther Oettinger über mein Handy an. Ich konnte meinen Teil tun.

Sie sind Mitglied der CDU. Was bedeutet Ihnen das C? Und wie kam es dazu, dass Sie für eine Landesregierung arbeiten, in der die Grünen am Ruder sind?

Blume: Das Christliche ist mir zentral wichtig. Auch als Entlastung von Politik, weil sie nicht versuchen sollte, ein Paradies auf Erden zu schaffen. Ministerpräsident Kretschmann hat ein Faible für das C. Das verbindet uns. Als er gewählt und sein Vorgänger Stefan Mappus abgewählt war, fragte er mich, ob ich trotzdem bleiben würde. Ich sagte ihm zu, wenn er die zwei Mitarbeiterinnen mit übernehmen würde, die für mich bis dahin gearbeitet haben. Er hat seinen Teil eingehalten und ich den meinen. Wir arbeiten bis heute sehr vertrauensvoll zusammen. Ich stelle immer wieder fest: Viele Grüne schätzen es, wenn sie mit einem Christdemokraten zu tun haben, der sein Parteibuch nicht taktisch versteckt, wenn es der Karriere schädlich sein könnte, sondern zu seinen Werten steht.

„Antisemiten glauben immer, sie seien Opfer“

Sie sind heute Antisemitismusbeauftragter. Wie würden Sie einem Kind diesen Beruf erklären?

Blume: Das Judentum war die erste Religion, die mit dem Alphabet geschrieben hat. Deshalb denken viele Menschen, dass die Juden besonders schlau seien und die Welt kontrollieren. Ich würde dem Kind dann sagen: Niemand kontrolliert die Welt außer Gott. Ich gewinne Menschen dafür, sich zu bilden und zu lernen und keinen Hass auf eine Gruppe oder Religion zu haben.

Was ist Antisemitismus?

Blume: Antisemitismus ist eine Form von Menschenfeindlichkeit, die immer mit Verschwörungsmythen verbunden ist. Im Antisemitismus wird behauptet, Juden seien besonders schlau, reich und mächtig. Antisemiten glauben immer, sie seien Opfer. Sie sind deshalb auch zur Radikalisierung und Gewalt bereit.

Warum trifft es durch die Jahrhunderte und viele Kulturen hindurch immer wieder die Juden?

Blume: Weil sie die erste Religion der Schrift waren. Im ersten Buch Mose heißt es: Der Mensch sei im Bilde Gottes geschaffen. Daraus entsteht der Begriff der Bildung, der unsere europäische Kultur entscheidend geprägt hat. Die Idee, dass wir einmal in einer Welt leben, in der jedes Mädchen, jeder Junge lesen und schreiben kann, entstammt dem Judentum. Deshalb konnte der zwölfjährige Handwerkersohn Jesus drei Tage im Tempel mit den Schriftgelehrten diskutieren.

„Bekämpft Antisemitismus für eure eigene Zukunft!“

Ist Antisemitismus mehr als Hass auf Juden?

Blume: Rabbiner Lord Jonathan Sacks formulierte es so: „Dieser Hass beginnt immer bei den Juden, endet aber nie bei ihnen.“ Er setzte sich im Dritten Reich bei den Sinti und Roma oder den Homosexuellen fort. Im Islamischen Staat setzte sich dieser Hass gegen Jesiden, Wissenschaftler und Journalisten fort. Ich sage daher: Bitte bekämpft den Antisemitismus nicht nur den jüdischen Menschen zuliebe, sondern für eure eigene Zukunft! Wer glaubt, dass die Gesellschaft von der Verschwörung gesteuert wird, ist zur Demokratie nicht mehr in der Lage.

Es heißt, der Antisemitismus in Deutschland nehme wieder zu. Ist dies auch Ihre Feststellung?

Blume: Jein. Nach allen Daten, die uns vorliegen, nimmt die Zahl der Antisemiten weiter ab. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Die Menschen, die antisemitisch agieren, haben aber das Internet, und damit nimmt ihre Radikalisierung und Gewaltbereitschaft zu.

Was können wir gegen Antisemitismus tun?

Blume: Wir sind gefragt, zuzugeben, dass wir nicht alles wissen. Verschwörungsmythen geben eine scheinbar einfache Erklärung. Wenn ich sage, diese Verschwörer sind schuld, habe ich eine vermeintliche Erklärung für COVID-19, die Klimakrise, den Krieg in der Ukraine. Stattdessen zu sagen: Ich weiß, dass wir Männer die Wahrheit nicht mehr besitzen, sondern Unsicherheiten aushalten müssen – diese Stärke wünsche ich mir von uns Männern. Lebenslange Bildung macht uns stark gegen Antisemitismus.

Wann haben Sie als Beauftragter einen guten Job gemacht?

Blume: Wenn ich eingeladen werde, Menschen an diesem Thema Interesse zeigen, ich dafür sorgen kann, dass Menschen gar nicht erst zu Antisemiten werden. Jede Seele zählt.

„Die vernünftige Mitte bricht zusammen“

Sie differenzieren zwischen Verschwörungsmythen und Verschwörungstheorien. Warum?

Blume: Theorie ist ein Begriff aus der Wissenschaft. Verschwörungsmythen wollen nur Schuldige benennen. Das waren im Mittelalter die Hexen, heute werden die Zugewanderten als Invasoren betrachtet oder man wirft Frauen vor, dass sie für niedrige Geburtenraten sorgen. Wir müssen ertragen, dass sich die Welt nicht in gute und böse Gruppen spalten lässt, dass wir herausgefordert sind, das Böse in uns zu bekämpfen.

Warum haben Verschwörungsmythen und Fake News derzeit so Hochkonjunktur?

Blume: Immer dann, wenn neue Medien auftreten, haben wir eine Explosion von Verschwörungsmythen. Der Hexenwahn war nicht im vermeintlich finsteren Mittelalter, sondern fand vom 15. bis zum 18. Jahrhundert statt. Heute werden in 44 Ländern der Erde Frauen als Hexen verfolgt. Immer dann, wenn neue Medien wie Buchdruck oder elektronische Medien an Bedeutung gewinnen, ergeben sich unendliche neue Chancen für Bildung, aber es tauchen eben auch wieder alte Vorwürfe auf. Das erleben wir gerade mit einer nie dagewesenen Geschwindigkeit.

Sehen Sie einen Zusammenhang von zurückgehenden Kirchenmitgliedszahlen, einem schwindenden Glauben in der Gesellschaft und einer Zunahme von Mythen?

Blume: Ja. Unbedingt. Wir erleben leider in allen Religionen das Phänomen, dass die vernünftige Mitte zusammenbricht. Es wird die Religionslosigkeit propagiert. Es gibt immer mehr säkulare Menschen. Diese stehen den religiösen Dualisten gegenüber, die sich gegen den sogenannten Mainstream mit Verschwörungsmythen abgrenzen. Die vernünftige Mitte zerbröselt. Das ist der Teil, der mir am meisten Sorgen macht.

Blume geht gerichtlich gegen Hassnachrichten vor

Sind Männer anfälliger für Verschwörungsmythen als Frauen?

Blume: Ja! Bei Männern sehen wir öfter ein kämpferisches Weltbild. Da herrscht die Stimmung vor: Ich zerschlage jetzt die Verschwörer, wenn es sein muss auch mit Gewalt. Dies kickt vor allem jüngere Männer. Darin lassen sie sich dann gerne von älteren Männern bestätigen. Von daher sage ich, auch als ehemaliger Soldat: Liebe Mitmänner, die eigentlichen Helden stellen sich erst einmal ehrlich den Abgründen der eigenen Seele.

KI in Form von ChatGPT & Co. bringt nochmals eine ganz neue Herausforderung in puncto Fake News mit. Was wird in Zukunft wichtig(er) werden? Wie können wir Mythen oder Fake News entzaubern?

Blume: ChatGPT ist ein Werkzeug, welches unsere gesamte Welt verändern wird. Wir werden zukünftig mehrere KIs nutzen. Ob wir es wollen oder nicht, KI wird ein Teil unserer Mitwelt. Sie wird uns selbst verändern, wie uns auch das Smartphone verändert hat. Mein Ratschlag lautet: Mitmachen, aber auch nachdenken, was wir da eigentlich tun!

Hassnachrichten gehören zu Ihrem Tagesgeschäft. Wie gehen Sie damit um?

Blume: Am Anfang habe ich sie einfach ignoriert. Doch dann richteten sie sich gegen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vor allem gegen meine Familie. Seitdem wehre ich mich auch gerichtlich.

Sie klagen gegen Twitter. Warum?

Blume: Viele Bürger haben gar nicht die Möglichkeit, gegen diesen Giganten vorzugehen. Das ist unglaublich teuer. Stellvertretend für die Menschen streite ich daher gemeinsam mit HateAid. Ich will nicht den Hass im Internet bejammern, sondern mich auch hinstellen und den Hetzern und Trollen die Stirn bieten! Es hat mich Überwindung gekostet, im Regierungskabinett solch eine an mich adressierte Hassnachricht vorzulesen.

Was ist der aktuelle Stand der Klage?

Blume: Twitter vertritt die Auffassung, dass die gesendete Hassnachricht gelöscht werden kann, doch die Kläger sollen jede einzelne Hassnachricht neu melden. Wir halten dagegen und haben vom Landgericht Frankfurt/Main Recht gesprochen bekommen, dass Twitter kerngleiche Inhalte selbst löschen muss. Wenn also gegen eine Person eine Kampagne läuft, ist Twitter gefordert, löschend einzuschreiten. Twitter kann sich nicht zurücklehnen nach dem Motto: Meldet es und wir schauen dann mal. Twitter wehrt sich sehr dagegen …

„Jede Religion kann man liebevoll oder auch feindselig leben“

Was ängstigt Sie? Was macht Ihnen Hoffnung?

Blume: Mich treibt die Sorge um, dass die Klimakrise zur Wasserkrise wird. Ich habe im Irak gesehen, wie ein Staat zerfällt, wenn es nicht mehr genügend Wasser für alle gibt. Wasser ist ein mächtigeres Element als Öl. Es ist übrigens auch das erste Element, welches in der Bibel genannt wird, noch vor dem Licht! Es werden immer weniger Teile der Erde bewohnbar sein. Ich bin überzeugt: Wir werden die Krise meistern, aber die vor uns liegenden Jahre werden hart. Es geht ums Überleben in unserer Mitwelt. Dafür braucht es Frauen und Männer, die über sich hinauswachsen.

Sie sind atheistisch aufgewachsen, haben dann zum christlichen Glauben gefunden. Was hat Sie überzeugt?

Blume: Ich war politisch sehr aktiv. Im Angesicht der Hungerkatastrophe in Somalia stellte ich als junger Mensch fest: Es gelingt uns trotz allem Engagement nicht, die Welt zu einem gerechten Ort zu machen. Das brachte mich in eine Sinnkrise. Und in dieser frustrierenden Situation hat Gott mich aufgefangen und angesprochen in dem Sinne: Michael, wenn du tust, was du kannst, ist das genug. Du bist unendlich geliebt! Das hat mich unglaublich entlastet und bewahrt mich davor, mich selbst zu überfordern.

Sie und Ihre Frau entstammen einer Arbeiterfamilie. Sie sind ein glückliches Paar. Was sagen Sie Menschen, die Christen vor allem als Kreuzritter und Kolonisatoren und Muslime als Machos und Terroristen sehen?

Blume: Jede Religion kann man liebevoll oder auch dualistisch, feindselig, extremistisch leben. Das gilt fürs Christentum, den Islam und jede andere Glaubensrichtung. Zehra und ich haben jetzt unsere silberne Hochzeit gefeiert. Wir sind sehr glücklich miteinander. Wir haben drei gemeinsame Kinder, die sich in der evangelischen Kirche engagieren. Meiner Auffassung nach sollte sich Religion niemals gegen die Liebe stellen, sondern sie immer unterstützen.

Infolge der Flüchtlingskrise, der Corona-Pandemie, des Krieges in der Ukraine erleben wir eine starke Polarisierung der Gesellschaft. Wie geht es weiter? Was ist Ihre Prognose?

Blume: Wir alle stehen vor der Charakterfrage. Gerade auch wir Männer. Große Teile der Welt werden unbewohnbar werden. Es wird sogenannte Archeregionen geben, in denen Menschen überleben können. Wir alle stehen da vor der Herausforderung, die Menschen zu beschützen, die uns anvertraut sind, aber eben auch ein großes Herz gegenüber denen an den Tag zu legen, die bei uns Schutz suchen. Dies wird die Herausforderung des 21. Jahrhunderts werden. Sind wir Männer fähig, echte Partner zu sein, zu lieben statt zu hassen? Das wird die Aufgabe von uns Männern sein!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Rüdiger Jope.

Heißer Lesetipp für den Sommer:

„Eine Blume für Zehra – Liebe bis zu den Pforten der Hölle“ (bene!) Andreas Malessa erzählt eindrücklich die Liebes- und Familiengeschichte von Blumes. Ein packendes Stück deutscher Geschichte im Kleinformat.

Symbolbild: andresr / E+ / Getty Images

Für ungehemmten Sex: Warum sich Sterilisation beim Mann lohnt

Heiko Kienbaum und seine Frau haben genug vom „Nachwuchsroulette“ und wollen wieder sorglos den Sex genießen. Die Lösung: Heiko lässt sich sterilisieren.

„Zum Goldenen Horn” – allein der Straßenname löst in mir noch heute einen Schmunzler aus. Das Wissen, dass dies die Adresse eines Urologen mit Spezialisierung auf „Vasektomie“, also Sterilisation des Mannes, ist, gibt dem Straßennamen nochmal eine süffisante Note, wie ich finde. In wenigen Minuten betrete ich die urologische Praxis im Süden von Berlin. Überall an den Wänden hängen humoristische Illustrationen zu den Themen „Mannsein” und gelebte Männlichkeit. Bei den Zeitungen finden sich „Men’s Health-Gesundheitsmagazine”, Barbecue-Grill-Magazine mit wirklich fleischigen Gourmettipps, Outdoor- und Karrierehefte komplettieren das Literaturangebot. Hier weiß wohl jemand, was wahre Männer lesen.

Bin ich jetzt noch ganz Mann?

Normalerweise ist das alles nicht ungewöhnlich, aber für mich in diesem Moment schon. Es fühlt sich für mich an, als würde mir nochmal so kurz, bevor es losgeht, das „echte” Mannsein präsentiert, bevor dann „Dr. Schnipp Schnapp” sein Skalpell an meinen Sack anlegt und das alte Leben abschneidet bzw. durchtrennt. Mir wird mulmig zumute. So ein Quatsch, antwortet mein „Verstand” in Richtung meines „Gefühls” und konstatiert übertrieben selbstbewusst: „Das Durchschneiden zweier Samenleiter ändert nichts, aber rein gar nichts an meiner Männlichkeit.” Das Gefühl flüstert und fragt zurück: „Und was, wenn doch? Dann ist’s zu spät, einmal schnipp und die Nummer ist durch. Danach isst du nur noch vegan und trinkst den ganzen Tag Decaf Latte Macchiato mit Hafermilch. Das, was dich als Mann ausmacht, deine ‚Identität‘, deine ‚Fruchtbarkeit‘ ist erledigt. Willst du das wirklich?”

Während ich noch in dem Gedanken verharre, springt die Tür vom Wartezimmer auf und ein dynamischer End-50er-Herr im weißen Kittel kommt mir entgegen. „Herr Kienbaum”, tönt er, „schön, dass Sie da sind. Na dann wollen wir mal, bevor man sich dit anders überlegt, wa?” Äh, stimmt. „Ich komme”, antworte ich etwas zurückhaltender.

Die Überlegungen zur Vasektomie gab es wirklich nicht erst seit gestern. Immer wieder gab es zwischen mir und meiner Frau die Frage, wie das Thema Familienplanung nach der Geburt unserer drei Kids so ganz praktisch für uns in Zukunft aussehen sollte. Ich erinnere mich noch gut, wie oft dieses Thema für uns und unsere Freunde eine Art „Running Gag” war, wenn wir uns trafen und wieder mal miteinander folgenden Satz teilten: „Hui, diesmal, also, könnte es aber wieder knapp gewesen sein …“ „Ah echt, bei euch auch?“ „Schließt doch mal ein Schwangerschaftstest-Abo ab.“ Danke für den Tipp, Freunde.

Sex ohne Hormone und Kondome

Irgendwann nervte das Thema „Was ist, wenn nochmal (ungeplanter) Nachwuchs kommt?” so sehr, dass eine Entscheidung hermusste. Die Fragen, die uns beschäftigten, waren vielschichtig: War unsere Nachwuchsplanung abgeschlossen oder wollten wir nicht doch nochmal den Zauber eines neugeborenen Kindes erleben? Unsere Tochter wünschte sich doch auch noch eine jüngere Schwester … Und was ist eigentlich mit der Glaubensebene? Etwas evangelikal geprägt war das durchaus eine Frage, ob man(n) sozusagen so drastisch in das Thema „Fruchtbarkeit“ eingreifen darf?! Stück für Stück merkten wir, dass wir als Familie und als Paar mit unseren Lebensplänen nicht mehr in Richtung Familienvergrößerung dachten, und so entschieden wir dankbar, dass wir unseren Lebensfokus auf andere Dinge als eine nochmalige Kleinkindphase legen wollten. Und ja, natürlich war auch Sex ein Thema. Wir spürten auch, wie uns die Unklarheit in dieser Entscheidung in diesem Bereich hemmte. Noch ein Grund zu handeln. Denn die hormonelle Behandlung bei der Frau schied aus. Kondom? Diese Entscheidung haben wir dann schon beim nächsten Mal bereut.

Die innerliche und dann auch physische Checkliste für mich und für uns wurde immer klarer:

Auf Sex ab Ende 30 verzichten: Nein.

Warten mit dem Sex, bis meine Frau in der Menopause ist (puh, könnte lang werden, sie war damals 36): Nein.

Frau soll Hormone schlucken, sich diese unter die Haut ballern oder Gerätschaften in die Gebärmutter einsetzen lassen (irgendwie wollte ich das auch nicht – und sie auch nicht, also): Nein.

Frau sterilisieren lassen – denkbar, aber nicht unaufwendig: Nein.

Mann sterilisieren lassen – viel einfacher, warum nicht?: Ja!

Gamechanger im Freundeskreis

Echt jetzt, als Mann sterilisieren lassen? Wer macht denn sowas? Ich weitete meinen Blick. Kenne ich jemanden, der das gemacht hat? Kenne ich jemanden, den das auch betreffen könnte? Der Gedanke war für mich ein Gamechanger in dem Spiel „Nachwuchsroulette”. Ich fragte rum in unserem Freundeskreis und siehe da, die Mehrheit in unserem Umfeld in der Lebensphase zwischen Mitte 30 bis Anfang 40 inklusive ein bis vier Kinder beschäftigen sich genau mit diesem Thema! Es war auf einmal gar kein Tabuthema mehr. Von daher: Redet mit euren Freunden über dieses Thema. Unsere Gespräche waren so unfassbar erfrischend. Was haben wir über die gleichen „Herausforderungen” miteinander gelacht!

„Ich kann’s auch mit verbundenen Augen, soll ich? Herr Kienbaum?” „Dr. Pullermann” steht vor mir mit einer kleinen Betäubungskanone, wenige Zentimeter von meinem Gemächt entfernt. „Machen Sie sich keine Sorgen”, so der Dr. weiter, „ich habe das über 10.000 mal durchgeführt, ich kann so einen Samenleiter zwei Meter entfernt, mit verbundenen Augen und leicht angetütert sauber durchtrennen.” Ich wollte immer wissen, wo meine persönliche Humorgrenze angesetzt ist – hier war sie erreicht und ich antwortete recht zurückhaltend, dass es mir lieber wäre, er würde auf Nummer sicher gehen. Keine 30 Minuten später war der Spuk vorbei und ich stand mit hochgezogener und geschlossener Hose, etwas wackelig und breitbeinig wieder auf der Straße und machte mich auf den Weg zu meinem Auto. Als Abschiedsgruß des Dr. hatte ich noch im Ohr: „Herr Kienbaum, uffm Rückweg holen sich zwee schöne kalte Flaschen Pils, eine für in den Körper und eine für an den Körper, und schonen Sie sich ein paar Tage. Und vergessen Sie nicht nach 30 Ejakulationen zur Nachkontrolle ’ne Probe abzugeben. Erst dann kriegen Sie ’ne Freigabe von mir. Melden Sie sich, wenn was ist, hier ist meine Nummer.”

Den restlichen Tag verbrachte ich mit Kühlpacks auf der Hängematte am Balkon mit Blick auf die Spitze des Berliner Fernsehturms. Apropos Spitze, richtig spitze und so richtig männlich war das Gefühl danach: Nämlich das Thema „Familienplanung” in Abstimmung mit meiner Frau total konstruktiv und in Eigenverantwortung übernommen und einen Weg gewählt zu haben, der für alle Beteiligten passt und sinnvoll erscheint. Danke an dieser Stelle an meinen Special Doc aus Berlin. Er ist ein Meister seines Fachs und der etwas derbe Berliner Humor hat mir sehr gutgetan. Ich gehöre zur Gattung Mann, die schon bei kleinsten Schmerzen heult und jammert (siehe Männergrippe und Zahnarzt), aber das Kopfkino vor dem Eingriff war um ein Vielfaches schlimmer als in der Realität.

Nicht schlimmer als die Männergrippe

Da wir jetzt schon (fast) Fachleute von „Samenleiterdurchtrennungen” sind: Meine gewählte Methode war die sogenannte „Non Skalpell Methode”. Vergnügungssteuerpflichtig ist die ganze Sache natürlich nicht. Mit ein paar Tagen ziehendem Schmerz in der Leistengegend und Druckempfindlichkeit der Hoden müsst ihr rechnen. Aber wer schon mal ’ne Männergrippe überstanden hat, wird hieran nicht verzweifeln. Versprochen! Mein Tipp an jeden Mann: Zieht diese Form der Verhütung ernsthaft in Betracht, lasst euch darauf ein, einmal komplett vorbehaltlos von Gesellschafts-, Gender- oder religiösen Rollenbildern darüber nachzudenken, und – ganz wichtig! – sucht euch einen Arzt und eine Durchführungsmethode, die zu euch passen. Und wenn Kopf und Herz dann zusammen unterwegs sind, dann zieht es durch, am besten gemeinsam im Freundeskreis, und danach: Feiert das Leben und genießt diese neue Art der Sexualität. Es lohnt sich! Und es hat meiner männlichen Identität keinen Abbruch getan.

Heiko Kienbaum ist Autor von „Was Paare glücklich macht”. Zusammen leiten er und seine Frau das C-STAB Werte-Netzwerk für christliche Therapeut:innen, Berater:innen und Seelsorger:innen und Coaches. c-stab.net

Weiterführende Quellen:

  • quarks.de/gesundheit/medizin/das-solltest-ueber-eine-vasektomie-wissen/
  • vasektomie-experten.de
  • vasektomie-experten.ch
Symbolbild: Tempura / E+ / Getty Images

Do-it-yourself: Warum müssen immer noch alle Männer Heimwerker sein?

Zwei linke Hände gleich halbe Portion? Von Männern wird handwerkliches Geschick erwartet. Martin Buchholz meint: Meine Schuhe mache ich doch auch nicht selber.

Sagen wir gleich, wie es ist: Ich bin nicht mit Hammer und Meißel zur Welt gekommen. Ich kann nicht löten und schweißen, kann weder Fliesen noch Parkett verlegen. Und verspürte auch noch nie das Bedürfnis, es mit blutigen Fingern zu lernen. Damit hatte ich selber auch nie ein Problem. Bis ich merkte: Echte Männer müssen so was können.

In unserem Land ist das nämlich so: Du kannst als Mann den Nobelpreis für Physik gewinnen, als Hirnchirurg täglich Leben retten oder Bundeskanzler sein – wenn du daneben nicht auch noch ein gewiefter Hand- und Heimwerker bist, giltst du in den Augen der Gesellschaft als halbe Portion. Das ist statistisch zwar nicht messbar, aber erfahrbar.

Mitleidige Blicke ernten

In dem leisen Schmunzeln und den unverhohlen mitleidigen Blicken, die meine Frau und ich ernten, wenn wir im Freundeskreis eine Geschichte wie diese erzählen: Der billige Plastik-Siphon unter unserer Spüle rutschte immer wieder nach einigen Tagen aus seiner Fassung, weil die Mülleimer, die davor standen, permanent dagegen drückten. Monatelang haben wir das Teil wieder notdürftig reingeschraubt (ja, das habe ich irgendwie selber gemacht), bis es sich wenig später wieder löste. Dann bestellten wir einen Handwerker.

Er hörte sich das Dilemma an, schmunzelte kurz und sägte dann vier Zentimeter von dem Siphon ab. Seitdem hält das Teil. Unsere große Erleichterung konnten unsere Freunde nur bedingt nachvollziehen: „Äh, und für so eine Lappalie lasst ihr extra einen Handwerker kommen?!“

Heimwerken: Sexy, aber nicht ohne Risiko

Ja, sicher! Weil er weiß, wie es geht. Selbermachen gilt zwar als sexy, ist aber nicht ohne Risiken, wie ich leidvoll erfuhr, als ich einmal den Fehler beging, es doch zu versuchen: Ich habe unsere Garderobe im Flur eigenhändig an die Wand gedübelt. Hat sogar gehalten. Drei Tage lang. Dann bröselte mir die Garderobe aus der nassen Wand wieder entgegen. Dass keine zwei Zentimeter unter dem billigen Putz unser Abflussrohr verlief, hatte mir keiner gesagt. Wir taten, was wir gleich hätten tun sollen, und bestellten einen Handwerker.

Warum auch nicht?! Das sind Fachleute, die diesen Beruf gelernt haben. Ich nicht. Meine Schuhe mache ich doch auch nicht selber. Ich verdiene Geld mit Filmemachen, Liedern und Geschichten, damit ich andere für das bezahlen kann, was sie gut beherrschen. Dieses Prinzip der modernen Arbeitsteilung leuchtet doch auch den meisten ein; nur nicht in Sachen Heimwerker. Da hält sich hartnäckig das archaische Klischee, dass „Mann“ so was eben kann.

Handwerklich begabte Freunde fragen

Zum Glück bin ich seit über 30 Jahren mit einer Frau verheiratet, die meine Heimwerker-Phobie geduldig, tapfer und lösungsorientiert erträgt. Der britische Schriftsteller George Bernard Shaw hat gesagt: „Gute Freunde sind Gottes Entschuldigung für schlechte Verwandte.“ Meine Frau pflegt hingegen zu sagen: „Handwerklich begabte Freunde sind Gottes Entschuldigung für meinen Ehemann!“ Womit ich die haushaltsinterne Lösung vieler unserer Baustellen bereits angedeutet habe. Wir wägen einfach jedes Mal ab: Bestellen wir gleich einen Profi – oder fragen wir einen Freund? Letzteres ist natürlich heikel. Wer will schon ständig seinen Freunden mit so was auf die Nerven gehen? Und vor allem: Wie bedanken wir uns hinterher angemessen?

Diese Frage wurde besonders drängend, nachdem meine Frau schon vor über 20 Jahren ihren befreundeten Arbeitskollegen Friedhelm gebeten hatte, uns beim „Ausbau“ unseres neuen Reihenhauses zu helfen. Was Friedhelm gerne und mit – für mich völlig unvorstellbarer – Fachkompetenz dann auch tat. Zum Dank tat ich das, was ich eben besser kann, und schrieb ein Lied für ihn, auf die Melodie des Beatles-Klassikers „Help“. Wer mitsingen möchte, bitteschön:

Friedhelm-„Help“-Song

„Als ich noch jünger war, da dachte ich bei mir: Wenn was kaputtgeht, dass ich das alleine reparier‘. Doch heut‘ weiß meine Frau, dass ich das gar nicht kann. Und immer dann, wenn Not am Mann ist, ruft sie einen an:

Hilf uns, lieber Friedhelm, wir sind down! Bitte hilf den alten Schrank zusamm’nzubau’n. Hilf, bevor mein Mann und ich uns hau’n. Won’t you please, please help me!

Vor Jahren zogen wir in unser Reihenhaus. Wir kannten einen, der kennt sich mit so was bestens aus. Er brachte Lampen an, hat Schalter installiert. Ein echter Mann, der so was kann – und mich damit blamiert.

Hilf uns, lieber Friedhelm, beim Parkett. Komm, verlege unser’n Boden, Brett für Brett! Hilf uns, lieber Friedhelm, sei so nett! Won’t you please, please help me!“

Peinlichkeitsschwelle überwinden

Ja, natürlich gibt es in unserem handwerkerlosen Haushalt jedes Mal auch eine gewisse Peinlichkeitsschwelle zu überwinden, bevor wir dann eben doch um fachkundige Hilfe bitten. Die Folge davon lautet bei uns: Nichts hält länger als ein Provisorium. Unser schönes Holzbett zum Beispiel. Das wurde an den vier Ecken von so kleinen Holzstiften zusammengehalten, die einfach ineinander geschoben waren. Verklebt haben wir sie nie, weil wir dachten, dass wir die Teile dann ja nie wieder getrennt kriegen.

Nun ja, die Konsequenz war, dass auf meinem Nachttisch immer ein Gummihammer lag, mit dem wir alle paar Tage die Holzteile des Bettes wieder zusammengeklopft haben. Als wir dann schließlich doch einen Handwerker kommen ließen und der sich das Ganze ansah, war es um seine Fassung geschehen. Er stammelte nur noch „Entschuldigung!“ und bog sich vor Lachen. Dann verklebte er die Teile („Kein Problem, das Bett kriegen Sie trotzdem später wieder zerlegt“), presste das Ganze mit riesigen Schraubzwingen zusammen und fertig.

Unfallfrei und gesund

Ich höre im Geiste schon, wie sich alle gewieften Heimwerker nun beim Lesen amüsiert auf die Schenkel klopfen. Macht nichts. Damit komme ich klar. Und gebe zu bedenken, was mir aufgrund meines mangelnden Talents alles erspart bleibt: Ich bin noch nie beim Lampen-Fixieren von der Leiter gefallen, habe mir noch nie beim Brettersägen einen Finger amputiert oder beim Reparieren der Waschmaschine den Keller geflutet.

Denn wenn eines beim archetypischen Heimwerker-Mann kein Klischee, sondern Realität ist, dann ist das seine Neigung zur chronischen Selbstüberschätzung mit unabsehbaren Folgen für die Gesundheit. Aus welcher frühen Epoche der Evolution die stammt, mögen die Verhaltensforscher erklären. Jedenfalls ist es wohl kaum genetisch bedingt, wenn Mädchen mit Puppen spielen und kochen lernen, während Jungs irgendwas bauen und basteln. Der Handwerker, der vor Jahren fachkundig unseren Herd reparierte, war übrigens eine Handwerkerin. Wer hätte das gedacht?

Auch Kochen braucht „handwerkliches“ Geschick

Andererseits soll es ja immer noch Männer geben, die zwar hobbymäßig ohne Probleme ein ganzes Dach gedeckt kriegen, aber am Herd schon mit Spiegeleiern vollkommen überfordert sind. Da bin ich jetzt mal aus dem Schneider. Koch ist zwar offiziell kein Handwerksberuf, erfordert aber durchaus „handwerkliche“ Erfahrung.

Ich weiß, wovon ich rede. Ich koche nämlich oft – und gut! Meint zumindest meine Frau. Im post-emanzipatorischen Zeitalter des 21. Jahrhunderts stellt sich darum die Frage: Warum müssen immer noch alle Männer Heimwerker sein und alle Frauen kochen können?

Martin Buchholz ist ein leidenschaftlicher Erzähler. Als Filmemacher in seinen TV-Dokumentationen für ARD und ZDF, als Songpoet und Referent in Konzerten und Gottesdiensten. Der studierte Theologe lebt mit seiner Frau in Rösrath bei Köln. (martinbuchholz.com)

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95 Prozent aller Gefängnisinsassen sind männlich – daran liegt es

Männer müssen lernen, ihre Emotionen wahrzunehmen, meint der Sozialpädagoge Rüdiger Jähne. Das senke unter anderem die Kriminalitätsrate.

Hallo Rüdiger, Männer haben Lösungen, keine Probleme. Was sagst du dazu?

Ja, das stimmt. Männer versachlichen häufig Dinge und versuchen, sie zu lösen. Es gibt aber im Leben Situationen, da gibt es keine Lösungen. Wenn ein uns wichtiger Mensch stirbt, dann ist er weg. Ich kann nichts dagegen tun, es gibt keine Lösung. Das muss ich anerkennen. Wir können vieles in unserem Leben gestalten, manchmal haben diese Spielräume jedoch ein Ende.

„Ich habe Freunde, die wissen nicht, wann sie das letzte Mal geweint haben“

95 Prozent aller Gefängnisinsassen und 70 Prozent aller Obdachlosen sind männlich. Männer begehen dreimal so oft Suizid wie Frauen. Männer stellen über 80 Prozent der Alkohol- und Drogentoten. Was ist die Wurzel allen Übels?

Männer lernen häufig nicht, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu schauen, welche Bedürfnisse dahinterstecken. Der Satz „Männer weinen nicht“ klingt überholt, wirkt aber immer noch nach. Ich habe Freunde, die wissen nicht, wann sie das letzte Mal geweint haben.

Jeder kennt die Situation: Was hast du denn? – Nichts. Und alle spüren, dass da was ist. Von diesem „Nichts“ wegzukommen und anzuerkennen, dass eben doch etwas ist, und dem auf die Spur zu gehen, ist zentral für viele Krisen im Leben.

„Es gibt keine negativen oder positiven Emotionen“

Wie sieht ein guter Umgang mit Gefühlen aus?

Erst mal gilt es innezuhalten, die Gefühle zu spüren und herauszufinden, ob ich jetzt traurig oder verärgert bin – ohne sie direkt abzuwehren. Und wir sollten Gefühle nicht bewerten. Es gibt keine negativen oder positiven Emotionen. Das ist eine Falle – Gefühle sind ein Kompass für unsere Bedürfnisse.

Nehmen wir zum Beispiel die Einsamkeit. Im besten Fall merke ich, dass ich einsam bin und nehme Kontakt mit Freunden auf. Oder ich kann sagen: Ich bin einsam, da schütte ich jetzt mal sechs Bier drauf. Kann ich auch machen, dann spüre ich die Einsamkeit nicht mehr. Aber ich spüre dann auch nichts anderes mehr.

„Es ist normal, Krisen und Probleme zu haben“

Warum braucht es spezielle Beratungsangebote für Männer?

Durch die direkte Ansprache von Männern wollen wir sie dafür sensibilisieren, dass es normal ist, Krisen und Probleme zu haben. Außerdem arbeiten bei uns Männer. Das macht es leichter anzudocken, gerade wenn es um Gefühle geht.

Kommen die Männer aus eigenem Antrieb oder werden sie von ihren Frauen geschickt?

Ich sage immer, die kommen alle eigenständig. Manche wissen es nur nicht. (lacht) Männer erzählen oft von anderen: ihrer Frau, ihren Kindern oder ihrem Chef. Dann gilt es, ganz klar zu sagen: Ja, aber weder Ihr Chef, noch Ihre Frau oder Ihre Kinder sind jetzt hier, sondern Sie! Was wollen SIE denn?

„Wir betreiben Friedensarbeit“

Was würdest du dir für die Zukunft wünschen?

Es wäre schön, wenn wir als Gesellschaft erkennen, dass unsere Gefühle unser Leben lebenswert machen – und nicht, wie viel Geld wir auf dem Konto haben. Ich finde, am Ende geht es darum, Freunde im Leben zu haben, mit Glück noch eine Partnerin, und den Tag mit Dingen zu verbringen, die ich selbst für sinnvoll erachte.

Ich bin davon überzeugt: Wenn Männer ihre Bedürfnisse wahrnehmen, kommunizieren und diese auch verstanden werden, dann trinken sie weniger, begehen weniger Straftaten und sind weniger gewalttätig. In dieser Hinsicht betreiben wir Friedensarbeit.

Die Fragen stellte MOVO-Volontär Pascal Alius.

Rüdiger Jähne ist Sozialpädagoge. Er arbeitet als Referent für Jungen- und Männerarbeit beim Sozialdienst katholischer Männer (SKM).

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Gefühle wahrnehmen: Wie eine Therapie Rolf hilft, nicht mehr auszurasten

Rolf schreit seine Kinder an und zockt abends lieber mit einem Bier am PC, statt sich mit seiner Frau zu unterhalten. Erst eine Therapie führt ihn zur Wurzel des Problems – tief vergraben in seiner Familiengeschichte.

Dass er seine Kinder anschreit, kam früher fast nie vor. Auch nicht, dass er bei der Arbeit montags schon das Wochenende herbeisehnt. Oder am Abend am liebsten mit einem Bier am PC zockt, statt mit Martina über den Tag zu reden.

Doch in Rolfs Leben hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert: das neue Haus, das die Bank zu 80 Prozent finanziert hat; seine Beförderung zum Teamleiter, der nun Verantwortung für zwölf Kollegen trägt und direkt an die Geschäftsführung berichtet; seine Eltern, die im Ruhestand zunehmend seine Hilfe brauchen; und seine Ehrenämter in der Kirchengemeinde und im Klimaschutz, die während der Pandemie deutlich aufwendiger wurden.

Widerwillig geht Rolf zur offenen Männergruppe

Wenn Martina, mit der Rolf seit 14 Jahren verheiratet ist und die Kinder Robin (11) und Clara (9) hat, ihn auf seine gereizte und abweisende Art anspricht, winkt der 42-Jährige nur ab. Es sei halt „aktuell alles ein bisschen viel“, aber nach dem Sommer werde es besser, wenn in der Firma die Umstrukturierung abgeschlossen sei und in der Klimaschutzinitiative andere Ehrenamtliche ihm Aufgaben abnähmen. Und überhaupt, was sie immer gleich habe.

Als nach dem Sommer nichts besser ist und Martina zunehmend bemerkt, dass Rolf nur noch unruhig schläft und vermehrt Alkohol trinkt, drängt die Erzieherin darauf, dass ihr Mann sich helfen lässt. Eher widerwillig besucht er meine offene Männergruppe, ist dann aber beeindruckt von der Offenheit, mit der sich Männer hier zeigen, den Themen der Männer, die ihn alle an ihn selbst erinnern, und der Klarheit, mit der ich die Gruppe führe.

Gespräche galten als „vertane Zeit“

Nach dem Abend spricht mich Rolf an und vereinbart einen Termin mit mir für ein Einzelgespräch. Auch hier kommt er sich zunächst wieder komisch vor, weil sich „hier ja alles um mich dreht“. Schnell wird klar, dass das dritte von vier Geschwistern mit Sätzen wie „Nimm dich nicht so wichtig!“ oder „Stell dich nicht so an!“ in einem kleinen Handwerksbetrieb aufgewachsen ist.

Zeit war immer knapp, die Kunden gingen vor und Gespräche galten als „vertane Zeit“. „Eigentlich habe ich immer nur funktioniert und geschaut, dass ich keinen Ärger mache und keinen Ärger kriege“, fasst Rolf diese Kindheit zusammen. Ich spiegele ihm, dass all diese Sätze aus dem Elternhaus Imperative waren, also Aufforderungen in Befehlsform. So habe er verinnerlicht, sich selbst herumzukommandieren.

Gefühle nicht wahrgenommen

Und ohne Gesprächskultur habe er auch nicht gelernt, zu reflektieren, in sich hineinzuhören und seine Befindlichkeiten und Gefühle wahrzunehmen und zu spüren. Denn unsere Gehirne sind sehr intelligent organisiert und lernen schnell: Wenn Gefühle dauerhaft ignoriert werden, meldet sie unser Gehirn nicht mehr unserem System, sondern schiebt sie in unser Unterbewusstsein, wo sie sich unserer Kontrolle entziehen.

Rolf bestätigt, dass er oft nichts fühlt und deshalb auch seine Befindlichkeiten nicht artikuliert. Ich widerspreche. Er fühle sehr wohl, nehme das aber nicht mehr wahr, weil er sich – bzw. sein Gehirn ihm – das abtrainiert habe.

„Deine Trauer und deine Tränen sind willkommen“

Nun schweigt der 42-Jährige lange, seine Haltung verändert sich und seine Mimik zeigt Trauer. Als ich das ausspreche, kommen Rolf die Tränen. Und sofort meldet sich auch seine Scham, indem er die Tränen wegwischt und versucht, einen Witz zu machen, mit dem er seine Situation ins Lächerliche ziehen will.

Ich halte dagegen: „Deine Trauer und deine Tränen sind willkommen, Rolf, du machst gute Arbeit.“ Und gemeinsam sitzen wir da, schweigen und jegliche Macher-Allüren fallen von dem Familienvater ab.

„Was treibt dich an, Rolf?“

Beim nächsten Termin wirkt Rolf schon gelöster. Er habe sich auf den Termin gar gefreut. Er sei gespannt, was er heute über sich erfahre, und macht auch gleich ein Angebot: In seinem christlich geprägten Elternhaus sei immer klar gewesen, dass man „nicht für sich selbst lebt, sondern für den Dienst am Nächsten“. Nun nehme er wahr, dass ihn dieser Anspruch überfordere, weil er gelegentlich einfach zu erschöpft sei, für das Gemeindefest Helfer zu gewinnen und einzuteilen oder in seiner Klimaschutzinitiative noch Unterlagen zu lesen, Protokolle zu schreiben und ein Pressegespräch vorzubereiten.

„Was treibt dich an, Rolf?“, frage ich den Ingenieur, und er scheint fast in seinem Korbsessel zu versinken, ehe zögerlich seine Antwort kommt: „Ich möchte halt niemanden vor den Kopf stoßen.“ Und als ich weiterfrage, kommen Variationen dieser Aussage. Schließlich biete ich ihm eine Antwort an: „Rolf, kann es sein, dass du geliebt werden möchtest?“ Und wieder verrät seine Mimik viel Trauer und wir schweigen gemeinsam.

Im Wettbewerb um die Gunst von Vater oder Mutter

Nun erzählt der Macher aus seiner Kindheit. Wie er um die Anerkennung der Eltern buhlen musste. Wie die Geschwister im Wettbewerb um die Gunst von Vater oder Mutter standen, denen nahezu nie ein Lob über die Lippen kam, nach dem alten schwäbischen Motto: „Nicht geschumpfen ist Lob genug.“

Rolf erinnert sich, dass im elterlichen Betrieb Geld offenbar immer wieder mal knapp war, weil Kunden insolvent gingen und Rechnungen nicht bezahlten oder der Vater zu viele Leistungen zu preisgünstig erbrachte. Rolf muss lachen, als ich ihm die Parallele aufzeige, dass offenbar auch sein Vater von jedermann geliebt werden wollte.

Immer besser kommt der Familienvater nun in seine Gefühle und kann sie benennen: Trauer, dass zu Hause so wenig Raum für Gespräche und Reflexion war. Wut, dass ihm niemand beigebracht hat, seine Bedürfnisse zu spüren und sie äußern zu dürfen. Aber auch Freude, dass er jetzt bei mir sitzt, das neue Verhalten trainiert und damit neue Erfahrungen sammelt bei der Arbeit, in der Familie und in seinen Ehrenämtern.

Rückfall löst Panik aus

Nun verlängert er die Abstände, in denen er in die Therapie kommt. Stößt ihm im Alltag etwas unangenehm auf, dann muss er nicht mehr sofort heftig reagieren, sondern begnügt sich mit dem Wahrnehmen, dass jetzt offenbar gerade wieder etwas schiefläuft. Dann nimmt Rolf bewusst Geschwindigkeit aus der Situation oder stoppt sogar ganz, um innezuhalten, wahrzunehmen und zu atmen. Gelegentlich muss er sogar innerlich lächeln, weil er sich dabei auf die Schliche kommt, in sein altes Muster zu rutschen.

Einmal geschieht dies tatsächlich in seiner Kirchengemeinde und er pampt Mitstreiter an, weil sie ein wichtiges Detail vergessen haben. In seiner Panik ruft er mich an und sitzt bereits am nächsten Tag bei mir. Ich lasse ihn erzählen, wie es zu der Situation kam, und schon in seiner Schilderung nimmt er wahr, wie er „gelbe Warnschilder“ ignoriert hat. „Du warst dir zu sicher, mit deiner Veränderung ‚durch‘ zu sein“, spiegele ich ihm und frage ihn, wann er mal „etwas Wichtiges vergessen“ hat. Sofort fallen ihm drei Beispiele aus jüngster Zeit ein. Beim nächsten Treffen in seiner Gemeinde will Rolf seinen Mitstreitern von seinen Versäumnissen berichten und um Verzeihung für seinen Ausraster bitten. Dieser dient ihm nun vor allem dafür, dauerhaft mit sich selbst achtsam zu sein.

Leonhard Fromm (58) ist Gestalttherapeut und Männer-Coach. Der zweifache Vater lebt in Schorndorf bei Stuttgart und macht (Gruppen-)Angebote in Präsenz und online. derlebensberater.net

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Wie Paare Gleichberechtigung leben: „Meine Frau verdient das Geld, ich trage es wieder fort“

Oliver ist Hausmann, während Heiko nicht an die Waschmaschine darf. Wir haben vier Paare gefragt, wie sie ihre Beziehung leben.

Was bedeutet für euch Gleichberechtigung?

Stefan: Nach dem Tod meiner ersten Frau sagten viele: Du brauchst jetzt aber dringend wieder eine Frau für deine vier Kinder. Ich habe über diesen Satz viel nachgedacht.

In der Generation meiner Eltern war es gar nicht denkbar, als Vater für vier kleine Kinder zuständig zu sein, den Haushalt zu managen. Meine erste Liebeserklärung an meine jetzige Frau Brigitte war: Ich brauch dich nicht, aber ich will dich! (allgemeine Heiterkeit)

Oliver: Ich lebe gerade den absoluten Rollentausch. Seit letztem Jahr verdient meine Frau als Sonderpädagogin das Geld und ich kümmere mich um Haushalt, Kinder und Küche.

Kathrin: Oliver war vorher täglich bis zu 14 Stunden als ITler außer Haus. Unsere Rollenteilung lebten wir zwölf Jahre klassisch. Nach vielen, vielen Gesprächen haben wir den Tausch gewagt.

Stefan: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Punkt.

Axel: Richtig! Der Respekt gegenüber meiner Frau macht sich nicht im Sternchen fest, sondern im Handeln.

„Wir werden im Leben niemals fair und gleich behandelt“

Oliver: Das ist doch die Chance und Schwierigkeit unserer Zeit: Beide können arbeiten gehen, beide in Teilzeit arbeiten, der Mann kann zu Hause sein, die Frau darf arbeiten gehen. Dafür ist aber auch alles irgendwie im Fluss, muss ausdiskutiert, abgesprochen und organisiert werden.

Heiko: Ja, wir sind gleichberechtigt. Das Thema ist durch. Doch wir werden im Leben niemals fair und gleich behandelt. Wenn ich mich auf eine Stelle bewerbe, werde ich definitiv besser bezahlt.

Wenn sich eine Frau mit Kindern auf eine Stelle bewirbt, wird sie trotz Sternchen anders behandelt als ein Mann. Umgekehrt: Wenn du als Mann in der Wirtschaft für die Kinder kürzertrittst, kommst du hinterher auch nicht mehr in eine höhere Position.

Maja: Vielleicht müssten wir hier das Wort „gleichgerecht“ gebrauchen? Dann bekommt das Thema eine andere Würze.

„Warum ist das, was jemand zu Hause leistet, weniger wert?“

Wird die Arbeit zu Hause für die Kinder gleich wertgeschätzt wie die außer Haus?

Axel: Nein. Da passiert für mich von staatlicher Seite noch viel zu wenig. (alle nicken) Der, der zu Hause bleibt, hat hinterher die schmalere Rente. Frauen werden schlechter bezahlt und dann im klassischen Rollenmodell auch noch bestraft fürs Kümmern um die Kinder. Hier schlägt’s meinem Gerechtigkeitssinn das Zäpfle hoch!

Oliver: (leidenschaftlich) Genau daran muss sich aber etwas ändern. Warum ist das, was jemand zu Hause leistet, weniger wert, als wenn er den ganzen Tag im Büro rumsitzt?

Stefan: Da bin ich ganz bei dir. Es liegt auch an mir, wie ich diese Rolle ausfülle, präge, lebe. Die Diskussion, ob mit oder ohne Sternchen, geht an mir total vorbei. Ich sage meinen Kindern: Ihr merkt hoffentlich an meinem Verhalten, dass ich mit ganz großem Respekt mit allen Menschen umgehe. Es liegt doch an uns: Wie prägen wir die nächste Generation?

„Manchmal ist es für uns Männer daher einfacher, auf die Arbeit zu gehen, weil du Not und Elend zu Hause nicht siehst“

Ein „Glaubensbekenntnis“ unserer Tage ist: Kinder, Karriere und Beziehung sind miteinander scheinbar problemlos vereinbar. Stimmt das? Muss man Abstriche machen?

Maja: Diese drei Themen sind wie ein Dreieck. Jedes Thema bringt Emotionen und Herausforderungen mit. Es ist ein großes Spannungsfeld. Ja, es funktioniert, aber auf welche Kosten? Wo mache ich Abstriche? Was bleibt auf der Strecke?

Stefan: Als ich alleinerziehend war, stand für mich die Frage im Raum: Woher bekomme ich meinen Wert? Eine Frau aus meinem Umfeld fragte mich: Stefan, woraus beziehst du jetzt deine Anerkennung?

Wenn du für den Haushalt und die Kinder zuständig bist, kommst du maximal auf null, aber nie ins Plus. Das Geschirr, die Wäsche, die Wohnung werden wieder dreckig. Manchmal ist es für uns Männer daher einfacher, auf die Arbeit zu gehen, weil du Not und Elend zu Hause nicht siehst. (allgemeine Heiterkeit)

Axel: Hoffentlich liest das Jugendamt Reutlingen nicht diesen Artikel. (allgemeine Heiterkeit)

„Die wenigsten putzen mit Leidenschaft, sondern sehen darin wie ich das notwendige Übel“

Stefan: Kinder großzuziehen ist nicht jeden Tag die Quelle großer Freude. Und die wenigsten putzen mit Leidenschaft, sondern sehen darin wie ich das notwendige Übel. Wenn du für Geld arbeiten gehst, bekommst du Anerkennung aufs Konto. Die größte Herausforderung ist die: Wo bekommen wir unsere Anerkennung her?

Axel: Widerspruch: Unterschätze mal nicht den Jubelschrei einer 16-Jährigen, die den Schrank aufmacht und ihre Lieblingshose liegt frisch gewaschen darin.

Stefan: Sind das die 95 Prozent des Teenagerlebens in eurer Familie? (alle lachen) Das verstehe ich nicht. (lacht)

Nicole: Ich bin ja bereits acht Wochen nach der Geburt unserer Tochter wieder arbeiten gegangen, da Axel noch mit 50 Prozent studierte. Das kostete mich echt Überwindung, war schwer. Heute bin ich dankbar, dass wir uns diese Herausforderung geteilt haben, diese Vielfalt heute so möglich ist. Ich wäre mit der klassischen Rolle als „nur“ Hausfrau und Mutter nicht glücklich geworden.

„Wir dürfen nicht erst an uns denken, wenn alle To-dos erledigt sind“

Wo habt ihr Dinge miteinander erkämpfen müssen? Was waren Stolperfallen?

Heiko: Familien schultern ein echtes Pensum. Als Eltern sind wir gerade in den Belastungen herausgefordert: Wo bleibt die Liebesbeziehung? Wir können uns als Team super die Bälle zuspielen, doch wo bleibt die Zeit für ein Rendezvous? Wann hatten wir als Paar unser letztes Date?

Paare kneifen den Arsch zusammen, damit alles funktioniert, doch dabei bleibt das Schöne, das Romantische, das, was einem Kraft gibt, ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, auf der Strecke. Wir dürfen nicht erst an uns denken, wenn alle To-dos erledigt sind. Dies passiert nämlich nie.

Wie bekommt ihr beide eine gesunde Balance hin?

Maja: Wir haben uns beide mit Mitte 30 und drei Kindern nochmal für ein Studium entschieden. Das war wirklich ein Rechen-Exempel. Der Mix aus Arbeiten, Studieren, Kinder und Haushalt funktionierte nur mit ganz, ganz viel Absprache. Wir haben finanziell alles zurückgeschraubt, um unseren Traum leben zu können, und wir haben einen Deal: Die Abende gehören in der Regel uns.

Heiko: Wir achten inzwischen sehr darauf, dass wir die privaten Termine, die uns guttun, nicht mehr hinten anstellen. Wir planen im Outlook-Kalender auch private Dinge. Wir müssen darauf achten, dass die Säulen unserer Beziehung stabil sind.

Brigitte: Als Team Balance zu halten, ist eine echte Herkulesaufgabe.

Nicole: Oder ein echter Drahtseilakt.

Kathrin: Die Zeit für uns als Paar kommt auch immer zu kurz. Doch wir schöpfen auch unglaubliche Kraft aus dem Zusammensein mit den Kindern. Da passiert so viel Wesentliches.

„Ohne Humor hätten wir einander erschossen“

Axel: Vor ein paar Monaten hatten wir den Eindruck: Wir sollten ein paar Kilo verlieren. Doch wie passt dies in den vollen Alltag? Wir haben uns für einen Lauf über neuen Kilometer angemeldet. Damit hatten wir ein Ziel, mussten trainieren. Das hat dann dazu geführt, dass wir zweimal die Woche auch mal nach 21 Uhr die Tür hinter uns zumachten und gemeinsam stramm spazieren gingen.

Wir sind miteinander gegangen bei Wind und Wetter. Wir hatten plötzlich 90 Minuten, in denen uns keiner reinquatschte. Mir ging es dann schon so: Hey, ich würde gerne mit dir mal was besprechen, wann gehen wir laufen? Jetzt ist leider der Lauf vorbei …

Stefan: (lacht) Ich empfehle euch als Paar einen Schrittzähler. Wir finden es auch sehr hilfreich, miteinander Erwartungen zu klären. Uns ist zum Beispiel das Thema Geld nicht so wichtig. Geld ist schön zu haben, aber hat nicht die Priorität in unserer Beziehung. Wir brauchen nicht den Urlaub auf den Malediven, sondern genießen den abendlichen Spaziergang, eine gemeinsame Tasse Kaffee.

Brigitte: Und wir teilen einen großen Humor.

Stefan: Sehr richtig! Ohne diesen hätten wir einander schon erschossen. (alle prusten vor Lachen los)

„Ich habe von meiner Frau ein Waschverbot bekommen“

Ihr habt euch scheinbar aus den Stereotypen rausgewagt. Welchen Wandel findet ihr gut? Wo denkt ihr, war es früher vielleicht angenehmer?

Brigitte: Ich finde es toll, dass Stefan einkauft. Er liebt es.

Stefan: Meine Frau verdient das Geld, ich trage es wieder fort. Das ist doch ein guter Wandel. Vor allem kommen jetzt vernünftige Sachen ins Haus. (allgemeine Heiterkeit)

Heiko: Ich habe von meiner Frau ein Waschverbot bekommen. (alle lachen) Ich glaube immer noch, dass ich sehr gut waschen kann (vehement), aber um des lieben Friedens willen bin ich hier einen Schritt zurückgetreten.

Maja: Wir streiten wirklich wenig, doch beim Thema Waschen hat es schon zweimal heftig geknallt: Wie erkläre ich meinem Mann zum wiederholten Male, dass man dunkle und helle Wäsche trennt oder dies oder jenes Kleidungsstück nicht in den Trockner stecken sollte?

Ich habe es ihm erklärt, ein Bild hingehängt … Und er macht es trotzdem. Das Thema Waschen ist eines der wenigen Reizthemen bei uns.

„In puncto Stereotypen haben wir beide eine 180-Grad-Wendung hingelegt“

Heiko: Ich gehe wie Stefan einkaufen. Ein hilfreiches Tool für uns als Paar ist Outsourcing. Allerdings hat meine Frau gesagt: Heiko, du kannst alles outsourcen, das Putzen, das Hemdenbügeln, nur nicht unsere Beziehung.

Oliver: Als ich die Aufwärmfragen „Wer macht was?“ fürs Interview las – einkaufen, waschen, kochen, Kinder für die Schule fertig machen, die defekte LED-Leuchte auswechseln… –, dachte ich mir: Was macht Kathrin eigentlich noch? (alle lachen) Steuererklärung macht Kathrin immer noch nicht.

Das Auto entkrümeln steht auch auf meiner To-do-Liste. Lohnt sich aber nicht, da es nach einer halben Stunde Autofahrt wieder aussieht wie vorher. (zustimmendes Nicken der Männer) Bügeln mache ich nicht, finde ich totale Zeitverschwendung. (Stefan klatscht Beifall)

In puncto Stereotypen haben wir beide eine 180-Grad-Wendung hingelegt. Dieser Wandel funktioniert aber nur in einer tragfähigen Beziehung, indem man Dinge gemeinsam priorisiert und die Bereitschaft mitbringt, sich anzupassen, zurückzunehmen, Solidarität zu leben.

Nach zwölf Jahren voll im Job war es für mich dran: Wenn nicht jetzt, wann dann? Der Wechsel hat für uns als Paar und die Kinder die Chance eröffnet, die Rollen von Mann und Frau nochmal ganz anders und neu wahrzunehmen.

„Wer ist der fremde Mann im Wohnzimmer?“

Jetzt musst du aber ohne die Anerkennung der Kollegen und Kolleginnen auskommen …

Oliver: Mein Höhepunkt der letzten Woche war ein Besuch mit allen vier Kindern beim Ohrenarzt. Als die Ärztin mich sah und sagte: „Respekt, ich habe zwei Kinder, sie kümmern sich um vier!“ – Das hat mir dann doch etwas gegeben!

Stefan: Ich koche immer bei der Aussage: Mein Mann ist IT-ler, ich bin nur Hausfrau. Ich habe das nie gesagt. Ich habe mich immer so vorgestellt: Ich leite ein mittelständisches Familienunternehmen.

Die Frage, die wir uns als Paar, als Gesellschaft stellen müssen, ist doch die: Welchen Wert messen wir den Kindern, den Aufgaben zu Hause bei? Zudem müssen wir uns fragen: Bin ich glücklich? Habe ich eine erfüllende Beziehung? Kennen meine Kinder mich noch aus dem Alltag oder fragen sie: Wer ist der fremde Mann im Wohnzimmer?

„Männer und Frauen, die sich selbst um die Kinder kümmern, werden stigmatisiert“

Heiko: Und wir brauchen als Gesellschaft ein neues Modell. Wie wäre es, wenn die Person, die zu Hause bleibt, auch ein adäquates Gehalt bezieht für die Leistung, die sie für die Gesellschaft erbringt? (Applaus aus vier Städten) Hier läuft meiner Überzeugung nach manches falsch. Da liegt der Hase doch im Pfeffer.

Männer und Frauen, die sich selbst um die Kinder kümmern, werden stigmatisiert nach dem Motto: Die arbeiten nicht bzw. wir müssen als Wirtschaft und Politik dafür sorgen, dass endlich beide Elternteile in Arbeit kommen.

Brigitte: Gerade Männern, die sich noch stark über Arbeit definieren, signalisiert man damit: Haushalt und Kinder sind keine Arbeit.

Stefan: Bin ich nicht! (allgemeine Heiterkeit) Ganz im Ernst. Ich führe Trauergespräche vor Beerdigungen. Da ziehen Leute Bilanz. Wenn mir eine Frau über ihren verstorbenen Mann sagt, er aß gerne Süßigkeiten, dann ist das doch eine dürftige Bilanz eines Männerlebens. Als Männer und Frauen sollten wir uns fragen: Was ist wertvoll? Und dann von dieser Maxime aus unser Leben gestalten.

„In einem Arbeitszeugnis würde man schreiben: Hat sich stets bemüht!“

Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm provozierte kürzlich im SPIEGEL mit dieser Aussage: Etwa jede dritte Mutter wehrt sich gegen zu viel männliches Engagement. Sie nörgelt, wie er sich mit dem Kind beschäftigt, oder gibt ihm vor, was er im Haushalt wie zu erledigen hat. Steckt in dieser Aussage ein Körnchen Wahrheit?

Heiko: Ich habe damit kein Problem, nur meine Frau. (alle lachen)

Nicole: Wenn ich von der Schicht komme, hilft es mir, erst mal tief durchzuatmen. (Axel schlägt die Hände vors Gesicht – allgemeine Heiterkeit)

Axel: In einem Arbeitszeugnis würde man schreiben: Hat sich stets bemüht! (alle lachen)

Kathrin: Bevor ich aus der Familienarbeit „ausgestiegen“ bin, habe ich mir dazu erstaunlich viele Gedanken gemacht. Doch dann konnte ich sehr schnell loslassen. Oliver macht das auch gut!

„Verantwortung abzugeben, ist abgegebene Verantwortung“

Oliver: Nur beim Thema Schule mischt sie sich als Lehrerin doch immer wieder ein. (allgemeine Heiterkeit) Jeder hat seine Art, die Dinge zu tun. Wir müssen uns davon lösen, den anderen zu erziehen, wie wir ihn gerne hätten. Es geht in die Hose, wenn ich dem anderen meinen Stil überstülpe. Verantwortung abzugeben, ist abgegebene Verantwortung.

Stefan: Brigitte legt Wert auf Ordnung in der Küche. Das ist mir schon auch wichtig. (alle lachen) (gespielt energisch:) Ja, vielleicht nicht ganz so ausgeprägt. Ein paar Mal hat sie dann schon zum Lappen gegriffen, bevor sie ihre Jacke überhaupt aus hatte. Ich hatte einen dicken Hals. Ich habe dann meine Verletzung zur Sprache gebracht, dass wenigstens meine Bemühungen gesehen werden. (Kathrin lacht)

„Kommunikation ist der Schlüssel“

Euer Kompromiss sieht jetzt wie folgt aus?

Stefan: Sie nimmt nicht den Lappen, wenn sie zur Tür reinkommt, sondern wischt, wenn überhaupt nötig, nach, wenn ich draußen bin. (alle lachen) Zudem schreibt sie mir jetzt, wann sie da ist. Dann ist der Espresso fertig und die Küche tipptopp.

Maja: Ich würde das gerne unterstreichen. Kommunikation ist der Schlüssel, um die Andersartigkeit des anderen lieben zu lernen. Eine nörgelnde Frau, ein nörgelnder Mann bringt keine Veränderung hervor.

„Ohne meine Frau wäre unsere Ehe unerträglich“

Was beglückt euch im Miteinander?

Heiko: Unsere Liebessprache ist es, Zeit miteinander zu haben, zusammen zu lachen, eine gute Flasche Wein, Zeit im Schlafzimmer.

Stefan: Meine Lieblingspostkarte trägt die Aufschrift: „Ohne meine Frau wäre unsere Ehe unerträglich.“ (allgemeine Heiterkeit) Humor gehört unbedingt dazu!

Nicole: Kleine glückliche Momente im Alltag und dass wir die Chance haben, aus der Vergebung heraus immer wieder neu miteinander anfangen zu dürfen.

Kathrin: Gespräch, Gespräch und nochmals Gespräch, und dass wir uns zu 100 Prozent aufeinander verlassen können.

Herzlichen Dank für eure Offenheit und die humorvollen 1 ½ Stunden!

Rüdiger Jope ist Chef-Redakteur des Männermagazins MOVO.

Vater und Sohn laufen zusammen neben einer grünen Hecke

Berater ist überzeugt: Mit diesen 3 Schritten bekommen Sie Ihre Gefühle in den Griff

Wer seine Emotionen beherrscht, kommt im Leben voran, sagt Eduard Friesen. Drei Schritte, wie Männer Angst und Zorn zu ihrem Vorteil nutzen können.

„Jungs weinen nicht.“
„Indianer kennen keinen Schmerz.“
„Jetzt sei doch kein Mädchen.“
Solche stereotypen Aussagen prägen ein Bild von Männern, das das Vorhandensein oder das Ausdrücken von Gefühlen ablehnt. Dies hat sich in der Neuzeit wesentlich gebessert. Dennoch: Die Tendenz, Gefühle zu verdrängen, ist für Männer trotzdem Alltag. Dabei ist aber das Verdrängen gefährlich. Denn Gefühle offenbaren unser Denken und unseren Charakter. Genauso verändern sie unser Denken und Handeln. Und wenn wir diese inneren Antreiber nicht offenlegen und reflektieren, werden wir von Gefühlen hin- und hergerissen. Wir wissen dann zum Teil gar nicht, was mit uns los ist. Wir verlieren unsere emotionale Stabilität. So kann zum Beispiel die Angst vor einer staatlichen Kontrolle zu einer radikalen Verweigerung gegenüber Corona-Maßnahmen führen. Die Angst vor einer Erkrankung kann zu einer Weigerung, in die Öffentlichkeit zu gehen, oder zur vehementen Verurteilung Andersdenkender führen. Gefühle machen etwas mit uns. Daher ist es hilfreich, diese anzuschauen und offenzulegen, um sich so stabilisieren zu können.

Gefühle zu reflektieren lohnt sich

Manchmal braucht es Zeit, um sich seiner Gefühle bewusst und klar zu werden. Das Schreiben, die Natur und Ruhe können dazu beitragen, Gefühle benennen zu können. Es lohnt sich seine Gefühle zu reflektieren und eine Umgangsweise festzulegen. Für mich gibt es drei Schritte auf dem Weg, die eigenen Gefühle besser kennenzulernen:

1. Sage „STOPP!“

Damit schenkt man sich einen Moment, um innezuhalten. Das kann man sich auch laut sagen und, wenn notwendig, dafür den Raum verlassen. Hier wäre zu fragen, was genau ich fühle, wie das Gefühl heißt und was der Auslöser für dieses Gefühl war. Hilfreich ist auch, wenn man es aufschreibt. Wichtig ist, sich nicht hinreißen zu lassen, in den Katastrophenfilm der Gefühle einzusteigen, sondern erst sachlich zu analysieren.

2. Analysiere: Ist mein Gefühl angemessen oder verzerrt?

Wer sich zu Hause ignoriert und missverstanden fühlt, wird auf Drängler im Berufsverkehr anders reagieren als jemand, der Wertschätzung erfahren hat und entspannt ist. „Ich bin wütend, weil ich gerade zu Hause keine Beachtung fand und der jetzt einen draufsetzt“, ist eine wichtige Erkenntnis.

3. Überlege: Was tue ich als Nächstes?

Die leitenden Fragen wären hier: Welche Handlung bringt mich weiter? Was ist angemessen? Wie komme ich voran?

Angst einzugestehen ist männlich

Nehmen wir zum Beispiel das Gefühl der Angst. Im ersten Schritt sagen wir „Stopp“, halten inne und benennen das Gefühl. Wir geben zu, dass wir Angst haben. Angst um unsere Beziehungen, um die berufliche Sicherheit, Angst um sich und Angehörige, um die Börse, um die Rentenabsicherung. Angst lähmt das Denken, nimmt die Freude und Hoffnung, raubt die Gelassenheit. Der Magen zieht sich zusammen. Unsicherheit macht sich breit. Oft startet auch das Kopfkino: Was ist, wenn das Worst-Case-Szenario eintritt? Hirnforscher haben herausgefunden, dass Angst die Denkleistung des Gehirns gehörig reduziert. Je größer die Panik, desto größer die Denkblockade. Kreativ sein und eigene Pläne schmieden: fast unmöglich.

Angst greift auch den Körper an und erhöht z. B. das Stresshormon Cortisol im Blut. Angst zu fühlen ist okay. Auch für uns Männer. Es wäre mutig und männ(sch)lich, sich einzugestehen, dass man Angst hat. Ergänze doch mal folgenden Satz: „Ich habe gerade voll Angst, dass … passiert.“ Was würdest du einsetzen? Ich muss mir oft einen Ruck geben, vor meiner Frau zu sagen: „Das macht mir Angst.“ Oft verniedlichen wir Männer Angst mit dem Wort „Respekt“. Indem ich die Angst klar benenne, schaffe ich es, mich im Kopf von diesem Gefühl ein paar Zentimeter zu distanzieren und die Vogelperspektive zu erlangen, um zu analysieren.

Welche Bedürfnisse sind nicht gestillt?

Der zweite Schritt ist die Analyse: Wo kommt diese Angst her? Gab es früher schon ähnliche Ängste? Sind vielleicht Bedürfnisse nicht gestillt? Mein Bedürfnis, die Übersicht und Kontrolle zu haben. Oder mein Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit. Oder mein Bedürfnis, als Mit-Versorger für meine Familie meinen „Mann“ zu stehen. Habe ich Angst davor, durch einen Jobverlust in die Bedeutungslosigkeit zu sinken? Dann niemand mehr zu sein, mich wertlos zu fühlen? Ist meine Angst realistisch, angemessen, rational? Oder ist meine Angst übertrieben und womöglich ein Worst-Case-Szenario? Haben sich solche Ängste in der Vergangenheit bewahrheitet? Angst kann uns aber auch vor Dummheiten bewahren. Angst gehört zu unserer Ausstattung, zum Prozess des Lernens aus Fehlern, nach dem Motto: „Wer sich einmal die Finger an einer Herdplatte verbrannt hat …“ Wer keine Angst hat, bei dem stimmt was nicht. Aber wenn die Angst unangemessen groß wird, wenn sie lähmt, dann führt diese Angst zu Panik und zu unreflektiertem Handeln.

Im dritten Schritt entscheide ich, was zu tun ist. Welche Elemente der Angst sind rational und bewahren mich vor Fehlern? Welche Ängste dürfen zur Seite gelegt werden? Durch das Sortieren kann ich mich von der Lähmung freimachen. Welche konkreten Schritte kann ich jetzt nach der Analyse gehen? Es wird sich immer noch nach Angst anfühlen, aber mit jedem Schritt mache ich eine Erfahrung mehr, die mir Sicherheit gibt. Auf lange Sicht führt mich das in eine neue Freiheit.

Zorn ist eine Warnleuchte

Ein anderes Beispiel wäre das Gefühl des Zorns. Im ersten Schritt sagen wir „Stopp“: Auch hier hilft es, innezuhalten und das Gefühl zu benennen: „Ich bin gerade richtig sauer, weil …“, oder: „Ich ärgere mich gerade, dass ich noch nicht mal …“ Das Benennen hilft dabei, die Distanz aufzubauen, die wir für eine kurze Analyse brauchen.

Im zweiten Schritt analysieren wir: Wo kommt dieser Zorn her? Aus psychologischer Sicht entsteht Ärger meist da, wo unsere Ziele oder Werte von außen verhindert werden. Wo uns Grenzen gesetzt werden, die wir nicht sprengen können. Zorn kann also eine Warnleuchte sein, wie im Auto. Da ist nicht die Warnleuchte das Problem, sondern das, was es anzeigt, z. B. das Öl oder ein Steuergerät. So auch bei uns. Zorn sollte nicht einfach unterdrückt werden. Vielmehr ist es wichtig, herauszufinden, was ihn getriggert hat, was er uns sagen will und was wir nach ruhiger Überlegung rational damit anfangen sollen.

Sind meine Werte verletzt?

Welches Ziel wurde gerade durchkreuzt? Wie wichtig ist mir dieses Ziel? Gibt es Alternativen? Es ist interessant zu wissen, dass Zorn auch entstehen kann, weil unser Grundbedürfnis, etwas zu tun, zu gestalten, autonom, frei und eigenwirksam zu sein, nicht erfüllt wird. Oder weil unsere Werte verletzt sind: Zum Beispiel der Zorn auf den Chef, der einen Mitarbeiter mobbt. Wenn ich also langsam erkenne, wo der Zorn herkommt, verstehe ich auch, was er als Warnleuchte anzeigt. Ist ein Bedürfnis unerfüllt, ein Wert verletzt, werden Ziele blockiert?

Danach frage ich, was er mit mir macht. Angenommen: Ich hege diesen Zorn, schlucke ihn runter, nähre ihn, tue aber nichts. Was passiert dann mit mir? Mediziner sagen, dass dies körperliche Schäden herbeiführen kann, von Bluthochdruck zu Magengeschwüren und vielem mehr. Problematisch ist, dass sich unser inneres Wetter, die Stimmung langfristig eintrübt, wir das auf andere übertragen, aber selbst dabei passiv bleiben. Das Gute am Zorn ist, dass er eigentlich zur Aktion anregt. Er ist ein starker Impuls zur Reaktion, im Zorn schreit man oder haut auf den Tisch und würde am liebsten …

Wie kann ich den Zorn überwinden?

Im dritten Schritt entwickeln wir eine konkrete Strategie: Wie kann ich Ziele trotzdem verfolgen, ohne gegen eine Wand zu rennen? Welche Handlungen führen zu guten und konstruktiven Ergebnissen? Wie kann ich den gemobbten Kollegen unterstützen, ohne ein grantiger, zorniger, missmutiger Miesepeter zu werden?

Gefühle sind menschlich und männlich. Sie zu leugnen und zu verdrängen führt nur dazu, dass man von Gefühlen gesteuert wird, die man selbst nicht versteht. Wir müssen unsere Gefühle reflektieren, analysieren und Verantwortung für die nächsten Schritte übernehmen. So können wir emotional stabil werden und anderen Halt bieten.

Eduard Friesen (50) ist verheiratet und Vater von fünf Töchtern und einem Sohn. Er liest gerne und genießt spannende Serien. Er unterrichtet leidenschaftlich gerne junge Menschen am Bibelseminar Bonn und engagiert sich ehrenamtlich als Redner und Berater.

Oberfeldwebel Gideon Schmalzhaf (Foto: Bundeswehr / Claas Gärtner)

Es roch nach verbrannten Menschen: Soldat berichtet von Corona-Einsatz in Indien

Oberfeldwebel Gideon Schmalzhaf rettete im indischen Krisengebiet Corona-Patienten vor dem Ersticken. Was er dort erlebte, veränderte ihn für immer.

Herr Schmalzhaf, was ist Ihre Funktion bei der Bundeswehr?
Ich bin Oberfeldwebel im Bereich Informationstechnik. Ich bin dafür zuständig, Netzwerke zu prüfen und eine Schwachstellen-Analyse von Bundeswehrnetzen zu erstellen. Dort bin ich allerdings noch relativ frisch, begonnen habe ich in der IT im Bereich der Sanität. Dadurch bin ich auch in die Corona-Mission der Bundeswehr reingekommen.

Sie waren im Frühjahr auf Corona-Missionen in Indien dabei. Wie kam es dazu?
Die Bundesregierung hatte beschlossen, dass wir kurzfristig eine Corona-Hilfe machen in den Krisengebieten. Für Indien hatte ich zwei Tage Vorbereitung.

Wie haben Sie sich in diesen zwei Tagen auf Indien vorbereitet?
Es standen für mich Fragen im Raum wie: Was muss ich anziehen in diesem sehr, sehr heißen Land? Unsere Uniform lässt nicht viel Spielraum. Dann: Was nehme ich mit, wie lange steht die Chance, dass wir bleiben? Wie packe ich da bei begrenztem Gepäck? Wir konnten dort außerdem nicht unsere standardmäßigen Kommunikationsmittel benutzen, also musste ich ein Satelliten-Telefon organisieren. Dann musste ich herausfinden, wer alles mitgeht, wie viele Computer ich brauche. Was für Netzwerke ich aufstellen muss, wie wir die Kommunikation nach Hause sicherstellen und auch in Indien selbst.

„Ich hatte Angst“

Was war Ihre Aufgabe in Indien?
Wir haben eine Sauerstofferzeugungsanlage aufgebaut, die medizinischen Sauerstoff für Krankenhäuser erzeugt und gleichzeitig auch abfüllbar ist in Flaschen, die man theoretisch den Patienten mitgeben könnte.

Mit welchen Erwartungen oder mit welchem Gefühl sind Sie dann nach Indien geflogen?
Wir haben gehört, dass praktisch überall Menschen verbrannt werden, dass die ganze Stadt im Dunstnebel versinkt von den Scheiterhaufen, die überall aufgebaut sind. Und ich muss ehrlich sagen, ich hatte richtig Respekt und manchmal würde ich sogar sagen: Ich hatte Angst, dass es so krass wird – man wird stark mit dem Tod konfrontiert.

War es dann auch so wie angekündigt?
Wir waren in einem Hotel innerhalb der Botschaftsviertel untergebracht und da war es eher aufgeräumt. Aber sobald man den Bereich verlassen hat, hat man das schon gerochen. Es waren nicht überall Scheiterhaufen, so wie man es sich vorgestellt hat, sondern abgesperrte Bereiche, in denen ganz groß mit Schildern angekündigt wurde: Hier ist ein Krematorium. Da sind ständig Fahrzeuge reingefahren, es war eine richtige Massenabfertigung an Verbrennung von Menschen. Das war schon sehr seltsam.

Sauerstoff war wertvoller als Gold

Wo war dann Ihr Arbeitsbereich?
Wir hatten einen Platz an der inneren Grenze von Neu-Delhi. Dort hatte das indische Militär schon ein provisorisches Krankenhaus gebaut, wo Menschen hinkommen konnten, die kein Geld für ein normales Krankenhaus haben. Zu der Zeit konnten dort 1.000 Menschen gleichzeitig behandelt werden. Wir haben dann neben diesem Krankenhaus die Anlage aufgebaut und zusätzlichen Sauerstoff erzeugt, der dann zu weiteren Stellen transportiert wurde.

Haben sich die Einsätze angefühlt wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein?
Auf dem Papier betrachtet war es nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben eine große Anlage aufgebaut, aber im Vergleich dazu, wie viele Menschen dort leben, ist das nur was Kleines. Die Kapazität konnte, während wir dort waren, auf 2.500 Patienten erhöht werden, aber vor den Toren standen immer noch riesige Schlangen und der Abtransport der Toten war ein stetiger Fluss. Viele von unseren Soldaten hatten teils das Gefühl, dass wir nichts bewirken, aber für mich war es wichtig zu sehen: Wir retten hier Menschenleben, selbst wenn es nur ein einziges ist. Jede Sache, die wir tun, ist unbezahlbar. Ich will auch als Christ sagen, dass jedes Menschenleben wertvoll ist, und dann ist für mich egal, wie viel wir helfen konnten, weil jede Hilfe großartig war.

Im Hotel kam mal jemand auf uns zu, der vor Freude über unsere Hilfe geweint hat und sich bedankt hat, dass wir sie retten. Die Inder haben ja selbst medizinische Versorgung, aber brauchten eben den Sauerstoff, der teilweise wertvoller war als Gold. Für sie hängt sowieso viel an der Gesundheit, weil es dort viele Tagelöhner gibt. Und wer krank ist, kann nicht arbeiten, was bedeutet, dass die Familie zu Hause kein Geld mehr hat und eventuell Hunger leiden muss.

Corona bedeutet für arme Menschen den sicheren Tod

Haben Sie generell von den Menschen dort noch etwas gehört, wie sie die Pandemie bisher erlebt haben, was ihre Lebensrealität in der Zeit war?
In Indien gab es nicht die gleichen Maßnahmen und Einschränkungen, die wir in Deutschland hatten, weil es teilweise auch nicht umgesetzt werden konnte. Für die gehobenen Schichten, die Geld haben, ging die Zeit ähnlich vorüber wie für uns in Deutschland. Aber für die ärmeren Schichten, die darauf angewiesen sind, jeden Tag Arbeit zu haben, und die sich keine Masken leisten konnten, hat eine Ansteckung mit Corona eigentlich den sicheren Tod bedeutet. Da herrschte eine sehr große Angst der Menschen, sich zu infizieren, weil sie gleichzeitig nicht wussten, wie sie sich schützen sollen. Wir haben ihnen am Anfang gezeigt, wie sie sich mit den Mitteln, die sie haben, relativ einfach schützen können.

Hat Ihr Glaube Ihnen geholfen, annehmen zu können, dass der Tod ein unkontrollierbarer Teil der Einsätze ist?
Ja, schon. Zu Hause bin ich jemand, der dem Thema Tod gerne aus dem Weg geht, weil es eben sehr belastend ist. Ich habe mir dann dort die Frage gestellt: Was ist wichtiger: Trauere ich um die vielen Toten oder tue ich das, was ich am besten kann, und helfe und sorge mit dafür, dass jeder, der eben nicht sterben muss, nicht sterben muss? Das war immer omnipräsent: Wenn wir nichts tun, sterben mehr Menschen.

„Wir leben im reinen Luxus!“

Wie blicken Sie nach der Zeit in Indien auf das deutsche Pandemie-Management? 
Ich verstehe jeden, der sagt, ich habe keinen Bock mehr auf eine Maske. Aber manchmal muss ich mich innerlich echt zusammenreißen, dass ich nicht irgendwas Schlimmes sage, weil ich denke: Leute, uns geht es so gut, wir leben im reinen Luxus! Nur weil wir einmal abends nicht essen gehen können oder, als wir die Ausgangssperre hatten, um 21:00 Uhr zu Hause sein sollten … Das ist nichts dagegen, dass viele andere Menschen sterben! Bei uns war es nicht wie in Indien, wo wir vorm Krankenhaus Schlange stehen mussten und gehofft haben, dass der vor uns stirbt, damit wir einen Platz bekommen, sondern wir haben im Luxus gelebt. Ich glaube, wenn jeder Deutsche einmal auf eine Corona-Intensivstation bei uns ginge, dann wäre der eine oder andere geheilt von seinem Luxusproblem.

Viele Deutsche wissen nicht zu schätzen, was wir haben, weder den Luxus mit unserem Gesundheitssystem, dass jeder zum Arzt gehen kann und sich keinerlei Sorgen um Bezahlung machen muss, noch das Sozialsystem, dass wir einfach mal über ein Jahr die Wirtschaft stilllegen und deswegen keiner von uns Hunger leiden oder auf der Straße leben muss. Welches Land kann das tun? Und dafür sind wir, glaube ich, viel zu wenig dankbar.

Haben die dortigen Erlebnisse etwas mit Ihrem Verständnis vom Mannsein gemacht?
Die Begegnung mit einem Mann hat mich da ins Nachdenken gebracht. Er hat mir erzählt, dass er jeden Tag Angst davor hat, krank zu sein, weil er seine Familie dann nicht mehr versorgen kann. Und dass quasi alle Männer, sobald sie arbeiten können – Jungen ab 16 –, in die große Stadt gehen und dort arbeiten. Ihre ganze Familie ist davon abhängig, dass sie dort Arbeit haben. Und dann habe ich an unsere typisch biblischen Rollenbilder gedacht, wo der Mann für die Versorgung der Familie zuständig ist. Und natürlich leben wir in einer Zeit, in der es nicht notwendig ist, dass unbedingt die Männer arbeiten gehen oder wo beide einen Job haben. Aber wir Männer lehnen uns auch gerne zufrieden zurück und sagen: Ich hab meine Frau, ich hab meine Arbeit, mein Haus – ich setz mich aufs Sofa, guck abends meinen Fußball mit einem Bier in der Hand und meine, ich bin der ultimative Mann.

Ich habe dort gelernt, dass eigentlich so viel mehr dazugehört. Eben, nicht nur mit dem zufrieden zu sein, sondern dass dann eigentlich erst die Aufgabe anfängt, weil da Menschen sind, die auf meine Arbeit, meine Hilfe und mein Dasein zählen. Und dann darf ich auch nicht feige sein und, weil mir etwas nicht passt oder nicht so ist, wie ich das gerne hätte, aufhören, meine Rolle einzunehmen. Das hat mir dahingehend Ehrfurcht gegeben, dass ich dachte: Krass, ich bin noch so weit weg von dem Bild, was ich denke, was ein „echter Mann“ ist, und ich weiß nicht, ob ich dem jemals gerecht werden kann.

Gideon Schmalzhaf ist Oberfeldwebel bei der Bundeswehr und in Ulm stationiert.

Die Fragen stellte Liesa Dieckhoff.

Ein Indianer kennt doch Schmerz

Fast 139.000 Menschen wurden im Jahr 2017 Opfer häuslicher Gewalt, das ist bekannt. Weit weniger bekannt ist allerdings, dass knapp 17 Prozent davon, etwa 25.000 Menschen, Männer waren. Klaus Schmitz ist Berater beim Verein „SKM Köln – Sozialdienst Katholischer Männer“ und hilft ihnen, sich aus diesem Opferstatus zu befreien.

Das Büro von Klaus Schmitz, mitten in der Kölner Innenstadt, strahlt Gemütlichkeit aus. Ein Teppich sorgt für das nötige Wohnzimmerfeeling, eine IKEA-Leuchte taucht das Zimmer in warme Farben. Diese Wohlfühlatmosphäre ist Klaus Schmitz ausgesprochen wichtig, schließlich sollen seine Klienten sich ihm hier öffnen. Und das alleine fällt vielen schon schwer genug, ein kühles Interieur würde nur zusätzlich hemmen. In die Beratung des SKM kommen Männer mit den verschiedensten Problemen. Manche befinden sich in Krisen, andere sind selbst gewalttätig geworden. Doch auch für diejenigen hat der Berater ein offenes Ohr, die Opfer von Gewalt geworden sind.

MÄNNER HABEN STARK ZU SEIN
„Das ist ein absolut tabuisiertes Thema“, erklärt Schmitz. Der Mann sei schließlich von klein auf der, der sich durchsetzen müsse. Er sei der Problemlöser. Für schwache Männer habe die Gesellschaft kein Verständnis. Der Spruch „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ sei nach wie vor in den Köpfen verankert – mal bewusst, mal unterbewusst.

Ein aktuelles Beispiel aus dem Leben des gelernten Erziehers macht die derzeitige Situation deutlich: Bei einem Vortrag zeigte er dem Publikum ein Video, welches von Darstellern als soziales Projekt nachgestellt wurde. In dem Film ist eine Frau zu sehen, die von einem Mann öffentlich geschlagen wird. Wie zu erwarten eilen die Passanten im Film der Frau zur Hilfe. Dann werden die Rollen getauscht. Der Mann wird zum Opfer. Die Passanten zücken die Smartphones und machen Bilder, einige prügeln mit auf den Mann ein. Im Publikum vor Ort gab es ein Raunen. „Es wurde gelächelt, einige haben sogar gelacht. Es ist gar nicht im Bewusstsein, dass es so etwas geben kann“, so der Berater. Er habe das als enttäuschend empfunden.

Werden Männer misshandelt, fühlen sie sich oft, als hätten sie in ihrer Männlichkeit versagt. Sie schweigen. Das gehe mitunter so weit, dass die Opfer noch im Krankenhaus behaupteten, sie seien mit dem Fahrrad gestürzt, weiß Schmitz.

SOZIALE ABHÄNGIGKEIT
Meist beginnt das Leiden mit psychischer Gewalt. Die Partnerin oder der Partner beginnt mit Erpressung, Drohung oder Stalking. Soziale Interaktionen und Kontakte werden verboten, Mails kontrolliert. Jeder Kontakt nach außen weckt für den Täter Misstrauen. Das Opfer begibt sich in eine soziale
Abhängigkeit zum Gegenüber, die in einer Selbstaufgabe endet. Nach der psychischen kommt oft die physische Gewalt. „Die ist oft aber gar nicht im Bewusstsein. Eine Ohrfeige wird nicht als Gewalt angesehen“, so der 41-Jährige. Der Mann hält aus, hofft, dass es vorübergeht.

Den Weg zu Klaus Schmitz nehmen die Betroffenen oft erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Bei ihm geht es dann in erster Linie darum, die Gefühle der Betroffenen wieder zu wecken. „Einige Männer haben sich im jungen Alter manche Emotionen abgewöhnt. Sie denken, nur wenn sie diese Gefühle nicht mehr zulassen, sind sie handlungsfähig.“ Diese versteckten Emotionen neu zu entdecken, ist das Ziel des sogenannten „empathischen Begleitens“. Wichtig ist dem Männerberater dabei, nicht einfach Lösungen vorzugeben. Schließlich täten die Männer sonst nur das, was er gesagt habe. Viel wertvoller sei es für sie, selbst auf die Lösungen zu kommen.

Auch der Glaube ist in den Gesprächen immer wieder Thema. „Die Klienten fragen sich: Warum tut Gott mir das an?“ Die Aufgabe bestehe für den Berater dann darin, zu zeigen, dass sie mit dieser Frage nur Verantwortung abwälzten. Ein wichtiger Teil der Beratung sei es, Selbstverantwortung zu übernehmen.

33 Klienten betreut Schmitz derzeit. Davon sind 17 Männer Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt. 20 weitere Männer befinden sich auf der Warteliste. Dass den Betroffenen ein Mann gegenübersitzt, hält der Berater für unglaublich wichtig. „Die Frau als Beraterin wird entweder als Täter oder Opfer gesehen, nicht als Beraterin.“ Von Mann zu Mann gebe es eine größere Akzeptanz.

RÜCKZUGSORTE FEHLEN
Schwierigkeiten gibt es noch, wenn es um die Begleitung der Männer über die Beratung hinaus geht. „Wir haben wenig Möglichkeiten, die Männer zu schützen“, weiß Schmitz um die Herausforderungen. Kämen die Männer nach einem Gespräch nach Hause, wüssten sie nicht, was sie dort erwarte, wie beispielsweise die Frau reagiere. Die einzige Handhabe gegen gewalttätige Partner sei derzeit das Gewaltschutzgesetz: Wird ein Partner handgreiflich, muss er für zehn Tage das Haus verlassen.

Eine größere Chance für die Opfer, Abstand zu gewinnen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken, sieht der Männerberater in den Männerhäusern. „Ich halte es für ganz wichtig, dass Männer sich zurückziehen können.“ Doch genau hier liegt die Krux: 486 Frauenhäusern stehen in Deutschland gerade einmal vier Männerhäuser gegenüber. Hier besteht also Handlungsbedarf. Der SKM will diese Situation zumindest in Köln bald ändern. Hier werden derzeit zwei Schutzappartements für Männer eingerichtet. In Zukunft kann hier also ein Rückzugsort angeboten werden.

Von Nathanael Ullmann

KONTAKT ZUR BERATUNGSSTELLE:
Krisen- und Gewaltberatung für Männer
SKM – Sozialdienst Katholischer Männer e. V.
Ansprechpartner: Klaus Schmitz
Große Telegraphenstraße 31, 50676 Köln
Telefon: 0221/20 74-229
Mobil: 0176/15 06 76 23
klaus.schmitz@skm-koeln.de
www.skm-koeln.de/maennerberatung

WEITERE BERATUNGSSTELLEN
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