Eugen Klassen und Markus Weninger (Foto: Dijana Kornelsen)

“Ich wollte nur noch in Ruhe sterben”: Zwei Hobby-Mountainbiker beim härtesten Rennen der Welt

Acht Tage, 681 Kilometer und 16.900 Höhenmeter: Das Absa Cape Epic bringt selbst Radprofis ans Limit. Markus Weninger und Eugen Klassen kämpfen während des Rennens mit der Natur und ihren Körpern.

Südafrika. Tag eins des Absa Cape Epic – dem härtesten Mountainbike-Rennen der Welt. 42 Grad. Kein Schatten. Kein Wind. Dafür unglaublich viel Adrenalin. 1040 Männer und Frauen quälen sich und ihr Mountainbike 92 Kilometer und 2850 Höhenmeter durch die Gegend um das Weingut Lourensford. Es bleibt ihnen kaum Zeit, den Ausblick auf die grünen Täler zu genießen. Rechts und links bleiben die ersten Biker am Straßenrand liegen: Dehydration – zu wenig getrunken und zu schnell losgefahren.

Erster Tag fordert Todesopfer

Einer der Fahrer wird komplett dehydriert in eine Klinik geflogen und stirbt zwei Tage später an Herzversagen. Das erzählt Eugen Klassen. Er und sein Teampartner Markus Weninger sind mittendrin im Geschehen. Beide eher Hobbybiker. Was bringt einen Projektmanager und einen Pastor dazu, sich acht Tage 681 Kilometer und 16.900 Höhenmeter durch die Hitze des südafrikanischen Herbstes zu schleppen?

Alles beginnt mit Karl Platt. Karl ist ein deutscher Mountainbiker und mit fünf ersten Plätzen Rekordsieger beim Cape Epic. Eugen und Markus kennen ihn beide über ihre Kirchengemeinde. Markus besucht ihn 2019 beim Rennen in Südafrika. Karl meint zu ihm: Fahr doch mal mit.

„Innerhalb von 40 Sekunden ausgebucht“

Einfacher gesagt als getan. Das Cape Epic ist legendär. In Südafrika kennt es jeder. Vergleichbar mit dem DFB-Pokalfinale in Deutschland. „Die Startplätze des Cape Epic sind immer innerhalb von 40 Sekunden ausgebucht“, meint Eugen. Markus ist schnell genug und er bekommt tatsächlich zwei der begehrten Plätze.

Elend fängt an

Ursprünglich soll Eugen als Koch und Logistiker dabei sein. Er hat schon bei mehreren großen Rundfahrten für Profiteams gekocht. Markus Bruder kann dann aber doch nicht mitfahren und Eugen rutscht nach. „Und dann fing das ganze Elend an“, sagt Eugen lachend.

Mindestens 4.000 bis 5.000 Kilometer sollten laut Eugen im Training gemacht werden. Zwölf Stunden in der Woche Mountainbiken. Das heißt: Auch im deutschen Winter muss der Hintern aufs Rad geschwungen werden.

Keine Zeit für Familie

Bei Regen, Minusgraden und Schneematsch geht es für Eugen durch den Odenwald – vor allem am Wochenende. Für Ausflüge mit der Familie bleibt keine Zeit. „Unsere Familien standen trotzdem voll dahinter.“ Kurz vor dem Cape Epic, mitten in der Vorbereitung, stirbt Eugens Vater an Corona. Das erschwert die ohnehin schon harte Zeit noch deutlich.

Markus und Eugen versuchen von Anfang an mehr Sinn hinter ihr Vorhaben zu bringen, unter anderem um den zeitlichen und finanziellen Aufwand vor ihren Familien und sich selbst zu rechtfertigen. „Für das Projekt haben wir 15.000 Euro ausgegeben. Unser Enthusiasmus im Sport reicht für sowas nicht. Dafür finden wir Familie zu cool und würden das Geld lieber mit denen ausgeben“, meint Eugen. Außerdem wissen beide, dass sie die sportliche Herausforderung keinen Winter lang fürs Training motivieren wird.

Spenden sammeln

Die Idee: Sie wollen das Cape Epic nutzen, um Gutes zu tun. Und zwar in dem sie durch ihre Teilnahme Spenden für zwei Hilfsprojekte – POPUP in Südafrika und Village of Eden in Uganda – sammeln. Ihr Ziel: 200.000 Euro. Zu beiden Projekten haben sie einen persönlichen Bezug.

Freunde von Eugen engagieren sich stark bei POPUP. Die Organisation hilft jungen Menschen aus der Armut heraus, unter anderem durch eine Berufsausbildung. Markus Kirchengemeinde unterstützt Village of Eden schon lange. Dort finden Waisen und bedürftige Kinder ein neues Zuhause.

„Gänsehaut“

Beim Cape Epic in Südafrika angekommen, ist Eugen überwältigt. Überall Kameras, internationales Flair, Leute von allen Kontinenten. Bisher kennt er alles nur aus dem YouTube-Livestream. Den Moment kurz vor Beginn des Rennens beschreibt er mit einem Wort: „Gänsehaut“.

Hubschrauber und Drohnen fliegen über den Fahrern und Fahrerinnen und filmen alles. „Spätestens nach der ersten Etappe verfliegt die Gänsehaut“, meint Eugen grinsend. „Bei YouTube hat man nicht gesehen, wie anstrengend das ist.“

Trotz der Quälerei hätten sie die vielseitige Natur Südafrikas genossen, sagt Eugen. Bergab führen die Trails durch riesige Apfelplantagen und Weinberge – soweit das Auge reicht. Die Äpfel hängen noch an den Bäumen. Wüstenähnliche Mondlandschaften wechseln sich mit satt grünen, malerischen Tälern ab. Die “so ein bisschen wie bei den Hobbits” aussehen.

„So viel wie möglich reinschaufeln“

In den kommenden acht Tagen denken Markus und Eugen nur von Etappe zu Etappe und innerhalb der Etappe von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation. Jeden Morgen stehen die beiden um sechs Uhr auf. Beim Frühstück gilt: „So viel wie möglich reinschaufeln, auch wenn du keinen Hunger hast.“ Anschließend geht es ab auf die Strecke.

Bei der kürzesten Etappe kommen Markus und Eugen nach fünfeinhalb Stunden an, bei der längsten nach neuneinhalb Stunden. „Im Ziel lächelt keiner mehr“, beschreibt Eugen die Strapazen. Angekommen heißt es: Essen, Ausruhen, Essen und um 19 Uhr ab ins Bett. Und natürlich „der Familie sagen, dass man noch lebt“, meint er grinsend.

„Es war brutal heiß“

Am zweiten Tag gilt es 500 Höhenmeter weniger als am Ersten zu überwinden, aber dafür 125 Kilometer. „Es war brutal heiß“, sagt Eugen. „Und entweder kein Wind oder du hast die ganze Zeit richtig schön Gegenwind.“

Bei Kilometer 80 wartet ein Berg, „der einfach nicht aufhörte“. Eineinhalb Stunden fahren Markus und Eugen auf roter, südafrikanischer Erde bergauf – über eine Kuppe nach der anderen. Schlimmer kanns nicht mehr werden – denken sie.

Mit Magenkrämpfen fahren

Anfangs campt neben ihnen ein Drill Sergeant aus den USA. Topfit. Mehrere 24-Stunden-Rennen hinter sich. Ein harter Hund. So beschreibt ihn Eugen. Nach vier Tagen muss er aufhören – Magen-Darm. In der Nacht zu Tag fünf schläft Markus schlecht und auch ihn erwischen die Magenkrämpfe. Die nächste Etappe ist zum Glück „nur“ 82 Kilometer lang und hat „wenig“ Höhenmeter: 1650.

Im Laufe des Tages muss Markus sich mehrmals hinlegen – der Magen rebelliert, keinerlei Energie kommt in seinen Muskeln an. Während einer Etappe dürfen Teammitglieder beim Cape Epic höchstens zwei Minuten auseinanderliegen. Aber: Eugen schiebt Markus trotzdem zu keiner Zeit den Berg hoch. Das haben sie vor dem Rennen so vereinbart.

Völlig erschöpft

Als es bei Markus besser wird, fangen die Magen-Darm-Probleme bei Eugen an. „Es fühlt sich an, als würde man durch Honig fahren“, beschreibt Eugen seinen Zustand der völligen Erschöpfung. Sie schrammen knapp an der Disqualifikation vorbei. Am sechsten Tag kommen sie 20 Minuten vor den Hyänen ins Ziel.

Die Hyänen sind zwei Biker, die die Maximalzeit vorgeben – wer hinter ihnen die Etappe beendet, ist ausgeschieden. „Ein Platten und es hätte nicht gereicht.“ Die Beiden sind frustriert.

Inmitten dieser Qual habe ihnen die Spendenkampagne und die damit eingegangene Verpflichtung geholfen durchzuhalten. „Spätestens ab Tag zwei war das unsere Stütze“, sagt Eugen. „Sonst hätten wir gesagt: Jetzt reichts. Jetzt setzen wir uns irgendwo hin, genießen das leckere Essen und trinken ein Weinchen. Das hätte definitiv mehr Spaß gemacht.“

Zu früh gefreut

Auf der letzten Etappe steht nur noch ein Berg zwischen Markus und Eugen und dem Ziel. Von den Magen-Darm-Problemen immer noch „sowas von am Arsch, das kann man sich nicht vorstellen“. Von oben sieht man in ein schönes Tal und ein Trail schlängelt sich den Berg hinunter. Die Freude darüber verschwindet schnell, als es nach 100 Metern wieder bergauf geht – dieses Mal aber wirklich der letzte Anstieg.

Nur 359 von 527 Teams stehen das achttägige Cape Epic bis zum Ende durch – ein Drittel der Fahrer beendet das Rennen frühzeitig. „Maximale Gleichgültigkeit. Keine Euphorie. Keine Gänsehaut. Absolut unromantisch. Ich wollte einfach nur noch irgendwo in Ruhe sterben“, beschreibt Eugen die Zieleinfahrt. Nie wieder, denkt er sich.

„Ein Freund von mir hätte mir sein Fahrrad ausgeliehen, nur damit dieses Etikett draufkommt“

Zwei Wochen später packt er sein Mountainbike aus. Darauf klebt seine Trophäe: ein Cape-Epic-Sticker mit Startnummer. „Ein Freund von mir hätte mir sein Fahrrad ausgeliehen, nur damit dieses Etikett draufkommt“, meint Eugen. Erst jetzt realisiert er, was sein Körper geleistet hat.

Inzwischen verspürt er die Lust, ein zweites Mal teilzunehmen. „Alle Teilnehmer haben gesagt, dass es das härteste Cape Epic aller Zeiten war. Dann muss es nächstes Mal ja leichter werden“, sagt Eugen lachend. Seine Familie hat es ihm aber in den nächsten zwei Jahren vorerst verboten.

64.000 Euro an Spenden gesammelt

Wurde das Spendenziel von 200.000 Euro erreicht? „Unser Glaube war stark genug, aber es hat nicht geklappt.“ 64.000 Euro an Spenden sind das Ergebnis, 30.000 Euro für POPUP und 20.000 für Village of Eden. Zusätzlich gingen 14.000 Euro an Spenden für die Projektkosten ein.

Die Mitarbeiter von POPUP hätten sich riesig über das Geld gefreut, aber noch glücklicher seien sie über die Aktion an sich gewesen, erzählt Eugen. Sie nutzen die Aktion nun in ihrem Trainingsprogramm. Damit machen sie den Jugendlichen Mut sich aus der Armut heraus zu kämpfen, auch wenn das mit Anstrengungen verbunden ist.

„Gutes tun und nicht müde werden“

Für die Jugendlichen sei es extrem ermutigend gewesen, dass sich jemand für sie quält und mit dieser Aktion auf sie aufmerksam machte. „Durch meinen Glauben an Gott ist bei mir die Erkenntnis gereift, dass ich ganz persönlich herausgefordert bin, die Welt zu einem besseren und gerechteren Ort zu machen“, meint Eugen.

Wie das geschehe, sei ganz individuell. Er sei überzeugt davon, dass jeder dafür seine Leidenschaften nutzen könne – in seinem Fall das Biken. Wenn er während des Rennens kurz vor dem Aufgeben war, habe er oft an einen Spruch seines verstorbenen Vaters denken müssen: „Gutes tun und nicht müde werden.“