Leben Christen länger? Arzt meint: Ja
Mönche werden etwa drei Jahre älter als andere Männer. Der Arzt Jonathan Häußer sagt: Religion verlängert das Leben, weil sie Stress reduziert.
In der Bibel heißt es: „Wer Gott ehrt, wird länger leben, wer ihn missachtet, verkürzt seine Zeit.“ Mein Interesse war geweckt. Ist das wirklich so? Kann man das wissenschaftlich beweisen? Es scheint tatsächlich zu stimmen. Eine Studie fand heraus, dass Mönche etwa drei Jahre länger leben als andere Männer. Harold Koenig, ein amerikanischer Forscher, entdeckte, dass man mit einem sieben Jahre längeren Leben rechnen kann, wenn man mehr als einmal in der Woche ein Gotteshaus besucht. Das bringt er damit in Zusammenhang, dass der Glaube Nächstenliebe fördert und dadurch zu stabileren sozialen Beziehungen führt. In Kombination mit dem Grundvertrauen auf Gott reduziert dies den Stress. Und weniger Stress führt zu einem längeren Leben.
In einer anderen Studie stellte er fest, dass Religion und Spiritualität sich in ähnlicher Weise auf die Gesundheit auswirken wie der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse. Forschungsarbeiten aus Harvard und an der Mayo Clinic haben darüber hinaus gezeigt, dass Menschen, die an religiösen Aktivitäten teilnehmen, nicht nur eine geringere Sterblichkeit, sondern auch eine bessere psychische und Herz-Kreislauf-Gesundheit haben. Und so gaben auch in einer Umfrage aus 2019 religiöse Menschen an, glücklicher zu sein. Aber hat unser Glaube auch Auswirkungen auf unser Wohlbefinden?
Rituale helfen
Ein Kern vieler Religionen und auch des Christentums sind Rituale. Etwas zusammen zu machen, wie zum Beispiel gemeinsames Singen, schafft eine Verbindung. Dadurch wächst das Mitgefühl anderen gegenüber und man kann leichter neue Kontakte knüpfen. Ein interessantes Beispiel für ein religiöses Ritual ist das Schiv’a, ein jüdisches Trauerritual. Nach dem Tod der Eltern, des Ehegatten, der Geschwister oder eines Kindes bleiben die Betroffenen eine Woche zu Hause und werden von Angehörigen und Freunden mit Lebensmitteln versorgt. Zudem werden die Spiegel abgehängt.
Letzteres mag erst mal komisch erscheinen, ergibt auf den zweiten Blick aber Sinn. Denn wenn wir in den Spiegel schauen, werden die Emotionen, die wir erleben, verstärkt. Das heißt, wenn wir traurig sind und in den Spiegel sehen, werden wir noch trauriger. Zudem ist die instrumentale Unterstützung – also konkrete Hilfe – eine der besten Möglichkeiten, um Menschen die Trauer zu erleichtern. Bei diesem Ritual zeigt sie sich durch Besuch und die Versorgung mit Essen. Ein weiterer Brauch beim Schiv’a ist, dass man auf dem Boden sitzt. Das Sitzen auf dem Boden ist unangenehm. Wenn man aber aufsteht, um andere zu begrüßen, dann legt sich dieses unangenehme Gefühl. Dieser Wechsel aus Wohlbefinden und leichtem Unwohlsein lindert die Trauer.
Meditation = mehr Rücksicht auf andere Menschen?
Auch zur Meditation gibt es interessante Untersuchungen. Zwar ist die Meditation keine klassische christliche Tradition, aber Gebet ist damit durchaus vergleichbar. Meditation kann das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Konzentration verbessern. Darüber hinaus kann Meditation Stress reduzieren. Aber es hat auch Auswirkungen auf unser Verhalten.
Nach acht Wochen Meditation wollte man herausfinden, wie Menschen reagieren, wenn jemand mit einem gebrochenen Fuß in ein volles Wartezimmer läuft. Von denen, die nicht meditiert hatten, standen nur 15 Prozent auf. Bei denen, die meditiert hatten, waren es 50 Prozent. Das konnte in mehreren Studien reproduziert werden. Meditation erhöht also das Mitgefühl. Genauso reagierten Probanden, die meditiert hatten, mit weniger Rachegefühlen, wenn sie beleidigt wurden.
Ein weiteres Thema ist Dankbarkeit: Die Bibel lehrt uns an vielen Stellen, wie wichtig Dankbarkeit ist. Wenn man Dankbarkeit auch Gott oder Freunden gegenüber äußert, wird man großzügiger, geduldiger und vertraut anderen Menschen mehr – und nicht nur den Menschen, denen man dankbar ist.
Christ sein, um länger zu leben?
Es scheint also etwas an den weisen Worten aus der Bibel dran zu sein. Sollten wir also Christen sein und regelmäßig in die Kirche gehen, weil das unser Leben verlängert? Nein, weil es aus wissenschaftlicher Sicht egal ist, welcher Religion man folgt. Bisher konnte noch nicht gezeigt werden, dass eine Religion den anderen aus gesundheitlicher Sicht überlegen ist. Und in jeder Religion kann der Glaube gesund und ungesund gelebt werden.
Jonathan Häußer ist Arzt und Sportwissenschaftler und fühlt sich vor allem in der Sport- und Ernährungsmedizin zu Hause. In seiner Freizeit ist er auch selbst sehr aktiv. Wenn er nicht gerade bei der Arbeit ist oder durch den Wald läuft, ist er häufig im ICF Hamburg zu finden.