Schlagwortarchiv für: Medizin

Hebamme

Allein unter Frauen: Hebamme, 33, männlich

Kilian Lanig selbst hat keine Kinder, war aber schon bei etlichen Geburten dabei. Er ist Hebamme, eine von nur rund 50 männlichen in ganz Deutschland.

Von Nathanael Ullmann

Mittwochabend gegen 18 Uhr. Im Stützpunkt, dem Hebammen-Dienstraum des Uniklinikums Essen, herrscht Pausenstimmung. Kilian Lanig klönt mit einer Kollegin darüber, wie ihr Job ihnen keine Zeit für feste Hobbys lässt. Plötzlich gellt ein Schrei über den Flur: „Kilian!“ Ohne ein weiteres Wort springt er auf, rennt in Kreißsaal 2. Minuten der Unruhe. Dann drückt irgendwer den roten Knopf in der Mitte des Flures. „Das ist so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann“, raunt eine Kollegin.

Wenige Stunden früher, bei Dienstbeginn um 14 Uhr, weiß Kilian Lanig noch nicht, wie stressig sein Tag heute werden wird. Der 33-Jährige würde in einem Fitnessstudio nicht weiter auffallen. Haar und Bart trägt er kurz. Die fehlenden Zentimeter Körpergröße macht er durch die kräftigen Arme wieder wett. Was ihn zum Medienstar macht, ist sein Beruf: Er ist Hebamme. Und damit ein echtes Unikat. Gerade einmal 0,2 Prozent aller Hebammen in Deutschland sind männlich.

Allein mit sechs Frauen

Gerade sitzt Lanig im Hebammen-Stützpunkt des Kreißsaals im Essener Universitätsklinikum. Der Stützpunkt ist der Dreh- und Angelpunkt der Station. Bildschirme hängen überall an den Wänden, darauf etliche Graphen und Sperrbildschirme. Ein Schiebefenster dient als Rezeption. An der Rückwand hängt eine Plexiglasscheibe. Mit Filzstift haben die Mitarbeitenden hier die Daten der Patientinnen eingetragen: Alter, Schwangerschaftsmonat, verabreichte Medikamente und mehr. Eine glückliche Mutter hat als Dankeschön Muffins fürs Personal auf den Tisch gestellt. Ballende Hitze drückt durch die Fenster.

Mit Lanig sitzen sechs Frauen im Raum. Die Besprechung zum Dienstwechsel steht an. Im Schnelldurchlauf gehen die Anwesenden die werdenden Mütter durch. Für den Laien ist das Kauderwelsch. Von Simslage, RFI und präexistentem Hypertonus ist da die Rede. Der 33-Jährige nickt wissend.

80 Bewerbungen bis zum Ausbildungsplatz

Um seinen Beruf ausüben zu können, war es ein langer Weg. Eigentlich möchte Lanig die Praxis seines Vaters übernehmen. Vier Jahre lang studiert er Humanmedizin in Ungarn und der Slowakei. Zurück in Deutschland wird sein Studium nicht anerkannt. Er absolviert eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Auf der Wochenbettstation merkt er: Das ist seine Berufung. Also bewirbt er sich initiativ an Hebammenschulen. Über 80 Bewerbungen schreibt er, bis er in Bochum einen Platz erhält. Nun ist er seit einem Jahr voll examiniert. Er arbeitet selbstständig – aber fest mit der Uniklinik zusammen.

Der Weg hat sich gelohnt. Hier kann er Familien bei einer der wichtigsten Lebensphasen begleiten: „Da ist genau der Scheidepunkt“, sagt er. Denn nach einer Geburt sei nichts mehr so wie vorher. In seinem Job prägt er Familien für ein Leben.

Von Geburten scheint der heutige Tag allerdings weit entfernt zu sein. Lanigs Aufgaben bestehen erst einmal darin, Kardiotokografien, kurz CTGs, durchzuführen. Bei dem Verfahren misst er den Puls der Frau, den Puls des Kindes und die Wehentätigkeit. Das CTG-Zimmer liegt schräg gegenüber dem Stützpunkt. Der kleine Raum ist mit Ledersesseln und Liege rudimentär eingerichtet. Es riecht – wie überall sonst im Krankenhaus – nach Desinfektionsmittel. Hier versorgt Lanig die ersten Frauen. „Wird es ein Junge oder ein Mädchen?“, fragt er – und legt mit gezielten Handgriffen die Sensoren auf den Bauch auf. Routine. Auch für die Frauen, die vor der Geburt regelmäßig zu der Untersuchung müssen.

Immer wieder steuert er zwischen den Visiten den Stützpunkt an. Hier dokumentiert er, welche Auffälligkeiten sich bei den Untersuchungen ergeben. Oder er quatscht mit den Kolleginnen. „Für uns ist das kein Unterschied, dass er ein Mann ist“, erzählt eine der Hebammen. Lanigs Geschlecht scheint auch bei den zu behandelnden Frauen keine Rolle zu spielen. Für Lanig ist das ein Erfolg: Er will einfach nur eine Hebamme sein und keinen Sonderstatus als Mann innehaben. Ein paar mehr seiner Art würde er sich in dem Beruf trotzdem wünschen. „Aber viele merken erst bei der Geburt ihres ersten Kindes, dass es diesen Job gibt. Und dann ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Umschulung.“

Zwischen Stress und Langeweile

Der Rhythmus im Kreißsaal ist außergewöhnlich. Immer wieder gibt es Phasen der Ruhe. Dann flirrt plötzlich die Luft. „Hier wird ein Arzt gebraucht“, heißt es dann im Flur. Wenige Minuten später ein erleichtertes: „Das Kind ist da!“ Mal hallen in den Fluren die Schreie der Mütter in Wehen wider. Mal ist es still. Geburten lassen sich eben nicht planen.

Kilian Lanig kennt auch andere Tage. Ganze Schichten hat er schon damit verbracht, bei einer Geburt zu unterstützen. Als Hebamme muss er darauf achten, dass sich Mutter und Kind so wohl wie möglich fühlen. Doppelte Verantwortung also. Auch zu den Vätern hat er oft einen besonderen Draht – ein Vorteil männlicher Hebammen. Er hat ein Auge darauf, dass das Kind weder zu langsam noch zu schnell den Weg nach draußen findet. Und er hat den Blick auf die Nachgeburt und die Nachblutungen. Wenn Schmerz sich in Euphorie wandelt und das Kind da ist, ist das immer ein erhebender Moment: „Das sind Situationen, die mich zu Tränen rühren.“

Aber die Hebamme begleitet auch die Eltern, bei denen die Geburt nicht so fröhlich verläuft. Sternenkinder sind immer noch ein Tabuthema – zu Unrecht, wie Lanig findet. Das große Unglück hat er schon gesehen. Kinder, die noch leben, wenn sie aus dem Mutterleib kommen, aber nur zehn oder 20 Minuten auf dieser Welt haben. Oder ein kleiner Spatz, kaum größer als seine Hand, der vergeblich nach Luft ringt. „Dann heule ich selbst mit“, sagt er. Weihwasser für Bedarfstaufen steht im Kreißsaal bereit. Auch die Kontaktdaten ehrenamtlicher Sternenkindfotografen haben die Hebammen. Nach solchen Fällen geht der Katholik in eine Kirche – und zündet eine Kerze für die Verstorbenen an.

Mittlerweile ist es Abend und nichts deutet darauf hin, dass solche Schicksalsschläge heute der Fall sein könnten. Lanig hat mehrere CTGs bei den Müttern durchgeführt, ein paar Medikamente verabreicht, ein Bett neu bezogen. Die eigentlichen Kreißsäle – drei an der Zahl entlang eines langen Flurs – sind besetzt. In einem wird gerade eine Mutter per CTG überwacht, in einem anderen wartet eine Frau verzweifelt darauf, dass sich ihr Muttermund weiter öffnet. Wer vorbeigeht, sieht die Damen durch einen Spalt in der Tür. Mal sitzen sie auf ihren Sesseln, mal liegen sie auf dem voluminösen Stuhl, der dem eines Gynäkologen gleicht.

Die Hebamme sitzt wieder im Stützpunkt und wartet auf den Sushi-Lieferanten. Eigentlich würde heute nichts Aufregendes mehr passieren, sagt er gerade noch. Wie falsch er liegt. Denn wenige Momente später ist die Luft urplötzlich eine andere. Sobald der Schrei „Kilian“ ertönt, schlägt die Atmosphäre um. Menschen in Kitteln laufen hektisch über die Flure. In Kreißsaal 2 werfen sich Expertinnen und Experten schnelle Anweisungen zu. „Aus dem Weg!“, raunt eine Ärztin. Vier Minuten der Anspannung. Dann hallt es: „Drück den Knopf!“ Und noch einmal: „Positiv!“

Plötzlich Notkaiserschnitt

Vor einigen Stunden hat Lanig noch erklärt, was der rote Buzzer in der Flurmitte zu bedeuten hat, über dem „Notfall – Missbrauch strafbar“ steht. Wenn er gedrückt wird, heißt das: Notsectio – Kaiserschnitt. Binnen 180 Sekunden sei das Kind dann aus dem Leib der Mutter geholt, lobt die Hebamme. Sie hat nicht gelogen.

Sobald der rote Knopf gedrückt ist, beginnen die Telefone im Stützpunkt wie wild zu läuten. Wenige Sekunden später wird die Mutter auf einer Liege durch den Flur geschoben. Um sie herum laufen mehrere Menschen – unter anderem Kilian Lanig. Das Team verschwindet im OP-Saal. Hier hat nur das Klinikpersonal Zutritt. Wenige Minuten der höchsten Anspannung. Dann taucht die Hebamme wieder im Stützpunkt auf. Die Erschöpfung steht Lanig ins Gesicht geschrieben. „Dem Kind geht es gut“, sagt er. Im Hintergrund ist Babygeschrei zu hören. Der neue Erdenbürger ist jetzt bei seinem Vater in Kreißsaal 2. Jetzt erfolgt die detaillierte Erklärung: Der Herzschlag des Kleinen war plötzlich stark verringert – und das vier Minuten lang. Laut Protokoll heißt das: Kaiserschnitt. Für die Anwesenden ist das kein glücklicher Moment. Denn die Mutter erlebt das wichtige Ereignis nur unter Vollnarkose. Aber hier ging es um Lebensgefahr für das Kind.

Trotz solcher Momente will Kilian Lanig unbedingt selbst noch Vater werden. Vier Kinder, das ist sein Traum. „Kinder sind das Schönste auf der Welt“, sagt er. Und „auf alle Fälle ein Schöpfungswunder“. Mit seiner Partnerin habe er den Kinderwunsch auch direkt beim ersten Date geklärt. Nur, ob er die Geburten selbst durchführen will, weiß er noch nicht so recht. Können täte er es zumindest.

Nathanael Ullmann (32) ist Referent für Medien und Öffentlichkeitsarbeit im Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland und ausgebildeter Theaterpädagoge.

Symbolbild: Chino Rocha / Unsplash

Leben Christen länger? Arzt meint: Ja

Mönche werden etwa drei Jahre älter als andere Männer. Der Arzt Jonathan Häußer sagt: Religion verlängert das Leben, weil sie Stress reduziert.

In der Bibel heißt es: „Wer Gott ehrt, wird länger leben, wer ihn missachtet, verkürzt seine Zeit.“ Mein Interesse war geweckt. Ist das wirklich so? Kann man das wissenschaftlich beweisen? Es scheint tatsächlich zu stimmen. Eine Studie fand heraus, dass Mönche etwa drei Jahre länger leben als andere Männer. Harold Koenig, ein amerikanischer Forscher, entdeckte, dass man mit einem sieben Jahre längeren Leben rechnen kann, wenn man mehr als einmal in der Woche ein Gotteshaus besucht. Das bringt er damit in Zusammenhang, dass der Glaube Nächstenliebe fördert und dadurch zu stabileren sozialen Beziehungen führt. In Kombination mit dem Grundvertrauen auf Gott reduziert dies den Stress. Und weniger Stress führt zu einem längeren Leben.

In einer anderen Studie stellte er fest, dass Religion und Spiritualität sich in ähnlicher Weise auf die Gesundheit auswirken wie der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse. Forschungsarbeiten aus Harvard und an der Mayo Clinic haben darüber hinaus gezeigt, dass Menschen, die an religiösen Aktivitäten teilnehmen, nicht nur eine geringere Sterblichkeit, sondern auch eine bessere psychische und Herz-Kreislauf-Gesundheit haben. Und so gaben auch in einer Umfrage aus 2019 religiöse Menschen an, glücklicher zu sein. Aber hat unser Glaube auch Auswirkungen auf unser Wohlbefinden?

Rituale helfen

Ein Kern vieler Religionen und auch des Christentums sind Rituale. Etwas zusammen zu machen, wie zum Beispiel gemeinsames Singen, schafft eine Verbindung. Dadurch wächst das Mitgefühl anderen gegenüber und man kann leichter neue Kontakte knüpfen. Ein interessantes Beispiel für ein religiöses Ritual ist das Schiv’a, ein jüdisches Trauerritual. Nach dem Tod der Eltern, des Ehegatten, der Geschwister oder eines Kindes bleiben die Betroffenen eine Woche zu Hause und werden von Angehörigen und Freunden mit Lebensmitteln versorgt. Zudem werden die Spiegel abgehängt.

Letzteres mag erst mal komisch erscheinen, ergibt auf den zweiten Blick aber Sinn. Denn wenn wir in den Spiegel schauen, werden die Emotionen, die wir erleben, verstärkt. Das heißt, wenn wir traurig sind und in den Spiegel sehen, werden wir noch trauriger. Zudem ist die instrumentale Unterstützung – also konkrete Hilfe – eine der besten Möglichkeiten, um Menschen die Trauer zu erleichtern. Bei diesem Ritual zeigt sie sich durch Besuch und die Versorgung mit Essen. Ein weiterer Brauch beim Schiv’a ist, dass man auf dem Boden sitzt. Das Sitzen auf dem Boden ist unangenehm. Wenn man aber aufsteht, um andere zu begrüßen, dann legt sich dieses unangenehme Gefühl. Dieser Wechsel aus Wohlbefinden und leichtem Unwohlsein lindert die Trauer.

Meditation = mehr Rücksicht auf andere Menschen?

Auch zur Meditation gibt es interessante Untersuchungen. Zwar ist die Meditation keine klassische christliche Tradition, aber Gebet ist damit durchaus vergleichbar. Meditation kann das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Konzentration verbessern. Darüber hinaus kann Meditation Stress reduzieren. Aber es hat auch Auswirkungen auf unser Verhalten.

Nach acht Wochen Meditation wollte man herausfinden, wie Menschen reagieren, wenn jemand mit einem gebrochenen Fuß in ein volles Wartezimmer läuft. Von denen, die nicht meditiert hatten, standen nur 15 Prozent auf. Bei denen, die meditiert hatten, waren es 50 Prozent. Das konnte in mehreren Studien reproduziert werden. Meditation erhöht also das Mitgefühl. Genauso reagierten Probanden, die meditiert hatten, mit weniger Rachegefühlen, wenn sie beleidigt wurden.

Ein weiteres Thema ist Dankbarkeit: Die Bibel lehrt uns an vielen Stellen, wie wichtig Dankbarkeit ist. Wenn man Dankbarkeit auch Gott oder Freunden gegenüber äußert, wird man großzügiger, geduldiger und vertraut anderen Menschen mehr – und nicht nur den Menschen, denen man dankbar ist.

Christ sein, um länger zu leben?

Es scheint also etwas an den weisen Worten aus der Bibel dran zu sein. Sollten wir also Christen sein und regelmäßig in die Kirche gehen, weil das unser Leben verlängert? Nein, weil es aus wissenschaftlicher Sicht egal ist, welcher Religion man folgt. Bisher konnte noch nicht gezeigt werden, dass eine Religion den anderen aus gesundheitlicher Sicht überlegen ist. Und in jeder Religion kann der Glaube gesund und ungesund gelebt werden.

Jonathan Häußer ist Arzt und Sportwissenschaftler und fühlt sich vor allem in der Sport- und Ernährungsmedizin zu Hause. In seiner Freizeit ist er auch selbst sehr aktiv. Wenn er nicht gerade bei der Arbeit ist oder durch den Wald läuft, ist er häufig im ICF Hamburg zu finden.