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Brainstorming wird 80 – Warum der gefeierte Jubilar in den Ruhestand gehört

Unternehmensexperte Rainer Wälde hält Brainstorming für überschätzt. Er empfiehlt eine bessere Methode, um innovative Lösungen zu finden.

Brainstorming feiert in diesem Jahr bereits den 80. Geburtstag. 1942 veröffentlichte Alex F. Osborn sein Buch „How to Think Up“ und ermutigte dazu, das Gehirn zu stürmen, um neue Ideen zu generieren. Seitdem wird diese Methode in zahlreichen Firmen und Teams eingesetzt. Auch ich habe in meiner beruflichen Laufbahn an vielen Brainstorming-Sessions teilgenommen. Doch bereits seit 30 Jahren ist klar, dass Brainstorming nicht wirklich effektiv ist. 1991 haben Mullen, Johnson und Salas dazu eine wissenschaftliche Studie veröffentlicht: Productivity Loss in Brainstorming Groups. Woran liegt es, dass es dennoch immer noch so beliebt ist?

Brainstorming: Einer redet

Ich persönlich glaube, dass dies an der Einfachheit liegt: Ein Moderator stellt eine Frage, alle Teilnehmer denken laut, niemand darf kritisieren. Das Gesagte wird protokolliert. Doch in der Praxis habe ich häufig beobachtet, dass bei mir und anderen Teilnehmern mehr Ideen sprudeln, als gesagt werden können. Häufig reden nur die Extrovertierten, die Gedanken der eher Stillen finden wenig Raum.

Etliche Jahre war ich auch als Firmenbeirat in verschiedenen Unternehmen eingeladen. Ich erinnere mich sehr gut an die Brainstorming-Runden in einem Verlagshaus. In dieser Runde entstanden sehr viele Ideen für neue Bücher und neue Autoren. Doch in den folgenden Monaten hatte ich nicht den Eindruck, dass diese zumindest teilweise auch umgesetzt wurden. Zu viel kreatives Potenzial ging verloren. Das hat mich als Teilnehmer frustriert. Kürzlich habe ich einen sehr interessanten Beitrag im „Magazin für Neue Arbeit“ gefunden. Die Neue Narrative #14 zitiert den Sozialpsychologen Stefan Schulz-Hardt: „Menschen genießen die soziale Situation, die beim Brainstorming entsteht, überschätzen dabei aber das Ergebnis und den Anteil ihrer eigenen Ideen.”

Brainwriting: Alle sprudeln vor Ideen

Als Alternative stellen die Autoren das Brainwriting vor. Statt zu reden, schreibt jeder in der Stille seine Ideen auf. Diese Post-its werden dann an ein Board geklebt und in der zweiten Phase können die anderen Teilnehmer diese Ideen weiterspinnen.

Nun muss ich zugeben, dass meine Frau und ich diese Methode schon seit 21 Jahren regelmäßig praktizieren, allerdings kannten wir damals den Begriff „Brainwriting” noch nicht. Seit der gemeinsamen Gründung unserer Akademie 2001 schreibt jeder für sich seine Ideen zuerst alleine auf Pin-Kärtchen, dann clustern wir diese Ideen und entwickeln daraus unsere private und berufliche Strategie.

Auch bei meinen Büchern arbeite ich seit zwei Jahren mit dieser Methode. Ob Roman oder Ratgeber – ich notiere alle Ideen zuerst auf Haftnotizen. Dann entwickle ich an der Wand in meinem Büro die gesamte Gliederung des Buches. Mit dieser Methode des Brainwritings gelingt es mir, innerhalb von acht Wochen die Rohfassung eines neuen Romans zu schreiben. Anschließend diskutiere ich mit drei Testlesern den Entwurf – auch das gehört zu diesem Gruppenprozess. Ihr Feedback hilft mir dann, die finale Fassung zu erstellen.

Ich bin überzeugt, dass eine gute Mischung aus Einzelarbeit in der Stille und co-kreativer Zusammenarbeit im Team zu guten Ergebnissen führt. Nehmen Sie sich die Zeit, um alleine über die eigentliche Frage nachzudenken, für die Sie eine Lösung suchen. Was ist der Kern des Problems? Notieren Sie Ihre Gedanken auf bunten Haftzetteln und sortieren Sie diese anschließend auf einem Board, an einem Fenster oder einer Zimmertür. Beteiligen Sie Kollegen aus Ihrem Team oder externe Berater und diskutieren Sie Ihre ersten Ideen und Lösungsansätze. Ich bin mir sicher, dass Sie in dieser Mischung erstaunlich innovative Ideen und Lösungen finden.

Rainer Wälde leitet mit seiner Frau die Gutshof Akademie bei Kassel. Als Autor hat er 30 Bücher veröffentlicht. Zuletzt die erfolgreiche Krimi-Reihe um Kommissar Timo von Sternberg. www.nordhessenkrimi.de

Nelson Müller (Foto: Nina Stiller Photography)

Starkoch Nelson Müller ließ sich mit 34 Jahren adoptieren

Der Schwabe Nelson Müller ist bekannt als Gastronom, Sterne- und TV-Koch. Ein Gespräch über seine Leidenschaft für gutes Essen, seine Frikadelle für die Queen und seine Familiengeschichte.

Her Müller, was mögen Sie lieber: Maultaschen und Kartoffelsalat oder Linsen mit Spätzle und Saitenwürstchen?

Nelson Müller: (lacht) Schwierige Frage. Beides ist so lecker. Ich möchte auf beides nicht verzichten.

Welches Essen haben Sie als Kind gar nicht gemocht?

Müller: Erbsen und Möhren. Damals gab es dieses Gemüse allerdings auch nur aus der Dose und hatte nichts mit dem frisch gekochten Gemüse zu tun. Auch um Zucchini habe ich zum Leidwesen meiner Mutter einen großen Bogen gemacht.

Wurde Ihnen die Leidenschaft für gute Gerichte schon in die Wiege gelegt?

Müller: Kulinarik war Teil meiner Lebenskultur. Wir haben als Familie immer zusammen gegessen. Am Mittagstisch, beim Abendessen war gutes Essen immer ein Thema.

Das kocht Nelson Müller am liebsten

Wann war Ihnen klar: Ich werde Koch?

Müller: Mit sechs, sieben Jahren war der Wunsch eigentlich schon da.

Welche Gerichte kochen Sie am liebsten und warum?

Müller: Die klassische Küche steht bei mir ganz oben an. Hausmannskost ein bisschen upgegradet, ein bisschen schicker, finde ich spannend und lecker.

Was kocht sich Nelson Müller privat? Oder bleibt die Küche abseits des Berufes kalt?

Müller: (lacht) In der Tat bleibt der Herd zu Hause meist aus, da ich in der Küche mit meinem Team, meinen Gastgeberinnen und Gastgebern esse. Das macht Spaß. Wir kochen immer frisch.

„Ich bin für Dramaturgie auf dem Teller und im Gaumen“

Wann sind Sie als Koch glücklich?

Müller: Wenn es ein guter Abend war mit guten Gästen, wir gut als Mannschaft performt haben. Es beflügelt mich, wenn Energie in der Luft liegt, der Laden brummt, richtig was aus der Küche rausgeht, flotte Sprüche zwischen den Teams hin- und herfliegen.

Geht die Gleichung „lecker gleich aufwendig und kompliziert“ Ihrer Überzeugung nach auf? Verraten Sie uns mal Ihre Kochphilosophie.

Müller: Die Mischung macht’s. Es darf auch mal etwas Aufwendiges sein, dann aber auch wieder etwas überraschend Einfaches. Ich bin für Dramaturgie auf dem Teller und im Gaumen. Es gibt einfach Gerichte, die sind so, wie sie sind, lecker, da muss man sich eher in der Kunst des Weglassens üben.

Warum muss es Ihrer Überzeugung nach auch bei Männern nicht immer nur Fleisch, Fleisch, Fleisch geben?

Müller: Wir tun gut daran, wenn wir etwas für unsere Gesundheit tun. Wir essen zu viel Fleisch. Mit reduziertem Fleischkonsum können wir etwas zum Klima- und Umweltschutz beitragen. Mein Credo lautet: lieber weniger, dafür Qualität. Auch hier heißt es für mich: Abwechslung in die Mahlzeiten bringen. Ich bin so aufgewachsen, da gab es nicht jeden Tag Fleisch. Da kamen auch Pfannkuchen, Nudelgerichte, Suppen, Grünkohlbratlinge auf den Teller.

Die Queen zu Gast

Sie haben für Ihr Kochen einen Michelin-Stern erhalten. Wie fühlte es sich an, als Sie davon erfuhren?

Müller: Das war ein überwältigendes Gefühl! Ich habe lange Zeit in der Sternegastronomie gearbeitet und deshalb war es natürlich auch immer mein Ziel, das auch selbst zu erreichen. Ich hatte es gar nicht für möglich gehalten.

Ist es schwieriger, Sternekoch zu werden oder es zu bleiben?

Müller: Ich glaube, es ist schwieriger, es zu werden. Man muss ja erst mal die Tester überzeugen.

Sie haben auch schon für die jetzt verstorbene Queen gekocht. Wie war das?

Müller: Die Queen hatte sich für einen Besuch in Düsseldorf angekündigt. Klar, das riesige Buffet für solch einen hochkarätigen Gast musste mehr als perfekt sein. Wir haben uns eine Woche lang vorbereitet. Ich war unter anderem für die Frikadellen zuständig. Eine dieser Köttbullar hat die Königin gegessen. Ob es ihr geschmeckt hat, weiß ich nicht. Der Rummel um dieses Essen war jedenfalls gigantisch und aufregend.

Vater Müller als Vorbild

Als Sie auf Sylt die Ausbildung in einem Restaurant begannen, hat man Sie am ersten Tag an die Spüle geschickt, weil man Sie aufgrund Ihrer Hautfarbe für einen Küchenhelfer hielt. Wie gehen Sie mit dieser Art Rassismus um?

Müller: Inzwischen rede ich nicht mehr über das Thema. Das schwebt bei mir nicht oben drüber. Wir sind eine bunte Gesellschaft. Das ist normal. Punkt. Ich spreche lieber über die Küche, gute Kochbücher, mein Unternehmersein.

Mit vier Jahren kamen Sie in eine deutsche Pflegefamilie. Wie haben Sie Ihren Pflegevater erlebt? Stand dieser auch am Herd?

Müller: Natürlich. Er stand am Herd und am Grill. Meine Eltern waren sehr aufgeklärt und modern. Dies wurde uns auch vorgelebt. Da lernte ich schon, dass Männer im Haushalt helfen, Staub saugen, Küche putzen, Müll rausbringen.

Was sind Eigenschaften, die Sie in erster Linie mit Ihrem Vater verbinden, Werte, die er Ihnen vermittelt hat?

Müller: Mein Vater ist ein sehr zurückhaltender Mensch. Er atmet das Credo: Wer etwas zu sagen hat, muss nicht laut sein. Er konnte sich auch in die zweite Reihe stellen und da etwas bewirken. Er ist Jahrgang 1935 und hat dadurch eine ganz andere Beziehung zu Lebensmitteln und dem Alltagsleben. Jedes Brot wurde gesegnet, vor jedem Essen wurde gebetet. Sauberkeit war für ihn ein wichtiges Thema. Er war als Junge in einem katholischen Knaben-Gymnasium und hatte deshalb schon eine genaue Vorstellung, wie ich mich benehmen sollte. Vater hat als Ingenieur viel Wert auf meine Bildung, mein Allgemeinwissen, meine Sprache gelegt. Das waren wichtige Gesprächsthemen am Essenstisch.

Konflikthemen zwischen Vater und Sohn

Gab es spezielle Sachen, die Sie nur mit Ihrem Vater gemacht haben?

Müller: Wir hatten einen Gemüsegarten. In dem haben wir viel zusammen gearbeitet. Das war für ihn ein Ausgleich zum Alltag. Sonntags sind wir gemeinsam in die Kirche gegangen. Und wir haben viel miteinander musiziert.

Vermutlich gab es in Ihrer Vater-Kind-Beziehung auch Konflikte. Woran haben Sie sich gerieben?

Müller: Ich bin mit der Hip-Hop-Kultur groß geworden. Das war meinem Vater manchmal zu modern. Ich bin zudem von meinem Naturell her Künstler und Musiker. Mein Vater hingegen der klassische Mathematiker. Das sorgte schon für Reibungsenergie, aber heute rettet mich sein Training. Gerade als Unternehmer benötige ich Struktur und kaufmännisches Wissen. Das zahlt dann auf das ein, was er gut findet. (lacht)

Und heute?

Müller: Ist er mir auch als 87-Jähriger ein wertvolles Gegenüber auf Augenhöhe. Er steht hinter mir, stärkt mir den Rücken. Ist stolz auf mich und sagt mir: Nelson, gut gemacht!

„Schwabe mit ghanaischen Wurzeln“

Mit 34 Jahren haben Sie sich von Ihren Eltern adoptieren lassen. Wieso war Ihnen das zu dem Zeitpunkt wichtig?

Müller: Ich habe mich immer von Herzen als ein Müller gefühlt. Wir haben es 30 Jahre gelebt, aber nicht auf dem Papier vollzogen. Mir war es wichtig, das jetzt auch in Form zu gießen und zu signalisieren: Ich gehöre ganz zur Familie.

Müller ist ja sozusagen der deutscheste aller deutschen Namen. Gibt es Eigenschaften, die Sie an sich erkennen, die Sie als typisch deutsch oder gar schwäbisch einschätzen – und umgekehrt Eigenschaften, die so gar nicht dem Klischee des Deutschen oder Schwaben entsprechen?

Müller: Ich bin Schwabe mit ghanaischen Wurzeln. Viele, die mich kennen, sagen: Du bist sehr deutsch. Aber auch die afrikanischen Wurzeln kommen mir zugute: Lockerheit. Sich mit anderen freuen, ihnen etwas gönnen. Dankbarkeit. Ich muss nicht alles so ganz genau nehmen.

Könnte aber beim Kochen schiefgehen …

Müller: (Lachen, gespielt energisch) Da halte ich mich natürlich ganz genau ans vorgegebene Rezept. Im Ernst: Beim Kochen kann ich es auch genau nehmen. Ich kann aber auch mal fünf gerade sein lassen.

„Ich bin Christ“

In der RTL-Aufführung „DIE PASSION“ haben Sie Fladenbrot und Currywurst fürs letzte Abendmahl verkauft. Spielt der christliche Glaube auch in Ihrem wirklichen Leben eine Rolle?

Müller: Ich bin Christ. Ich beschäftige mich damit. Es geht darum, dass wir gute Spuren hinterlassen. Ehrfürchtig sind, verantwortungsvoll vor Gott leben im Sinne von: Was wir von anderen erwarten, ihnen auch zu tun. (Anm. d. Red.: die Goldene Regel aus Matthäus 7,12)

Home-Office. 13:02 Uhr. In einer halben Stunde stehen die hungrigen Kinder vor der Tür. Was würde Nelson Müller auf den Tisch zaubern? Wobei könnte mir Ihr neues Kochbuch helfen?

Müller: (lacht) Verblüffen Sie Ihre Kinder mit Deutschem Döner. Döner einmal anders. Das schmeckt mega!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Rüdiger Jope.

Nelson Müller hat sich schon einmal von der Nordsee bis zu den Alpen durch deutsche Restaurants gekocht. Seine aktuelle Heimat hat der Sternekoch in Essen gefunden. Dort führt er zwei Restaurants, macht nebenbei Musik und tritt in TV-Sendungen auf. Aufgewachsen ist der fröhliche Koch mit ghanaischen Wurzeln in Stuttgart und somit tief verwurzelt in schwäbischer Hausmannskost. nelson-mueller.de Sein aktuelles Kochbuch ist erschienen mit dem Titel „Gutes Essen – Nachhaltig, saisonal, bewusst“ (DK Verlag).

DEUTSCHER DÖNER

Döner Kebab, das »sich drehende Grillfleisch«, ist seit den 70er-Jahren auch in Deutschland ein beliebter Imbiss. Der Drehspieß mit gewürzten Fleischscheiben – ursprünglich Lamm, aber inzwischen oft auch Rind, Schwein oder Geflügelfleisch – ist ein fester Bestandteil der Fastfood-Szene geworden. Die Leberkäse-Variante ist ein Running Gag bei mir im Lokal – wenn’s schnell gehen soll, bestelle ich mir einen »Deutschen Döner« auf die Faust.

ZUBEREITUNG:

1. Für den Weißkohlsalat den Weißkohl in dünne Streifen schneiden und mit Salz, Pfeffer und Zucker würzen.
2. Essig und Öl zugeben und gut durchkneten. Eine halbe Stunde ziehen lassen.
3. Für die Mayonnaise den Sojadrink mit dem Senf und den Gewürzen in ein hohes Gefäß geben.
4. Mit dem Stabmixer gut durchmischen, nach und nach das Rapsöl untermixen.
5. Mit dem Bieressig abschmecken.
6. Für den Döner die Gurke fein hobeln, den Eisbergsalat in grobe Streifen schneiden, die rote Zwiebel schälen und in feine Streifen schneiden, die Tomate in Scheiben schneiden.
7. Den Leberkäse in Öl anbraten.
8. Die Laugenbrötchen halbieren, die untere Hälfte mit dem Eisbergsalat belegen und mit der Senf-Bier-Mayonnaise beträufeln.
9. Den Leberkäse auflegen, mit Weißkohlsalat, Tomate, Gurke und Zwiebelscheiben belegen und den Deckel auflegen.

WEISSKOHLSALAT

  • 120 g Weißkohl
  • 10 ml Bieressig
  • 30 ml Rapsöl
  • Salz, Pfeffer, Zucker

SENF-BIER-MAYONNAISE

  • 100 ml ungesüßter Sojadrink, zimmerwarm
  • 2 EL süßer Senf
  • 1 TL Senfpulver
  • Salz, Pfeffer
  • 1 Msp. gemahlener Kümmel
  • 1 Msp. Chilipulver
  • 3 Msp. Chiliflocken
  • 160 ml Rapsöl
  • 3 EL Bieressig

DÖNER

  • Salatgurke
  • 4 Blätter Eisbergsalat
  • 1 rote Zwiebel
  • 1 Tomate
  • 4 große Scheiben Leberkäse
  • 10 ml Rapsöl
  • 4 Laugenbrötchen
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Warum das 80:20-Prinzip ein Update braucht

Die 80:20-Regel führt nicht automatisch zum Erfolg. Dazu braucht es das 40-20-40-Prinzip als Ergänzung. Wie das Ihre Effektivität maximiert, verrät Coach Michael Stief.

Das 80:20-Prinzip meint die Beobachtung, dass in einer großen Anzahl von Fällen 80 Prozent einer Leistung schon mit 20 Prozent des Aufwandes erreicht werden. Dieses Prinzip ist zu der Faustregel schlechthin für zeitökonomisches Handeln geworden. Die 80:20-Regel hat aber noch eine eher unbekannte Schwester, die 40-20-40-Regel, die die Effizienz durch Effektivität komplettiert.

Von der ungleichen Landverteilung zur Faustregel für Effizienz

Beschrieben hat den 80:20-Effekt der Italiener Vilfriedo Pareto (1848–1923). Daher ist dieser Zusammenhang auch als Pareto-Prinzip bekannt. Pareto war Ökonom und stellte fest, dass im Italien seiner Zeit 80 Prozent der privaten Landfläche im Besitz von 20 Prozent der Bevölkerung waren.

Leider verbreitete sich durch Paretos Entdeckung des 80:20-Prinzips nicht die Frage nach der gerechten Verteilung von Gütern. Stattdessen war es die teils richtige, teils unsinnige Idee, dass sich in allen wirtschaftlichen Zusammenhängen und Prozessen diese magische Formel anwenden ließe.

Einfach machen, statt Perfektion anzustreben

Praktisch gesehen lässt sich das 80:20-Prinzip sinnvoll nutzen, wenn es darum geht, mit begrenzten Mitteln ein Ziel zu erreichen. Beispielsweise beim Erstellen einer Präsentation, die sich in kurzer Zeit in brauchbarer Qualität erstellen lässt. Oder auch beim Schreiben, wo der „shitty first draft“, der „schlechte erste Entwurf“ auch schnell auf dem Papier oder in der Maschine ist. Selbst beim wöchentlichen Hausputz lässt sich eine akzeptable Ordnung und Sauberkeit in 20 Prozent der Zeit herstellen, die für einen kompletten und gründlichen Frühjahrsputz notwendig wäre.

Aber genau da steckt der Teufel im Detail, nämlich genau in den Details, die für ein gutes oder gar „perfektes“ Ergebnis (wenn es denn annähernd so etwas geben kann) nötig sind. Das Pareto-Prinzip prophezeit nämlich gerade, dass für ein ganz bestimmtes Ergebnis eben auch viermal so viel Zeit notwendig ist wie für den ersten Entwurf. Oder auch, dass bei einer Prüfung bei 20 Prozent Zeiteinsatz eben auch nur die Note befriedigend erwartet werden kann. (Was natürlich in dieser Unmittelbarkeit Unsinn ist, aber Sie verstehen die Idee.)

Zusammengenommen ist das Pareto-Prinzip im besten Fall eine Daumenregel, um sich vor Perfektionismus zu hüten und mit wirtschaftlichem Aufwand zu einer brauchbaren Lösung zu gelangen. Im schlechtesten Fall führt es zu Pfusch oder zu einer ungesunden Arbeitsverdichtung in der Annahme, die Zeit jenseits der magischen 20-Prozent-Grenze ließe sich irgendwie einsparen.

Die richtigen Dinge tun

Das Pareto-Prinzip beantwortet die Frage, welchen Aufwand und Zeiteinsatz wir sinnvollerweise in eine Aufgabe stecken sollten. Dabei bleibt offen, was in dieser Zeit zu tun ist. Beim Software-Engineering wird das mit einer einprägsamen Merkformel gesteuert. Hier gibt es die 40-20-40-Formel, die, anders als das Pareto-Prinzip, außerhalb der Industrie leider kaum bekannt ist.

Einfach gesprochen empfiehlt dieses Vorgehen 40 Prozent des Aufwandes in die Zieldefinition zu stecken, 20 Prozent in die Umsetzung und 40 Prozent in den Test, ob die Software fehlerfrei funktioniert. Während also das Pareto-Prinzip die Effizienz steigert, fördert das 40-20-40-Prinzip die Effektivität. Nicht Schnelligkeit oder Begrenzung des Aufwandes stehen im Vordergrund, sondern ein möglichst genaues Verständnis der Lage, des Ziels und der Genauigkeit der Zielerreichung.

Auf andere Bereiche übertragen

Dem liegt die Erfahrung zugrunde, dass bei ungenauer Problemanalyse oder unzulänglicher Ergebniskontrolle erhebliche Fehler auftreten können. Diese können bei entsprechend kritischen Computeranwendungen in medizinischen Geräten etwa fatale Folgen haben. Es lässt sich leicht ahnen, dass sich diese Vorgehensweise ebenfalls sinnvoll auf andere Felder übertragen lässt.

Zum Beispiel auf die Charakterentwicklung: So lässt sich dieses Prinzip etwa in der Beichtpraxis der katholischen Kirche wiederfinden. Die Zehn Gebote definieren konkrete Ziele für eine gesunde menschliche Entwicklung. Zum Beispiel die Wahrheit zu sagen, die eigenen und fremden Grenzen zu achten und so weiter. Im Alltag werden diese Prinzipien umgesetzt – oder auch nicht. In der Beichte erfolgt dann die Fehlerprüfung, das „debugging“, mit dem Vorsatz diese Fehler in Zukunft zu beseitigen. Auch bei mir im Führungskräfte-Coaching hat sich dieses dreigliedrige Struktur in Form von Standortbestimmung/Zielbildung, Umsetzung und Feedback bewährt.

Zweimal messen, einmal schneiden

Die treffendste Beschreibung dieser Effektivitäts-Regel habe ich einmal von einem Schreiner gehört: Zweimal messen, einmal schneiden! Der meinte zwar mit „zweimal Messen“ eher das genaue Maßnehmen, aber beim 40-20-40-Prinzip geht es genau darum:

  • Einmal messen, das heißt: Genau analysieren, was wir erreichen wollen. Wie genau ist die Lage? Wer ist betroffen und wie? Was ist der Kern des Problems?
  • Dann die passenden Maßnahmen durchführen. Hier investieren wir 20 Prozent Ihrer Ressourcen (Zeit/Geld).
  • Zuletzt wieder messen, das heißt: Überprüfen, ob das gewünschte Ergebnis erreicht wurde, was nicht funktioniert hat und warum. Außerdem mögliche nächste Schritte einleiten, um das gewünschte Ergebnis doch noch zielgenau zu erreichen.

Verbinden wir das 80:20 Prinzip für „gesunde Selbstbeschränkung“ und das 40-20-40-Regel für die Zielgenauigkeit und die Effektivität einer Problemlösung, erreichen wir das optimale Ergebnis. Dann werden wir künftig nicht nur die Dinge richtig tun, sondern auch öfter die richtigen Dinge.

Michael Stief  (58) ist Experte für Positive Kommunikation, Teamwork und Führung und Gründer des Beratungsnetzwerks POSITIVE HR. MANAGEMENT (positive-hr.de).

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7 Einschlaftipps, damit Sie keine Schafe zählen müssen

Fast jeder hat das schon einmal erlebt: Das Gedankenkarussell kreist und an Schlaf ist nicht zu denken. Diese sieben Tipps helfen beim Einschlafen.

1. Ruhephase vor dem Einschlafen

Schnell noch mal das Gespräch für morgen vorbereiten und einmal noch den E-Mail-Posteingang kontrollieren. Der Trend zur Telearbeit hat dazu geführt, dass noch mehr Menschen am späten Abend arbeiten. Wenn die Kinder im Bett sind, bleibt oft noch etwas Zeit für liegen gebliebene Aufgaben. Doch fürs Einschlafen sind solche späten Schichten schlecht. Probleme aus der Arbeit hindern dich daran, zur Ruhe zu kommen. Auch anstrengender Sport macht erst einmal wach, selbst wenn das Fitnessstudio um 23 Uhr so verlockend leer ist. Besser ist eine Ruhephase. Das bedeutet nicht zwangsläufig, sich auf das Sofa zu legen. Ein Spaziergang oder ein Gespräch können ebenso zur Ruhephase gehören wie das Lesen eines Buches.

2. Blaues Licht vermeiden

Beim Lesen solltest du aber eher nicht zum Tablet oder Smartphone greifen. Denn das blaue Licht der Bildschirme signalisiert deinem Körper, dass jetzt Tag ist. Besser ist ein klassisches Buch oder eine Zeitschrift. Auch E-Reader wie der Tolino oder der Kindle sind eine Alternative, denn sie verwenden eine „elektronische Tinte“ und keinen klassischen Bildschirm. Dabei werden Bildpunkte, die auf einer Seite schwarz und auf einer weiß sind, so gedreht, dass sich das Schriftbild ergibt. Die Technik kommt nicht nur ohne blaue Hintergrundbeleuchtung aus, sondern auch ohne Flimmern. Muss es das Smartphone oder das Tablet sein, lässt sich mit dem Blaulichtfilter oft der Anteil des blauen Lichts reduzieren.

3. Einschlafrituale

Das Lesen sollte Teil eines Einschlafrituals sein, das jeden Abend gleich abläuft. Das kann so aussehen, dass du zuerst einen kleinen Spaziergang machst, nach Zähneputzen und Körperpflege noch etwas liest und schließlich den Tag mit einem Abendgebet oder Ähnlichem beendest. Dass dieser Ablauf jeden Tag gleich ist, scheint zunächst langweilig und irgendwie altbacken. Doch genau in dieser immer gleichen Abfolge liegt der Sinn des Rituals. Der Körper weiß dann intuitiv, dass es jetzt Zeit ist, zur Ruhe zu kommen. Das Abendgebet oder eine anderweitige Reflexion kann noch einen weiteren positiven Effekt haben. Es hilft dir, den Tag abzuschließen und sich auf den neuen vorzubereiten. Beispielsweise kannst du dir überlegen, wofür du dankbar bist. Dann schläfst du garantiert schneller und besser, als wenn du im Bett über die Ärgernisse des Tages nachdenkst.

4. Fester Schlafrhythmus

In eine ähnliche Richtung geht auch der Tipp, möglichst jeden Tag zu einer ähnlichen Schlafenszeit ins Bett zu gehen. Apps fürs Smartphone oder die Smartwatch erinnern dich auf Wunsch daran, dass die Schlafenszeit bevorsteht. Wer Schicht arbeitet, ob als Pflegekraft oder in der Fabrik, kann diesen Ratschlag natürlich nicht umsetzen. Eine Untersuchung aus den USA zeigt, dass es in diesem Fall am besten ist, vor und nach der Nachtschicht besonders lang zu schlafen. Die Studie bezog zwar nur Frauen ein, einiges spricht aber dafür, dass die Ergebnisse für Männer ähnlich ausfallen. Natürlich kann im Einzelfall eine andere Strategie die bessere sein. Bei einer Untersuchung von Studentinnen der Evangelischen Hochschule in Nürnberg fühlten sich vor allem jene Pflegekräfte in der Nachtschicht besonders konzentriert, die am Nachmittag zuvor einige Stunden geschlafen hatten.

5. Kein Alkohol vor dem Schlafen

Von einem Schlafritual ist abzuraten, nämlich vom Schlummertrunk. Wer Alkohol getrunken hat, schläft zwar oft schneller ein, dafür aber schlechter. Im schlimmsten Fall wachst du nach einer Stunde wieder auf und liegst die halbe Nacht wach. Besser sind warme Getränke, etwa ein Kräutertee oder eine warme Milch mit Honig – die Wärme macht nämlich müde. Natürlich darf der Tee nicht aufputschend sein, also besser keinen schwarzen Tee trinken. Wer eine schwache Blase hat, sollte es mit dem Trinken vor dem Schlafen nicht übertreiben.

6. Atemübungen

Wenn es mit dem Einschlafen – trotz Ruhepause und Einschlafritual – nicht funktioniert, können Atemübungen eine weitere Möglichkeit sein. Die müssen gar nicht kompliziert sein. Einfach tief einatmen und dabei auf den Körper achten. Dazu kann es sinnvoll sein, eine Hand auf den Bauch zu legen und zu beobachten, wie sich die Bauchdecke beim Einatmen hebt. Dann langsam wieder ausatmen und wahrnehmen, wie sich der Bauch jetzt wieder senkt. Es reicht, diesen Vorgang ein oder zwei Minuten lang zu wiederholen.

7. Schlafzimmer richtig ausstatten: belüftet, kühl und bequem

Rechtzeitig vor dem Schlafen sollte das Zimmer gut durchgelüftet werden. Außerdem sollte der Raum ausreichend dunkel sein, also am besten über einen Rollladen verfügen oder zumindest dicke Vorhänge haben. Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, wie wichtig eine gute Matratze ist. Gute Exemplare gibt es schon zu bezahlbaren Preisen. Auch wenn das Internet oft die günstigste Möglichkeit ist, spricht einiges für den Weg ins Fachgeschäft. Denn erst beim Probeliegen zeigt sich, wie gut die Matratze zum Körper und den eigenen Ansprüchen passt.

Diese Tipps helfen dir beim Einschlafen. Ganz normal ist es, wenn du hin und wieder trotzdem schlecht einschläfst, etwa wegen Sorgen oder Ängsten. Klappt es dagegen trotz dieser Ratschläge fast täglich mit dem Schlafen nicht so recht, sollte der Weg zum Arzt kein Tabu sein. Möglicherweise können pflanzliche Arzneimittel, etwa auf Basis von Baldrian, helfen. Aber auch andere Schlafmittel oder die Gabe des „Schlafhormons“ Melatonin sollten nicht zwangsläufig abgelehnt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings eine Untersuchung durch einen Arzt oder eine Ärztin.

Tilman Weigel ist Dozent für empirische Sozialforschung und freier Autor.

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Welcher Job passt zu mir?

Der Beruf ist nicht alles, aber er macht einen großen Teil des Lebens aus. Vier Fragen helfen bei der Suche nach dem Traumjob.

Von Michael Stief

„Seien Sie nett zu Ihren Nachbarn, vermeiden Sie fettes Essen, lesen Sie ein paar gute Bücher, machen Sie Spaziergänge und versuchen Sie, in Frieden und Harmonie mit Menschen jeden Glaubens und jeder Nation zu leben.“ So umreißt die englische Comedy Gruppe Monty Python den Sinn des Lebens in ihrem gleichnamigen Episodenfilm.

Diese launige Antwort ist für sich genommen schon ein attraktives Lebensprogramm; ob wir persönlich bewusst nach einem Sinn des Lebens streben oder nicht. Abgesehen davon, dass ich der festen Überzeugung bin, dass sich jedes Gericht mit Sahne verbessern lässt und man es deswegen mit dem fetten Essen nicht so eng sehen sollte.

5.000 Jahre auf der Suche nach dem Sinn

Die britischen Comedians greifen mit dieser Bestimmung des Sinns des Lebens ein Problem auf, das die Menschheit seit gut und gerne vier oder fünf Jahrtausenden umtreibt. Anders als die Tiere haben wir kaum Instinkte, die unser ganzes Leben von der Wiege bis zur Bahre bestimmen würden. Stattdessen sind wir – bei allen Beschränkungen – mit Freiheit begabt und geschlagen.

Wir müssen unseren Weg im Leben wählen: Ob wir nun aktiv eine Richtung einschlagen und uns Ziele setzen, oder uns treiben lassen. Je mutiger wir uns der Frage nach dem „Ziel des Lebens“ stellen, umso besser sind wir für kleinere oder größere Sinnkrise gewappnet.

Mehr Antworten als uns lieb sein kann

Schon die großen Philosophen von Sokrates über Aristoteles bis Kant haben sich an dieser Frage die Hirnwindungen wundgerieben. Auch die großen Religionsstifter Moses, Jesus oder Mohammed im Nahen Osten oder Buddha in Asien haben sich dieser Frage zumindest mittelbar gestellt.

Buddha etwa verortete das Ziel des menschlichen Lebens grob darin, Leiden und Leidenschaften zu überwinden und dadurch die Erleuchtung zu erlangen. Belesene Buddhisten mögen mir diese kühne Verkürzung verzeihen. Das Liebesgebot, das gleichlautend in der jüdischen Bibel wie dem christlichen Lukas-Evangelium auftaucht, lässt sich ebenfalls als eine solche Sinnbestimmung lesen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Lukas 10,26-27)

Warum?

Weniger religiös veranlagte Menschen finden in Geschichte und Gegenwart vielfältige Antworten in Philosophie und Wissenschaft: Beispielsweise als die Suche nach dem Wahren, dem Schönen und dem Guten bei Sokrates und Platon oder nach dem wahren Glück bei Aristoteles. Der wortgewaltige Friedrich Nietzsche schließlich behauptet knapp: „Hat man sein warum? des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem wie?“ („Götzen-Dämmerung: Sprüche und Pfeile“, § 12., 1888).

Dieses „Warum“ wählte der Psychiater Viktor Frankl zu seinem Lebensmotto und Kern der Sinn- oder Logotherapie. Der TED-Speaker Simon Sinek machte es zum zentralen Begriff seines Ratgebers „Start with Why“. Auch die Positive Psychologie sieht im Sinnerleben eine Säule für ein glückliches und gelingendes Leben – neben positiven Gefühlen, Flow, guten Beziehungen und Erfolgserlebnissen.

Wie finden wir dieses „Warum“?

Wenn wir die hohe Luft der Philosophen hinter uns lassen und uns in die „Niederungen“ des Arbeitsalltages begeben, dann begegnet uns in den sozialen und klassischen Medien immer öfter der Begriff „Purpose“. Eigentlich nur der englische Begriff für „Zweck“ oder „Ziel“ steht er für die Sinnhaftigkeit der Arbeit bzw. für sinnstiftende Arbeit.

In Unternehmen, die stark auf Gewinnmaximierung fokussiert sind, wird der eigentliche Unternehmenszweck oft durch die Jagd nach den Quartalszahlen verdeckt. Dementsprechend wird es zur Aufgabe für die Einzelnen und noch mehr für die Führungskräfte, diesen Unternehmenszweck und damit die Sinnhaftigkeit der Arbeit wieder sichtbar und erlebbar zu machen.

Es gibt auch Geschäftsmodelle, die für viele Menschen mehr oder weniger sinnfrei erscheinen. Entsprechend wächst bei manchen das Bedürfnis nach einer sinnvollen Betätigung, die Gutes für die Menschen und die Menschheit tut. Leider nicht so stark, dass sich die Menschen in Massen für eine Karriere als Kinder-, Kranken- oder Altenpflegekräfte entscheiden würden.

Die japanische Antwort

Jeder muss für sich entscheiden, was eine sinnstiftende Arbeit ist. Die Japaner haben als Hilfe Ikigai entwickelt. Ikigai bezeichnet grob auf Japanisch eben genau den „Sinn des Lebens“, wobei der zweite Wortteil „gai“ sehr pragmatisch auf Begriffe wie Effekt, Resultat, Frucht, Wert, Nutzen verweist.

Der Begriff existierte schon lange in der japanischen Kultur in unterschiedlichen Nuancen. Erst in den sechziger Jahren wurde er von der japanischen Psychologin Mieko Kamiya neu popularisiert. Schließlich fand er seinen Weg in den Westen, unter anderem durch die Erwähnung in einem TED-Talk von Dan Buettner über Langlebigkeit. Aber vor allem durch ein virales Kreisdiagramm, das der Blogger Marc Winn 2014 entwarf. Darin setzte er die Begriffe „Purpose“ und „Ikigai“ gleich.

Das Schöne an diesem Ansatz ist es, dass er bei uns selbst und den Menschen in unserem Umfeld ansetzt: Wir sind in dieses Leben gestellt und entdecken unser Umfeld, eigene Begabungen und Neigungen. Währenddessen stellt uns das Leben vor Herausforderungen, an denen wir wachsen oder zerbrechen können.

In vier Fragen zum Traumjob

Dementsprechend geht es bei der Suche nach dem eigenen Ikigai um vier Fragen im Zusammenhang mit dem, was wir im Leben tun:

  • Du liebst es? – Macht dir diese Tätigkeit Freude?
  • Du bist großartig darin? – Bist du wirklich begabt auf diesem Gebiet?
  • Du wirst dafür bezahlt? – Gibt es für diese Tätigkeit einen Markt?
  • Die Welt braucht es? – Braucht die Welt jemanden, der genau das tut?

Können wir alle vier Fragen bei einer konkreten Tätigkeit oder Aufgabe mit „Ja“ beantworten, hätten wir die zu uns passende sinnstiftende Arbeit gefunden. Klingt vielleicht trivial, ist es aber nicht. Unsere Fähigkeiten und die Angebote unserer Umwelt sind vielfältig. Nicht überall, wo wir hineinpassen würden, gehören wir auch hin.

Jeder Bereich zählt

Mehr noch: Auch wenn eine Tätigkeit oder eine Aufgabe kein solcher Volltreffer ist, kann sie zum Gefühl von Ikigai beitragen:

  • Wenn wir mit Geschick und Hingabe einer Sache nachgehen, leben wir eine Passion.
  • Wenn wir kompetent einer bezahlten Arbeit nachgehen, haben wir den passenden Beruf (Profession).
  • Wenn wir gegen Geld etwas tun, das die Welt braucht, gehen wir einer Berufung nach.
  • Wenn wir mit Hingabe etwas tun, das die Welt braucht, erfüllen wir eine Mission.

Eventuelle Unzufriedenheiten können wir leichter zuordnen, wenn wir erkennen, dass einer der vier Faktoren fehlt. Das ermöglicht, sich neu auszurichten und die fehlende Komponente auch noch zu integrieren. Der australische Coach Nicholas Kemp kritisiert die dargestellte Verkürzung von Ikigai auf den Arbeitskontext. Praktisch ist sie trotzdem. Zumindest, um die Sinnerfüllung in der Arbeit zu steigern.

Jenseits der Arbeitswelt

Bei allem Nutzen von Ikigai für den Beruf sollte nicht übersehen werden, dass jeder einzelne Bereich – Liebe, Geschick, Bedarf und Entlohnung – auf das Gefühl einzahlen kann, dass das Leben sich lohnt. Darin gleicht das Ikigai-Konzept dem PERMA-Modell der Positiven Psychologie. Demzufolge nimmt das Glück und das subjektive Wohlbefinden zu, wenn positive Gefühle, Flow, guten Beziehungen, Erfolgserlebnisse und eben auch Sinnerfahrungen häufig erlebt werden.

Ich zum Beispiel übe beharrlich mit einer Freizeitsport-Gruppe Judo. Mit wenig Geschick, aber viel Freude, Demut und dem Ziel, dies noch mit achtzig Jahren tun zu können. Auch wenn es dafür kein Geld gibt und ich niemanden in Not verteidigen könnte, das regelmäßige Üben in der Gemeinschaft macht das Leben immer wieder lebenswert.

Es muss also nicht immer die hohe Luft des Sinns des Lebens sein, die uns weckt, stärkt und für jeden neuen Tag belebt. Es dürfen auch die Freude und Gemeinschaft sein, die wir miteinander teilen. Und manchmal macht dies das Leben schon lebenswert genug.

Michael Stief (58) ist Experte für Positive Kommunikation, Teamwork und Führung und Gründer des Beratungsnetzwerks POSITIVE HR. MANAGEMENT (positive-hr.de).

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So klappts mit dem Schlaf trotz Sorgen

Guter Schlaf gilt als entscheidender Faktor für körperliche und mentale Gesundheit. Diese Ansätze und mentalen Strategien helfen, damit Probleme nicht die Nacht zum Tag machen.

Von Michael Stief

Mit Grauen schaue ich auf meinen Kalender, sehe die Masse von anstehenden Terminen. Wie soll ich das alles schaffen? Ich seufze verzweifelt auf, da verblasst das Bild plötzlich. Ich spüre das weiche Kopfkissen und die warme Decke über mir. Wieder einmal haben sich Arbeitssorgen in meine Träume gedrängt und mich aus dem Schlaf gerissen. Es war eine neue Arbeitsstelle, die mir derart heftig zeigte, wie schnell die Arbeit den Schlaf rauben kann. Die Herausforderung einer neuen Branche und eines viel größeren Unternehmens als je zuvor, verbunden mit großen Hoffnungen für die Zukunft, waren zu viel, um es im Wachen zu verarbeiten. So ging es mit mir im Schlaf um, bis es mich weckte und wach hielt.

Natürlich können Termindruck, Auftragsfülle uns schon um den Schlaf bringen, wenn wir bis in die Puppen arbeiten und einfach vor lauter Tun nicht ins Bett kommen. Gerade in der Rushhour des Lebens, wenn Familiengründung und erste Führungsaufgaben womöglich mit einem Hausbau zusammentreffen. Dann beginnen die Tage früher als sonst. Vielfältige Störungen und Unterbrechungen unter Tage lassen keinen rechten Arbeitsfluss aufkommen, bis nach Dienstschluss noch ein oder mehrere Stunden bleiben, um die liegengebliebene Arbeit wegzuschaffen. Dann hetzen wir zu einer längst wartenden Familie zurück. Verbringen ein bisschen Zeit zusammen, um dann vielleicht noch am Küchentisch weiterzuarbeiten. Viel zu spät gehen wir ins Bett, liegen vor lauter Überanstrengung wach oder fallen nach ein paar Folgen Netflix auf der Couch in einen traumlosen Schlaf. In der Nacht schrecken wir dann auf und stellen fest: Unser Hirn arbeitet längst schon wieder.

Epidemie der Schlaflosigkeit breitet sich aus

Kurzer Nachtschlaf wurde manchen als besonders tugendhaft und männlich gepriesen. Napoleon etwa erklärte „Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau, sechs ein Idiot“, soll aber dafür öfter auf dem Pferd eingeschlafen sein. Doch Schlaf ist nicht nur etwas für Weicheier, sondern neben Ernährung, Bewegung und geistiger Hygiene ein entscheidender Faktor für körperliche und mentale Gesundheit. Das beschreibt der Schlafforscher Matthew Walker eindrucksvoll in seinem TED-Talk „Sleep is your superpower“.

Doch in unserer modernen Gesellschaft scheint sich eine Epidemie der Schlaflosigkeit auszubreiten. Sie hat wegen unregelmäßigerer Lebensführung und Bewegungsmangel als „Coronasomnia“ in der Pandemie sogar an Fahrt aufgenommen. Schon Shakespeare hat bereits in Macbeth die Ursachen der Schlaflosigkeit verewigt, diesen „Seelenbalsam, der Hauptgang der Natur, / im Lebensmahl ein Hauptfest …“ (Akt 2, Szene 2, Vers 38-39). Dort waren es ein Mord und das schlechte Gewissen, die Macbeth um den Schlaf brachten. Im heutigen Alltag sind es eher elektrisches Licht, speziell das blaue der Computerbildschirme, die ständige Erreichbarkeit am Handy als Folge globaler Zusammenarbeit über Zeitzonen hinweg oder aus schlechter Gewohnheit.

Jüngst titelte die New York Times, dass Melatonin, ein schlafförderndes Hormon, in den USA zwischenzeitlich so häufig gegen Schlafprobleme eingenommen wird, dass nun einige davon psychisch abhängig seien. Aber ist Medikation wirklich die Lösung? Sicher nicht, dafür gibt es bessere Wege. Vorab eine wichtige Warnung: Schlaflosigkeit kann die Folge einer ernsthaften körperlichen oder psychischen Erkrankung sein. Sofern sie eine längere Zeit fortbesteht, sollte anstelle einer Selbstmedikation oder alternativer Methoden unbedingt ein Besuch beim Mediziner erfolgen.

Warum Sie nicht schlafen können

Wir Menschen verfügen über einen komplexen 24-Stunden-Zyklus, der Wachen und Schlafen durch ein komplexes Zusammenspiel von eigener Aktivität, Sinnesreizen, Gehirn, Nerven und Hormonen regelt. Dieser ist in der vormodernen Zeit entstanden und anfällig für die „unnatürlichen“ Reize in unserem gegenwärtigen Leben, wie künstliches Licht und bis in die Abendstunden hineinreichende Aktivität oder gar konzentrierte Arbeit. Verbunden mit der selbstauferlegten ständigen Erreichbarkeit im Privaten wie im Beruflichen durch Mobiltelefone und Messenger oder auch regelmäßige Teamarbeit über Zeitzonen hinweg gerät dieser Zyklus, der uns eigentlich nach Einbruch der Dunkelheit langsam in den Schlaf schaukeln sollte, ins Holpern.

Speziell das schon erwähnte Melatonin, das natürliche Schlafmittel unseres Gehirns, wird durch helles Licht direkt unterdrückt. Zusätzlich lösen Termindruck, dem Arbeitstag nachlaufende Sorgen, negative Stimmungen oder Ängste ebenfalls eine biologisch verankerte Stressreaktion aus, die sich negativ auf den Schlaf auswirkt. Ganz zu schweigen von dem Gedankenkarussell, auf dem wir manchmal wie festgebunden scheinen.

Was aber hilft gegen berufsbedingte Schlaflosigkeit? Zunächst ein maßvoller Lebensstil mit ausreichenden Auszeiten, gesunder Ernährung und Bewegung. Denn unser Körper ist kein Formel-1-Wagen, der sich nach Belieben zu höchsten Drehzahlen antreiben und augenblicklich wieder abbremsen lässt. Wo dies nicht immer gelingt, helfen gute Gewohnheiten.

Gute Gewohnheiten sind der halbe Schlaf

Zum Beispiel ein bewusstes Zeitmanagement. Das muss nicht perfekt sein, sodass wir zu jedem Zeitpunkt Druck oder Versagensängste ausschließen könnten. Wichtig ist lediglich eine klare Orientierung, was es zu tun gibt, was wir geschafft haben und was noch zu tun oder was liegengeblieben ist. Daher empfehlen Zeitmanagement-Experten wie Lothar Seiwert, den zurückliegenden Tag abzuschließen und den folgenden zu planen. Und zwar am Abend, nicht erst am folgenden Morgen. Denn das gibt uns noch vor dem Schlafengehen eine gute Orientierung für den nächsten Tag und kann so helfen, loszulassen.

Auch ein kurzes Workout unterstützt dabei, die vom Tagesstress bedingte körperliche und nervliche Aktivierung auszuagieren und zurückzufahren. Dazu braucht es keinen Weg ins Fitnessstudio. Ein einfaches Bodyweight-Training oder eine kurze Laufrunde bauen die körperlichen Folgen eines stressigen Arbeitstages ab. Zusätzlich lässt sich mit Yoga-Übungen das Entspannungssystem des Körpers aktivieren: Der Parasympathikus-Nerv, der einmal aktiv ein Anti-Stress-Programm aktiviert. Auch ein Abendspaziergang im Dunkeln fördert Entspannung und Schlafbereitschaft: Im Dunkeln springt die Melatonin-Produktion an und das Gehen agiert den Stress aus.

Notfallmaßnahme für den Fall der Fälle

Christen können zusätzlich die Praxis des Abendgebetes kultivieren: Ob in Form eines freien Gebetes oder als „Komplet“, als abendliches Stundengebet, wie es etwa die Benediktiner praktizieren (und auch ins Internet übertragen; https://erzabtei.de/live). Dabei schließen wir den Tag vor uns selbst und vor Gott ab und bitten um Schutz und Geborgenheit. Ähnlich hilft regelmäßiges Journaling, den Geist von den Alltagssorgen zu entlasten. Regelmäßiges Niederschreiben der Tagesereignisse, getrennt nach Dingen, die gut gelaufen sind, die belasten oder Hoffnungen wecken, stärken nachweislich das mentale Wohlbefinden und bereiten damit einem gesunden Schlaf die Basis.

Für die Fälle, in denen alle guten Gewohnheiten zusammenbrechen, die beruflichen Sorgen überhandnehmen und uns aus dem Schlaf reißen, hilft folgende Notfallmaßnahme. Die Wirksamkeit ist durch die Forschungen der Psychologen Pennebaker (Expressives Schreiben) und Neff (Selbst-Empathie) nachgewiesen und auch mir hat sie in solchen nächtlichen Gedankenstürmen Ruhe verschafft: Wenn du nicht in den Schlaf findest, steh – sozialverträglich – auf (laut Matthew Walker spätestens nach 25 Minuten). Finde einen ruhigen Platz, Papier und einen angenehmen Stift. Schreib dann fünfzehn Minuten lang alles auf, was dir durch den Kopf geht, ohne groß zu formulieren oder zu korrigieren.

Nächtliches Sorgen löst selten Probleme

Wenn dir die Worte fehlen, schreib einfach auch das auf. Ist die Gedankenfülle groß, schreib einfach weiter, bis du das Gefühl hast, jetzt sei alles aufgeschrieben. Dann lege Stift und Papier weg und geh direkt (allenfalls mit einem Umweg zu Toilette und Wasserhahn) ins Bett. Am nächsten Tag kannst du dann dein Geschriebenes noch ruhen lassen oder gleich reflektieren und so aus deinen Nachtgedanken noch einen Nutzen ziehen. So habe ich es damals gemacht, als mir Sorgen und Arbeitsdruck den Schlaf raubten. Es brauchte eine Dreiviertelstunde, um mir alles von der Seele zu schreiben. Dann aber war es gut, ich konnte noch drei Stunden ruhig schlafen und war am Morgen handlungsfähig.

Zu guter Letzt dürfen wir uns auch sagen: Die Arbeit ist nicht das Entscheidende im Leben und nächtliches Sorgen löst selten Probleme. Eher hilft die heilsame Erkenntnis des Psalmisten: „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; denn allein du, Herr, hilfst mir, dass ich sicher wohne.“ (Psalm 4,9) In diesem Sinne: angenehme Ruhe!

Michael Stief (58) ist Experte für Positive Kommunikation, Teamwork und Führung und Gründer des Beratungsnetzwerks POSITIVE HR. MANAGEMENT (positive-hr.de).

Symbolbild: Ian Schneider / Unsplash

Neues Jahr, neues Glück: So erreichen Sie Ihre Ziele

Viele gute Vorsätze scheitern an Zeitmangel. Coach Michael Stief erklärt, warum Sie aber weniger in Zeit und mehr in Beziehungen denken sollten.

„Zeit ist eine Illusion, die Mittagszeit erst recht“ heißt es in der Science-Fiction-Satire „Per Anhalter durch die Galaxis“. Eine ebenso skurrile wie zutreffende Beobachtung. Es liegt nie an der Zeit selbst, wenn wir keine Zeit haben: Zeit ist immer verfügbar. An jedem Tag 24 Stunden, 168 Stunden pro Woche, in jedem Monat 720 Stunden, 8.760 in einem Jahr, 613.200 in 70 oder 700.000 in 80 Jahren.

Es sind unsere vielfältigen Beziehungen und Verpflichtungen, die unsere Zeit knapp werden lassen. Aufgaben, die wir übernehmen und Terminzusagen, die wir machen. Unser persönliches „soziales Netzwerk“ ist riesig und mit jeder Beziehung gehen wir auch eine „Verpflichtung“ ein, in Kontakt zu bleiben. Jede Stunde, die wir mit diesen Menschen verbringen, füllt unseren Terminkalender. Es ist wichtig, aktiv zu entscheiden, in welche Beziehungen wir investieren. Damit diese Entscheidung leichter fällt, hilft es in „Beziehungsdimensionen“ zu denken, statt in Zeit und Work-Life-Balance.

Gerade Menschen mit Zeitnöten haben ein eher dickes Adressbuch und so kann es helfen, die unterschiedlichen Beziehungen etwas zu bündeln. Durch eine lange Beschäftigung mit Steuerungs- und Selbstmanagement-Modellen habe ich folgende sechs „Beziehungswelten“ gefunden:

  • die Menschen für die wir arbeiten -> unsere Kunden
  • die Menschen mit denen wir arbeiten -> unsere Teamkollegen
  • die Menschen, die wir mögen und lieben -> unsere besten Freunde & Familie
  • uns selbst mit unseren körperlichen und psychologischen Bedürfnissen
  • unseren Geist, also unsere Lebenseinstellung, Spiritualität oder Gottesbeziehung
  • unsere praktische und mentale „Beziehung“ zu Ressourcen wie Geld, Besitz, Bildung und Finanzen

Wenn Sie zu diesen „Beziehungswelten“ eine Mindmap anfertigen, bekommen Sie schnell einen Überblick, in welche Menschen Sie Zeit investieren wollen. Dadurch vermeiden Sie „Zeitdiebe“. Wenn Sie täglich jeder dieser „Beziehungswelten“ drei Stunden widmen, bringen Sie mühelos acht Stunden Schlaf und acht Stunden Arbeit unter (drei für die Kunden, drei fürs Team und zwei Stunden fürs Selbstmanagement). Auf diese Weise planen Sie von Grund auf ganzheitlich und kein wesentlicher Bereich des Lebens „fällt hinten runter“.

Entwickeln Sie ein Zielbild für Ihr Leben

In der Arbeitswelt sind wir oft mit Zielen konfrontiert, die wir mal weniger, mal mehr auch persönlich bejahen oder als „Karriere“ aktiv verfolgen. Aber auch im Privatleben schwanken wir zwischen unseren Wünschen und den Erwartungen anderer an uns. Es ist dieser Spagat zwischen vorgegebenen, erwarteten und erwünschten Zielvorstellungen, der unser Leben ins „Ungleichgewicht“ bringt, sodass wir nach neuer „Lebensbalance“ hecheln. Nehmen Sie sich deshalb nacheinander jede ihrer sechs „Beziehungswelten“ vor und fragen Sie sich:

  • Was wünsche ich mir für diese Beziehung?
  • Was ist meine Aufgabe und welche persönlichen Werte möchte ich darin verwirklichen?
  • Wie würde es – konkret – aussehen, wenn diese Beziehung blüht und gedeiht?

Dabei ist es gleichgültig, ob dies nun große oder kleine Ziele sind, schöne Einzelaktionen oder regelrechte Lebensziele. Sammeln Sie ungeniert und unzensiert Ideen, Wünsche, Vorhaben, Ziele und Träume.

Vor allem: Halten Sie diese schriftlich fest! Auf losen Blättern, in einem Zielbild-Tagebuch oder in einer Datei auf dem Rechner. So fangen Sie an Ihr Leben zu gestalten, bevor es andere für Sie tun. Sie ersetzen dadurch Vorsätze, die nicht selten durch Unzufriedenheiten getrieben sind, durch positive Ziele und Planung.

Auf diese Weise setzen Sie Ihr Zielbild für Ihr Leben aus den verschiedenen Puzzleteilen von Wünschen, Verpflichtungen und Zielen zusammen. Dadurch entsteht mit der Zeit aus einzelnen unverbundenen und im Moment geborenen Ziele eine viel grundlegendere Lebensvision, die Ihnen und anderen Orientierung, Hoffnung und Kraft geben wird.

Setzen Sie Prioritäten

Je nach Persönlichkeitstyp, Lebensalter oder Ideenreichtum kann dieses Zielbild und seine Bestandteile schnell komplex und umfangreich werden. Mit den folgenden drei Tools lässt sich aber auch in dieses Lebenschaos Ordnung bringen.

Erstens: Priorisieren Sie rigoros Ihre Lebenswelten. Entscheiden Sie sich, was Ihnen am wichtigsten ist: Familie & Freunde, Kunden oder Teamkollegen oder man selbst, Geist oder Ressourcen. Entscheiden Sie sich klar und konsequent für eine Top-Priorität und ordnen Sie die anderen dieser unter.

Zweitens: Schreiben Sie sich ein „Backlog“ nach „Beziehungswelten“ getrennt. In der agilen Führung bezeichnet ein Backlog eine Liste der Aufgaben, um ein komplexes Projekt zum Erfolg zu führen. Dort werden alle Aufgaben an einer Stelle gesammelt und anschließend in Etappen abgearbeitet. Drittens: Priorisieren Sie die sechs Backlogs nach Wichtigkeit und Dringlichkeit. (Eisenhower-Schema)

Setzen Sie sich smarte Ziele

Möglicherweise habe Sie jetzt sechs schöne Listen mit attraktiven Zielen, von denen manche noch einen „Konstruktionsfehler“ haben. Die Ziele sind noch diffus, zeitlich unbestimmt und unrealistisch. Das macht es schwer, sie wirklich zu erreichen.

Ein Beispiel wäre der Wunsch „Einmal nach Japan zu reisen“. Da ist nicht klar, wann, wie lange und wohin es konkret gehen soll.  So lässt sich auch nicht sagen, ob man je genug Geld für den Trip in der Urlaubskasse haben wird. Eine solche Reise kann alles von 2.000 bis 12.000 Euro kosten.

Abhilfe schafft hier die SMART-Formel. Damit lassen sich Ziele leichter und zuverlässiger erreichen. Es geht dabei um folgende Qualitätskriterien:

  • Spezifisch – Es ist klar, mit wem, wo und wann wir ein Ziel erreichen wollen; in welchem Kontext wir ein Ziel anstreben und in welchem vielleicht nicht.
  • Messbar – Das Ergebnis ist klar und positiv umschrieben, entweder zählbar oder konkret wahrnehmbar.
  • Attraktiv – Ist das Ziel für uns wirklich wichtig und wertvoll, sind wir motiviert es zu erreichen? Auch für die Menschen in unserem Umfeld ist es wenigsten akzeptabel oder gar wünschenswert.
  • Realistisch – Das Ziel liegt im Rahmen unserer Möglichkeiten und wir haben die dazu nötigen Fähigkeiten, Mittel oder Macht. Das Ziel ist in machbaren Etappen erreichbar.
  • Terminiert – Es gibt einen konkreten Termin, zu dem das Ziel erreicht sein soll.

Planen Sie also Ihr Leben mit der gleichen „Präzision“ wie eine Urlaubsreise. Aber nicht nur die Klarheit der Zielbestimmung ist wichtig, um die Ziele auch zu erreichen. Auch die Regelmäßigkeit ist entscheidend. Nicht nur einmal den großen Wurf skizzieren, sondern konstant weiter planen. Idealerweise jeden Abend für den folgenden Tag; sonntags für die kommende Woche, einmal im Monat sowie jährlich.

Und immer mal wieder hilft eine generelle Orientierung. Gönnen Sie sich Auszeiten, bei denen Sie Ihre Pläne auf den Prüfstand stellen. Ein Aufenthalt auf einer Berghütte zum anstehenden Jahreswechsel kann ein passender Rahmen sein. Oder auch eine Inselüberquerung wie ich Sie Anfang 2022 an vier Tagen auf Gran Canaria gemacht haben. Da bleibt viel Zeit zum Reflektieren.

Für Ziele einstehen statt „Nein“ sagen

Vielen Menschen fällt es schwer, „Nein“ zu sagen. Teils aus Angst, dass sich das Gegenüber persönlich abgelehnt fühlen könnte. Teils, weil man vielleicht keine schlüssige Begründung parat hat. Wenn wir aber aus Nettigkeit und mangels klarer Ziele fremden Wünschen nachkommen, dann kann das leicht zu Chaos im Leben führen.

Das wusste schon der biblische König Salomo und stellte fest, „Ohne eine Vision kommen die Menschen um“ (Buch der Sprüche 29:18, frei übersetzt nach King James Bible) Damit meinte er sicher auch die sinnstiftende Qualität von ganzheitlichen Lebenszielen. Vor allem aber geben uns Ziele die Möglichkeit zu sagen, wofür wir unsere Zeit einsetzen möchten. Dann brauchen wir nicht länger andere Offerten peinlich berührt abzulehnen, sondern können selbstbewusst sagen, was wir stattdessen vorhaben.

Auf die Frage „Kannst Du mir am Wochenende beim Umziehen helfen?“ könnten wir dann statt einem platten „Nein, ich habe keine Zeit“ antworten mit einem ehrlichen „Grundsätzlich gerne. Doch an diesem Wochenende werde ich ein Paper fertigschreiben, dass am Montag Termin hat“. Wenn wir unsere Ziele bereits im Vorfeld klar kommunizieren, dann kann sich unser Umfeld auch rechtzeitig darauf einstellen oder Einwände anmelden. Dadurch können wir agieren, bevor es in die „heiße Phase“ geht.

Warnung: Rechnen Sie mit Gegenwind

„Planung ersetzt Zufall durch Irrtum.“ Natürlich wird auch bei generalstabsmäßiger Planung und guter Kommunikation nicht jeder Plan gelingen. Schließlich ist das Leben komplex, sind unser Verstand und unsere Willenskraft begrenzt. 

Gerade zum Jahreswechsel nehmen wir uns oft eingefleischte Gewohnheiten vor, die wir nun plötzlich von einem Tag auf den anderen ändern wollen. Auch hartnäckige Gewohnheiten lassen sich ändern, zum Beispiel mit der WOOP-Methode. Besser ist es jedoch, SMARTe Ziele anzuvisieren. Diese sollten eingebettet sein, in eine zunehmend klare Lebensvision, wie wir mit uns wichtigen Menschen zusammenleben wollen.

Selbst dann werden wir noch erleben, dass uns die Zeit ausgeht. Dafür kann es verschiedene Ursachen geben: Unterschätzte Komplexität.  Unerwarteter und nicht nachvollziehbarer Widerstand. Oder im Extrem: die sprichwörtliche Dummheit der anderen, die ein Projekt scheitern lässt. Doch je konsequenter wir die genannten fünf Strategien umsetzen, umso öfter können wir wie Hannibal Smith aus der TV-Serie „A-Team“ sagen: „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.“

Michael Stief (58) ist Experte für Positive Kommunikation, Teamwork und Führung und Gründer des Beratungsnetzwerks POSITIVE HR. MANAGEMENT (positive-hr.de).

Jackson Kivujirwa unterrichtet am Majengo Institute in Goma, Kongo. (Foto: Nils Laengner)

Bürgerkrieg, Vulkanausbrüche, Überfälle: Jackson Kivujirwa lässt sich nicht unterkriegen

Die Menschen in Goma, Kongo, leiden unter Gewalt, Naturkatastrophen und Arbeitslosigkeit wegen Corona. Der Lehrer Jackson Kivujirwa erzählt im Interview, was ihm hilft, nicht zu verzweifeln.

Deine Schüler/-innen begrüßt du oft mit den Worten: „Seid ihr alle glücklich?“ In meinem Schulleben wurde ich das nie gefragt. Mich hat das sehr beeindruckt. Warum machst du das?

Ich mache das wirklich sehr häufig. Du musst wissen, dass die Lebensumstände unserer Schüler/-innen sehr unterschiedlich sind. Da sind Kinder, die am Vorabend nichts zu essen hatten oder keinen Tee zum Frühstück. Das kommt immer wieder vor. Die wirtschaftlichen Umstände führen oft dazu, dass es in Familien Auseinandersetzungen gibt.

Die sonst nicht da wären?

Möglicherweise. Wir hatten in den letzten 25 Jahren immer wieder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Außerdem ist der Vulkan Nyiragongo 2002 und 2021 ausgebrochen und hat Verwüstungen in der Stadt hinterlassen. Das bringt schon Unruhe in Familien.

Lehrer mit Empathie

Davon haben wir in Europa keine blasse Ahnung. Aber erzähl doch bitte weiter.

An den Reaktionen der Klasse sehe ich, wem es aktuell nicht gut geht. Diese Person bekommt dann mehr Aufmerksamkeit. Nach dem Unterricht spreche ich dann mit den Betreffenden. Gegebenenfalls bringe ich sie zum Büro der Schulseelsorge.

Ich finde das sehr empathisch und beeindruckend. Nun ist das Majengo Institute ja nicht nur eine der besten Schulen der Region, weil die Lehrkräfte mitfühlend sind. Einer der erfolgreichen Absolventen der Schule ist Djimi Muhindo. Er ist aktuell einer der erfolgreichsten Radsportler des Landes. In einem Gespräch ließ er durchblicken, dass er sich gerne an dich als Lehrer erinnert. Warum wohl?

(lacht) Das hättest du ihn wahrscheinlich selbst fragen müssen! Allerdings kann ich dir von einer Begegnung mit unserem langjährigen Schulsprecher erzählen. Er schätzte es sehr an mir, dass ich bescheiden auftreten würde. Selbst wenn es mal drunter und drüber ginge, wäre ich bereit, mit den Leuten zu reden und ihnen zuzuhören. Weiter sagte er, dass er nie gehört habe, dass ich meine Macht missbraucht hätte. Er habe mich nicht rechthaberisch erlebt, sondern als Moderator oder Vermittler.

Unterschiede im Familienbild zwischen Afrika und Europa

Nun bist du ja nicht nur eine Vaterfigur für deine Schüler/-innen. Du hast selbst auch vier Kinder. In Europa schrecken immer mehr Männer davor zurück, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Sie befürchten den Verlust von Geld, Freiheit und Unabhängigkeit.

(lacht laut auf): Du veräppelst mich!

Das kommt in der Tat vor.

Da gibt es wohl doch gravierende Unterschiede zwischen unseren Kontinenten. Generell haben Familien in Afrika mehr Kinder als Paare in Europa und den USA. Ich empfinde es als Ehrenbezeichnung, Vater genannt zu werden. Nicht nur wegen der Verantwortung. Kinder sind für mich wie Früchte meines Lebens.

„Kinder sind die Zukunft“

In unserem Kulturkreis dreht sich sehr viel um mich, meine Ziele, meine Wünsche. Das ist bei dir irgendwie anders.

Es geht doch um die Zukunft einer Gesellschaft und auch einer Familie. Beides gehört doch auch zu mir und meiner Identität. Kinder sind davon ein Teil. Kinder können weitertragen, was sie mit ihren Eltern entwickelt haben. Schließlich sterben Menschen ja auch mal. Das kommt doch auch in deiner Kultur vor.

Das setzt aber voraus, dass du dich als Teil einer Gemeinschaft verstehst. Hier wäre das eine Familie. Nun kenne ich aber viele Leute, die sich selbst genügen und fast ausschließlich danach fragen, wie es ihnen gut gehen kann.

(lacht sich schlapp) Wirklich?

Ja, wirklich!

Oh! (Jackson wirkt sehr betroffen, schweigt einige Sekunden und fährt dann fort) Weißt du, was mir Angst macht?

Du wirst es mir hoffentlich sagen.

Es ist dann doch möglich, dass eine Familie ausstirbt, wenn keine Kinder da sind. Das ist doch furchtbar.

Keine Arbeit, kein Geld

Ein interessanter Aspekt! Die Art und Weise, wie wir in Deutschland leben, führt dazu, dass viele Menschen schnell isoliert sind. Sie haben kaum soziale Netzwerke. Das war insbesondere während der virusbedingten Einschränkungen seit März 2020 zu spüren.

Nun, wir hatten große wirtschaftliche Probleme. Gehälter werden meist nur gezahlt, wenn gearbeitet wird – Lockdown hin oder her. Keine Arbeit, kein Geld. Ich habe beispielsweise Obst und Gemüse aus der Region gekauft, um es auf lokalen Märkten zu verkaufen. Gut war aber, dass viele Familien zu Hause miteinander gebetet haben, als die Kirchen geschlossen waren.

Das war ja trotzdem alles ziemlich heftig. Offensichtlich passieren schlimme Dinge auch guten Menschen. Wie wirst du damit fertig?

Viele Menschen in Goma haben große Mühe, ihr Vertrauen in Gott aufrechtzuerhalten. Ich gehöre nicht dazu und bete aufrichtig weiter. Zum Beispiel: Neulich wurden meine Familie und ich nachts in unserem Haus überfallen. Niemand wurde verletzt. Darin sehe ich ein Eingreifen Gottes. Aber glaube mal nicht, dass das einfach wäre! Gut, wir beten, dass Gottes Wille geschehen möge. Dem ordnen wir uns unter. Aber dann gilt es, das durch unser Handeln sozusagen unter Beweis zu stellen. Alles andere zählt nicht.

Was meinst du damit konkret?

Wir sollten auch in Schwierigkeiten auf Gott vertrauen. Zum Beispiel habe ich immer Geld gespendet. Also außer, wenn ich kein Gehalt bekommen habe. Nach dem Überfall habe ich aus dem Ausland Geld bekommen. Davon habe ich auch abgegeben. Es gibt doch immer Menschen, denen es schlechter geht als einem selbst.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Tom Laengner. Er ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst startete er neu durch als Autor und Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen. Aktuell schreibt er die Kolumne „Out Of The Box“ für das Internetportal Jesus.de. Sein Sohn Nils Laengner schoss die Fotos (nilslaengner.de). Von ihm erschien 2021 das Fotobuch „Orbit 360“.

Zahnarzt Dr. Marcel Cucu (Foto: Tobias Grimm)

Marcel Cucu flüchtet mit drei Jahren aus Rumänien – heute bringt er Menschen als Zahnarzt zum Lachen

Doktor Cucu ist kein normaler Zahnarzt. Seine Praxis ist knallbunt, Humor ist sein Antrieb. Dabei fing sein Leben überhaupt nicht lustig an.

Dr. Cucu kann nicht still sitzen. Er zupft sich sein buntes Hemd zurecht. Lacht herzlich. Ein Blick auf die Uhr. Zeit ist sein wertvollstes Gut. Marcel Cucu ist ein Exot. Denn Cucu heißt sonst niemand in der Schweiz. Aber auch neben der Einzigartigkeit seines rumänischen Nachnamens fällt Cucu auf, hier in Schaffhausen. Er ist Zahnarzt. Nicht für die faulen Zähne, sondern für Zahnspangen. Kieferorthopäde.

Einen Exoten nenne ich ihn an dieser Stelle auch, weil ihm bei einer zufälligen Begegnung wohl kaum jemand den Beruf Zahnarzt zuordnen würde. Und er fällt aus vielen Gründen auf – zum Beispiel mit seiner Zahnarztpraxis, die alles andere als weiß ist.

Lebensfroh heißt farbenfroh

Hellgrün, Orange, Himmelblau – das sind seine Farben. Angefangen beim Brillengestell. Es ist dick. Und knallig. Er habe mehrere davon, sagt er. Heute trägt er die violette. Kunterbunt, so sieht hier alles aus. Lebensfroh heißt hier farbenfroh. Überhaupt erinnert hier kaum etwas an die sonst so sterile Umgebung einer Arzt- oder eben Zahnarztpraxis.

Das Team trägt bunte Shirts, farbige Sneakers und an den Wänden hängen kunterbunte Kuckucksuhren. Jeder Kuckuck schnellt raus aus seinem Häuschen und ruft – zu jeder Stunde, in jedem Raum. Im Hintergrund läuft moderne Kirchenmusik. Eine Praxis voller Gegensätze. „Es gibt in dieser Welt genügend graue Mäuse. Ich will Farbe ins Leben bringen. Die bunten Farben in meiner Praxis sind für mich ein Abbild meiner Haltung zum Leben. Ein Statement für die Lebensfreude.“

Diese Freude zu leben sei für ihn ein lebenslanges Lernfeld. „Bleib so, wie du bist: Dieses Sprichwort ist für mich das schlimmste von allen. Wenn mir das jemand zum Geburtstag wünscht, dann sage ich ihm: Hör auf!“ Marcel Cucu will lernen. Sich entwickeln. Jeden Tag aufs Neue. Dabei lässt er sich gerne vom Leben treiben: „Ich bin ein spontaner Mensch. Dabei gehen manche Türen auf, andere zu. Ich will einfach mal machen, einfach mal losgehen.“

Auf der Flucht

„Ich bin handwerklich nutzlos„, dachte sich Marcel Cucu schon immer. Doch es kommt anders. Heute ist präzises Arbeiten sein Lebenselixier und der Weg dorthin eine Erfolgsgeschichte mit Stolpersteinen. Alles beginnt 1968 in Rumänien. Politische Unruhen plagen zu dieser Zeit das Land. Und so wird aus der Geschichte des kleinen Marcel die Geschichte eines Nomaden.

Seine Eltern müssen flüchten und lassen ihn bei den Großeltern in Rumänien zurück. Via Sowjetunion und Finnland reisen Cucus nach Schweden. Nach einer jahrelangen politischen Odyssee reist Marcel Cucu mit 3,5 Jahren endlich ebenfalls nach Göteborg. Seine Eltern kämpfen sich hoch. Und werden Zahnärzte. Auch Marcel wird Zahnarzt. Trotz Widerstand seiner Eltern.

Nach Südafrika auswandern

Der Arbeitsmarkt in Schweden ist schwierig. Aber Dr. Cucu lässt sich nicht unterkriegen (nicht das letzte Mal in seinem Leben) und sieht diese Herausforderungen als große Chance auf eine bessere Zukunft. So zieht er mit 22 Jahren nach Italien und wandert kurz darauf nach Südafrika aus.

In Pretoria bildet er sich weiter zum Kieferorthopäden. Hier ist er auf sich allein gestellt und die ganz großen Fragen werden laut. Warum bin ich eigentlich auf dieser Welt? Was soll ich tun? Was ist der Sinn des Lebens? Antworten findet er im christlichen Glauben. Das gibt ihm Kraft und Hoffnung.

„Humor hilft immer“

„Humor ist wichtig. Humor hilft immer“, sagt Marcel Cucu. Man müsse lachen können im Leben. Und überhaupt sei Humor der Antrieb in seinem Leben. Er will Menschen zum Lachen bringen. Und ihnen das Lächeln verschönern. An seinem Beruf fasziniere ihn deshalb besonders, dass er Menschen glücklich machen kann. Nach einer zweijährigen Behandlung wird aus einem schrägen Lächeln plötzlich wieder ein gerades.

Im Zentrum: der Mensch, die Begegnung. „Es ist ganz einfach: Mich begeistern Menschen“, sagt Marcel Cucu. „Auch wenn der Alltag in der Praxis mit einer hohen Geschwindigkeit läuft, will ich, dass sich die Patienten gesehen fühlen.“ Auch darum hat er ein fünfköpfiges Team angestellt – das gebe ihm selbst den Raum, sich Zeit für die Menschen zu nehmen. Den Alltag gut zu planen, schafft die Möglichkeit, im Hier und Jetzt zu sein.

Viel zu tun

Cucu ist voller Tatendrang. Rumsitzen ist nicht sein Ding. 7.000 Patientinnen und Patienten hat Dr. Cucu in den letzten 18 Jahren in seiner Praxis behandelt. Zahnärzte haben viel zu tun. Immer mehr. Das sei vor allem der Zahntechnik zu verschulden, die sich in den letzten Jahrzehnten massiv verbessert hat, sagt er. Kieferorthopädische Behandlungen sind heute schmerzfreier und schneller als früher – und günstiger.

Oft kommen Leute in die Praxis mit Rückenbeschwerden oder Migräne. Den Körper müsse man ganzheitlich anschauen. Alles habe einen Zusammenhang, sagt Cucu. Kieferschrägstellungen können chronische Kopfschmerzen auslösen – keine Luxusprobleme. Dabei haben Zähne viel mit Genetik zu tun. Mit einfachen Mitteln könne aber vieles korrigiert werden. Zum Beispiel nach einem Unfall die Zähne wieder in Stellung zu bringen oder eine Lücke mit anderen Zähnen zu schließen.

Freitag ist Frei-Tag

Über 50 Patient/-innen sind für Marcel Cucu normal – pro Tag. Diese Geschwindigkeit des Alltags ist Lust und Last zugleich. „Dauermüdigkeit und Unzufriedenheit – Gefahr für Burnout als Zahnarzt steigt“, titelte das deutsche Dental Magazin kürzlich und bezieht sich auf eine aktuelle britische Umfrage über die Burnout-Rate von Zahnärzten. Stress und Zeitdruck – eine Dauerbelastung. Ärzte – ob Zahnärztinnen oder Mediziner – sind Arbeitstiere. Waren es schon immer.

Schon Ende der 1980er-Jahre kamen Forscher zu dem Ergebnis, dass der Zahnarztberuf mehr Stress und stressbezogene Probleme mit sich bringe als die meisten anderen Berufe. Gerade Zahnärzte hätten ein zu 25 Prozent höheres Herzinfarktrisiko als der Durchschnitt der Bevölkerung. Dass er nicht auch ausbrennen will, dafür hat sich der 54-jährige Dr. Cucu bei der Eröffnung seiner Praxis entschieden. Sein Rezept ist so simpel wie bestechend: „Der Freitag ist mein Frei-Tag.“

Dieser Tag heiße ja nicht umsonst so. Also mache er frei. Und auch seine Praxisassistentinnen haben jeden Freitag den bezahlten Frei-Tag. Gas geben und Pause machen. Das gibt Platz für Relevantes im Leben. Luft zum Atmen. Zeit für die Familie, für sich und Freunde. Ein Tag zum Sein, zum Kochen und Biken. Ohne diesen bewussten Frei-Tag hätte er wohl schon lange einen Burnout, sagt er.

Ein Nomade, der sesshaft wurde

Rumänien, Schweden, Italien, Südafrika, Schweiz. Die Liste ist lang. „Ich fühle mich überall wohl“, sagt Marcel Cucu. Er fühle sich da zu Hause, wo er gerade sei. Seit 22 Jahren ist es nun die Schweiz. Wichtig sind ihm dabei die Menschen. Das zeigen auch die kunstvollen Porträtbilder von Menschen aus aller Welt, welche die Wände zwischen den Kuckucksuhren seiner Praxis zieren: „Ein Lächeln sagt so viel über einen Menschen aus.“

Marcel Cucu ist Geschäftsmann, aber auch ein Menschenfreund. Dass dabei das Streben nach einem ausgeglichenen Leben nicht in Vergessenheit gerät, macht Hoffnung für unsere Gesellschaft. Dieses Fragen nach dem Haben oder Sein und dem Ringen nach einer Haltung für ein besseres Leben erinnert an den Philosophen Erich Fromm, der sagte: „Wenn ich bin, der ich bin, und nicht, was ich habe, kann mich niemand berauben oder meine Sicherheit und mein Identitätsgefühl bedrohen. Mein Zentrum ist in mir selbst.“

Tobias Grimm ist selbstständiger Grafiker, Multimedia-Produzent und freier Journalist. Er lebt mit seiner Frau in Bern. Er mag Fragen, Menschen und den Flugmodus. tobiasgrimm.ch

Sven Hannawald springt Ski vor der Kulisse der Zugspitze. (Foto: Christof Stache)

Sven Hannawald: Skisprungheld stürzt vom Siegerpodest in die Depression

Nach seinem Triumph bei der Vierschanzentournee 2002 holt ein Burnout samt Depression den Skispringer Sven Hannawald ein. Wenn er nicht rechtzeitig in eine Klinik gegangen wäre, würde er heute nicht mehr leben, ist Hannawald überzeugt.

Hallo Sven, nach dem Absprung fliegt ein Skispringer etwa drei Sekunden durch die Luft. Beim Skifliegen sind es sogar acht Sekunden. Wie fühlt sich das an?

Beim Fliegen ist das Schwerelose so besonders. Als Skispringer lebt man den Traum des Menschen, fliegen zu können – ohne Motor. Wir spielen mit den Lüften, das ist unheimlich toll und speziell. Ich wollte immer so weit fliegen wie möglich.

Warst du glücklich, nachdem dein Kindheitstraum in Erfüllung ging und du alle vier Springen der Vierschanzentournee 2002 gewonnen hattest? Vor dir war das noch keinem anderen Skispringer gelungen.

Ich habe jahrelang auf das Ziel, die Tournee zu gewinnen, hingearbeitet. Es war erlösend und befreiend, es geschafft zu haben. Als Erster einen Vierfachsieg zu holen, war unglaublich. Schon als kleiner Junge hatte ich den Traum, die Tournee zu gewinnen. Im Nachhinein habe ich aber auch gemerkt, was ich dafür meinem Körper antun musste. Nachträglich würde ich trotzdem nichts ändern. Der Gewinn war mir wichtiger als eventuelle körperliche Probleme.

„Nach dem großen Erfolg war mir alles zu viel“

Zwei Jahre nach dem Gewinn der Vierschanzentournee und einer Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City 2002 hast du die Diagnose Burnout mit mittelschwerer Depression bekommen. Nach einer Behandlung in einer Spezialklinik hast du 2005 deine Karriere als Skispringer beendet. Wie kam es zu deinem Burnout und der Depression?

Ich bin sehr perfektionistisch und ehrgeizig. Nach einem Springen oder dem Krafttraining habe ich meinem Körper zwar physische Pausen gegeben, aber keine psychischen. Ich habe immer ans nächste Springen gedacht. Das war wichtig, um zu gewinnen, aber es gab keine Balance in meinem Leben. Nach dem großen Erfolg war mir alles zu viel und ich habe mich unheimlich schwergetan, weiter dranzubleiben. Mein Körper hatte dem Erfolg zu viel Tribut gezollt.

Mit welchen Symptomen haben sich der Burnout und die Depression geäußert?

Es hat mit Müdigkeit angefangen. Normalerweise schläft man und geht in den Urlaub, um sich zu erholen. Ich habe mich nach zwei Wochen Urlaub aber immer noch so gefühlt, wie zu dem Zeitpunkt, als ich in den Flieger gestiegen und hingeflogen bin.

Früher hatte ich schon zwei Tage nach Saisonende wieder ein inneres Feuer, mit dem Training anzufangen – um mir einen Vorsprung zu erarbeiten. Von Saison zu Saison wurde der Zeitraum immer größer, bis ich wieder das innere grüne Licht bekommen habe. Da war ich dann in einer mir selbst auferlegten Bringschuld: Eigentlich müsste ich mit dem Training anfangen, aber ich hatte noch gar keine Lust.

Mein „Ich muss jetzt trotzdem trainieren“-Anspruch hat eine Unruhe in mich reingebracht. Ich war komplett überfordert, weil die Unruhe und Abgeschlagenheit sich nicht zurückzogen. Wenn ich nach oder vor einem Wettbewerb in meinem gewünschten Einzelzimmer war und eigentlich meine Ruhe hatte, kam ich mit der inneren Unruhe nicht klar.

„Ich habe anderthalb Jahre lang alle möglichen Ärzte aufgesucht“

Wie bist du mit dieser Unruhe umgegangen?

Ich wurde kirre im Kopf, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, damit es mir endlich besser ging. Egal, was ich gemacht habe, es wurde nicht besser. Ich hatte gar nicht die Ruhe, mich auszuruhen. Stattdessen bin ich der Unruhe gefolgt und habe eher wieder mehr gemacht, um das Gefühl der Unruhe zu übergehen.

Dann habe ich mich einen Moment gut gefühlt, weil ich was gemacht habe. Der Frust war für kurze Zeit weg, aber ich war dann noch müder. Das war ein Kreislauf, der stetig nach unten ging. Ich habe dann anderthalb Jahre lang alle möglichen Ärzte aufgesucht und keiner hat was gefunden.

Nach dem Ärztemarathon bist du in einer Klinik gelandet. Den Komiker Torsten Sträter hat es viel Überwindung gekostet, sich in Therapie zu begeben. Bei dir scheint das nicht der Fall gewesen zu sein. Warum?

Das lag daran, dass ich aus dem Einzelsport komme. Ich wusste dementsprechend, dass ich zu 140 Prozent fit sein muss oder keine Chance auf einen Sieg habe. Meine damalige Verfassung hat nicht mal für den Continental Cup, also die zweite Liga, gereicht. Ich war 30 und mir war klar, dass ich noch maximal bis 33 Skispringen kann und mir somit die Zeit davonläuft. Deshalb wollte ich keine Zeit verschwenden und das Problem direkt lösen.

„Es war tränenreich“

Wie war es in der Klinik?

Viele sagen: „Oh, bloß keine Klinik! Ich hab ja keinen an der Klatsche!“ Aber ich habe das gleich so gesehen, dass die Klinik wirklich eine neutrale Oase ist, wo ich wieder den Boden unter die Füße bekommen kann. Ich hatte dort viele gute Gespräche, wo auch meine Gefühlsebene zur Sprache kam, die ich in meiner Skisprungkarriere lange wegdrücken musste.

In der Klinik konnte ich meinem Körper und meiner Seele das geben, was sie gebraucht haben – ohne Leistungsdenken. Es war tränenreich, aber hat sich unglaublich gut angefühlt. Nach fünf Wochen war ich wieder bereit für die große weite Welt. Ich habe mich wieder gespürt und Lust gehabt, etwas zu unternehmen. Es war neues, frisches Leben in mir.

Welchen Wert misst du Freundschaften im Kampf gegen Depressionen bei?

Es ist unheimlich wichtig, Vertrauenspersonen wie Freunde und Familie zu haben, denen man sich öffnen kann. Man hat oft das Gefühl, ein Verlierer des Lebens zu sein, was aber überhaupt nicht so ist. Dementsprechend sind enge Vertraute wichtig, die einem Rückhalt geben. Meistens ist das Umfeld aber überfordert damit, alles aufzufangen und in die richtige Richtung zu arbeiten. Da gilt es dann, professionelle Hilfe zu suchen.

„Das kann nur jemand nachvollziehen, der eine Depression erlebt hat“

Der Fußball-Torwart Robert Enke nahm sich 2009 das Leben. Er hatte seit 2002 immer wieder Depressionen – hervorgerufen durch Versagensängste und Selbstzweifel. Hätte es bei dir ebenfalls so enden können?

Ja. Definitiv. Wenn ich 2004 noch mal sechs Jahre mit Skispringen weitergemacht hätte, dann wäre ich mit Sicherheit an diesen Punkt gekommen. Das kann nur jemand nachvollziehen, der eine Depression erlebt hat. Man will das ganze Psychische, was in einem rumfliegt, einfach nur loswerden. Bei mir war es nur eine kurze Zeit, wo ich das so extrem gemerkt habe. Ich bin dann zum Glück dem Rat meiner Ärzte gefolgt und in eine Klinik gegangen.

Nachdem du aus der Klinik raus warst, bist du noch einige Jahre in Therapie gegangen. Wann hast du dich wieder gesund gefühlt?

Mir hat es geholfen, mit dem Rennsport wieder eine Aufgabe zu finden. Skispringen konnte ich nicht mehr, weil mein Körper jedes Mal in der Nähe einer Schanze Stresssignale ausgesandt hat. Der Rennsport war das letzte Puzzleteil, um mich wieder glücklich zu fühlen.

Ich habe eine Aufgabe gebraucht. Davor hatte ich nichts, wo ich gemerkt habe, dass ich für etwas geschaffen bin. Ich bin morgens aufgestanden, habe den Tag genossen, gegessen und bin wieder ins Bett. Ohne Aufgabe ist es für einen Menschen einfach schwierig zu leben.

„Zeit mit meiner Familie hat Priorität“

In deinem Buch „Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben“ schreibst du, dass du jetzt auf einem soliden Fundament stehst. Was ist dein Fundament?

Meine Familie. Meine Frau und meine beiden Kinder, die ich als meine Oase ansehe. Darauf baue ich jetzt alles auf. Zeit mit meiner Familie hat Priorität. Wenn Termine mit Familienzeit oder Urlaub kollidieren, sage ich sie ab oder verschiebe sie.

In einem Welt-Interview hast du gesagt, dass du gläubig bist. Welche Rolle hat der Glaube in deinem Heilungsprozess gespielt?

Und wie wichtig ist er für dich heute? Ich bin in Ostdeutschland aufgewachsen, da war Kirche kein großes Thema. Trotzdem glaube ich, dass jemand auf mich aufpasst, mir so ein bisschen auf der Schulter sitzt und gewisse Dinge zulässt oder auch nicht. Das gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein, sondern meinen Weg gemeinsam mit jemand anderem zu gehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte MOVO-Volontär Pascal Alius.

 

Anlaufstellen bei Depressionen:

Grundsätzlich ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner für die Diagnostik und Behandlung von Depressionen. Bei Bedarf überweist er an einen Facharzt bzw. psychologischen Psychotherapeuten. In Notfällen, z. B. bei drängenden und konkreten Suizidgedanken, bitte an die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112 wenden. Der Sozialpsychiatrische Dienst bietet Beratung und Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörige an.

www.deutsche-depressionshilfe.de
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www.depression.at