Förster Alexander Clauss

Förster Alexander Clauss: „Ich bin kein Knecht der Holzindustrie“

Der Förster aus dem Erzgebirge setzt sich in seinem Revier für die nachhaltige Nutzung des Waldes ein – mit Unternehmergeist und dem Herz eines Baumschützers.

Von Rüdiger Jope

Frische Luft. Blauer Himmel. Tauben gurren. Ich bin angekommen, in Eibenstock, im Erzgebirgskreis auf knapp 700 m Höhe. „Glück auf!“ Leicht sächselnd streckt mir Förster Alexander Clauss strahlend auf dem Parkplatz des Staatsbetriebes Sachsenforst seine Hand entgegen. Einen Augenblick später sitze ich mit einer Tasse „Gaffee“ in seinem Büro. Papierwild kommt der Schreibtisch daher. Über dem Beamten thronen Holzproben und Geweihe. Der 40-Jährige checkt gerade seine E-Mails.

Medizin Mischwald

Er ist zuständig für das Revier Schönheide, „eine Fläche von rund 3.000 Fußballfeldern“. Vom ersten Moment an spüre ich: Hier ist einer waldverliebt. Hier lebt einer seinen Job. Hier trägt einer mit Herzblut Sorge dafür, „dass die Enkel noch einen Wald haben“. Der Wald hat für ihn eine Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion. Dafür kniet er sich rein. Sein Albtraum: „Ich komme in den Wald und entdecke 30 Bäume, die der Borkenkäfer befallen hat.“ Kahlschläge – wie sie derzeit deutschlandweit sichtbar sind – begegnen mir an diesem Tag nicht. Mit spürbarem Stolz in der Stimme erklärt mir der Förster: „Unser Team hat hier in den letzten Jahren einen wirklich exzellenten, gemeinschaftlichen Job gemacht. Befallene Bäume wurden sofort rausgemacht.“ Zudem setzte schon sein Vorgänger auf die „beste Medizin“, eine Mischung von Fichten, Buchen und Weißtannen. Diese Weitsicht zahlt sich jetzt im Klimawandel aus.

Der nagelneue VW ID schnurrt sich auf verschlungenen Wegen über bewaldete Hänge. Grün so weit das Auge blickt. Google Maps bleibt stumm. „Anfänger müssen hier noch Faltkarten nehmen. Selbst damit verfranzt du dich in dem Gewirr“, sagt’s, lacht und bringt das Auto vor einem Absperrband zum Stehen. „Baumfällarbeiten!“ Mit einem Helm und einer Weste in Orange nähern wir uns einem lärmenden „Computer auf Ketten“. Dann steht er vor uns: der Harvester. Kostenpunkt 750.000 Euro. Per Joystick sägt, packt und zerkleinert er scheinbar federleicht 150 Bäume an einem Tag, ersetzt damit die Arbeitskraft von zehn Waldarbeitern. „Glück auf!“ Alexander gibt der ehemaligen Konditorin die Hand, fragt nach: Wie geht’s dir? Die Schließung des Cafés während Corona spülte die junge Frau auf den Sitz des Ungetüms. Ich frage sie, was sie an diesem Job begeistert. „Ich bin den ganzen Tag draußen und kann mich hier selbst verwirklichen.“ Sie klettert hoch und lässt die Maschine wieder an.

Technik schützt Leben und erleichtert den Beruf

Auf dem Rückweg erzählt Alexander mir kopfschüttelnd von radikalen Umweltschützern, die diese Holzvollernter sabotieren. „Es ist Unsinn, den technischen Wandel zurückzudrehen. Der Harvester schützt das Leben der Menschen, die im Wald arbeiten!“ Clauss weist mich auf die weichen Spuren hin, die die breiten Ketten hinterlassen. Diese verhindern das Verdichten des Bodens. Wie zum Beweis huschen zwei Zauneidechsen vorbei. Wir stehen vor einem Holzhaufen. 60 Festmeter. Wert etwa 40.000 Euro. Nebenbei lerne ich, dass ein Festmeter Holz eine Masse von 1 x 1 x 1 m ohne Zwischenräume ist und ein Raummeter Holz in etwa 0,7 Festmetern Holz entspricht, sich also rund 30 % Luft in Form von Hohlräumen zwischen den Stämmen befinden. Mit Überzeugung setzt sich Alexander für nachhaltige Waldwirtschaft ein. Wenige Kilometer von hier erfand Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz vor über 300 Jahren diesen Ansatz. Die Gegend war fast baumlos. Ausgeblutet für Grubenholz, die Glasherstellung, das Verhütten des Eisenerzes. Carlowitz setzte auf eine nachhaltige Nutzung des Waldes. „Darum geht’s auch heute. Wir können nur so viel Holz ernten, wie nachwächst“, so Clauss.

„Glück auf!“, grüßt uns der große Schwibbogen am Dorfrand. Wir sind unterwegs zu Alexanders Lieblingsgebiet „Kuhberg“. Er hat sein Revier in fünf Tortenstücke aufgeteilt. Jedes Jahr widmet er sich einem Abschnitt. Menschen sollen sich in den Ökosystemen wohlfühlen. Dafür hat er im Winter einen alten zugeschlammten Tümpel, der früher die Wernesgrüner Brauerei mit Wasser versorgte, wieder hübsch gemacht. Neue Sitzbänke laden zum Verweilen ein. Rechts des Weges hat er eine Heckenrose und zwei Apfelbäume gepflanzt. Ein kleiner Hochstand für Kinder, von dem es Wildtiere zu entdecken gibt, verrät mir: Hier macht jemand nicht nur Dienst nach Vorschrift, hier kämpft sich auch einer durch den Dschungel an Förder- und Beschaffungsanträgen. Alexander reicht mir die Nadeln einer Douglasie. Sie gilt als ein widerstandsfähiger Zukunftsbaum. „Zerreib sie mal!“ Es duftet nach Zitrone. Im Gegensatz zur Weißtanne. Deren zerdrückte Nadeln riechen nach Orange. Dann nähern wir uns einer grauen Borkenkäferfalle. Etwa 1.000 „Buchdrucker“ wimmeln in ihr. Alex ist beruhigt. „Ab 40.000 Insekten müsste ich mir Sorgen machen“, sagt er, kippt sie in einen Eimer und schiebt nach, dass der Mischwald die „beste Medizin gegen Schädlinge und den Klimawandel“ sei.

„Ich bin kein Knecht der Holzindustrie, will aber aus jedem Euro Steuermittel, die hier investiert werden, zehn Euro Wertschöpfung hervorbringen.“

Alexander Clauss

Geburtsort des „Glück auf!“-Rufes

„Glück auf!“, „Glück auf!“, „Glück auf!“ schlägt es uns im Imbiss von allen Seiten freundlich entgegen. Wir setzen uns mit den goldgelben, knusprigen Pommes in den Schatten. „Ich dachte eigentlich, dass das ‚Glück auf!‘ nur ein Gruß im Ruhrgebiet ist.“ Alexander lacht und doziert. „Nein! Dieser Gruß wurde vom Erzgebirge in den Westen exportiert!“ Ich lerne in der Mittagspause: Eibenstock ist der Geburtsort dieses Rufes. Das schlägt sich sichtbar nieder: „Glück auf!“-Oberschule, „Glück auf!“-Aussichtsturm, „Glück auf!“-Pizzeria.

Alexander hat sich einen Gürtel mit Astsäge und Sprühdosen umgehängt. Er grinst. „Ich bin kein Knecht der Holzindustrie, will aber aus jedem Euro Steuermittel, die hier investiert werden, zehn Euro Wertschöpfung hervorbringen.“ Clauss hat das Gen eines Unternehmers und das Herz eines Baumschützers. Wir stapfen durch einen Lärchenwald. Alexander hantiert mit Farben. Er sprüht einen gelben Ring aufs Holz. Das ist Zukunftskapital, wertvoll, ohne Äste. Harzende oder von Pilzen befallene Stämme werden als Winterfutter für den Harvester mit einem orangenen Kreuz gezeichnet. Ein schräger Strich zeigt an: Dieser Baum wird in zwei Metern Höhe abgesägt und dient dann als Wohnort für Spechte und Ameisen. Alexander ringt um jedes einzelne Gewächs. Er prüft die Stämme, schaut in die Kronen, kratzt Flechten – ein Zeichen für sehr gute Luft – von der Rinde. Auf seinem Smartphone hält er fest, wo Waldarbeiter neue Bäume pflanzen sollen. „An diese lichte Stelle passt ein Feldahorn, in den Schatten gehört eine Tanne.“ Auf einer Lichtung entdecken wir das seltene Bärlapp. Plötzlich stehen wir vor einer alten, großen Fichte. Durchmesser 60 cm. Das Schmuckstück nötigt uns Ehrfurcht ab. „Die wird auch für viel Geld nicht von mir gefällt! Das ist ein Samen- und Lebensträger“, flüstert Alexander. An diesem Arbeitsplatz wird in Generationszyklen gedacht, gelebt und gearbeitet, denn Bäume säen sich erst nach fünfzig Jahren von selbst aus. Pro Jahr werden hier 40.000 Bäume entnommen, 30.000 bis 50.000 Setzlinge neu gepflanzt. Eine echte Mammutaufgabe verbunden mit Mückenstichen, Zeckenbissen und viel Schweiß.

Waidmannsheil!

Später Nachmittag. „Glück auf!“ Zwölf Jäger begrüßen sich am Waldrand in einer Runde zur Ansitzjagd. Während der Forstbezirksleiter eine Sicherheitsbelehrung gibt, auf die erfolgreiche Ansiedlung von vier Luchsen und deren striktes Abschussverbot verweist, prescht ein dunkler VW-Bus über den Schotter. Förster Clauss tritt ihm in den Weg, spricht den Fahrer freundlich auf das Fahrverbot im Wald an. „Ich erlasse Ihnen die 35-Euro-Strafe, wenn Sie umkehren.“ Er reagiert patzig, weigert sich, seine Papiere zu zeigen. Alexander fotografiert das Kennzeichen, sein Vorgesetzter tritt herzu. Dem Mann brennen die Sicherungen durch. Der Motor heult auf, die beiden treten zur Seite. Die Strafe fürs Abkürzen wird zusätzlich eine Anzeige der Nötigung nach sich ziehen.

„Waidmannsheil!“ Wir haben den Hochsitz erklommen. Flüstern. Die Waffe ist geladen. Das Zielfernrohr montiert. Alexander knabbert noch an dem Vorfall. Als Förster ist er auch Polizist. Wenige Monate vorher wurde er im Beisein seiner Kinder aus dem Haus geklingelt und von einem Uneinsichtigen bedroht. An den Tränen seiner Tochter kaut er lange.

Warten. Flüstern. Kleine Bäume kommen hier im Forstbezirk ohne Zäune und Plastikschutz aus. „Mein Chef sagt, das sieht dann aus wie ein Soldatenfriedhof.“ Lachen. „Wir setzen hier auf konsequente Jagdpolitik“, so der 40-Jährige. Ich hake leise nach. „Wie vereinbarst du das Töten mit deinem Christsein?“ Alexander ist wach. Es ist ein Schöpfungsauftrag. „Wir haben die Natur zu bewahren. Die Jagd ist nötig, weil das Wild keine natürlichen Feinde mehr hat. Wir sitzen hier, um den Wald für die Menschen zu bewahren. Tiere schießen ist nicht schön, daher ist es auch notwendig, dass ich das Tier möglichst genau ins Herz treffe.“ Eine SMS verrät dem Förster: Sein Berufsanfänger im Anerkennungsjahr hat zwei Böcke geschossen. In der Schonung, wo er mir am Nachmittag den Wildverbiss gezeigt hat.

Wir warten. „Hat ein Förster eigentlich auch Hobbys?“ Langes Schweigen. „Die letzten zehn Jahre habe ich unseren 200 Jahre alten Hof umgebaut, bin Vater von drei kleinen Kindern …“ Alexander schaut durchs Nachtsichtgerät. Durchs Jagdhornblasen ist er zum Posaunenchor der evangelischen Kirche gekommen, wird vom sonntäglichen Gottesdienstbesucher zum Mitarbeiter. In dieser „coolen Gemeinschaft“ ist alle politische Couleur vertreten. „Wir sagen uns gegenseitig die Meinung, halten aber zusammen.“

Traumjob

Ein Eichelhäher flattert vorbei. Der Wind frischt auf, weht uns die kalte Abendluft in die Gesichter. „Würdest du nochmals diesen Beruf erlernen?“ Ich schaue in ein strahlendes Gesicht. „Unbedingt! Förster ist mein Traumberuf. Ich finde es unglaublich spannend und beglückend, in Gottes Schöpfung arbeiten zu dürfen, für andere den Wald in seinen ganzen Facetten erhalten zu dürfen.“ 21:35 Uhr. Wir warten immer noch. Kein Wild tritt auf die Lichtung. Der Hintern schmerzt. Es ist dunkel im Wald. Wir packen zusammen. „Glück auf!“

 

Rüdiger Jope ist Chef-Redakteur des Männermagazins MOVO.