Das „alte Spiel“ durchbrechen

Miteinander reden am Arbeitsplatz oder im privaten Umfeld ist keine einfache Disziplin. René Meier zeigt mit dem „EIGER-Modell“, wie Gespräche gelingen können.

Sitzt man als Pfarrer und Moderator so vielen schwierigen Menschen gegenüber, dass man zum Spezialisten für schwierige Gespräche wird?
Man hat nicht primär mit schwierigen Menschen zu tun, sondern mit Spannungen. Das beginnt im persönlichen, familiären Umfeld: Sehen Sie, dort draußen steht ein mächtiger Baum – im Garten unseres Nachbarn. Dieser Baum wirft viel Schatten auf unser Grundstück. Wie spreche ich dieses Problem an, ohne die sonst gute Beziehung zu gefährden?

Warum werden manchmal banale Ereignisse im Alltag zum Auslöser von schwierigen Gesprächssituationen?
Es sind weniger die eigentlichen Sachprobleme, die zu Spannungen führen. Es hat in erster Linie mit uns selber zu tun. In Sekundenschnelle deute ich das, was der andere sagt. Und diese Interpretation ist oft ein fertiger Mist! An dieser Stelle entgleisen viele Gespräche und Situationen.

Haben Sie ein Beispiel?
Der Comic-Held Charlie sieht, wie zwei Mädchen plaudern. Den Inhalt ihres Gesprächs kennt er nicht. Er vermutet aber, dass sie Negatives über ihn reden. Er interpretiert, was er sieht, und schon bekommt er schlechte Laune. So oder ähnlich geschieht es im Alltag häufig. Viele Situationen könnten entspannt werden, wenn wir unserem Gegenüber Empathie entgegenbringen und Fragen stellen würden.

Sie zitieren den Seelsorger Ernst Gassmann, der sagt, dass es weder Eheprobleme noch Probleme am Arbeitsplatz gebe, sondern nur persönliche Probleme. Heißt das, ich selber bin in allen schwierigen Gesprächssituationen „das Problem“?
Mein Beitrag in schwierigen Situationen liegt bei 50 Prozent, aber für diese 50 Prozent trage ich 100 Prozent Verantwortung. Ich habe die Freiheit, anders zu reagieren, als ich es impulsiv tun würde. Nur mit Nachfragen treffe ich auf die verborgenen Gefühle, Beweggründe, Wünsche und Ängste des Gegenübers. Gelingt es mir, mich auf den anderen einzulassen, dann zeigt es sich unter Umständen, dass ich mich getäuscht oder einen Faktor nicht bedacht habe.

Wie kann ich alte Muster überwinden, die mich im Miteinander immer wieder zum Stolpern bringen?
Grundsätzlich ist das eine lebenslange Aufgabe. Oft nehmen wir die Muster nicht wahr, sie tarnen sich und sind so sehr verflochten mit unserer Persönlichkeit. Konflikte tragen die Chance in sich, dass wir die Signale erkennen, die uns unsere „Grundmuster“ senden. Letztlich geht es darum, ungesunde innere Antreiber und Festlegungssätze zu überwinden.

Sie haben als Leitfaden für die Kommunikation das „EIGER-Modell“ entwickelt.
„EIGER“ steht für: Ereignis, Interpretation, Gefühle, Empathie, Reaktion. Die ersten drei Schritte durchlaufen wir oft rasend schnell. Beim Punkt Empathie können wir innehalten, eine Pause machen, Luft holen. So verhindern wir, dass wir uns mit unserer Reaktion in eine unglückliche Situation manövrieren. Wir müssen das „alte Spiel“ durchbrechen und können lernen, nicht mehr fahrplanmäßig ungeschickt zu reagieren. Aber Achtung: Prägungen sind hartnäckig!

Sie zitieren in Ihrem Buch Seminarteilnehmer, die fragen: „Muss ich denn wirklich jedes Wort in Zuckerwatte einpacken?“
Kommunikation ist wirklich anstrengend. Und ehrlich gesagt: Sie macht nicht immer Spaß. Aber zu Ihrer Frage: Nein, man muss nicht alles in Zuckerwatte einpacken. Manchmal müssen wir Klartext reden. Problematisch ist, dass solche Ansagen häufig heftig und als Beschimpfung daherkommen. So kann ein Gespräch schnell eskalieren. Andererseits kann es lieblos und unsozial sein, Konflikte im Miteinander überhaupt nicht anzusprechen.

Gerade Vorgesetzte kommen nicht drum herum, auch schwierige Dinge anzusprechen. Wie soll man dabei vorgehen?
Nehmen wir das Beispiel, dass jemand seine Aufgaben immer wieder unzuverlässig erledigt. Diese Tatsache muss beim Namen genannt werden. Im Buch spreche ich von „ska“, was „schnell, klar, angemessen“ bedeutet. Schnell: nicht auf die lange Bank schieben. Klar: Fakten ohne Umschweife auf den Tisch legen. Angemessen: der Situation und der Person Rechnung tragen. Wir tendieren manchmal dazu, unsere schwierigen Umstände zu beklagen, anstatt entsprechend zu reagieren.

Haben schwierige Gespräche auch positive Aspekte?
Unbedingt! Konflikte enthalten das Samenkorn für etwas Neues, etwas Besseres. Sie bieten auch die Chance, gemeinsam kreative Lösungen für Probleme zu finden. Und zum anderen bieten sie mir persönlich die Möglichkeit, zu wachsen, zu reifen und tragfähiger zu werden. Ich glaube, das ist Gottes Idee, dass wir uns dank Schwierigkeiten weiterentwickeln.

Helena Gysin ist freischaffende Autorin. Sie lebt in der Schweiz, ist verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.

René Meier (1957) ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Er moderierte im Schweizer Fernsehen 11 Jahre lang die Sendung „Fenster zum Sonntag“. Im Rahmen seiner Firma „redens-art“ hält er Seminare und Referate. Er schult und berät Unternehmen, soziale Institutionen und Kirchen in Kommunikation und sozialer Kompetenz. René Meier ist zudem in einer Teilzeitstelle als Pfarrer einer Freikirche in Lyss (Schweiz) aktiv. Seine Hobbys sind Lesen, Reisen und Bewegen in der Natur. www.redens-art.ch