Fake News entzaubern

SERIE: POLITIKBETRIEB VON INNEN

Prüfet alles – und das Wahre behaltet.

In den vergangenen zwei, drei Jahren habe ich einige neue Wörter gelernt: Zuerst „Lügenpresse“, das später zur „Lückenpresse“ mutierte, dann „Fake News“, das es 2017 sogar als offizielle Vokabel in die 27. Auflage des Duden schaffte, und irgendwann kam dann noch der Begriff „alternative Fakten“ dazu. Sie alle könnten einer Familie entstammen, denn sie beschreiben das gleiche Phänomen: Sie stellen infrage, was uns als (vermeintliche) Wahrheit präsentiert wird.

UNSERE WELT IST KOMPLIZIERTER GEWORDEN
Wie kommt das? Nicht nur die Zahl der Informationen steigt immer weiter an, sondern auch die Möglichkeiten, eben diese zu manipulieren, werden mehr. Wir wissen einfach nicht mehr, was wir wirklich glauben können. Zu viel strömt tagtäglich auf uns ein – und die Welt ist komplizierter geworden. Wer kann die Eurokrise wirklich erklären? Wer durchschaut die tatsächlichen Zusammenhänge der Globalisierung? Das sind nur zwei von unzähligen Fragen, die kaum zu verstehen, geschweige denn – einfach – zu beantworten sind. Entsprechend wird der Ruf nach denen laut, die dennoch einfache Antworten formulieren und schnelle Lösungen versprechen. Das ist verständlich, aber es ist ein Trugschluss. Denn für komplizierte Probleme gibt es keine simplen Lösungen. Da ist schon jetzt das böse Erwachen vorprogrammiert.
Doch weil wir überfordert sind, laufen wir Gefahr, tatsächlichen Rattenfängern auf den Leim zu gehen. Denn darauf zielen die Fake News ja ab: Sie fälschen Bilder oder erfinden Nachrichten und speisen diese dann in die sozialen Netzwerke ein. Je abstruser die Fälschung, desto wahrscheinlicher ist die virale Verbreitung. Das erzeugt Aufmerksamkeit und hinterlässt unbewusste Spuren. Wir wissen: Wenn man jemanden nur mit genügend Dreck bewirft, bleibt immer etwas hängen.
Ein Beispiel: „Es ist ein düsterer Ort, an dem selbst die Kinder nichts mehr zu lachen haben. Alles ist strengen Regeln der politischen Korrektheit unterworfen, bis hin zur Errichtung von Schneemännern. Wer einen weißen Schneemann baut, muss auch einen in gelb und schwarz danebensetzen. Verstöße werden als Rassismus verfolgt und mit einer Strafe in Höhe von 5.000 Euro belegt.“ Diese Meldung über ein angebliches Dorf in Deutschland hat sich tausendfach im Netz verbreitet. Der Schweizer Tagesanzeiger hat recherchiert und herausgefunden: Die Nachricht ist komplett erfunden und wurde von sogenannten Trollen aus Russland gezielt ins Internet eingespeist, um das Thema Rassismus zu diskreditieren und so den „politisch korrekten Gutmenschen“ übel mitzuspielen. Hier versuchen undemokratische Kräfte, diese Fake News brutal für ihre eigenen Machtinteressen auszunutzen.

MANIPULATIONEN GEHÖREN ZUM TAGESGESCHÄFT
Wir leben in einer Zeit, in der insbesondere über soziale Medien massiv manipuliert wird. Für Christen muss gelten: Wir dürfen nicht alles glauben, was uns vorgesetzt wird. Die Wahrheit muss zu ihrem Recht kommen. Dafür muss ich aber überhaupt erst einmal wissen, was wahr ist. Und das herauszufinden, ist anstrengend, denn es bedeutet: Prüfen, prüfen und noch mal prüfen. Das wusste schon Paulus, als er schrieb: „Prüfet alles und das Gute behaltet“ (1. Thessalonicher 5, 21). Erst danach sollten wir uns eine Meinung bilden. Und wiederum danach Informationen weitergeben oder bei Facebook teilen.
Eine hervorragende Möglichkeit, Nachrichten zu überprüfen, bietet die Seite Quellencheck.de. Der Christ und Journalist Michael Voß hat diese Seite erstellt. Auf einem Prüfpfad führt er den Nutzer Schritt für Schritt dazu, den Wahrheitsgehalt einer Nachricht herauszufinden. Auch Beispiele von Fake News oder weit verbreiteten Behauptungen finden sich auf der Seite. Da ist manches Aha-Erlebnis garantiert. Gerade in unserer Zeit sind aber nicht nur technische Hilfsmittel wie Quellencheck.de gefragt. Noch viel mehr brauchen wir Persönlichkeiten. Integre, aufrichtige Menschen. Als Journalisten, als Politiker und als Bürger. Je uneindeutiger die Informationslage, desto wichtiger ist es, dass es Menschen gibt, die sich an der Wahrheit orientieren. Menschen, die ihr Leben auf ein solides Wertegerüst stellen, und die den Mut aufbringen, Fehler auch einzuräumen, sollten sie selbst einmal Fake News aufgesessen sein.
Eine faszinierende Beobachtung aus dem politischen Raum: Obwohl nur jeder Vierte eine hohe Meinung von „den“ Politikern hat, gibt eine große Mehrheit an, dass sie die ihnen persönlich bekannten Abgeordneten sehr wohl schätzt. Man sieht: Durch eine integre Persönlichkeit und durch direkte Kontakte ändert sich die Wahrnehmung. In der Präambel des Grundgesetzes heißt es: „In Verantwortung vor Gott und Menschen.“

MACH DEN UNTERSCHIED
Das gilt allen Bürgern, nicht nur den Politikern. Wer Verantwortung übernimmt, ist der Wahrheit verpflichtet. Und damit lässt sich die Wahrnehmung verändern. Die Amerikaner nennen das „to make a difference“ – ein Einzelner kann einen Unterschied machen. Niemand muss auf Fake News hereinfallen. Und eine „alternative Wahrheit“ kann es nicht geben. Aber Alternativen zum derzeitigen Klima sehr wohl. Ein wahrhaftiger Lebensstil und ein respektvoller Umgang miteinander sind die besten Alternativen. True News und Real Life sind dann vielleicht die Begriffe von morgen.

Uwe Heimowski (53) ist ehrenamtlicher Stadtrat in Gera. Er ist verheiratet mit Christine und Vater von fünf Kindern. Er vertritt die Deutsche Evangelische Allianz als deren Beauftragter beim Deutschen Bundestag in Berlin.

Krank werden immer die anderen

Warum Männer zur Vorsorge gehen sollten.

Ich war noch nie richtig krank. Ich fühle mich wohl und kann es auch am Berg richtig krachen lassen. Trotz beruflichem und privatem Stress habe ich keine Probleme. Seit über 20 Jahren Nichtraucher, kein extremer Alkoholkonsument, und beim Essen wird in der Familie auf Ausgewogenheit geachtet. Mein psychisches Gleichgewicht hole ich mir bei gelegentlichen Anglerausflügen. Ich bin eigentlich unkaputtbar. Doch irgendwann habe ich meiner Frau versprochen, sogar regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen.

VERSPROCHEN IST VERSPROCHEN
Meine Krankenkasse empfiehlt den über 50-Jährigen eine regelmäßige Krebsvorsorge. Aber ehrlich, krank werden doch immer nur die anderen. Oder? Krank werden doch die, die sich schlecht ernähren, die Raucher und notorischen Fett-Esser. Aber ich? Ich doch nicht!
Aber ich habe es meiner Frau eben versprochen. Im Freundeskreis konnte kaum einer verstehen, dass ich zur Krebsvorsorge gehe. Im Angelverein waren die Scherze darüber etwas derber als in meiner Gemeinde. Aber die Männer in meinem Umfeld waren einhellig der Meinung, dass ein Arzt, wenn er etwas finden will, auch etwas finden wird. Oder, so andere Argumente gegen eine Vorsorge: Beim Doktor kommst du kränker raus als rein. Auch mein Glaube wurde angezweifelt, so sagte ein Bruder im Herrn zu mir: „Wenn Gott will, dass ich an Krebs sterbe, hilft die Vorsorge auch nicht.“
So gehe ich seit meinem 45. Lebensjahr jährlich zum Doktor und lasse mich untersuchen. Fast schon gewohnt höre ich die erlösenden Worte: „Alles in Ordnung, Herr Kuhn“, und dann sehe ich den Arzt wieder ein Jahr nicht mehr. Dabei wird man nachlässig. Die letzten zwei Jahre ließ ich deswegen die Vorsorge – trotz gut gemeinter Erinnerung meines Hausarztes – ausfallen. Warum auch, es war ja noch nie was. Warum sollte gerade jetzt etwas sein?
Vor meinem 60. Geburtstag dachte ich mit schlechtem Gewissen an meinen Arzt und ließ mir einen Termin geben. Neben einem Hautscreening (Untersuchung auf Hautkrebs), dem obligatorischen Blut-, Urin- und Stuhltest (muss man vorher abgeben) und einer Befragung gibt es da die Prostata-Untersuchung. Keine Frage, das ist unangenehm. Aber Krebs an dieser Stelle hat oft auch die Einstellung jeglicher sexueller Aktivität zur Folge – und das muss ja dann wirklich nicht sein. Nach Beendigung der Untersuchungen wartete ich auf die gewohnten Worte: „Alles in Ordnung, Herr Kuhn“ – aber diesmal hörte ich sie nicht. Stattdessen sagte mein Hausarzt: „Da ist eine kleine Unregelmäßigkeit in den Stuhlproben. Das ist wahrscheinlich ganz harmlos – aber Sie sollten danach schauen lassen. Ich überweise Sie zu einem Internisten wegen einer Darmspiegelung.“ Darmspiegelung – allein schon das Wort treibt jedem normalen Mann den Angstschweiß auf die Stirn. Die Vorstellung, dass eine Kamera Livebilder aus dem Innersten des Körpers sendet, verursacht Albträume. Auf meine Frage, ob das wirklich sein müsse, sagte mein Arzt: „Ich kann Sie nicht zwingen, aber wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich einen Termin so schnell wie möglich ausmachen.“ So ließ ich mir einen Termin geben. Auf die Frage, ob es dringend sei, verneinte ich natürlich – die Sprechstundenhilfe am Telefon blieb hartnäckig und fasste nach, aus welchem Grund ich denn den Termin ausmachen würde. Nun, die Vorsorgeuntersuchung hätte da etwas bemerkt, und schon hatte ich innerhalb einer Woche ein Vorgespräch mit dem Internisten.

„IST ALLES IN ORDNUNG?“
Mit zwei Päckchen durfte ich die Praxis verlassen, und mit einem weiteren Termin. Zwei Tage vor der Untersuchung musste ich abführen. Man trinkt eine angerührte Flüssigkeit, die Sie innerhalb weniger Minuten „entleert“. Auf der Packung steht der Warnhinweis, dieses Mittel in unmittelbarer Nähe zu einer Toilette einzunehmen. Ein guter Rat. Die Darmspiegelung selbst ist praktisch harmlos, wenn man dem Internisten bei der Vorbesprechung ehrlich sagt, dass man ein Angsthase ist. Man bekommt dann ein Mittel verabreicht, mit dem man von der eigentlichen Untersuchung eigentlich nichts mitbekommt. Also schmerzfrei und absolut wahrnehmungsfrei. Kurz nach dem Aufwachen fragte ich die freundliche Sprechstundenhilfe: „Ist alles in Ordnung?“ Und die Antwort verwunderte mich: „Das sagt Ihnen der Herr Doktor persönlich.“
Es war ein Tumor. Drei Zentimeter groß versperrte er schon zu zwei Dritteln meinen Dickdarm kurz nach dem Ende des Dünndarms. Ich konnte es nicht fassen. Krebs? Nein, beruhigte mich der Mediziner, er denke, noch nicht, aber ein Tumor, der schnell zum Krebs werden könne. Das Ding muss so schnell wie möglich raus – nein, er würde nicht warten, machen Sie gleich einen Termin mit der Klinik aus – und gab mir die entsprechenden Kontaktdaten der inneren Abteilung unseres Kreiskrankenhauses. Keine Sorge, ein kleiner Schnitt, und Sie sind wieder der Alte. Ja, das Teil wurde entfernt. Kleiner Schnitt? Wie man es nimmt, es waren fünf Schnitte, einer davon 12 Zentimeter. Nach zwei Tagen kam dann der Befund: Alles okay, kein Krebsgewebe gefunden, eine Chemotherapie ist nicht notwendig. Aber es war tatsächlich 5 vor 12; auf der Skala 1-5 (5 heißt bösartig, mit Streugefahr) war ich schon auf 4.

GLÜCK GEHABT – ODER BEWAHRUNG
Was wäre passiert, fragte ich den behandelnden Arzt im Krankenhaus, wenn ich nicht zur Vorsorge gegangen wäre? Tja, meinte er, so wären leider die meisten Patienten. Darmkrebs kann sehr aggressiv sein und oft ist die Lebenserwartung dadurch deutlich eingeschränkt. Er streut schnell, das heißt, er bildet Tochtergeschwüre im ganzen Körper. Sogesehen habe ich Glück gehabt – oder Bewahrung. Deshalb: Männer, geht zur Krebsvorsorge. Darmkrebs ist eine schlimme Krankheit – die einzige Möglichkeit, sie zu überleben, ist eine frühzeitige Erkennung. Es gibt keinen Grund, nicht zur Vorsorge zu gehen. Tut es für eure Frauen, eure Kinder und Enkel – und für euch selbst. Ohne diese Vorsorgeuntersuchung hätte ich jetzt vielleicht einen künstlichen Darmausgang und wäre in zwei bis fünf Jahren tot. Und das muss dann doch wirklich nicht sein.
PS: War vor ein paar Wochen bei der Nachuntersuchung. Wieder mit Innenvideo. Diesmal sagte mir die Assistentin gleich nach dem Aufwachen: „Alles okay, Herr Kuhn!“ Halleluja! Gott sei Dank!

Winfried Kuhn wohnt mit seinen beiden erwachsenen Kindern und seiner Frau Cordula in Albershausen. Er arbeitet als Geschäftsführer im Verlag Katholisches Bibelwerk und ist Vorsitzender der Rumänienhilfe der Brandstifter. www.brandstifter.de

Nicht mehr gefragt

Von der 80-Stunden-Woche in die Arbeitslosigkeit

Klaus Jost war bis 2014 Vorstand bei Intersport. Dann kam der Rauswurf. Im neuen Buch „Jost läuft“ lässt der leidenschaftliche Sportler und gläubige Christ tief blicken. Ein Gespräch über einen vollen Berufsalltag und überfordernde Stille.

Herr Jost, als junger Mann waren Sie Leistungssportler. Wie sportlich aktiv sind Sie aktuell?
Die Begeisterung nimmt im Alter zu, nur die Leistung nimmt ab. Früher war ich in fast allen Schlag- und Ballsportarten unterwegs. Jetzt, mit über 50 Jahren, geht Fußballspielen nur noch mit viel Aua. Aber Laufen geht immer und überall, deshalb mach ich’s fast jeden Tag. Das macht den Kopf frei, hilft dem Herz-Kreislauf und baut Stress ab.

Ist keine Überwindung mehr nötig beim Loslaufen?
Durchgetaktet zu sein, kenne ich vom Beruf. Da habe ich mir meinen Wecker auf 5 Uhr gestellt, um vor der Arbeit eine Stunde laufen zu können. Wenn der Wecker so früh klingelt, macht das erst mal gar keinen Spaß. Doch der Körper kommt mit 5, 6 Stunden Schlaf ganz gut zurecht. Wenn ich unterwegs bin, merke ich, dass mir diese Stunde so viel zurückgibt. Die Leute, die möglichst spät aufstehen, schnell einen Kaffee trinken und dann ins Meeting kommen, sind verpennt und nicht leistungsfähig.

Kann man die Arbeit auch zu ernst nehmen?
Sie nimmt die meiste Zeit des Lebens in Anspruch. Deswegen darf sie einen hohen Stellenwert haben. Ich habe hier gute Prinzipien fürs Leben erlernt. Auch wenn ich in der Gemeinde sonntagmorgens die Kinderstunde halte, ist es gut, rechtzeitig aufzustehen und alles noch mal durchzugehen. Seit ich 16 bin, arbeite ich, und ich hoffe, dass es auch noch mit 70 so ist.

Waren Sie von Anfang an leistungs- und führungsstark?
Schon im Kindergarten und später in meiner kaufmännischen Ausbildung bin ich gerne vorangegangen. Auch in meiner Familie habe ich früh Verantwortung übernehmen müssen. Mit 21 Jahren hatte ich mein erstes Geschäft. Ich habe mich immer angestrengt, wollte es immer schaffen statt aufzugeben. Um im Beruf langfristig Erfolg zu haben, musst du immer Leistung bringen. Auch dann, wenn’s mal keinen Spaß macht. Klar gibt’s Situationen, in denen man sich nicht gut fühlt. Dennoch bleibt die Entscheidung: Hängen lassen oder sein Bestes geben.

Und Sie haben einfach immer Ihr Bestes gegeben?
Zum Glück sind Menschen auf mich aufmerksam geworden, haben mich angefragt. Das ist ein Geschenk. Gewisse Funktionen kann man ja nicht erzwingen.

Was waren Meilensteine?
Bei Adidas war ich Manager für die französische Marke „Le Coq Sportif“ – und zwar mit Haut und Haaren. Weil ich offensichtlich einen guten Job gemacht habe, hat mich 1993 der heute weltweit größte Schuh-Verbund für eine Tochter- Gesellschaft als Geschäftsführer geholt. Da war ich 31 Jahre alt. Wenn man in gewissen Kreisen ist, läuft das so. Ich habe mich nie beworben. Ich wurde geholt. Diesen Verband haben wir dann mit einem französischen Verband fusioniert und dadurch wichtige Markenrechte erworben. Es entstand die „Sport 2000 International“. Ein zuvor kleines deutsches Verbands-Unternehmen mit 15 Mitarbeitern expandierte nun international.

Wurde Intersport so auf Sie aufmerksam?
Unsere damalige Zentrale in Bern lag ganz in der Nähe der Intersport-Zentrale. Dank tollem Team und starken Partnern wurde „Sport 2000“ so groß, dass es Intersport gefährlich wurde. Daraufhin bot mir der Intersport-Aufsichtsrat einen Vorstandsposten an. Ich war 40 Jahre alt und es war keine leichte Entscheidung. Das ist so, als würde man von Borussia Dortmund zu den Bayern wechseln und das als Trainer und Präsident gleichzeitig. Doch nach einer Phase des Überlegens nahm ich die Funktion als deutscher Vorstand für den Bereich Sortiment/Marketing/Vertrieb an. Dadurch wurde ich zunächst weltweiter Vize-Chef, später mehrmals zum Präsidenten des Verwaltungsrats gewählt, auch noch im September 2014 – einen Monat vor meinem Rausschmiss.

Was sind Erinnerungen aus dieser Zeit, an die Sie gerne zurückdenken?
Zum Beispiel die Gespräche mit Sportlergrößen wie Maria Höfl-Riesch, Boris Becker oder Fabian Hambüchen, in die ich mich als Ex-Leistungssportler gut einfühlen konnte, weil ich wusste, wie es ist, sich auf ein Event hinzuquälen.

Es gab keinen Grund für Ihre Entlassung. Das Ganze lief im Rahmen einer Umorganisation des Verbunds. Wie frustrierend war das?
Es waren bittere vier Wochen zwischen Mitteilung und Vollzug. Ich fühlte mich ungerecht behandelt und konnte nichts dagegen tun. Es war wie in einem riesigen Sicherungskasten: Nach und nach wurden alle Verbindungen gekappt, alle meine Beirats-, Aufsichtsrats- und Vorstandsposten fielen weg. Ich musste Firmen- Handy und Laptop abgeben. Wenn ich dann in der Zeitung etwas von Kongressen und Events las, die ich vorher routinemäßig besucht hatte, musste ich realisieren, dass ich dazu keinen Zutritt mehr hatte. Ich war nicht mehr gefragt, nicht länger VIP mit Zugang zur Lounge. Ich fühlte mich komplett verloren, schlief schlecht, machte mir viele Gedanken. Statt Meetings zu leiten und Verhandlungen zu führen, hatte ich plötzlich ohne Ende Zeit zum Rasenmähen. Die Stille war nicht angenehm. Ich konnte nicht einfach auf eine Insel fahren und mir ein Buch und Caipirinha mitnehmen.

Welche Konsequenzen hatte Ihr Arbeitspensum zuvor für Ihre Familie?
Wir mussten uns als Familie keine Gedanken machen, ob wir uns den Urlaub leisten können. Nur darüber, ob ich die Zeit dafür finde. Oft habe ich meine Familie alleine in den Urlaub geschickt. Meine Frau hat vor fünf Jahren aber einen sehr schweren Schlaganfall erlitten. Prognose: Für immer Rollstuhl. Dann kam noch eine Krebs-Erkrankung dazu. Als ich entlassen wurde, war sie gerade mitten in der Chemo-Therapie und brauchte – wie ich – viel Trost. Ich kam an meine Grenzen. Doch wir haben einander viel Halt gegeben.

Heute werden Sie zu Veranstaltungen eingeladen, um Tipps für schwere Lebensphasen zu geben. Ist das auch ein Auftrag Ihres Buchs?
Ja, ich will den Lesern mitgeben: Du darfst trauern, du darfst wütend sein, du darfst Gott auch anschreien: „Warum? Was soll das alles?“ Aber da solltest du nicht stehen bleiben. Für mich ist es auch ein Prozess gewesen, dem zu vergeben, der für meine Entlassung verantwortlich war.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Tobias Hambuch.

 

WEITERLESEN: In „Jost läuft“ (SCM Hänssler) fördert der Journalist Daniel Schneider Details aus dem Leben des Ex-Vorstandschefs ans Tageslicht. Er springt immer wieder zwischen Josts herausragendem Erfolg und seinem Umgang mit dem Tiefschlag seines Lebens hin und her.

Die Gretchenfrage

SERIE: POLITIKBETRIEB VON INNEN

Christen wählen Christus – wo Politik an ihre Grenzen stößt

Manchmal ist der Zeitpunkt, um eine politische Kolumne in einer Quartalszeitschrift zu schreiben, etwas unglücklich. Wenn diese Ausgabe der MOVO erscheint, ist die Bundestagswahl 2017 Geschichte. Martin Schulz geht mit der SPD in die Opposition. Angela Merkel befindet sich in Koalitionsverhandlungen. Wer regiert mit wem? Welche Inhalte werden vereinbart werden? Welche Auswirkungen könnte das auf die Zukunft Deutschlands haben? Da gäbe es manches Spannende zu kommentieren. Nun denn, das ist immerhin eine Gelegenheit, einige grundsätzliche Gedanken zum Thema „Christ und Politik“ zu formulieren, die mir seit Monaten durch den Kopf gehen.

WIE HAST DU’S?
Eine Anleihe dafür möchte ich bei Goethe und seiner „Gretchenfrage“ nehmen. Was würde Gretchen heute fragen? „Nun sag, wie hast du’s mit …“ Der CDU? Der SPD? Den Bündnisgrünen? Der Linken? Der FDP? Der AfD? Wie hast du’s mit der inneren Sicherheit? Mit der Flüchtlingspolitik? Dem Islam? Mit der Familienpolitik? Mit der Ehe für alle? Mit dem Klimawandel? Mit sozialer Gerechtigkeit? Mit Vollbeschäftigung? Mit Elektromobilität? Mit der Bildung? Mit Donald Trump? Mit Erdogan? Dem Euro?
Gretchens tatsächliche Frage heißt: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Und manchmal bekommt man das Gefühl, dass die Antwort auf politische Fragen heute quasireligiös daherkommt. Christen sprechen einander den Glauben ab, wenn sie zu unterschiedlichen politischen Einschätzungen kommen. Theologisch gesprochen: Christen bemühen den „status confessionis“, den Bekenntnisstand, um sich voneinander abzugrenzen. Doch ab wann ist eine politische Frage tatsächlich eine Frage des Bekenntnisses? Werfen wir einen Blick in die Geschichte. Die Barmer Theologische Erklärung, verfasst 1934 unter Federführung von Karl Barth als Antwort auf die von den Nazis gleichgeschalteten „Deutschen Christen“, wurde zur Grundlage der „Bekennenden Kirche“. Darin heißt es: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“
Und weiter: „Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte. Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“
Man höre besonders den ersten und letzten hier zitierten Satz: Jesus Christus ist das „eine Wort Gottes“, keine andere Quelle wird als „Gottes Offenbarung“ anerkannt, und die Botschaft der Kirche habe unabhängig zu sein vom „Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen“.

POLITISCHE POSITIONEN SIND NICHT GLEICH GEISTLICHE BEKENNTNISSE
Wenn Gretchen also heute fragen müsste, um herauszufinden, wie es um den Glauben – nicht nur – des Dr. Faustus bestellt ist, dann würde sie das hoffentlich nicht auf Personen oder Parteien oder unterschiedliche Meinungen beziehen. Denn diese Themen sind allesamt politischer Natur, nicht geistlicher. Und Christen tun nicht nur in Wahlkampfzeiten gut daran, das nicht zu vergessen. Christ bin ich wegen Christus. Er hat mich angenommen, ich habe Ja zu ihm gesagt. Christen wählen Christus. Das, und nur das, ist die Basis unseres Glaubens. Nicht das Sakramentsverständnis, nicht unsere Dogmatik, ja nicht einmal unsere Ethik. Und schon gar nicht unsere politische Meinung.
Parteien vertreten Positionen. Manche davon überzeugen mich, andere tun es nicht – überzeugen aber einen anderen. Darüber kann man diskutieren und streiten, und das ist gut so, denn es ist das Wesen einer Demokratie. Aber Bekenntnisfragen sind es solange nicht, wie sie uns nicht zwingen, unseren Glauben zu verleugnen oder gegen unseren Glauben zu handeln oder einen quasi göttlichen Anspruch eines Herrschers zu dulden. Christen sollten Position beziehen. Auch politisch. Und wann immer sie Gottes Gebote verletzt sehen oder menschenfeindlich gehandelt wird, werden sie – hoffentlich – deutlich widersprechen. Wer allerdings anderen den Glauben abspricht, weil sie politisch anders ticken als er selbst, der hat weder das Wesen der Politik in einer Demokratie noch das der Religion verstanden. In diesem Sinne: Bleiben wir politisch aktiv offen für die Argumente der anderen und – jenseits der politischen Überzeugung – unseres Glaubens gewiss.

PS: Drei Tage vor Drucklegung ließ die FDP die Koalitionsverhandlungen platzen.

 

Uwe Heimowski (53) ist ehrenamtlicher Stadtrat in Gera. Er vertritt die Deutsche Evangelische Allianz als deren Beauftragter beim Deutschen Bundestag in Berlin.

Willkommen in deinem Leben!

Wie ein Bergwerk Männerherzen in Bewegung bringt

Es hatte etwas von Henkersmahlzeit und Abschied, als die 180 Männer ihre letzten Instruktionen und Ausrüstungsgegenstände erhielten. Sie standen Anfang November spätabends auf einer Wiese, von Fackeln beleuchtet, geografisch irgendwo zwischen dem Vogtland und dem Erzgebirge, nicht wissend, was sie die nächsten drei Tage erwartet. Schnell wurden die Essenspakete, Kocher und GPS-Geräte den zehn Mann starken Teams zugeteilt. Dann hieß es „Rucksack auf und los“! Alles musste schnell passieren, denn nun sollte das Abenteuer endlich losgehen – das „Charakterwochenende Sachsen 2017 ‚Der 4te Musketier‘“.

ANKOMMEN BEI SICH SELBST
Der Tross setzt sich in Bewegung, Teilnehmer wie Mitarbeiter. Ich sehe die Männer auf dem Marsch in die Dunkelheit des Waldes und lausche ihren Stimmen. Ihre Aufregung entlädt sich in dem Versuch, die zentralen Fragen dieses ersten Abends zu klären: Wie lange werden wir jetzt wohl wandern? Hoffentlich hält die nächsten drei Tage die Funktionsunterhose ihr Versprechen! Und immer wieder: Wer hat den Größten? – Rucksack natürlich. Männer eben! Nach der Hälfte der Strecke dann ein Gebot: „Ab jetzt Ruhe, Männer!“ Einkehr in die Stille. Ankommen bei sich selbst. Kilometerlang kein Wort. Nur noch Atmen, Nachdenken, Schritte und das kratzende Stöckeln einiger Trekkingstöcke. Die Begegnung mit Gott hat begonnen. Ziel des Abends: ein stillgelegtes Bergwerk. Alle gehen rein – in dunkle, teils niedrige und feuchtkalte Gänge. Die Enge wirkt bedrückend. „Willkommen in deinem Leben“, erschallt die Stimme eines Sprechers. Ich fühle mich ertappt. Denn mein Leben verbirgt sich manchmal auch unter der Oberfläche, ist dunkel, muffig, eng und gleicht einem Versteck. Will ich so weitermachen? Mich beschäftigt auf dem Weg nach draußen der Gedanke, Gott Klartext reden zu lassen, und ich meine, ihn auch in den Gesichtern vieler anderer Männer erkennen zu können. Der Ausstieg ähnelt jetzt einem Aufbruch, raus aus der stickigen Enge in die offene Frische des Waldes. Ein Chor von Männerstimmen erklingt. Der Gesang durchbricht die Stille und führt Herzen in die Weite.

GOTTES GNADE ERFAHREN
Am nächsten Morgen sind es Dudelsackklänge, die die Männer aus ihren Zelten locken. Anschließend geht’s auf die viele Kilometer lange Route. Die Gesprächsinhalte verändern sich. Auch weil während der langen Wanderung durch traumhaft herbstliche Wälder und entlang stiller Seen weitere kurze Inputs über Gott, Jesus und das Mannsein dies intensivieren. In mir wird ein Prozess angestoßen, doch am meisten bewegt mich, wie in den nächsten Stunden Männer, Kerle „wie Baumstämme“, von der Liebe Gottes wahrhaft geschüttelt und überwältigt werden und echte Männertränen vergießen. Mir wird klar: Gottes Gnade kennt kein Maß!
Zeitsprung: Es ist Sonntagvormittag. Wieder eine Wiese. Auf ihr sehe ich 180 Männer, erschöpft, aber glücklich, von denen manche unterwegs am liebsten abgebrochen hätten, nicht nur, weil die Blasen an den Füßen nervten. Doch etwas Grandioses ist passiert: Sie haben den Wert eines aufrichtigen Lebens erkannt. Und jetzt feiern sie gemeinsam Gottesdienst. Laut und ehrlich. Und ich sehe Männer, für die das eigentliche Abenteuer erst jetzt richtig losgeht, weil sie ihren Frauen wieder liebevoll begegnen, für ihre Kinder verantwortungsvoll da sein oder den eigenen Vater in den Arm nehmen wollen.

 

Jörg Helmrich (52) ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und den vier gemeinsamen Kindern in Duisburg. Er arbeitet bei der Berufsfeuerwehr Duisburg seit 1994 als Feuerwehrmann und leitet dort die IT-Abteilung. Seit 2015 ist er ehrenamtlicher Mitarbeiter der Bewegung „Der 4te Musketier“.

 

Das nächste Charakterwochenende für Männer veranstaltet die Bewegung „Der 4te Musketier“ vom 26. bis 29. April 2018 in den schottischen Highlands. Mehr Infos: www.der4temusketier.de

Ein Hühnchen rupfen

Wie man Konflikte konstruktiv meistert

Konflikte an sich sind nicht schlecht. Sie sind weder im Beruf noch in der Familie, im Sportverein oder der Kirchengemeinde schändlich, wohl aber oft schädlich. Natürlich immer nur bis zu einem gewissen Grad. Wer zu Hause handgreiflich zum Schläger mutiert, hat definitiv einige Grenzen überschritten. Die Grenze zwischen dem, wo der Spaß wirklich aufhört, und dem, wo sich ruhig mal auseinandergesetzt werden darf, ist manchmal gar nicht so genau zu betiteln – das ist ein höchst persönliches Empfinden. Hauen und Stechen ist für viele im Berufsleben üblich. Nicht (!) in einen notwendigen Konflikt zu gehen, ist feige Konfliktvermeidung und kein Indiz für einen besonders reifen Umgang mit Aggressionen. Wie geht man aber nun konstruktiv mit Konflikten um?

VON HEISSEN UND KALTEN KONFLIKTEN
Zunächst ist es interessant, wer den „Konflikt“ überhaupt als solchen empfindet. Es gibt Menschen, die empfinden etwas als eine „Debatte“, vielleicht auch als „hitzige Auseinandersetzung“, aber noch nicht als Konflikt. Andere hingegen werden schon bei dem kleinsten Anzeichen von Disharmonie nervös und würden am liebsten weglaufen. Menschen reagieren sehr unterschiedlich darauf und bilden eine entsprechende „Kultur“ aus: Entweder sie ziehen sich beleidigt in ihr gekränktes Schneckenhaus zurück (kalter Konflikt) oder sie gehen wie Raubtiere aufeinander los (heißer Konflikt). Beide „Konflikttypen“ sind herausgefordert, in „sauberen“ Beziehungen zu leben. Wie kann das gehen?

KONFLIKTE ERHITZEN ODER ABKÜHLEN
Sind Konflikte kalt und haben sich auch die Beziehungen untereinander stark abgekühlt, müssen versierte Coaches von außen (man selbst kann das dann nicht mehr) den Konflikt erhitzen und beispielsweise ein Arbeitsteam zu ehrlichen Aussagen zwingen, welche die echten Ansichten klar zum Ausdruck bringen. Damit kann man dann arbeiten. Das, was totgeschwiegen oder verdrängt wurde, wird endlich ausgesprochen. Menschen und Organisationen werden krank, wenn sie Konflikte runterschlucken oder bagatellisieren. Sind Konflikte jedoch heiß, ist es notwendig, die erhitzten Gemüter versiert wieder zur Räson zu bringen und vielleicht auch mal „einzufrieren“. Später kann man sich dann wieder „rational“ und emotional an einen Tisch setzen – oder sein Bett teilen.

DEINE EINSTELLUNG SOLLTE OKAY SEIN
Unsere innere Einstellung entscheidet mit, wie wir uns tatsächlich verhalten: Feindselig oder friedlich. Wenn wir den anderen als Bedrohung empfinden (auch wenn das eine Fantasie sein kann), werden wir eher vorsichtig („Der andere könnte zubeißen!“) oder konfrontativ („Angriff ist die beste Verteidigung!“) agieren oder reagieren. Wenn wir den anderen erst mal ohne Vorurteil-Kopfkino betrachten, verhalten wir uns eher freundlich, neutral oder fürsorglich. Ist der andere wirklich okay? Finde ich mich selbst eigentlich okay? Die eigene Sicht auf sich kann hier schon Konflikte produzieren – wenn nicht äußerlich, dann innerlich: Betrachtet man sich selbst als „nicht okay“, empfindet man andere Menschen leichter als Bedrohung. Findet man sich selbst angemessen „okay“, gehen Menschen viel offener und selbstsicherer mit andersartigen Menschen um. Der Umgang mit anderen Menschen und wie wir sie empfinden, sagt im Grunde genommen mehr über uns selbst aus, als über den Menschen, den wir da bewerten und verurteilen.

DIE NEUN STUFEN BIS ZUM GEGENSEITIGEN K. O.
Der Konfliktforscher Friedrich Glasl hat Konflikte untersucht: zwischen Staaten, in Unternehmen, zwischen Gruppen und in Familien. Er hat neun Stufen identifiziert, wie Konflikte sich von der ersten Auseinandersetzung allmählich verhärten, schlimmer werden bis zum gemeinsamen Tod. Diese neun Stufen sind deshalb so interessant, weil man sehr genau verorten kann, wo die einzelnen Streithähne stehen. Wie man dann vom Konflikt aus in konstruktive Zusammenarbeit zurückfindet, wird kreative und sozialkompetente Aufgabe weiterer Konfliktarbeit sein. Die neun Stufen sind:

 

Win-Win

VERHÄRTUNG
Die Meinungen und Standpunkte verhärten sich, aber es haben sich noch keine starren Lager gebildet.
DEBATTE/POLEMIK
Es findet eine Polarisation im Denken, Fühlen und Handeln statt, ebenso langatmige Debatten und taktische Verhaltensweisen. Die Standpunkte verhärten sich zunehmend.
TATEN STATT WORTE
Keine Partei will nachgeben, beharrt auf den eigenen Standpunkt und erwartet, dass das Gegenüber die Meinung übernimmt.

 

Win-Lose

IMAGES UND KOALITIONEN
Der Gegner wird zum Feind und die „Lager“ spalten sich.
GESICHTSVERLUST
Der Gegner wird öffentlich bloßgestellt und diffamiert.
DROHSTRATEGIEN
Drohungen werden gegenseitig ausgesprochen, sogenannte „Stolperfallen“ gelegt.

 

Lose-Lose

BEGRENZTE VERNICHTUNGSSCHLÄGE
Der Gegner/Feind wird zur „Sache“ erklärt. Er ist kein Subjekt/Mensch mehr, sondern ein Objekt/eine Sache.
ZERSPLITTERUNG
Ziel ist es, den Gegner zu „vernichten“ und das feindliche System zu zerbrechen.
GEMEINSAM IN DEN ABGRUND
Vernichtung des Gegners um jeden Preis, auch wenn dies die Selbstvernichtung bedeutet.

 

DIE DREI GROSSEN TENDENZEN VON „WIN“ UND „LOSE“
Bei den neun Stufen gibt es noch drei übergeordnete Stufen, die das Verhältnis der Konfliktparteien zueinander kennzeichnen. „Win-win“ bedeutet hierbei, dass beide Konfliktparteien noch gewinnen können. Das bedeutet, jede Partei kann das bekommen, was sie fordert oder braucht. Einen Verlust muss in dieser Phase keine Partei hinnehmen. Anders in der nächsten Gruppe von „win-lose“: Hier gewinnt eine Partei, die andere verliert. Absolut deprimierend ist die letzte grobe Phase, wenn beide Parteien verlieren („lose-lose“). Hier sagen sich beide, dass sie der anderen Partei nichts gönnen und dann eben selbst auch auf den Gewinn verzichten. Hier muss schon sehr viel an Zerstörung passiert sein, um an diesen Punkt zu gelangen.

WEITERKOMMEN
Überleg dir, welchen Konflikt du angehen solltest. Mit wem hast du noch ein „Hühnchen zu rupfen“ – vielleicht auch mit dir selbst? Mit wem solltest du einen kalten Konflikt erhitzen, damit er sich klären kann? Was kannst du in heißen Konflikten dazu beitragen, selbst zum Friedensstifter zu werden? Wo deckst du unnötig und zu viel mit dem Deckmäntelchen der „Nächstenliebe“ zu und erstickst Ansätze der Klärung? Wo wirst du zum „Rambo“ und solltest mehr zu „Jesus“ werden?

 

Tobias Illig (43) arbeitet als Business Coach und Organisationsentwickler. Er ist verheiratet, Vater von vier Kindern und wohnt in Neustadt an der Weinstraße.
www.tobiasillig.com

 

TIPPS ZUM GESUNDEN KONFLIKTMANAGEMENT

Behalte die „Contenance“. Denk in okay, statt in k. o.

Manage deine Gefühle: Warum greift dich ein anderer Mensch so an? Wieso nervt dich der andere? Welche Werte verletzt dieser Mensch? Was macht dich dabei so aggressiv?

Wende dich dem anderen zu, nicht von ihm ab: körpersprachlich zuwenden, freundliche Worte verwenden, Brücken bauen, Kooperation statt Konkurrenzdenken etc. – auch, wenn das gegen deinen Willen geht. Schlage neue Wege ein. Du musst etwas anders machen, damit es besser wird.

Achte auf deinen Selbstwert. Wenn du dich „unterlegen“ fühlst, stimmt dein Selbstwert vielleicht noch nicht und du wirst leicht angreifbar – und reagierst unangemessen. Wenn du dich selbst abwertest, weil dein Gegenüber „besser“ scheint, hinterfrage deine Selbstachtung. Mit einem Minderwertigkeitskomplex wirst du entweder zum Duckmäuser und löst gar nichts – du bringst auch keine eigenen Standpunkte vor und kannst nicht du selbst werden –, oder du wirst zum Konfliktsucher, weil es dir „Macht“ verleiht, über andere zu bestimmen. Oder aber du fühlst dich dadurch besser, dass du andere dominieren kannst, und „brauchst“ diese Selbstbestätigung.

Besuche Konfliktseminare, lies Bücher oder schaue YouTube-Videos an und lerne „Gewaltfreie Kommunikation“. Dann wirst du zumindest für das Thema sensibilisiert. Ob du die Veränderung alleine hinbekommst, ist dann etwas anderes. Sei dir nicht zu fein, auch Hilfe von außen zu holen.

Hunger

Ein lauer Sommerabend unter Freunden in Berlin

Es war ein langer Tag. Markt der Möglichkeiten beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin. Rüdiger Jope hat einen Stand betreut, ich bin durch die Hallen geschlendert. Abends treffen wir uns in einer feinen Pizzeria in der Nähe des Brandenburger Tors. Ein Abend unter Freunden. Lecker essen, dazu bleifreies Weizen und viel zu erzählen. Plötzlich summt das Handy. Mein Freund und ehemaliger Chef schickt eine SMS: Frank Heinrich, Mitglied des Deutschen Bundestags. Er ist gerade in Berlin angekommen und hat etwas Zeit. Wir laden ihn ein, bald sitzen wir zu dritt in der Runde.

HIER PIZZA, DA LEERE TELLER
Frank ist vor wenigen Stunden aus dem Südsudan zurückgekehrt. Die frischen Eindrücke sprudeln aus ihm heraus. Als Obmann seiner Fraktion im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe war er auf Einladung des World Food Programme vor Ort, um sich ein Bild von der Lage der Menschen zu machen. In Ostafrika herrscht aktuell die schwerste humanitäre Krise, die das – nun wahrlich genug gebeutelte – Afrika seit vielen Jahren erleben muss.

2011 hat sich der Südsudan unabhängig gemacht. Seit 2013 herrscht Bürgerkrieg im Land. Die Hungersnot, die durch den Krieg und eine verheerende Dürre am Horn von Afrika entstanden ist, betrifft nach Schätzungen der UNO 5,5 Millionen Menschen – das ist in etwa die Hälfte der Bevölkerung. Die Welthungerhilfe beschreibt auf ihrer Webseite die katastrophalen Auswirkungen dieser anhaltenden Krise im Südsudan: „Über 3 Millionen Menschen haben ihr Zuhause verlassen, 1,9 Millionen sind Vertriebene im eigenen Land, 1,74 Millionen sind in Nachbarländer geflohen. Sie suchen Schutz in sichereren Gebieten oder in Flüchtlingscamps. Doch die Bedingungen dort sind schlecht, es fehlt an Zelten, Wasser und Hygiene. Die meisten der Flüchtlinge sind von Nahrungsmittellieferungen abhängig. Mehr als 5.000 Fälle von Cholera-Erkrankungen wurden seit Mitte 2016 erfasst, größtenteils in der Nilregion. 1,64 Milliarden US-Dollar sind laut UNHCR nötig, um 5,8 Millionen Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen.“

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein wichtiges Geberland für Ostafrika. Entwicklungsminister Gerd Müller besuchte die Region im April, Außenminister Sigmar Gabriel nahm ebenfalls im April an einer Geberkonferenz mit Vertretern der UN und der EU in Brüssel teil. Weitere Konferenzen zur Verknüpfung der Geber und zur Koordinierung der Hilfsmaßnahmen sind geplant. Das Entwicklungsministerium stellt in diesem Jahr insgesamt 300 Millionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommen 120 Millionen Euro für Humanitäre Hilfe aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes. Für den Südsudan hat das Außenministerium 40 Millionen Euro und für das Horn von Afrika zusätzlich noch einmal 15 Millionen Euro Hilfsgelder eingeplant. Frank zeigt uns Fotos aus dem Land. Auch ein kleines Video hat er auf dem Smartphone: Er hat ein Transportflugzeug gefilmt, das Lebensmittelkisten per Fallschirm abwirft. Danach werden die Vorräte eingesammelt, sortiert und geordnet an Flüchtlinge verteilt. Eine logistische Meisterleistung für das World Food Programme und seine Partner, die die Helfer und die Hungernden erstaunlich diszipliniert meistern.

DANKBAR GENIESSEN, AKTIV TEILEN
All das hören wir, während wir unsere Pizza entspannt im Biergartenflair der Bundeshauptstadt genießen. Dabei weht mich ein schlechtes Gewissen an. Aber nur kurz. Stattdessen meldet sich Dankbarkeit. Unbeschreibliche Dankbarkeit, in einem friedlichen, sicheren Land zu leben. Einer bewährten Demokratie, einem Rechtsstaat, einem Sozialstaat. Keine Frage: Es gibt Unwuchten auch in unserem Land. Es gibt benachteiligte Gruppen. Es gibt Ungerechtigkeiten, nicht jeder hat die gleichen Chancen. Es gibt Fragen an die Zukunft: Wie soll es mit der Rente weitergehen? Wie können die Sozialsysteme dauerhaft finanziert werden? Wie wird sich die EU entwickeln? Wie die weltweite Wirtschaft? Wie integrieren wir die Menschen, die in unser Land gekommen sind? Wichtige Fragen. Es sind Reformen notwendig, die mit viel Energie angepackt werden müssen.

Energie allerdings, die sich kaum aus Meckern speisen wird, sondern aus tiefer Dankbarkeit. Wer zu satt ist, wird faul und nörgelig. Wer dankbar ist, wird aktiv. Aktiv für Deutschland. Aktiv für Europa. Und aktiv für die Menschen in Not. Staatliche Unterstützung reicht nicht aus. Die Menschen in Ostafrika sind auf Spenden angewiesen. Wir können etwas tun. Indem wir uns informieren und indem wir spenden. Etwa hier, auf der Webseite der „Aktion Deutschland Hilft“ (www. aktion-deutschland-hilft. de). Bereits mit fünf Euro im Monat kann man Förderer werden. 25 Euro sichern das Trinkwasser für fünf Familien. Unser Pizza-Abend ist teurer. Den haben wir uns verdient. Und den gönnen wir uns auch. Aber gilt nicht auch hier, wozu Jesus die „Gesetzestreuen“ auffordert, die den Blick für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit verloren haben: Sie sollen „das eine tun und das andere nicht lassen“ (Matthäus 23,23)? Männer, lasst uns was tun. Aus tiefer Dankbarkeit.


Uwe Heimowski (53) ist ehrenamtlicher Stadtrat in Gera. Er ist verheiratet mit Christine und Vater von fünf Kindern. Er vertritt die Deutsche Evangelische Allianz als deren Beauftragter beim Deutschen Bundestag in Berlin.

Mehr von Frank Heinrich finden Sie in dem inspirierenden Buch: FRANK UND FREI – Warum ich für die Freiheit kämpfe, das im SCM Hänssler-Verlag erschienen ist.

SEX im Gottesdienst

Das Tabu-Spiel am Sonntagmorgen

Als Mose vom Berg kommt, sagt er: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Ich hab ihn auf zehn runtergehandelt. Die schlechte: Ehebruch ist immer noch dabei!“ Sex im Gottesdienst: eine bizarre Landschaft aus massenhaft aufgestellten Fettnäpfchen, herumliegenden heißen Eisen, ganz viel dünnem Eis, am Rande eines Abgrundes! Man hört so selten mal was drüber. Aber bitte nicht mit unfreiwilligen Wortspielen. So wie z. B. in dem Gottesdienstprogramm, in dem ganz am Anfang steht: „Vorspiel von der Bläsergruppe.“ Wahrscheinlich verstehen manche der besonders Frommen nicht, was daran komisch sein soll, aber die Teens und die Jungs vom Stammtisch (sollten sie sich mal in einen unserer Gottesdienste verirren) werden was zu grinsen haben.

GEWÜNSCHT: DAS THEMA NICHT RTL ÜBERLASSEN
Weshalb ist Sexualität unter den drei großen Tabus der Gemeinden neben Geld und Glaubenszweifeln die peinlichste und die mit den meisten Ängsten besetzte Thematik? Warum überlassen wir dieses Thema eigentlich RTL und dem Internet und können selber bestenfalls nur in Schlagworten und mit Angstschweiß auf der Stirn moralisieren? Warum stochern wir eigentlich so im Unklaren und tun so, als wären auch wir in der Schmuddelecke gefangen? Wie wäre es, für die menschliche (und von Gott ausgedachte) Sexualität zu werben, ohne irgendwelche Hochglanzbilder-Klischees? Wie wäre es, wenn wir mal relevant, ehrlich und mit klaren Worten über Lust, Selbstbefriedigung, Ehebruch, Verführung, Libido, Zärtlichkeit, Treue und Enthaltsamkeit reden würden? Und nicht nur über Homosexualität, und dass zu einer Ehe auch die Bereitschaft zum Kinderkriegen gehört? Wenn in der Bibel in alten Übersetzungen steht: „Und er erkannte sein Weib“, dann meinen manche immer noch, dass der Mann dann „Ach du bist’s, Wilhemine“ sagte. In der Bibel steht erstaunlich viel über Sexualität. Da lesen wir von Huren, von Ehebruch, ein ganzes Buch der Bibel beschreibt Brüste und andere Körperteile. Wir deuten das im übertragenen Sinne und warnen vor Verirrungen. Schade eigentlich!

GESUCHT: EHRLICHE EINBLICKE
Ein Freund von mir predigte einst in einer jungen dynamischen Gemeinde über den Beistand, den Heiligen Geist, als Vorsteher, Leiter und Prostata. Hä? Ist Griechisch und bedeutet: Vorsteher bzw. Vordermann. Ein stummer Aufschrei und hinterher durchaus berede Kritik waren das Ergebnis. Gehört so etwas in die Predigt, auch noch so unverhofft, quasi ohne Vorwarnung? Ich meine: Ja! Folgende Gliederung wäre ein schöner Anfang einer ganzen Predigtreihe: Sex: Warum auch nicht?; Sex: Mehr als nacktes Fleisch?; Sex: Größer, weiter, länger? Und nein, dazu brauchen wir keine Plakate mit leicht bekleideten Mädels zum Einladen der Bevölkerung. Und auch keinen Chor der männlichen Singles oben ohne, der das erste Lied vorträgt „Noch haben wir sie nicht gesehen, noch warten wir darauf …“. Sondern Menschen, die ehrliche Einblicke geben. Das darf durchaus provokant sein – aber sollte auf jeden Fall verantwortlich, kreativ, achtsam und bestenfalls mit Humor geschehen. Und bei allem bleibt Sexualität auch persönlich, geheimnisvoll, lustvoll und wild. Spannend eben.

Meiner Meinung nach gibt es überhaupt nur eine Berechtigung, über Sex zu predigen und es zum Thema in unseren Gottesdiensten zu machen: Es ist Gottes Idee, und er hat jeden Menschen als sexuelles Wesen geschaffen und es nicht nur denen in der Hochzeitsnacht verliehen, die in formal richtigem Familienstand leben. Also mag vielleicht für viele der Höhepunkt im Höhepunkt liegen, doch gibt es doch viele andere Themen, die da mitschwingen: Lust am Körper, am Anspannung-Entspannungs- Phänomen, Freude an Schönheit, Romantik, Wildheit, Augenblickverzückung, Gemeinschaft, Berührung und vor allem Humor und Kreativität. Das wollen wir gerne hören, unabhängig vom Alter, Geschlecht und Status. Ja, es ist nicht leicht, auf den Punkt zu kommen, für jede Lage und Stellung. Und mit diesem Geschenk verantwortungsvoll umzugehen, genau wie mit all den anderen Gaben wie Geld, Kinder und Wissen. Aber es gehört zu den zentralen Themen des Menschseins.

GEBRAUCHT: MUTIGE PREDIGER UND ZUHÖRER
Nur Mut – ihr Prediger und ihr Zuhörer. Es wäre auf jeden Fall realistischer und hilfreicher als die „Informationsprogramme“ spätnachts. Und dann gönnen wir uns doch gleich auch noch Gesprächskreise, in denen ethische Themen anspruchsvoll vorbereitet und mal ungeschützt diskutiert werden. Die jahrzehntelange Ansage „Kein Sex vor der Ehe, sonst droht Schwangerschaft“ wurde leider niemandem richtig gerecht und war auch keine große Hilfe.

Stefan Bitzer (www.stefanbitzer.de) aus Reutlingen war zehn Jahre lang Pastor. Heute arbeitet er als Vorsorge- und Trauerberater. Zudem ist er Hochzeitsredner (www.rent-a-pastor.com) sowie Mentor und Coach.

Was sind Ihre Gemeinde- oder gar Gottesdiensterfahrungen mit diesem Thema? Haben Sie gute und gelingende Beispiele vor Augen? Erzählen Sie es uns hier auf www.MOVO.net oder per Mail an info@MOVO.net
Arbeit 4.0

Wie die Digitalisierung unsere Arbeitswelt revolutionieren wird

Die Digitale Transformation ist in allen Medien im Gange. Die Botschaften sind dabei immer die gleichen: Roboter und Computer werden den Menschen die Arbeit wegnehmen. Alle Menschen werden vom Staat ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen. Man darf sich Geld dazuverdienen – aber virtuell, weil es kein Bargeld mehr gibt. Den Geldtransfer wird die sogenannte Blockchain-Technologie ganz ohne Mittelsmänner einer Bank erledigen. Wir werden keine Autos mehr besitzen, sondern bestellen autonom fahrende (vielleicht fliegende?) Autos, die uns individuell von A nach B bringen. Der Hyperloop hat viele Züge ersetzt und macht Mobilität zeiteffizient wie noch nie zuvor. Unser Kochroboter kocht selbstständig, bestellt mit dem smarten Kühlschrank Lebensmittel nach.

DEN SPEISEPLAN BESTIMMT DIE KRANKENKASSE
Die Freizeitgestaltung und der Urlaub laufen über VR-Brillen (Virtual Reality), interaktive Speisekarten schlagen mir aufgrund meiner gesundheitlichen Daten das „richtige“ Essen vor und die Krankenkasse – es wird dann nur noch eine nötig sein – belohnt spielerische bestandene Challenges im Bereich Ernährung und Sport mit Boni. Fernsehen streamen wir auf der TV-Tapete und smarte Kleidung wird unseren Gesundheitszustand überwachen. Retinakameras werden unser Leben aufzeichnen und speichern unsere biografischen Highlights in der Cloud. Ärzte werden durch Apps, Gadgets und chirurgische Roboter für Standardprozesse ersetzt. Menschen mit Behinderungen und körperlich stark belastete Arbeiter (z.B. Bauarbeiter oder Pflegekräfte) werden durch intelligente Robotik in ihren Körperbewegungen unterstützt. Das Heben von Gewichten wird zum Kinderspiel. Und die Krönung des Szenarios wird die Implantierung von medizinischen Chips sein, die unsere Identität speichern und von Notärzten einfach abgescannt werden können – mitsamt unserer Patientengeschichte. Chips werden zu Entzündungsherden im Körper schwimmen und dort reparieren. Der Nachteil: Die Chips können örtlich orten. Das ist genauso selbstverständlich wie heute schon die Biometrik, die Ident-Nummer beim Finanzamt oder Kreditkarten, die bald der cashless society weichen werden (Das Bargeldverbot wird in Europa bald realisiert sein). Alles hinterlässt Spuren, die man nachverfolgen kann. Big Brother is watching you. Nun kann man das alles schrecklich finden oder sich entspannt zurücklehnen und für sich beschließen, dass einen das nicht trifft, denn „erleben werde ich das sowieso nicht mehr“, aber ändern kann man es nicht, aufhalten auch nicht. Als vor zehn Jahren das Smartphone kam, wurde auch nicht gefragt. Es war plötzlich da und vielleicht halten Sie es auch gerade in der Hand und lesen darauf diesen Artikel. Wenn man es also nicht ändern kann, was kann man dann machen? Sich darauf einstellen und klug damit umgehen. Was heißt das persönlich? Etliche Berufe werden im Zuge der Digitalisierung nicht mehr gebraucht. Beim erwähnten Auto braucht es keine Fahrer, Taxis oder den öffentlichen Nahverkehr mehr. Die gesamte Automobilbranche mitsamt ihren Zulieferern, Dienstleistern und Nachbarbranchen wird sich neu erfinden müssen. Das Internet of Things (das Teilen von Dingen) wird verstärkt genutzt.

DER WISSENSARBEIT GEHÖRT DIE ZUKUNFT
Wir werden zu Wissensarbeitern, Big Data ist das neue Erdöl und Cryptocoins werden zur neuen virtuellen Währung. Aber nicht nur Berufe, sondern auch die Arbeitszeiten werden sich verändern. Zeitkonten werden wie digitale Fingerabdrücke erfasst. Coworking Spaces ermöglichen es, immer und überall zu arbeiten. Die Menschen werden mehr Zeit und Möglichkeiten haben, sich nach dem Sinn zu fragen: Wer bin ich? Wo komme ich her? Wozu bin ich hier? Wo werde ich hingehen? Weniger arbeiten, dafür mehr das tun, „was ich wirklich, wirklich will“. Diese Formulierung stammt von Frithjof Bergmann, einem Philosophie-Professor, dessen Zukunftsvisionen politisch von vielen geteilt werden. Ein Drittel der Arbeit wird seiner Meinung nach von Computern und Robotern übernommen werden. Bereits heute gibt es Produktionshallen groß wie Fußballfelder, die von Robotern betrieben werden und in denen sich nur eine Handvoll Ingenieure um Programmierung und Instandhaltung kümmert. Die Arbeiter am Fließband braucht man nicht mehr. Gewerkschaften übrigens damit auch nicht, sie werden sich eine völlig neue Rolle erdenken müssen. Das zweite Drittel der Arbeit wird eben von diesen hochspezialisierten Fachexperten übernommen, die für die kongeniale Komposition der High-Tech-Maschinen, die bereits heute schlauer als Menschen sein können, verantwortlich zeichnen. Das letzte Drittel an Arbeit, das dann noch übrig bleibt, verbringen Menschen damit, das zu tun, „was sie wirklich, wirklich“ wollen.

BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN FÜR ALLE
Klar ist, dass viele soziale und ehrenamtliche Berufe, die wenig oder gar kein Einkommen erzielt haben, auf einmal aufgewertet werden. Das bedingungslose Grundeinkommen wird vielen Berufen endlich die Aufmerksamkeit und Sorglosigkeit bringen, die sie verdient haben. Viele andere Berufe werden untergehen und nicht mehr gebraucht werden. Bereits heute lässt sich schon erahnen, welche Berufe davon betroffen sein werden: Sämtliche Berufe, die heute noch mit Excel arbeiten, die eine automatisierte Software präziser, schneller und besser erledigen kann; Berufe, die routinemäßig körperliche Kraft brauchen, werden von Maschinen übernommen; Berufe, die menschliches Spezialistentum, Emotionen und Beurteilungsvermögen brauchen, werden überleben. Die einen sagen, dass eine tolle Zeit anbrechen wird. Die anderen sind besorgt, sich in eine selbst gewählte Unmündigkeit zu begeben. Bereits heute arbeiten wir digital. Unsere Smartphones sind voll von Alltags-Apps, die uns das Leben leichter machen. Und wir lieben es. Unsere sozialen Netze wie Facebook, Twitter, Xing und LinkedIn ermöglichen uns unbegrenzte Kommunikation. Das nutzen auch Unternehmen und lassen ihre Mitarbeiterkommunikation darüber laufen. Virtuelle Teams arbeiten über Ländergrenzen hinweg an Projekten und kommunizieren über E-Mails, Chats, Telefon- und Videokonferenzen.

BEÄNGSTIGEND ODER FREUDIG?
Alles wird agil und bewegt sich auf Augenhöhe. Die klassische, starre Hierarchie hat ausgedient. Das verunsichert Führungskräfte, die noch nach der alten Schule leiten und sich auf einmal zur „Chef-Wahl“ aufstellen lassen sollen. Die Arbeit in flachen Hierarchien wird erstarken, und innovative Designs bringen Team Spirit hervor. Gleichzeitig ergibt sich aber für soziale Unternehmen die Möglichkeit, sich wieder auf die Kernkompetenzen zu besinnen.

MEINE TIPPS FÜR DEIN DIGITALES LEBEN IM NEW WORKZEITALTER:

  • Überlege dir, was du wirklich willst. Das gilt nicht nur für die Digitalisierung, sondern grundsätzlich für dein Leben. Macht es dir ausreichend (nicht immer!) Spaß, womit du dein Geld verdienst?
  • Wie digital ist dein Leben? Kannst du noch ohne oder bist du permanent online? Leg dein Handy bei Qualitätszeiten mit deiner Familie oder deiner Frau beiseite. Erziehe deine Kinder auch dazu.
  • Öffne dich den Neuen Medien und bewege dich online. Viele Teams arbeiten verteilt an völlig anderen Orten und in anderen Zeitzonen. Die vielfältigen Online-Collaboration-Tools lassen sich aber auch – meist kostenfrei – privat nutzen, z. B. zu Projektplanungen, für Events etc.
  • Die sozialen Netzwerke wie Facebook kannst du auch wunderbar zur Pflege von Freundschaften einsetzen. Das ersetzt keinesfalls ein richtiges Treffen, aber für die Zeit zwischen euren Treffen kann man sie gut nutzen. Wenn du lieber SMS, Videochat oder WhatsApp magst, kannst du natürlich auch dies nutzen.
  • Wenn du Unternehmer bist: Reicht dein Geschäftsmodell auch für die digitale Welt? Dein Kunde ändert sich, Kundenorientierung und seine „experience journey“ müssen dich interessieren, wenn deine agile Organisation in dem Sog der Märkte überleben soll.
  • Mach ruhig mal eine „digitale Entschlackungskur“ ein- oder zweimal die Woche, um auf dich selbst zu achten. Bete, schließ dich in dein stilles Kämmerlein und sei mal für niemanden zu erreichen. Sei aber auch wachsam für die schleichenden oder schlagartigen Entwicklungen. Überdenke, welche Konsequenzen dich betreffen werden, und entwickle deine eigenen Nischenstrategien, um dich anzupassen und auch Impulse in dein Umfeld abzusetzen.
  • In allem verbergen sich immer Gefahren, aber auch Chancen. Wichtig ist, dass du die Chance erkennst, in allem. Immer. Und: „Habe niemals Angst, etwas Neues zu versuchen. Denke immer daran: Amateure bauten die Arche und Profis die Titanic!“

Tobias Illig berät Unternehmen und Führungskräfte in Sachen Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf Führung, agile Organisation und Zusammenarbeit (www.tobiasillig.com). Sein Buch „Die stärkenfokussierte Organisation“ behandelt den Aufbau und das Management einer starken Organisation. Tobias ist ehrenamtlich im Vorstand der deutschen Navigatoren tätig, verheiratet und betreut familiär vier Personalentwicklungsprojekte.

LINKLISTE ZU WICHTIGEN TOOLS:

www.asana.com – Aufgabenverwaltung im Team
www.meistertask.com – To-do-Liste
www.mindmeister.com – Brainstorming-Tool
www.wunderlist.com – To-do-Liste
https://job-futuromat.ard.de – Check: Wie betroffen ist dein Job von Automation?
www.zoom.us – Videochatsystem

The President first?

SERIE: POLITIKBETRIEB VON INNEN

Frank-Walter Steinmeier und die Nächstenliebe

Es wird November. Der Winter steht vor der Tür, die Nächte werden empfindlich kalt. „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“, schreibt Rainer Maria Rilke in seinem bekannten Gedicht „Herbsttag“. Wie Recht er hat. Wer in der kalten Jahreszeit kein Haus hat, keine Wohnung, kein Obdach – wo kommt der unter? Im Behelfsquartier oder in einer Notunterkunft. Oder nirgends: Viele Obdachlose bleiben auf der Straße.
Und das kann lebensgefährlich sein. Als 1984 in Berlin ein Mann auf der Straße erfriert, wird die Stadtmission aktiv: Sie setzt einen Kältebus ein, der direkt zu den Obdachlosen fährt. Mitarbeiter fahren zu den bekannten Plätzen, an denen Obdachlose leben, oder nehmen Hinweise aus der Bevölkerung auf, die einen Menschen auf der Straße gesehen haben. Zwei Busse der Stadtmission sind Nacht für Nacht in Berlin unterwegs. Von November bis März, von neun Uhr abends bis drei Uhr morgens. Sozialarbeiter und ehrenamtliche Helfer bieten heißen Tee an, versorgen die Menschen mit warmer Kleidung und Decken oder bringen sie, wenn gewünscht, zu einer Notschlafstelle.
Obdachlosigkeit ist bis heute ein gravierendes Problem in Deutschland. Das wäre einen eigenen Artikel wert. Hier und heute soll es aber um einen prominenten Unterstützer der Stadtmission gehen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
2015 begleitete der damalige Außenminister die Streetworker im Kältebus für eine Nacht. Er schenkte Tee aus, sprach mit Obdachlosen. Sein Besuch kam nicht von ungefähr und war viel mehr als ein PR-Gag. Schon einige Jahre davor hatte er die Bahnhofsmission besucht und kräftig beim Broteschmieren geholfen. Auch in seinem Brandenburger Wahlkreis engagiert sich Steinmeier für die Arbeit der Notunterkunft.
Obdachlosigkeit beschäftigt den SPD-Mann seit Langem. Seine 1991 abgeschlossene Promotion widmete der Jurist dem Thema: „Bürger ohne Obdach – Zwischen Pflicht zur Unterkunft und Recht auf Wohnraum: Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit.“

KEIN THEORETIKER
Steinmeier beließ es nicht bei der Theorie. Bei seinen Besuchen macht er sich ein eigenes Bild und packt tatkräftig mit an. Oder er greift in die Tasche: Im vergangenen Jahr wurde dem Außenminister in der Schweiz der „Europapreis für politische Kultur“ der Hans-Ringier Stiftung verliehen. Dotiert ist diese renommierte Auszeichnung mit 50.000 Euro. Steinmeier stiftete das Geld komplett an die Berliner Bahnhofsmission (übrigens ohne das ganz große Presse-Bohei). Ein wichtiger Baustein für den Bau eines neuen Beratungs- und Veranstaltungszentrums, das Anfang 2018 eröffnet werden soll. Benötigt wird es wegen der gestiegenen Zahl obdachloser Menschen.
Eher ins Private gehört Steinmeiers Nierenspende. Dennoch möchte ich es erwähnen, denn hier zeigt sich eine Haltung: Als seine Ehefrau Elke Büdenbender 2010 schwer erkrankte und eine Transplantation benötigte, zog sich der Politiker für einige Wochen von den Amtsgeschäften zurück und spendete ihr eine seiner Nieren. 2015 kommentierte er den Jahrestag der Transplantation: „Wir feiern jetzt beide gemeinsam den fünften Geburtstag.“
Warum schreibe ich das alles? Steinmeier ist kein Heiliger. Auch kein perfekter Politiker. Und für das Amt des Bundespräsidenten war er der politische Kompromisskandidat. Aber mit seiner persönlichen Integrität und Glaubwürdigkeit hat er die Möglichkeit, diesem Amt die nötige Würde zu verleihen.
Der Bundespräsident ist der erste Mann im Staat, seine Frau ist die „First Lady“. An ihnen richten sich viele Bürger aus. Die Macht des Präsidenten in Deutschland ist nach den Erfahrungen des Dritten Reiches bewusst beschränkt worden. Anders als etwa in den USA, in Russland oder der Türkei, wo die Präsidenten die Regierungsgeschäfte führen.

DIE MACHT DES WORTES
Einem deutschen Staatsoberhaupt bleibt vor allem die Macht des Wortes. Dessen Bedeutung aber ist nicht zu unterschätzen. Das haben viele von Steinmeiers Vorgängern eindrucksvoll gezeigt. Denken wir an Richard von Weizsäckers Rede zum 8. Mai, in der er das Ende des Zweiten Weltkriegs einen „Tag der Befreiung“ nannte und damit einen neuen Umgang mit der deutschen Geschichte initiierte. Oder nehmen wir Roman Herzogs bekannte Rede vom „Ruck“, der durch Deutschland gehen müsse, und mit der er eben diesen Ruck auch auslöste.
Christen wissen: Das Wort ist mächtig. Worte schaffen Wirklichkeit. Worte prägen Kultur. Luthers Wortgewalt ist das eindrücklichste Beispiel. Vor allem aber wirkt das Wort, wenn es Fleisch wird. Wenn es Gestalt annimmt. Wenn Worte nicht Gerede sind, sondern aus Worten auch Taten werden.
Ein Bundespräsident ist ein Vorbild. Er hat die Macht, Worte zu wählen, Themen zu setzen – und er hat die Pflicht, sie zu verkörpern. In Tat und Wahrheit. Steinmeier tut das. Ihm gebührt dafür Anerkennung. Respekt. Solche Vorbilder brauchen wir. Heute mehr denn je.

 

Uwe Heimowski (52) ist ehrenamtlicher Stadtrat in Gera. Er ist verheiratet mit Christine und Vater von fünf Kindern. Seit dem 1. Oktober 2016 arbeitet er als Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz beim Deutschen Bundestag in Berlin.

 

Was denken Sie? Stimmen Sie dem Autor zu? Wo würden Sie ihm widersprechen? Diskutieren Sie mit unter www.MOVO.net.