Glücklichsein lässt sich trainieren. Coach Michael Stief erklärt, wie ein Happiness-Workout zu dauerhaftem Glück führen kann.
Glück ist keine Glückssache: Wie beim Tanzen, Singen oder Musizieren braucht es Übung, um das Geschick und die Fitness aufzubauen. Erst dann stellt sich die Freude ein, die diese Tätigkeiten schenken können. Im Fall des Glücks braucht es den Aufbau von mentaler Fitness, um die Wege zum Glück mit voller Energie gehen zu können. Drei Übungen haben sich dabei als besonders wirksam erwiesen.
1. Die Dankbarkeits-Übung hilft Gutes erkennen
Die Dankbarkeitsübung hilft das Glück, das Sie erfahren, auch tatsächlich zu registrieren und anzuerkennen. Menschen, die an einen personalen Gott glauben, wie Juden, Muslime, Christen oder andere, tun sich leichter, dankbar zu sein. Häufig gehören überlieferte Dankgebete schon zur religiösen Praxis. Außerdem können sie ihrem Gott für das erlebte Gute danken, statt einem abstrakten Zufall gegenüber dankbar zu sein. Aber selbst gläubige Menschen müssen wie alle anderen über die Schwelle der Selbstverständlichkeit treten und das Gute anerkennen, das da ist.
Das warme Bett, in dem man aufwacht, das Dach über dem Kopf, der Kaffee, den man beim Frühstück trinkt, das Essen im Kühlschrank und das gute Wetter vor der Haustür: All das ist im Quervergleich mit acht Milliarden Menschen keineswegs der Standard. Dankbarkeit ist somit der bewusste Akt anzuerkennen, dass etwas nicht selbstverständlich ist, sondern etwas Gutes, und das lässt sich üben.
Viele Glaubensrichtungen und Religionen kennen das Dankgebet. Die positive Psychologie hat genau dieses Dankgebet in eine neutrale Übung verpackt:
So einfach ist die Dankbarkeits-Übung
- Über einen Zeitraum von einer Woche schreiben Sie täglich abends drei gute Dinge auf, die an diesem Tag geschehen sind.
- Geben Sie jedem positiven Ereignis einen Titel.
- Beschreiben Sie die Begebenheit in ein paar Zeilen etwas detaillierter.
- Halten Sie fest, was Sie selbst dazu beigetragen haben.
Zum Beispiel könnten Sie für ein gutes Essen danken, weil Sie statt in die nächstgelegene Pommesbude bis zum etwas weiter entfernten Biomarkt gegangen sind. Es spielt dabei keine Rolle, ob Sie diese Dinge von Hand in ein Tagebuch schreiben oder am Computer oder Mobiltelefon notieren. Wichtig ist nur, dass Sie es wirklich eine Woche lang machen oder auch länger.
Entscheidend ist aber: Wie wirkt diese Übung? Martin Seligman und Kollegen haben diese im Vergleich mit unstrukturiertem Tagesbuchführen getestet und den Effekt auf die Psyche untersucht. Diese Dankbarkeitsübung sorgt auch bei einmaliger wöchentlicher Anwendung über einen Zeitraum von sechs Monaten für einen nachweisbaren stimmungsaufhellenden Effekt, der der niedrigschwelligen Gabe von Anti-Depressiva entspricht.
2. Der Selbst-Empathie-Brief federt Frust ab
Der Selbst-Empathie-Brief hilft, die Hindernisse und Belastungen, die das Glück mindern, anzuerkennen und emotional zu verarbeiten, statt sie zu ignorieren oder zu verdrängen.
In schwierigen Phasen von Stress oder Druck sowie bei Konflikten ist es mitunter das Beste, einem Freund oder einer Freundin sein Herz auszuschütten. Und dabei allen Frust und alle Angst, Wut und Trauer auszudrücken. Im besten Fall erfahren Sie in diesem Gespräch Annahme, Verständnis und Trost. Nur ist ein solcher emphatischer Freund, dem Sie all Ihr Leid klagen können, nicht immer verfügbar.
Was sehr wohl verfügbar ist und in ähnlicher Weise wirksam, sind Stift, Papier und die Bereitschaft, die eigenen Gefühle und Gedanken auszudrücken und zu reflektieren, anstatt sie zu verdrängen. Eine wirksame Form, dies zu tun, ist der sogenannte Selbst-Empathie-Brief (Self-Compassion-Letter). Die Psychologin Kristin Neff hat diese Strategie entwickelt und deren Wirksamkeit nachgewiesen.
So verfassen Sie einen Selbst-Empathie-Brief
- Fokussieren Sie sich auf eine konkrete Situation in Ihrem Leben, die Sie belastet.
- Es spielt keine Rolle, ob diese Situation innere oder äußere Konflikte betrifft.
- Nehmen Sie sich gezielt eine Viertelstunde und schreiben Sie in dieser Zeit alle Gedanken und Gefühle auf, die Sie bewegen.
- Optional: Nehmen Sie dabei die Position eines wohlwollenden Freundes ein, der Ihre Situation ohne Beurteilung, aber mit Empathie und Verständnis kommentiert.
- Schreiben Sie auch weiter, wenn Ihre Gedanken stocken, sich wiederholen oder abschweifen.
- Wiederholen Sie diese Übung vier Tage lang.
3. Das positive Zukunftsbild
Dankbarkeit und Selbst-Empathie helfen uns in einen positiven Zustand zu kommen, indem sie den Fokus auf das legen, was ohnehin bereits gut läuft, beziehungsweise indem sie helfen, unsere Gefühle zu bewältigen.
Auf dieser Basis können wir positive Zukunftsvorstellungen leichter entwickeln: Belastende Emotionen oder Stress verengen unseren Fokus. Positive Zustände erweitern unsere Perspektive und erleichtern den Zugang zu Ressourcen wie Kreativität oder Flexibilität. Das positive Zukunftsbild hilft, sich das Glück konkret auszumalen, das durch eigenes Zutun, fremde Unterstützung und günstige Entwicklungen entstehen könnte.
Schreibübung hilft weiter
Es wird nun nicht mehr überraschen, dass wir auch solche positiven Zukunftsbilder trainieren können und das wiederum durch eine entsprechende Schreibübung. Sie wurde unter der Bezeichnung „My Best Self“ von den Psychologen King, Burton und Sin entwickelt und im Vergleich zu reinen Tagebuchnotizen ausgewertet.
Die Testpersonen sollten an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen über eine festgelegte Zeit lang aufschreiben, wie sich ihr Leben in einem konkreten Bereich bis zu einem konkreten Zeitpunkt in der Zukunft positiv aus der aktuellen Situation heraus entwickeln könnte. Wichtiger war dabei, im Schreibfluss und damit in der Haltung einer positiven Vorstellung zu bleiben, als einen perfekten Plan zu entwickeln. Diese Übungen hatten zum Ergebnis, dass die Testpersonen sich deutlich besser fühlten.
Es fällt auf, dass diese Übung bereits die wesentlichen Kriterien der effektiven Zielsetzung nach der SMART-Formel beinhaltet: Diese Schreibübung führt zu spezifischen, attraktiven und terminierten Zukunftsbildern, die zu messbaren und realistischen Zielen weiterentwickelt werden können.
So geht’s
- Reservieren Sie sich 20 Minuten Zeit.
- Optimal an vier aufeinanderfolgenden Tagen.
- Wählen Sie einen Lebensbereich aus dem Arbeits- oder Privatleben.
- Legen Sie einen Zeitraum fest (eins, fünf oder zehn Jahre).
- Versetzen Sie sich in Gedanken konkret an einen bestimmten Ort und Zeitpunkt in der Zukunft.
- Vergegenwärtigen Sie sich diese Situation mit allen Sinnen.
- Und stellen Sie sich dann vor, dass sich der gewählte Lebensbereich optimal, bestmöglich entwickelt hat, durch den Einsatz Ihrer persönlichen Stärken, die Nutzung von Chancen, durch die Unterstützung Ihres Umfeldes und das nötige Quäntchen (Zufalls-)Glück.
- Schreiben Sie dann 15 bis 20 Minuten auf, was sich alles positiv entwickelt hat und wie Sie sich fühlen.
- Wenn Ihnen gerade nichts einfällt, dann schreiben Sie trotzdem weiter und drücken aus, was Ihnen an Fragen oder Gedanken oder Gefühlen durch den Kopf geht.
- Nach dem Schreiben legen Sie ihre Notizen weg.
- Wiederholen Sie diese Übung an den drei folgenden Tagen mit anderen Lebensbereichen.
So funktioniert das Happiness-Workout praktisch
Wie man sieht, ist keine der vorgestellten Übungen „Raketen-Wissenschaft“. Dennoch sind jede einzelne und auch die gemeinsame Grundidee des expressiven Schreibens wissenschaftlich fundiert und getestet.
Es ist sinnvoll, diese drei Übungen zu einem einzigen Workout zusammenzufassen, das Dankbarkeit, Emotionsbewältigung und Hoffnung nacheinander trainiert. Pro Übung sind zwanzig Minuten empfehlenswert.
Folgende drei einfachen Schlüsselfragen bringen die Übungen auf den Punkt:
- Wofür bin ich dankbar?
- Worüber verspüre ich in Trauer, Angst, Wut oder Ablehnung?
- Wie würde eine Zukunft aussehen, in der ich wirklich glücklich bin?
Es ist sinnvoll, sich diese Fragen entweder ganz allgemein zu stellen oder eben bezogen auf bestimmte Themen. Das können etwa die verschiedenen Lebensbereiche wie Arbeit und Privates sein, ebenso unterschiedliche Beziehungen zu sich selbst, Familie und Freunden oder auch Facetten des Glücks wie Sinn und Erfolge.
Michael Stief (58) ist Experte für Positive Kommunikation, Teamwork & Führung und Gründer des Beratungsnetzwerks POSITIVE HR. MANAGEMENT (positive-hr.de)