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Stress lass nach! So gelingt ein gesunder Umgang mit Stress

„Ich bin im Stress!“, antworten wir manchmal voreilig auf die Frage, wie es uns geht. Aber was ist Stress eigentlich? Und vor allem: Was hilft wirksam gegen Stress?

STRESS IST NICHT NUR EIN WORT

Ständige Beschleunigung und eine wachsende Unsicherheit über den Erfolg der Arbeit sind die beiden hervorstechenden Merkmale der modernen Arbeitswelt. Die klare Vorstellung eines „Tagwerkes“ stand in der vorindustriellen Gesellschaft noch für ein Zeitmaß und gesundes Tagesziel, nämlich für die Ackerfläche, die ein Mensch an einem Tag bearbeiten konnte. Heute ist unsere Arbeitswelt von Unsicherheit geprägt, Ziele sind häufig vage und widersprüchlich, die wirtschaftlichen und technischen Zusammenhänge und die Zusammenarbeit im Team immer öfter komplex.

Diese vier Phänomene, Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität, sind die Säulen einer Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftwelt, die deswegen auch VUKA-Welt heißt. Jeder dieser Faktoren aber steigert die Unsicherheit für erfolgreiches Handeln, die Möglichkeit eines Scheiterns oder Versagens und das macht Angst. Aber Angst ist nicht nur Gift für effektives Arbeiten, Angst ist auch Gift für unseren Körper und das liegt genau an der biologisch uralten Stress-Reaktion, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben.

WAS IST STRESS?

Stress hatten schon die Neandertaler und unsere Vorfahren die Ur-Menschen, nur der Begriff dafür ist modern. Dieser kam so richtig erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf, wurde dann aber immer populärer bis er dann in den neunzehnachtziger Jahren „viral ging“. Zu dieser Zeit unterstrichen manche ihre eigene Wichtigkeit und Geschäftigkeit mit dem Spruch „Ich bin im Stress“.

Mit „Stress“, einem Begriff aus der Werkstoffkunde, bezeichnete der Mediziner Hans Selye in den 1930er Jahren die unwillkürlichen Reaktionen des menschlichen Körpers auf Bedrohungen und Belastungen. Diese Reaktion hatte zuvor der Biologe Walter Cannon nach ihrem Zweck als Kampf-oder-Flucht-Reaktion beschrieben.

Wenn wir im Alltag von Stress reden, meinen wir aber selten die Lawine von Stoffwechselveränderungen, die unser Gehirn in der Folge von Bedrohungsreizen durch unser autonomes Nervensystem und eine Flut von Hormonen in Gang setzt.

ALARMSIGNALE ALS STRESS-AUSLÖSER: STRESSOREN

Wir meinen eher die auslösenden Reize, die sog. „Stressoren“ oder Stress-Faktoren. Dies sind 21. Jahrhundert nicht mehr der Anblick eines Säbelzahntigers, wie bei den Urmenschen, und auch seltener reale Bedrohungen. Heute spielen äußere und innere mentale Bedrohungsszenarien eine größere, aber nicht weniger schädliche Rolle.

Die Psychiater Holmes und Rahe stellten schon 1967 eine Liste von 43 Faktoren zusammen. Darunter stellt nur einer, nämlich eine Verletzung oder Krankheit, eine reale Bedrohung dar. Den größten, fast doppelt so großen, Stress verursacht dagegen der Tod des Lebenspartners. Selbst erfreuliche Ereignisse wie Familienzuwachs oder ein großer persönlicher Erfolg und die damit verbunden Veränderungen können Stress auslösen.

Dabei ist die Stressreaktion nicht immer ein negativer „Disstress“, wie es Selye nannte. In einer realen Bedrohung ist die Stressreaktion angemessen und ermöglicht Flucht oder Kampf. In der richtigen Dosis verhilft sie als „Eustress“ bei Herausforderungen wie einem sportlichen Wettkampf, auf einer Bühne oder in einer Prüfungssituation sogar zu Höchstleistungen. Mehr noch, wenn wir große Herausforderungen als bewältigbar und uns selbst als handlungsfähig empfinden, erleben wir in optimalen Fall sogar ein positives „Aufgehen im Tun“. „Flow“ nennt der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi diesen Zustand und das damit verbundene nachfolgenden Glücksgefühl.

Unserem Gehirn und unserem Körper aber sind die Feinheiten dieser Stressoren jedoch ziemlich egal: Reiz-Verarbeitung und die Reiz-Reaktion laufen im Wesentlichen immer gleich ab. Egal, ob es sich um eine unmittelbare Gefahr, eine mittelbare Bedrohung, eine Angst oder eine Herausforderung handelt.

DIE STRESS-REAKTION: UNSER BIOLOGISCHES ERBE

An Anfang der Stress-Reaktion steht die Überraschung. Unser Körper und unsere Psyche sind biologisch auf möglichst gleichförmige Rahmenbedingungen ausgelegt: Solange in unserer Umgebung scheinbar alles gleich abläuft, bleiben Körper und Geist in Ruhe. Sobald aber markante Veränderung auftreten, etwa laute Geräusche, grelle Lichtblitze oder plötzliche Stöße, bewertet unser Nervensystem diese Reize, bevor wir die Situation überhaupt bewusst erfassen.

Verantwortlich dafür ist im Gehirn die Amygdala, der Mandelkern. Sie überprüft blitzschnell alle Reize auf die Frage „Will mich hier etwas fressen oder gibt es hier etwas zu fressen?“ Hat die Amygdala eine scheinbare Gefahr erkannt (wobei sie hier aus Überlebensgründen pessimistisch vorgeht) stößt sie über das autonome Nervensystem und Hormone wie das Adrenalin und Cortisol die körperliche Stress-Kaskade an:

  • der Herzschlag beschleunigt sich
  • der Blutdruck steigt
  • die Muskeln werden stärker durchblutet
  • Blutzucker wird freigesetzt
  • die Verdauung wird gehemmt

Der Körper macht mobil für eine physische Höchstleistung. Ist er in einer realen Gefahr, dann hat er danach alle Ressourcen parat, um zu fliehen oder ihr entgegenzutreten: Maximale Energie und Fokus.

Doch reale Gefahren sind heute viel seltener. Unsere häufigsten Stressoren sind andere.

STRESS-REAKTION IM 21. JAHRHUNDERTS

Die Anzahl der Konfrontationen mit Säbelzahntigern beträgt heutzutage null, nicht aber die mit Terminen, Problemen oder Mitmenschen. Natürlich gibt es auch heute noch grundlegende äußere und innere Stressoren. Umweltfaktoren wie extreme Temperaturen, schwierige Arbeitsbedingungen, zwischenmenschliche Probleme, finanzielle Sorgen oder dramatische Lebensereignisse oder körperliche und seelische Beschwerden und Krankheiten.

Dagegen ist das Spektrum der externen und internen Stressoren breiter geworden: Straßenlärm, Luftverschmutzung, Anonymisierung von Leben- und Arbeitswelt, zwischenmenschliche Konflikte oder Arbeitsplatzunsicherheit, besonders aber alle Formen von Arbeitsverdichtung, Vertriebsdruck oder erfolgsunsicherer Entwicklungsarbeit usw.

Diese „neuen“ Stressoren haben so zugenommen, dass sich laut einer deutschen Studie aus 2016 etwa 82% der Menschen zwischen 30 und 39 regelmäßig gestresst fühlten. Die häufigsten Ursachen dabei waren:

  • die Arbeit
  • hohe Ansprüche an sich selbst
  • Termine und Verpflichtungen in der Freizeit
  • Straßenverkehr
  • Ständige Erreichbarkeit

Mobilität, Vernetzung und die Vielfalt einer multi-kulturellen, multi-optionalen Welt verursachen immer häufiger soziale Konflikte. In der Arbeit wachsen Unsicherheit, Zeitdruck und Verantwortung. Familiäre Bindungen werden überdehnt. Hinzu kommen immer höhere eigene und fremde Ansprüche, Perfektionismus und die immer anspruchsvolleren Ziele einer global vernetzen Gesellschaft, die Sorgen, Selbstzweifel und negative Gedankenmuster befeuern können.

WAS BEWIRKT DAUER-STRESS?

Mit Stress in Maßen kommen unser Körper und unsere Psyche eigentlich ganz gut klar: Die Stress-Reaktion soll ja ein Überleben in Notsituationen überhaupt erst ermöglichen. Doch auch hier liegt der Unterschied zwischen Medizin und Gift in der Dosis.

Die Notfallmaßnahmen, die unser Körper einleitet, um eine körperliche Maximalleistung zu ermöglichen, sind nicht geeignet für die Anforderungen einer sitzenden Tätigkeit. Ein Blutzuckerspiegel, Atemrhythmus und Herzschlag, der uns zu einem Hochleistungsprint befähigen würde, und eine Tunnelwahrnehmung, bei der unser Denken weitgehend ausgeschaltet sind, sind für eine Büro- oder Kreativtätigkeit kontraproduktiv und dauerhaft schädlich.

Unserem Körper ist das aber egal. Er durchläuft bei anhaltenden Stressoren immer wieder die unmittelbare Alarmreaktion und geht nach einiger Zeit in eine Widerstandsphase über, um sich an den chronischen Stress anzupassen, bis schließlich eine Erschöpfungsphase erreicht wird, in der das Immunsystem und die Psyche angegriffen werden. Die Folgen sind ein Spiegel der fortwährenden Notfallmaßnahmen:

  • Angstzustände bis hin zu Depression und Burn-out
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Verspannungen und Kopfschmerzen
  • Atemnot / Asthma
  • Krankheiten der Verdauungsorgane

ERSTE HILFE GEGEN STRESS

Was aber hilft uns gegen dieses biologisch-festgelegte düstere Horror-Szenario?

Eines vorweg: Hinter individuellem Stress-Erleben können auch medizinische und soziale Gründe stehen, die professionelle Hilfe erfordern: Wenn einer dauerhaften Überforderung eine reale Depression zugrunde liegt, objektiv überfordernde Arbeitsbedingungen einen Burn-out befördern, eine toxische Beziehung Dauerstress auslöst oder im Arbeitsumfeld Mobbing durch ein Team oder eine Führungskraft auftritt. Im Verdachtsfall ist daher das Gespräch mit medizinischen, psychologischen oder arbeitsrechtlichen Fachkräften unersetzlich.

Sonst hilft uns das Wissen und das Verständnis über diesen biologischen Vorgang. Unsere moderne Arbeitswelt ist gerade einmal hundert, vielleicht 200 Jahre alt. Unser Körper aber ist für Lebensumstände optimiert, die über viele tausend Jahre grundlegend die gleichen waren. Entsprechend helfen folgende Sofort-Maßnahmen.

  • Stress ausagieren. Die Aktivierung, der Blutzucker und das Adrenalin wollen genutzt und verbraucht werden. Bitten Sie die Menschen im Umfeld um einen „timeout“ und verschaffen Sie sich Bewegung. Dazu gehört auch jede Form von „Ausgleichssport“ nach der unmittelbaren Stress-Situation. Dadurch kann sich der Körper wieder regulieren und entspannen.
  • Stress wegatmen. Klingt komisch, funktioniert aber, denn durch bewusstes Atmen können wir den Para-Sympatikus aktivieren, einen wichtigen Teil des autonomen Nervensystems, der die Stress-Reaktion wird „einfängt“.
    US-Marines, die häufig realen Bedrohungen ausgesetzt sind, haben dazu das „Box-Breathing“ entwickelt: Im Abstand von jeweils vier Sekunden atmen Sie dazu ein, halten die Luft an, atmen aus, halten wieder die Luft an und beginnen dann von vorn. Das ruhige regelmäßige Atmen dient dabei als Botschaft an unser Hirn, dass doch alles in Ordnung ist und wir nicht hechelnd vor einer Bedrohung flüchten müssen.
    Noch einfacher geht es mit der Methode des Stanford-Psychologen Andrew Huberman: Zweimal unmittelbar nacheinander durch die Nase einatmen und dann durch den Mund „seufzend“ ausatmen bis die Lungen ganz geleert sind. Dieses Atemmuster tritt beim Schlafen auch spontan auf und heißt daher „Physiologisches Seufzen“ („physiological sigh“). Es versorgt den Körper wieder mit Sauerstoff und beruhigt buchstäblich die Nerven des autonomen Nervensystems.
  • Stressoren wahrnehmen. Wir reagieren individuell unterschiedlich auf Stressoren. Mentale Stabilität ist zum Teil auch ein Persönlichkeitszug, zum Teil können wir unsere Stress-Resistenz oder Resilienz auch trainieren. Grundlage ist dazu, die persönlichen Trigger zu erkennen. Dann können wir uns selbst und unser Umfeld besser steuern, Prioritäten und Grenzen so setzen, dass die Stress-Reaktion gar nicht erst einsetzt.
  • Stress-Situationen kommunizieren. Heutzutage entsteht Stress in besonders hohem Maße in sozialen Situationen. Daher hilft es mit den Menschen in unserem Umfeld zu sprechen, wie wir akute Stressoren reduzieren, regulieren oder ausschalten können.

Der beste Stress aber ist der, den wir gar nicht erst haben. Darum ist die beste Mittel gegen Stress das aktive Gestalten des eigenen Lebensstiles.

VOM OPFER ZUM SCHÖPFER

Dazu helfen Bewegung und Entspannung, um uns körperlich in die Lage zu versetzen, mit Stress-Situationen besser umzugehen. Letzteres hat den zusätzlichen Vorteil, dass auch die schädlichen Auswirkungen unseres häufig sitzenden Lebensstils entgegengewirkt wird (s. „Sitzen ist das neue Rauchen“). Gesunde Ernährung statt Junk Food, Zuckerzeug oder Alkohol vermeidet „oxidativem Stress“ im Körper, der auch die Psyche belastet.

Entspannungstechniken oder Achtsamkeitsübungen können die Bereitschaft des Körpers zur Stress-Reaktion weiter reduzieren.

Positive Beziehung und Mitgefühl helfen stark Stress abzubauen und in Schach zu halten. Teilen Sie Emotionen, Sorgen und Ängste mit ihren Mitmenschen. Klagen sie ruhig! Doch auch das dosiert: Lassen Sie zügig den Druck ab und formulieren Sie dann lösungsorientiert ihre Probleme.

Auch die Techniken der Positive Psychologie sind hilfreich, zum Beispiel ein Dankbarkeitstagebuch oder das Schreiben von Selbst-Empathie-Briefen und positiven Zukunftsbilder (s. Happiness-Workout). Sie helfen positive Gefühlszustände zu aktivieren, die eigene Selbst-Wirksamkeit zu erkennen und die persönlichen Stärken, Optimismus und Zuversicht zu stärken. Auf dieser Basis können wir durch positives Zeit- und Selbstmanagement Ziele, Prioritäten und Grenzen so setzen, dass wir immer öfter in unsere Flow-Zone als unserer Stress-Zone agieren.

Die Psychologie Barbara Fredrickson hat herausgefunden, dass durch häufigere positive Unterbrechungen eine Gegenbewegung zu Stress, Überlastung und Burn-out in Gang kommt. Nach dieser Broaden-and-Build-Theorie kommt es sogar zu einer Erweiterung unserer Wahrnehmung für unsere eigenen Ressourcen, Gestaltungsmöglichkeiten und wirkt so nachhaltig gegen Stress.

Und wer unmittelbar nach einem Stressor süße Tierbilder ansieht oder herzlich über einen Witz des persönlichen Lieblingscomedians lacht, der kann sogar einen „Undo-Effekt“ erleben, bei dem das positive Gefühl das Stress-Erleben „überschreibt“.

POSITIVE LEADERSHIP

Zum Schluss: Stress ist keine Privatsache. Der Soziologe Hartmut Rosa sieht darin das Zeitphänomen einer Gesellschaft, die versucht „möglichst viele Optionen zu realisieren aus jener unendlichen Palette der Möglichkeiten, die die Welt uns eröffnet“.

Auch in der Arbeitswelt sind Arbeitsverdichtung, anspruchsvolle Ziele, Rationalisierung, Automation und beständiger Wandel kein Naturgesetz wie die Schwerkraft. Sie sind das Resultat unternehmerischer Entscheidungen.

Führungskräfte und Mitarbeitende können durch Positive Leadership und Feelgood Management gemeinsam ein angstfreies menschenfreundliches Arbeitsumfeld gestalten – durch positive Kommunikation und Beziehungen, positives Klima und Sinnerleben im Unternehmen. Vertrauen, Offenheit, Feedback und Fehlertoleranz, Rollen- und Zielklarheit, gegenseitige Unterstützung schaffen dabei psychologische Sicherheit.

Je positiver und angstfreier das Arbeitsumfeld gestaltet ist, umso weniger Boden hat der Stress zu gedeihen, und wo der nicht überhandnimmt, können Menschen auch produktiv, glücklich und gesund arbeiten. So profitieren alle, die Einzelnen und das Unternehmen, von einem gesunden Umgang mit Stress.

Michael Stief (59) ist Experte für Positive Kommunikation, Teamwork und Führung und Gründer des Beratungsnetzwerks POSITIVE HR. MANAGEMENT (positive-hr.de).

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Das hilft gegen Schlaflosigkeit

In Zeiten der Selbstoptimierung wird selbst der Schlaf zum Leistungssport. Doch das ist genau der falsche Weg.

Haben Sie gut geschlafen, Herr Bednarz?

Dieter Bednarz: Nein. (lacht) Ich habe gestern Abend noch einen großen Eisbecher gegessen und zudem bauen wir ein kleines Haus um. In meinem Kopf fuhren die Gedanken noch Achterbahn. So ist das, wenn man nachts nicht loslassen kann.

Sie sind Autor der Lektüre „Augen zu und schlaf!“. Was war der Auslöser, um dieses Buch zu schreiben?

Bednarz: Ich war eingeladen zu einer Lesereise auf einem Kreuzfahrtschiff. Trotz dieser paradiesischen Umgebung schwitzte und wälzte ich mich mal wieder durch die Nacht. In der Kabine nebenan schlief Katja, eine Yogalehrerin. Am nächsten Morgen erzählte sie mir von ihrer himmlischen Nacht. Und da dachte ich mir: „Jetzt reicht’s! Jetzt mache ich mich auf und versuche herauszufinden: Was ist Schlaf eigentlich? Was kann ich gegen die Schlaflosigkeit und für guten Schlaf tun?“

Warum ist guter Schlaf wichtig?

Bednarz: Schlaf ist ungeheuer wichtig fürs Gehirn, fürs Lernen, fürs Gedächtnis. Er ist entscheidend fürs Verarbeiten und Einsortieren. Der Schlaf ist ein Spiegel unserer Seele und der Gesellschaft. In einer Zeit, in der alles optimiert wird, sind wir hier allerdings in der Gefahr, den Schlaf zu überhöhen, aus ihm einen Leistungssport zu machen – aber genau das sollte er nicht sein.

„Schlaf ist keine quantitative, sondern eine qualitative Frage“

Sie machen sich auf den Weg mit Ihren Durchschlafstörungen. In der Begegnung mit Medizinern, Forschern, im Schlaflabor stellen Sie fest …

Bednarz: Ich bin eine Lerche, ein Frühaufsteher, wie ich bei Professor Roenneberg gelernt habe. Ich kann einfach nicht mit meinen Girls bis kurz vor Mitternacht schauen, wer Deutschlands nächstes Flop-Model wird; die Mädels schlafen danach nämlich bis in die Puppen oder der Wecker reißt sie um sieben Uhr aus dem Tiefschlaf. Mich jedoch weckt meine innere Uhr unerbittlich zwischen vier und fünf. Will ich als Frühaufsteher halbwegs ausgeschlafen in den Tag starten, muss ich spätestens um halb zehn ins Bett. Wichtig ist, dass man zu seinem Schlaftyp und zu seinem ganz eigenen Schlafrhythmus findet.

Brauchen wir keine acht Stunden Schlaf?

Bednarz: Schlaf ist keine quantitative, sondern eine qualitative Frage. Es geht schlicht darum: Wie wache ich am nächsten Morgen auf? Ich kann um 5:15 Uhr aufwachen und erfrischt sein – wenn ich mir den Schlaf früh genug vor Mitternacht hole.

Sie notieren: „Wer wirklich seine Nachtruhe finden will, der muss sich aufmachen auf einen langen Weg zur Kenntnis und auch Erkenntnis.“ Was sind Ihre fundamentalen Wegeinsichten?

Bednarz: Statt Pillen zu schlucken, müssen wir Bettflüchtigen lernen, unsere eigene Schlaftablette zu werden. Ich bin kein Superschläfer geworden. Meine Vorstellung, auch ich könnte auf Kommando ins kleine Koma fallen, war Wunschdenken und Selbsttäuschung. Inzwischen habe ich kapiert: Schlaf ist eine grandiose Projektionsfläche unserer Seele, unserer Wünsche und Ängste. Wie ich bin, so schlafe ich: sehnsüchtig, ehrgeizig, ängstlich, mich verzehrend; oder zufrieden, zuversichtlich, mit mir im Reinen. Der bekannte Hamburger Medizinhistoriker Prof. Osten hat mir mit auf den Weg gegeben: Im Schlaf spiegelt sich unsere seelische Verfassung.

Das klingt nicht so neu …

Bednarz: Richtig. Doch ich musste lernen: Es reicht nicht, eine solche Botschaft zu bekommen. Um wirklich zu begreifen, wie sehr der Schlaf unser Innerstes reflektiert, bedarf es der nachdrücklichen Auseinandersetzung mit uns selbst. Deshalb ist es so wichtig, darüber nicht nur zwei Zeilen zu lesen, sondern sich in einem Buch damit auseinanderzusetzen. Die Einsicht, dass ich eine verzagte, von Ansprüchen an mich und das Leben zernagte Seele mit ins Bett nehme, ist mir sehr schwergefallen.

Wer erkennt im Spiegel schon gern einen unzufriedenen Mann? Wer gesteht sich ein, dass er sich ein eigentlich gutes Leben mit einer wunderbaren Frau und drei tollen Töchtern durch törichte Vergleiche und unerreichbare Vorgaben unnötig schwermacht? Der schlechte Schlaf hat mir den Weg zur Selbsterkenntnis gewiesen. Wenn ich jetzt in der Frühe erwache, bin ich dankbar für eine halbwegs gute Nacht, mache deutlich zufriedener und zuversichtlicher unsere Betten und gehe gestärkter in einen Tag, an dem ich versuche, loszulassen und mich abends mit einem „Lass gut sein, Junge!“ wieder in die Daunen zu kuscheln.

Keine Angst vor dem Schlaflabor

Ab wann ist der Mann mit seinem Schlafproblem ein Fall für den Arzt?

Bednarz: Wenn er permanent gerädert aufwacht. Ich empfehle da den Gang zu einem Facharzt, den Besuch eines Schlaflabors. Davor muss man keine Angst haben. Ich habe dort inmitten der Schläuche prima geschlafen. Der Dieter, der dachte, das machst du für das Buch, musste erkennen: Mann, meine liebe Frau Esther hat recht. Ich schnarche doch ganz schön heftig, gehöre daher ab und zu auf die Couch im Wohnzimmer. Womit ich nicht gerechnet hatte: Auch ich habe eine mittlere Schlafapnoe.

Eine Schlafapnoe entsteht, wenn die Muskulatur in den oberen Atemwegen erschlafft. Warum schnarchen Männer? Sind Schlafmasken der Retter?

Bednarz: Ja, Frauen atmen laut, sie haben ein besseres Gewebe im Hals. Männer schnarchen biologisch bedingt eher. Häufige Ursache dafür ist bei Männern Übergewicht oder Alkohol. Dagegen kann man etwas tun. Der Schlafapnoe kommt man nur mit dem Besuch beim Facharzt auf die Schliche. Und ja, Schlafmasken können dann sehr hilfreich sein.

Wenn ich jetzt doch mal schlecht schlafe?

Bednarz: Machen Sie sich nicht verrückt, setzen Sie sich nicht unter Leistungsdruck in Sachen Schlafzeit. Aber wichtig ist, dass wir medizinische Gründe für schlechten Schlaf ausschließen. Wenden Sie sich an die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung. Scheuen Sie nicht den Gang ins Schlaflabor. Achten Sie auf die Lebensführung.

Guter Schlaf ist für Sie heute …?

Bednarz: Ich musste lernen, es gut sein zu lassen, mir sagen: Ich habe heute genug gemacht. Ich muss jetzt nicht noch im Schlaf etwas leisten. Der Schlaf möchte nicht in irgendein Korsett gestanzt, sondern respektiert und umarmt werden. Der Schlaf ist ein Partner und wie in jeder guten Partnerschaft erwartet er Rücksichtnahme. Wenn wir ihn nicht respektvoll und achtsam behandeln, bekommen wir dafür die Quittung. Nochmals: Der Schlaf ist oft der Spiegel unserer Gesellschaft und der Spiegel unserer Seele.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Rüdiger Jope.

Hilfe finden:

Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung: dgsm.de

Weiterlesen:

„Augen zu und schlaf! Handbuch eines Bettflüchtigen für eine gute Nacht“ (Berlin Verlag) von Dieter Bednarz. Der Journalist, Autor und Referent schläft heute versöhnter. 30 Jahre berichtete er als Korrespondent für den Spiegel aus der arabischen Welt. Er steht u.a. zu Vorträgen zum Thema Schlaf zur Verfügung: dieterbednarz.de

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7 Einschlaftipps, damit Sie keine Schafe zählen müssen

Fast jeder hat das schon einmal erlebt: Das Gedankenkarussell kreist und an Schlaf ist nicht zu denken. Diese sieben Tipps helfen beim Einschlafen.

1. Ruhephase vor dem Einschlafen

Schnell noch mal das Gespräch für morgen vorbereiten und einmal noch den E-Mail-Posteingang kontrollieren. Der Trend zur Telearbeit hat dazu geführt, dass noch mehr Menschen am späten Abend arbeiten. Wenn die Kinder im Bett sind, bleibt oft noch etwas Zeit für liegen gebliebene Aufgaben. Doch fürs Einschlafen sind solche späten Schichten schlecht. Probleme aus der Arbeit hindern dich daran, zur Ruhe zu kommen. Auch anstrengender Sport macht erst einmal wach, selbst wenn das Fitnessstudio um 23 Uhr so verlockend leer ist. Besser ist eine Ruhephase. Das bedeutet nicht zwangsläufig, sich auf das Sofa zu legen. Ein Spaziergang oder ein Gespräch können ebenso zur Ruhephase gehören wie das Lesen eines Buches.

2. Blaues Licht vermeiden

Beim Lesen solltest du aber eher nicht zum Tablet oder Smartphone greifen. Denn das blaue Licht der Bildschirme signalisiert deinem Körper, dass jetzt Tag ist. Besser ist ein klassisches Buch oder eine Zeitschrift. Auch E-Reader wie der Tolino oder der Kindle sind eine Alternative, denn sie verwenden eine „elektronische Tinte“ und keinen klassischen Bildschirm. Dabei werden Bildpunkte, die auf einer Seite schwarz und auf einer weiß sind, so gedreht, dass sich das Schriftbild ergibt. Die Technik kommt nicht nur ohne blaue Hintergrundbeleuchtung aus, sondern auch ohne Flimmern. Muss es das Smartphone oder das Tablet sein, lässt sich mit dem Blaulichtfilter oft der Anteil des blauen Lichts reduzieren.

3. Einschlafrituale

Das Lesen sollte Teil eines Einschlafrituals sein, das jeden Abend gleich abläuft. Das kann so aussehen, dass du zuerst einen kleinen Spaziergang machst, nach Zähneputzen und Körperpflege noch etwas liest und schließlich den Tag mit einem Abendgebet oder Ähnlichem beendest. Dass dieser Ablauf jeden Tag gleich ist, scheint zunächst langweilig und irgendwie altbacken. Doch genau in dieser immer gleichen Abfolge liegt der Sinn des Rituals. Der Körper weiß dann intuitiv, dass es jetzt Zeit ist, zur Ruhe zu kommen. Das Abendgebet oder eine anderweitige Reflexion kann noch einen weiteren positiven Effekt haben. Es hilft dir, den Tag abzuschließen und sich auf den neuen vorzubereiten. Beispielsweise kannst du dir überlegen, wofür du dankbar bist. Dann schläfst du garantiert schneller und besser, als wenn du im Bett über die Ärgernisse des Tages nachdenkst.

4. Fester Schlafrhythmus

In eine ähnliche Richtung geht auch der Tipp, möglichst jeden Tag zu einer ähnlichen Schlafenszeit ins Bett zu gehen. Apps fürs Smartphone oder die Smartwatch erinnern dich auf Wunsch daran, dass die Schlafenszeit bevorsteht. Wer Schicht arbeitet, ob als Pflegekraft oder in der Fabrik, kann diesen Ratschlag natürlich nicht umsetzen. Eine Untersuchung aus den USA zeigt, dass es in diesem Fall am besten ist, vor und nach der Nachtschicht besonders lang zu schlafen. Die Studie bezog zwar nur Frauen ein, einiges spricht aber dafür, dass die Ergebnisse für Männer ähnlich ausfallen. Natürlich kann im Einzelfall eine andere Strategie die bessere sein. Bei einer Untersuchung von Studentinnen der Evangelischen Hochschule in Nürnberg fühlten sich vor allem jene Pflegekräfte in der Nachtschicht besonders konzentriert, die am Nachmittag zuvor einige Stunden geschlafen hatten.

5. Kein Alkohol vor dem Schlafen

Von einem Schlafritual ist abzuraten, nämlich vom Schlummertrunk. Wer Alkohol getrunken hat, schläft zwar oft schneller ein, dafür aber schlechter. Im schlimmsten Fall wachst du nach einer Stunde wieder auf und liegst die halbe Nacht wach. Besser sind warme Getränke, etwa ein Kräutertee oder eine warme Milch mit Honig – die Wärme macht nämlich müde. Natürlich darf der Tee nicht aufputschend sein, also besser keinen schwarzen Tee trinken. Wer eine schwache Blase hat, sollte es mit dem Trinken vor dem Schlafen nicht übertreiben.

6. Atemübungen

Wenn es mit dem Einschlafen – trotz Ruhepause und Einschlafritual – nicht funktioniert, können Atemübungen eine weitere Möglichkeit sein. Die müssen gar nicht kompliziert sein. Einfach tief einatmen und dabei auf den Körper achten. Dazu kann es sinnvoll sein, eine Hand auf den Bauch zu legen und zu beobachten, wie sich die Bauchdecke beim Einatmen hebt. Dann langsam wieder ausatmen und wahrnehmen, wie sich der Bauch jetzt wieder senkt. Es reicht, diesen Vorgang ein oder zwei Minuten lang zu wiederholen.

7. Schlafzimmer richtig ausstatten: belüftet, kühl und bequem

Rechtzeitig vor dem Schlafen sollte das Zimmer gut durchgelüftet werden. Außerdem sollte der Raum ausreichend dunkel sein, also am besten über einen Rollladen verfügen oder zumindest dicke Vorhänge haben. Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, wie wichtig eine gute Matratze ist. Gute Exemplare gibt es schon zu bezahlbaren Preisen. Auch wenn das Internet oft die günstigste Möglichkeit ist, spricht einiges für den Weg ins Fachgeschäft. Denn erst beim Probeliegen zeigt sich, wie gut die Matratze zum Körper und den eigenen Ansprüchen passt.

Diese Tipps helfen dir beim Einschlafen. Ganz normal ist es, wenn du hin und wieder trotzdem schlecht einschläfst, etwa wegen Sorgen oder Ängsten. Klappt es dagegen trotz dieser Ratschläge fast täglich mit dem Schlafen nicht so recht, sollte der Weg zum Arzt kein Tabu sein. Möglicherweise können pflanzliche Arzneimittel, etwa auf Basis von Baldrian, helfen. Aber auch andere Schlafmittel oder die Gabe des „Schlafhormons“ Melatonin sollten nicht zwangsläufig abgelehnt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings eine Untersuchung durch einen Arzt oder eine Ärztin.

Tilman Weigel ist Dozent für empirische Sozialforschung und freier Autor.