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Krank werden immer die anderen

Warum Männer zur Vorsorge gehen sollten.

Ich war noch nie richtig krank. Ich fühle mich wohl und kann es auch am Berg richtig krachen lassen. Trotz beruflichem und privatem Stress habe ich keine Probleme. Seit über 20 Jahren Nichtraucher, kein extremer Alkoholkonsument, und beim Essen wird in der Familie auf Ausgewogenheit geachtet. Mein psychisches Gleichgewicht hole ich mir bei gelegentlichen Anglerausflügen. Ich bin eigentlich unkaputtbar. Doch irgendwann habe ich meiner Frau versprochen, sogar regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen.

VERSPROCHEN IST VERSPROCHEN
Meine Krankenkasse empfiehlt den über 50-Jährigen eine regelmäßige Krebsvorsorge. Aber ehrlich, krank werden doch immer nur die anderen. Oder? Krank werden doch die, die sich schlecht ernähren, die Raucher und notorischen Fett-Esser. Aber ich? Ich doch nicht!
Aber ich habe es meiner Frau eben versprochen. Im Freundeskreis konnte kaum einer verstehen, dass ich zur Krebsvorsorge gehe. Im Angelverein waren die Scherze darüber etwas derber als in meiner Gemeinde. Aber die Männer in meinem Umfeld waren einhellig der Meinung, dass ein Arzt, wenn er etwas finden will, auch etwas finden wird. Oder, so andere Argumente gegen eine Vorsorge: Beim Doktor kommst du kränker raus als rein. Auch mein Glaube wurde angezweifelt, so sagte ein Bruder im Herrn zu mir: „Wenn Gott will, dass ich an Krebs sterbe, hilft die Vorsorge auch nicht.“
So gehe ich seit meinem 45. Lebensjahr jährlich zum Doktor und lasse mich untersuchen. Fast schon gewohnt höre ich die erlösenden Worte: „Alles in Ordnung, Herr Kuhn“, und dann sehe ich den Arzt wieder ein Jahr nicht mehr. Dabei wird man nachlässig. Die letzten zwei Jahre ließ ich deswegen die Vorsorge – trotz gut gemeinter Erinnerung meines Hausarztes – ausfallen. Warum auch, es war ja noch nie was. Warum sollte gerade jetzt etwas sein?
Vor meinem 60. Geburtstag dachte ich mit schlechtem Gewissen an meinen Arzt und ließ mir einen Termin geben. Neben einem Hautscreening (Untersuchung auf Hautkrebs), dem obligatorischen Blut-, Urin- und Stuhltest (muss man vorher abgeben) und einer Befragung gibt es da die Prostata-Untersuchung. Keine Frage, das ist unangenehm. Aber Krebs an dieser Stelle hat oft auch die Einstellung jeglicher sexueller Aktivität zur Folge – und das muss ja dann wirklich nicht sein. Nach Beendigung der Untersuchungen wartete ich auf die gewohnten Worte: „Alles in Ordnung, Herr Kuhn“ – aber diesmal hörte ich sie nicht. Stattdessen sagte mein Hausarzt: „Da ist eine kleine Unregelmäßigkeit in den Stuhlproben. Das ist wahrscheinlich ganz harmlos – aber Sie sollten danach schauen lassen. Ich überweise Sie zu einem Internisten wegen einer Darmspiegelung.“ Darmspiegelung – allein schon das Wort treibt jedem normalen Mann den Angstschweiß auf die Stirn. Die Vorstellung, dass eine Kamera Livebilder aus dem Innersten des Körpers sendet, verursacht Albträume. Auf meine Frage, ob das wirklich sein müsse, sagte mein Arzt: „Ich kann Sie nicht zwingen, aber wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich einen Termin so schnell wie möglich ausmachen.“ So ließ ich mir einen Termin geben. Auf die Frage, ob es dringend sei, verneinte ich natürlich – die Sprechstundenhilfe am Telefon blieb hartnäckig und fasste nach, aus welchem Grund ich denn den Termin ausmachen würde. Nun, die Vorsorgeuntersuchung hätte da etwas bemerkt, und schon hatte ich innerhalb einer Woche ein Vorgespräch mit dem Internisten.

„IST ALLES IN ORDNUNG?“
Mit zwei Päckchen durfte ich die Praxis verlassen, und mit einem weiteren Termin. Zwei Tage vor der Untersuchung musste ich abführen. Man trinkt eine angerührte Flüssigkeit, die Sie innerhalb weniger Minuten „entleert“. Auf der Packung steht der Warnhinweis, dieses Mittel in unmittelbarer Nähe zu einer Toilette einzunehmen. Ein guter Rat. Die Darmspiegelung selbst ist praktisch harmlos, wenn man dem Internisten bei der Vorbesprechung ehrlich sagt, dass man ein Angsthase ist. Man bekommt dann ein Mittel verabreicht, mit dem man von der eigentlichen Untersuchung eigentlich nichts mitbekommt. Also schmerzfrei und absolut wahrnehmungsfrei. Kurz nach dem Aufwachen fragte ich die freundliche Sprechstundenhilfe: „Ist alles in Ordnung?“ Und die Antwort verwunderte mich: „Das sagt Ihnen der Herr Doktor persönlich.“
Es war ein Tumor. Drei Zentimeter groß versperrte er schon zu zwei Dritteln meinen Dickdarm kurz nach dem Ende des Dünndarms. Ich konnte es nicht fassen. Krebs? Nein, beruhigte mich der Mediziner, er denke, noch nicht, aber ein Tumor, der schnell zum Krebs werden könne. Das Ding muss so schnell wie möglich raus – nein, er würde nicht warten, machen Sie gleich einen Termin mit der Klinik aus – und gab mir die entsprechenden Kontaktdaten der inneren Abteilung unseres Kreiskrankenhauses. Keine Sorge, ein kleiner Schnitt, und Sie sind wieder der Alte. Ja, das Teil wurde entfernt. Kleiner Schnitt? Wie man es nimmt, es waren fünf Schnitte, einer davon 12 Zentimeter. Nach zwei Tagen kam dann der Befund: Alles okay, kein Krebsgewebe gefunden, eine Chemotherapie ist nicht notwendig. Aber es war tatsächlich 5 vor 12; auf der Skala 1-5 (5 heißt bösartig, mit Streugefahr) war ich schon auf 4.

GLÜCK GEHABT – ODER BEWAHRUNG
Was wäre passiert, fragte ich den behandelnden Arzt im Krankenhaus, wenn ich nicht zur Vorsorge gegangen wäre? Tja, meinte er, so wären leider die meisten Patienten. Darmkrebs kann sehr aggressiv sein und oft ist die Lebenserwartung dadurch deutlich eingeschränkt. Er streut schnell, das heißt, er bildet Tochtergeschwüre im ganzen Körper. Sogesehen habe ich Glück gehabt – oder Bewahrung. Deshalb: Männer, geht zur Krebsvorsorge. Darmkrebs ist eine schlimme Krankheit – die einzige Möglichkeit, sie zu überleben, ist eine frühzeitige Erkennung. Es gibt keinen Grund, nicht zur Vorsorge zu gehen. Tut es für eure Frauen, eure Kinder und Enkel – und für euch selbst. Ohne diese Vorsorgeuntersuchung hätte ich jetzt vielleicht einen künstlichen Darmausgang und wäre in zwei bis fünf Jahren tot. Und das muss dann doch wirklich nicht sein.
PS: War vor ein paar Wochen bei der Nachuntersuchung. Wieder mit Innenvideo. Diesmal sagte mir die Assistentin gleich nach dem Aufwachen: „Alles okay, Herr Kuhn!“ Halleluja! Gott sei Dank!

Winfried Kuhn wohnt mit seinen beiden erwachsenen Kindern und seiner Frau Cordula in Albershausen. Er arbeitet als Geschäftsführer im Verlag Katholisches Bibelwerk und ist Vorsitzender der Rumänienhilfe der Brandstifter. www.brandstifter.de