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Geschichtsstunde: Wie ein spanischer Mönch Menschenrechte für Indios erkämpfte

Der Mönch Bartolomé de Las Casas ist Militärgeistlicher der spanischen Eroberer Südamerikas. Als er ein Massaker an den Indios miterlebt, bricht Las Casas mit seinem bisherigen Leben.

„Sie wetteten darauf, wer einen Menschen mit einem einzigen Schwertstreich durchschlagen könne. Die Christen entrissen den Indianern ihre Weiber, bedienten sich ihrer und misshandelten sie. Neugeborene packten sie von den Brüsten ihrer Mütter und schleuderten sie gegen die Felsen. Sie bauten breite Galgen, an die sie zu Ehren des Erlösers und seiner zwölf Apostel immer dreizehn Indianer aufhingen und bei lebendigem Leib verbrannten. Dies habe ich mit eigenen Augen gesehen.“

In Mutters Bäckerei in Sevilla herrscht helle Aufregung, als Papa Pedro und Onkel Francesco im Juni 1496 zurückkehren. Von Christoph Kolumbus‘ zweiter Seereise. Sie waren dabei! In „Hispaniola“, dem heutigen Haiti, hatte Kolumbus 550 versklavte Einheimische an Bord geladen, die Hälfte starb bei der Überfahrt. Jetzt schenkt der berühmte Kapitän der Familie Las Casas einen 14-jährigen „Indianer“. Der Junge ist gleich alt wie Bartolomé. Die beiden freunden sich an.

Zur Strafe Hände abhacken

1502 reist Bartolomé selbst nach Haiti, weil jungen Siedlern dort Landbesitz und Goldfunde versprochen werden. Entsetzt sieht er mit an, wie lokalen Scouts, die ohne Gold aus den Bergen zurückkehren, die Hände abgehackt werden. Statt Bergbau und Landwirtschaft betreibt Bartolomé lieber Theologie und wird 1507 zum Priester geweiht.

Als Feldkaplan spanischer Truppen nimmt er an der Eroberung Kubas teil und hört 1511, wie ein Missionar dem zum Tode verurteilten Indio-Häuptling Hatuey anbietet, noch auf dem Scheiterhaufen getauft zu werden. „Komme ich dann in den Himmel?“, fragt der Todgeweihte. „Ja.“ „Zu den anderen derartig grausamen Christen? Nein, dann will ich lieber in die Hölle.“

Schlimmes Massaker sorgt für Sinneswandel

Als Bartolomé de Las Casas eins der schlimmsten Massaker am Volk der Taínos miterlebt, hört er am ersten Adventssonntag 1511 den Dominikanermönch Antonio de Montesinos predigen. „Mit welchem Recht haltet ihr die Indios in einer so grausamen Knechtschaft? Mit welcher Befugnis habt ihr dieses Volk in ungezählter Menge gemartert und gemordet?“ Der Militärgeistliche der spanischen Eroberer ist tief getroffen.

Bei der Vorbereitung einer eigenen Predigt zu Pfingsten 1514 liest Bartolomé einen Vers aus dem Buch Jesus Sirach 34,25-27: „Kärgliches Brot ist das Leben der Armen und wer es ihnen raubt, ist ein Blutsauger. Den Nächsten mordet, wer ihm den Lebensunterhalt entzieht und Blut vergießt, wer ihm den Lohn raubt.“ Ab jetzt ist ihm klar: Er wird als Priester niemandem die Beichte abnehmen und die Sündenvergebung zusprechen, der Sklaven hält. Die Konquistadoren und Plantagenbesitzer sind empört.

Für Rechte von Sklaven kämpfen

Las Casas „schenkt“ seine eigenen Sklaven dem Gouverneur von Kuba, reist 1515 nach Spanien zurück und erwirkt in einem Gespräch mit König Ferdinand ein neues Gesetz, das ausreichende Ernährung und medizinische Versorgung für die Indios vorschreibt. Ferdinands Thronfolger Kaiser Karl V. ernennt ihn 1516 zum „Prokurator aller Indios in Westindien“.

Karl V. übereignet Las Casas 1520 per Vertrag „das Festland südlich der Inseln“ – was mangels geografischer Kenntnisse so gut wie ganz Südamerika wäre. Als Bartolomé 1521 an der Küste von „Klein Venedig“ (Venezuela) ankommt, haben aufständische Indios nicht nur viele Siedler und Sklavenfänger, sondern auch alle Mönche ermordet. Sein Plan einer friedlichen Missionierung und Koexistenz der Völker ist gescheitert.

Großen Erfolg feiern

Die einzige Kopie des Bordbuchs von Christoph Kolumbus‘ Seereise 1492 besitzt – Bartolomé de Las Casas! Er beginnt, die verharmlosenden Berichte des gefeierten „Entdeckers“ zu kommentieren und eine „Geschichte der indigenen Völker Neuspaniens“ zu schreiben. 1521 zerstört Hernán Cortés das Aztekenreich, 1532 unterwirft Francisco Pizarro die Inkas in Peru.

Bartolomé kennt beide Völkermörder persönlich, reist nach Tenochtitlan und Machu Picchu und plädiert in seiner Schrift „Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder“ für vieles, was wir heute „Menschenrechte“ nennen. Endlich: 1542 erlässt Kaiser Karl V. das gesetzliche Verbot, Einheimische zu versklaven, und ernennt 1543 Las Casas zum „Bischof von Chiapas“ in Mexiko. Damit ist er zwar hochgeehrt, aber auch politisch kaltgestellt.

1546 kehrt er nach Spanien zurück, erwirkt ein gesetzliches Ende aller Eroberungsfeldzüge in Südamerika und stirbt am 18. Juli 1566 in Atocha bei Madrid. Als Chronist des Völkermords und erster Historiker und Theologe, der Sklaverei als Sünde und Verbrechen brandmarkte, wurde der „Apostel der Indios“ noch bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts von spanischen Rechten als „größenwahnsinniger Paranoiker und Beleidigung Spaniens“ bezeichnet.

Andreas Malessa ist Hörfunkjournalist in der ARD, Theologe, Buchautor satirischer Kurzgeschichten, Referent und Moderator auf Veranstaltungen mit religiös-kulturellen, kirchlichen und sozialethischen Themen. Aktuell sind von ihm erhältlich die Titel „111 Bibeltexte, die man kennen muss“ (emons) und „Am Anfang war die Floskel“ (bene!).

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Hätten Sie es gewusst: „O du fröhliche“ ist eigentlich kein Weihnachtslied

Johannes Falk verlor sechs Kinder und beinahe sein eigenes Leben an den Typhus. Dass sein Lied „O du fröhliche“ zu einem Weihnachtsklassiker werden würde, plante er nicht.

Kein Heiligabend ohne „O du fröhliche“. Kennen alle. Rund um die Welt. Der Texter dieses Weihnachtsliedes schrieb es für verwahrloste Kriegswaisen und Straßenkinder. Protestierte gegen die Prügelstrafe, musste sechs seiner eigenen Kinder zu Grabe tragen und blieb trotzdem ein humorvoller Bildungspionier.

Ein Theologiestudent, dem seine Heimatstadt Danzig das Studium finanziert, sollte dankbar dafür sein, oder? Aber der 27-jährige Johannes Daniel Falk an der Uni im sächsischen Halle schmeißt nach vier Jahren alles hin und kehrt 1797 nicht als Pfarrer nach Ostpreußen zurück. Sondern? Schreibt lieber freiberuflich bissige Kommentare zur Tagespolitik! Kann man davon leben? Nein.

In Kontakt mit Goethe und Schiller

Papa Falk daheim an der Ostsee ist Perückenmacher. Er hatte den Jungen mit 10 aus der Schule geholt und in die Werkstatt gesteckt. Die Kundinnen und Kunden sind begüterte Leute, standesbewusste Adlige. Kaum war Johannes mit 16 zurück am Gymnasium, hatte er sich in brillanten Aufsätzen über das vornehme Getue dieser Leute lustig gemacht. Mama Constantia geht in eine fromme „Brüder“-Gemeinde, das religiöse Klima im Lande Immanuel Kants ist aber streng vernunftorientiert und „aufklärerisch“ – Johannes nimmt diese Widersprüche scharfsinnig aufs Korn.

1797 heiratet er Caroline Rosenfeld, zieht mit ihr nach Weimar um und kommt dort durch seinen väterlichen Freund Christoph Martin Wieland, den gebürtigen pietistischen Schwaben, in Kontakt zum berühmten „Dichter-Dreigestirn“ Goethe, Schiller, Herder. „Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satyre“ wird 1803 Falks erstes erfolgreiches Buch in Serie, 1806 ernennt ihn Herzog Carl August zum Legationsrat. Mit 38 Jahren erhält er das erste feste Gehalt! Aber: Vier seiner Kinder sterben an Typhus, er selbst entgeht nur knapp der tödlichen Epidemie.

Vorreiter der Jugendsozialarbeit

Im Oktober 1813 besiegen Preußen und drei alliierte Staaten die französischen Truppen Napoleons bei Leipzig. Diese sogenannte „Völkerschlacht“ hinterlässt rund 100.000 getötete Soldaten, noch mehr schwerstverwundete Arbeitslose und: jede Menge Waisenkinder, Streuner, verwahrloste minderjährige Überlebenskünstler. Johannes Falk gründet mit Weimarer Bürgern die „Gesellschaft der Freunde in der Noth“ (wir würden heute sagen: einen Förderverein) und nimmt 30 Kinder in der eigenen Wohnung auf (!). Ehepaar Falk unterrichtet alle in der „Sonntagsschule“, die Jungen in der „Berufsschule“, die Mädchen in der „Nähschule“. Das wird dem Vermieter der Wohnung zu laut, kein Wunder.

Als zwei weitere Falk-Kinder im Teenageralter sterben, kaufen Johannes und Caroline den (heruntergekommenen) „Lutherhof“. Johannes kontert mit einer Schrift, deren langatmigen Titel heute keine Suchmaschine fressen würde: „Das Vaterunser in Begleitung von Evangelien und alten Chorälen wie solches in der Weimarschen Sonntagsschule mit den Kindern gesungen, durchgesprochen und gelebt wird. Zum Besten eines von den Kindern selbst zu erbauenden Beth- und Schulhauses.“ Was er 1823 nicht ahnen kann: Seine Ideen inspirieren berühmte Sozialreformer und -politiker, sein Weimarer „Rettungshaus“ wird zum Vorreiter evangelisch-diakonischer Jugendsozialarbeit bis heute.

Wie „O du fröhliche“ ein Weihnachtslied wurde

„O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Osterzeit! / Welt liegt in Banden, Christ ist erstanden / Freue, freue dich, o Christenheit. O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Pfingstenzeit! / Christ, unser Meister, heiligt die Geister / Freue, freue dich, o Christenheit.“ Kennt keiner. Nur die erste Strophe – die zu Weihnachten – ist hängen geblieben.

Johannes Falk schreibt 1816 ein „Allerdreifeiertagslied“ für „seine“ Heimkinder. Die Melodie hat er von einem fieberkranken Jungen aus Italien gehört (später wird man herausfinden, dass es „O sanctissima, o pi-issima, dulcis virgo Maria“ hieß). Ein bayerischer Mitarbeiter Falks, Heinrich Holzschuher, dichtet 1826 noch zwei weitere „Weihnachts“-Strophen dazu und macht es damit – unwillentlich – zu einem reinen Weihnachtslied. Aber da ist der „Waisenvater von Weimar“ bereits seit dem 14. Februar 1826 tot. Mit 58 an einer Blutvergiftung gestorben. Caroline und der ehemalige „Zögling“ Georg Renner überführen das private Waisenheim als „Falk’sches Institut“ in kommunalen Besitz. Die Schriften des „Freundes von Scherz und Satyre“ aber zeigen bis heute, dass kindliche Herzensfrömmigkeit, empathisches Sozialengagement und scharfsinnig intellektuelle Zeitkritik kein schlechter Dreiklang sind.

Andreas Malessa ist Hörfunkjournalist in der ARD, Theologe, Buchautor satirischer Kurzgeschichten, Referent und Moderator auf Veranstaltungen mit religiös-kulturellen, kirchlichen und sozialethischen Themen. Im Frühsommer sind von ihm die Titel „111 Bibeltexte, die man kennen muss“ (emons) und „Mann! Bin ich jetzt alt?!“ (adeo) erschienen.

Mutbürger

SERIE: POLITIKBETRIEB VON INNEN

 

Uwe Heimowski fragt: „Wie kann die Politik aufgebrachte Menschen erreichen?“ Der Bundestagsvizepräsident a. D. Wolfgang Thierse antwortet: „Gar nicht.“

Ein gediegenes Zimmer im Schadowhaus in Berlin. Parkettfußboden, Stuckdecken, alte Meister an den Wänden. Die deckenhohen Bücherregale sind gestapelt voll. Die Themen reichen von Literatur über Politik, Religion, Philosophie bis zur Kunstgeschichte. Wir sitzen im Büro von Wolfgang Thierse, Bundestagsvizepräsident a. D. Ein Ostdeutscher, SPD-Mann der ersten Stunde in der ausgehenden DDR. Der bekennende Katholik ist ein kluger Intellektueller und nüchterner Analytiker, einer, der Argumente abwägt – mit seiner Meinung aber nicht hinterm Berg hält. Thierse kann Klartext sprechen. „Demokratie lebt vom Streit“, erklärt er, „vom Austausch von Argumenten, klar in der Sache, freundlich im Ton.“

Und schon sind wir mitten im Thema. Die Demonstrationen von Chemnitz liegen erst wenige Tage zurück. Nach dem Tod eines Mannes, der vermutlich von einem Flüchtling erstochen wurde, hatten AfD, Pegida und Pro Chemnitz gemeinsam mit einigen Hooligan-Gruppen 8.000 Menschen mobilisiert, eine Gegendemonstration brachte 3.000 Teilnehmer auf die Straße. Es war zu Ausschreitungen gekommen, Hitlergrüße wurden gezeigt, wütende Parolen skandiert, einige Medien berichteten, dass es am Rande der Demo regelrechte „Hetzjagden“ auf Migranten gegeben hätte. Im Vorfeld waren zahlreiche manipulierte Nachrichten über den Hergang des Mordes in den sozialen Medien kursiert.

HEIMAT GEBEN UND HEIMAT BEWAHREN
Wir nehmen die Geschehnisse zum Anlass, um über die Verrohung in der Sprache, den Mangel an sachlichen Gesprächen oder die kollektive Ablehnung von Institutionen zu sprechen, die sich in Begriffen wie „Altparteien“ oder „Lügenpresse“ spiegelt. „Was kann man dagegen tun?“, frage ich. Thierse greift sich in den Rauschebart, reibt sein Kinn eine Weile, bevor er antwortet: „Den Konflikt in der Bevölkerung, der durch die Zuwanderung entstanden ist, würde ich auf eine Formel bringen: Wir müssen den Fremden eine Heimat geben, ohne dass den Menschen hier ihre Heimat fremd wird. Das allerdings ist ein langer und schwieriger Prozess. Die Integration der Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg hat zwanzig Jahre gedauert, verbunden mit vielen Konflikten – und das waren Deutsche. Die Integration der sogenannten Gastarbeiter ist bis heute nicht abgeschlossen, wie insbesondere die letzten Monate gezeigt haben. Vor uns liegt eine schwierige und komplexe Aufgabe. Ein Feld, das Menschen anfällig macht für schnelle und einfache Antworten.“

Wie Politik die aufgebrachten Menschen denn erreichen könne, will ich wissen. Seine Antwort ist schnörkellos: „Gar nicht.“ Ich bin ein wenig verwirrt. Thierse sieht es mir an und erklärt mir, was er meint. Die Politik und auch der Rechtsstaat müssten klare Zeichen setzen. Das sei dringend geboten. Aber als öffentlicher Gesprächspartner seien sie für viele Menschen untauglich. Es käme gar nicht erst zu einem Austausch von Argumenten, da die Gegner darauf aus seien, den Konflikt eskalieren zu lassen. „Wer kann dann die Menschen erreichen“, frage ich nach, „die Kirchen vielleicht?“ Der Alt-Bundestagspräsident schüttelt den Kopf. „Es ist wichtig, dass sich Christen mit Gottesdiensten und Friedensgebeten beteiligen, das haben wir ja bei der friedlichen Revolution erlebt, aber sie erreichen nur noch wenige Menschen.“ Das gelte generell für Institutionen wie Vereine oder Parteien, gerade im Osten Deutschlands.

ES IST DIE STUNDE DER MÜNDIGEN BÜRGER
Mich überkommt eine gewisse Resignation. „Heißt das, wir müssen diese Eskalationen einfach hinnehmen?“ Thierse widerspricht energisch. „Nein, ganz und gar nicht. Aber es ist falsch, die Lösung allein von den Autoritäten zu erwarten. ‚Die da oben‘ können das Problem nicht lösen. Natürlich müssen Politik und Kirchen ihren Teil tun. Politik muss die Probleme der Menschen lösen, für bezahlbaren Wohnraum oder angemessene Bedingungen in der Pflege sorgen. Aber die Menschen wirklich überzeugen? Das können nur diejenigen, die als Gesprächspartner ernst genommen werden: Familie, Freunde, Arbeitskollegen – gegen Hass müssen die Bürger vorgehen.“

Mir gehen die Rufe der Demonstranten durch den Kopf: „Wir sind das Volk, wir sind das Volk.“ Thierse hat Recht. Das Volk ist gefragt. Die Bürger. Die schweigende Mehrheit. Auch wir müssen auf die Straße gehen. Nur wenn wir uns zu Wort melden, wird deutlich, dass es eine Minderheit ist, die lautstark den Ton angibt. Das Motto des Chemnitzer Konzerts gegen rechte Gewalt, wegen der Teilnahme der linksextremen Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ nicht unumstritten, war da passend gewählt: „Wir sind mehr.“ 65.000 Menschen kamen in die Stadt.

Diese Zeichen sind wichtig, sie haben eine starke Symbolkraft. Aber sie ersetzen eben nicht das andere: das Gespräch, den wiederholten, nicht nachlassenden Diskurs. Wer überzeugen will, muss Geduld und Mut mitbringen und zuhören lernen. Er muss Fragen stellen und eigene Fehler zugeben. Und er muss glaubwürdig sein, weil er in der gleichen Straße wohnt, dieselben Nachbarn hat, einen ähnlichen Beruf ausübt. Ein Staat lebt von seinen Bürgern. Er lebt vom Vertrauen, und das entsteht im Gespräch. Nur wer sich darauf einlässt, der gestaltet wirklich die Demokratie. Hier, auf dem Sofa im Gespräch mit Wolfgang Thierse, wird mir das wieder neu bewusst, und draußen, im Dialog mit den Menschen, muss es sich bewähren.

Uwe Heimowski (54) vertritt die Deutsche Evangelische Allianz als deren Beauftragter beim Deutschen Bundestag in Berlin. Er ist verheiratet mit Christine und Vater von fünf Kindern.

Church goes Pub

Eine Kirche in der Kneipe

Gott spricht durch unser Leben. »Church goes Pub« (CgP) sucht diese Lebensgeschichten und lässt andere daran teilhaben. Mitten im Leben, mitten unter Menschen.

„Church goes Pub ist für Menschen, denen Sonntagmorgen zu früh, Kirchenbänke zu hart und Predigten zu theoretisch sind.“ Zugegeben, unser Slogan ist provokativ! Die Ironie dahinter: Unsere Veranstaltungskneipe ist bestückt mit alten Holzbänken, die jeder kerzengeraden und harten Kirchenbank locker das Wasser reichen können. Die Kneipe ist trotzdem regelmäßig bis auf den letzten Platz gefüllt.

Sonntagabend, 18 Uhr. Der Raum füllt sich mit Menschen. Auf den Tischen brennen Kerzen, aufgesteckt auf Bierflaschen. Daneben je ein aus Pappe gebasteltes Kirchenschiff.  Zusammen bilden sie das Logo von „CgP“ – eine Bierflasche als Kirchturm mit Kreuz. Noch sieht es aus wie ein ganz normaler Bistroabend in der „Galerie“, einer gemütlichen Kneipe in Roten-burg an der Fulda. Die Gäste trinken ein Bier, bestellen ihr Essen, reden, lachen, begrüßen sich. Viele haben ihre Freunde mitgebracht. Die Sitzplätze an den Tischen sind längst belegt. Manche stehen entlang der Wand oder sitzen auf Barhockern am Tresen. Ein „Männerproblem“ haben wir nicht. An was das wohl liegt?  Kann man doch ganz unbefangen am Tresen sitzen und sein Bierchen trinken, muss nicht singen, beten, aufstehen oder sonst etwas machen – einfach da sein, ohne, dass jemand etwas von einem will. Wie geschaffen für Männer, die Fragen über Gott haben.

Dieser Abend ist eine Möglichkeit, Menschen mit Gott in Kontakt zu bringen, Erfahrungen mit dem Glauben an Jesus Christus zu teilen. Ganz ungezwungen entwickelt sich ein Gespräch beim Abendessen in der Kneipe mit Fremden und Freunden. Genau das geschieht an jedem „CgP“-Abend ab 20 Uhr, wenn jemand aus seinem Leben erzählt. Keine theoretische Predigt, sondern Menschen, die ihre Geschichte mit Gott erzählen. Ein ehemaliger hochrangiger Berufssoldat, zweifacher Witwer, begegnete Gott durch seine zweite Frau. Ein Geschäftsmann, der an einem Burnout fast zerbrach und sein Leben neu ordnete. Ein Pastor, der in tiefe Depressionen fiel und seine ganz persönlichen Fragen an Gott hat, zweifelt, angefochten ist. Eine Mutter, die ihren Mann mit Mitte dreißig durch eine Krebserkrankung verlor und mit den kleinen Kindern alleine zurückblieb. Geschichten, die das Leben schreibt. Immer mit den Fragen: Wo und wie habe ich Gott in meinem Leben erfahren? Was hat der Glaube an einen lebendigen Gott mit meinem Alltag, mit meinen Krisen, Herausforderungen und auch den schönen Momenten meines Lebens zu tun?

Ich staune beim Zuhören immer wieder über Gottes Realität und seine persönliche Geschichte mit jedem Menschen – oft von Krisen geprägt. Aber er ist treu! Hier finden Lebensgeschichten aus der Wirklichkeit der Zuhörer ihren Platz, keine Glaubenshelden und Berühmtheiten. Wir erleben, dass Menschen Fragen an das Leben und Gott haben, auf der Suche nach Sinn und Halt sind. In den Lebensgeschichten finden sie Antworten. Als „CgP“-Team sind wir erstaunt über die unterschiedlichen Menschen, die an diesen Abenden in die Kneipe kommen: 60 bis 80 Personen im Alter zwischen 20 und 70 Jahren. Viel mehr Platz bietet diese Kneipe nicht. Diese kuschelige Enge ist die von den Gästen geliebte, besondere Atmo-sphäre, die Gemeinschaft vermittelt. Natürlich kommen Christen – auch aus anderen Gemeinden. Viel spannender ist: Es kommen viele Christen, die von christlichen Gemeinden enttäuscht wurden, verletzt oder sogar rausgeflogen sind. Sie genügten nicht den moralischen Ansprüchen – eine Ehe scheiterte oder Lebensschicksale passten nicht in das fromme Weltbild. In der Gemeinde fanden sie keinen Halt, sondern aufgerichtete Schranken. Menschen, die scheiterten, aber dennoch glauben wollen. Sie suchen die Begegnung mit vorbehaltlosen Christen. Genauso kommen Menschen, die mit Gott und Gemeinde wenig bis gar nichts am Hut haben, aber auf der Suche nach Gott sind.Nach der Lebensgeschichte gibt es noch zwei weitere Lieder unserer Band und eine offene Fragerunde an den Redner. Mindestens dreieinhalb Stunden waren Menschen zu Gast in der Kneipe und konnten dabei Gott begegnen. Oft entstehen noch lange, tiefgründige Gespräche an den Tischen, über Gott und das Leben.

„CgP“ ist ursprünglich eine Idee junger Christen aus Magdeburg. Wir haben uns gefragt: „Kann das, was in einer Studentenstadt funktioniert, auch in einer nordhessischen Kleinstadt gelingen?“ Es war für uns ein Vertrauensschritt, dieses Projekt in Rotenburg zu beginnen. Gott hat dafür den richtigen Moment geschenkt, die Türen geöffnet, und es hat sich schnell ein motiviertes, leidenschaftliches und buntes Team von Christen gebildet, die sich bis heute in dieses Projekt investieren. Die Menschen heute sind offen und auf der Suche, haben ihre Fragen an Gott. Mit „CgP“ gehen wir zu den Menschen an einen Ort, an dem sie sich auch sonst treffen, der ihnen vertraut ist. Jesus hat gesagt: „Kommt her zu mir!“ Aber zu den Jüngern hat er gesagt: „Gehet hin!“ Das tun wir mit „Church goes Pub“.

Thomas Sackmann (41) ist verheiratet und Vater von drei Söhnen. Als Prediger in der Evangelischen Chrischona Gemeinde Braach ist er Mitbegründer von „Church goes Pub“ in Rotenburg an der Fulda. Nebenher arbeitet er als Coach und Seelsorger.

Weitere Informationen finden Sie unter www.churchgoespub.de, auf facebook und auf der DVD „Kirche erfrischend vielfältig, Volume 2“ (www.scm-haenssler.de).