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Michael Blume (Foto: SCM Bundes-Verlag / MOVO / Rüdiger Jope)

„Jedes Leben zählt!“: Der Mann, der 1.000 Menschen rettete

Michael Blume hat 1.000 jesidischen Frauen und Kindern geholfen, aus dem Nordirak zu fliehen. Wie kam es dazu?

Herr Blume, am 23. Dezember 2014 bekamen Sie aus dem Auswärtigen Amt und dem Innenministerium in Berlin „gelbes Licht“ für welche Aktion?

Michael Blume: Das Land Baden-Württemberg dürfe 1.000 jesidische Frauen und Kinder aus dem Nordirak aufnehmen, die sich auf der Flucht vor dem IS befanden. Allerdings war es nur „gelbes Licht“, weil die sagten: „Wir spielen doch nicht den Buhmann und verbieten eine humanitäre Aktion. Macht es, aber bitte auf eigene Verantwortung und auf eigenes Risiko!“

Welche Frage stellte Ihnen Ministerpräsident Winfried Kretschmann daraufhin?

Blume: Er fragte mich: „Würden Sie es denn machen, Herr Blume?“

Sie kamen sich vor wie im Film „Schindlers Liste“. Sie besprachen diesen wahnsinnigen Auftrag mit Ihrer Frau. Sie schaut Ihnen in die Augen und sagt?

Blume: Meine Frau ist Muslimin. Sie schämte sich sehr, was der IS im Namen ihres Glaubens da im Irak anrichtet. Sie brach in Tränen aus, sagte dann aber: „Wir glauben beide, dass Gott uns einmal fragen wird, was wir mit den Elenden vor unserer Tür gemacht haben. Michael, mach es! Jedes Leben zählt!“ Wir hatten drei kleine Kinder. Sie hat die 14 Dienstreisen über 13 Monate in den gefährlichen Irak mitgetragen.

Waren Sie schon immer so ein tapferer und cooler Mann?

Blume: (schmunzelt) Nein! (lacht) Ich war für Mädels nicht cool, nicht chic, nicht so richtig vorzeigbar. Meine Familie stammt aus der ehemaligen DDR. Mein Vater hat Stasihaft und Folter erlitten. Ich bin daher mit einer tiefen Dankbarkeit gegenüber unserem Rechtsstaat und den Menschenrechten aufgewachsen. Dazu kam, dass ich als Jugendlicher einen Sinn im christlichen Glauben gefunden habe. Die glückliche Beziehung mit meiner Frau hat mich zum Mann reifen lassen.

„Hätte ich im Blick auf die Not dieser Frauen und Kinder Nein gesagt, hätte ich mich nie wieder im Spiegel anschauen können“

Was hat Ihnen geholfen, Ihr Potenzial zu entfalten?

Blume: (spontan) Unbedingt geliebt, ein Kind Gottes zu sein, aber eben auch das Wissen und die Erfahrung: Ich bin nicht unfehlbar, ich darf auch scheitern. Der Rückhalt meiner Frau, die mir in dieser schwierigen Entscheidung vermittelt hat: Es lohnt sich, sein Bestes zu geben. Sie hatte verstanden: Hätte ich im Blick auf die Not dieser Frauen und Kinder Nein gesagt, hätte ich mich nie wieder im Spiegel anschauen können.

Sie retteten mit einem kleinen Team über 1.000 Jesidinnen das Leben. Sie setzen sich ein für Geschundene, Geflüchtete … Ist dies in Ihrer DNA angelegt, weil Ihr Vater in der DDR im Knast saß, Ihre Eltern aus der DDR flüchten mussten?

Blume: Unbedingt. Als Jugendlicher habe ich eine große Politikverdrossenheit um mich herum erlebt. Dies hat mich unglaublich geärgert. Wir Menschen, die wir im Wohlstand und in Freiheit aufwachsen, tendieren leicht dazu, dies zu verachten, nicht mehr wertzuschätzen. Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass wir in einer Demokratie leben, dass wir Menschenrechte haben, dass Mädchen die Schule besuchen dürfen und Frauen die gleichen Rechte haben wie Männer. Dafür sollten wir kämpfen! Mein Vater hat Folter ertragen, weil er wollte, dass seine Kinder einmal in Freiheit aufwachsen. Wer bin ich, der ich dieses Geschenk der Freiheit wegwerfen würde oder anderen vorenthalte?

Nadia Murad, eine der Jesidinnen, die Sie gerettet haben, erhielt im Dezember 2018 den Friedensnobelpreis. Welches Gefühl löste dies in Ihnen aus?

Blume: Ich war mit Ministerpräsident Kretschmann bei der Verleihung in Oslo dabei. Das war sehr bewegend. Nadia selber war zuerst gar nicht so glücklich darüber, weil ihr damit klar war: Jetzt kann ich mich nicht mehr zurückziehen, jetzt muss ich ein Leben lang eine öffentliche Rolle einnehmen. Sie, diese tapfere Frau, hat dieses Geschenk, aber eben auch diese Herausforderung dann angenommen und der freien Welt signalisiert: Frauenrechte sind nicht selbstverständlich und gerade wir Männer sollten dafür einstehen.

Beinahe-Antisemitismus-Skandal: „Das wird eine heftige Geschichte“

Sie brechen als junger Mann ein Volkswirtschaftsstudium ab, um Religionswissenschaften zu studieren. Mit einem Aufsatz über Ihre Biografie als „Wossi“ gewinnen Sie einen Preis. Die Stuttgarter Zeitung veröffentlicht einen Artikel über Sie. Diesen Beitrag liest …?

Blume: (lacht) … Staatsminister Christoph Palmer. Ich hatte damals einen Beitrag zum Thema „Heimat und Identität“ eingereicht. Damit gewann ich einen Preis als einziger Deutscher ohne Migrationshintergrund, wenn wir die DDR nicht mitzählen. Palmer hat mich dann von der Universität direkt ins Staatsministerium geholt.

Am 11. April 2007 sagte der damalige württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger in Freiburg auf der Beerdigung von Hans Filbinger, einem seiner Vorgänger, den Satz: „Filbinger war kein Nationalsozialist. Es gibt kein Urteil von ihm [Anm.d.Red.: Er war NS-Marinerichter], durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.“ Warum wurde Ihnen da mulmig?

Blume: An der Rede war ich nicht beteiligt. Als ich sie hinterher hörte – heute würde sie ja sofort im Internet stehen –, war klar: Das wird eine heftige Geschichte. Diese Aussage könnte ihn sein Amt kosten. Man soll ja über Verstorbene nichts Böses sagen, aber hier war eine Grenze überschritten worden, eine Umdeutung passiert. Unbestrittene Tatsache ist: Filbinger hat noch in den letzten Kriegstagen Menschen zum Tode verurteilt.

Wie haben Sie die politische Kuh vom sprichwörtlichen Eis bekommen?

Blume: Ich habe Günther Oettinger geraten, den Vorwärtsgang einzulegen, nicht darauf zu warten, dass die medialen Rücktrittsforderungen abebben. Wir sind zur jüdischen Gemeinde Stuttgart gefahren, haben mit dem Zentralrat der Juden direkt gesprochen. Die jüdischen Gemeinden wussten, dass Oettinger ein feiner Kerl und kein Antisemit ist, aber die mediale Dynamik hätte alle zermalmen können. Der Ministerpräsident bedauerte den Fehler, die jüdische Gemeinde zog die Rücktrittsforderung zurück.

Und Sie bekamen ein Dankeschön der Kanzlerin?

Blume: (lacht) Sie haben sich aber gut informiert! Ja. Angela Merkel rief Günther Oettinger über mein Handy an. Ich konnte meinen Teil tun.

Sie sind Mitglied der CDU. Was bedeutet Ihnen das C? Und wie kam es dazu, dass Sie für eine Landesregierung arbeiten, in der die Grünen am Ruder sind?

Blume: Das Christliche ist mir zentral wichtig. Auch als Entlastung von Politik, weil sie nicht versuchen sollte, ein Paradies auf Erden zu schaffen. Ministerpräsident Kretschmann hat ein Faible für das C. Das verbindet uns. Als er gewählt und sein Vorgänger Stefan Mappus abgewählt war, fragte er mich, ob ich trotzdem bleiben würde. Ich sagte ihm zu, wenn er die zwei Mitarbeiterinnen mit übernehmen würde, die für mich bis dahin gearbeitet haben. Er hat seinen Teil eingehalten und ich den meinen. Wir arbeiten bis heute sehr vertrauensvoll zusammen. Ich stelle immer wieder fest: Viele Grüne schätzen es, wenn sie mit einem Christdemokraten zu tun haben, der sein Parteibuch nicht taktisch versteckt, wenn es der Karriere schädlich sein könnte, sondern zu seinen Werten steht.

„Antisemiten glauben immer, sie seien Opfer“

Sie sind heute Antisemitismusbeauftragter. Wie würden Sie einem Kind diesen Beruf erklären?

Blume: Das Judentum war die erste Religion, die mit dem Alphabet geschrieben hat. Deshalb denken viele Menschen, dass die Juden besonders schlau seien und die Welt kontrollieren. Ich würde dem Kind dann sagen: Niemand kontrolliert die Welt außer Gott. Ich gewinne Menschen dafür, sich zu bilden und zu lernen und keinen Hass auf eine Gruppe oder Religion zu haben.

Was ist Antisemitismus?

Blume: Antisemitismus ist eine Form von Menschenfeindlichkeit, die immer mit Verschwörungsmythen verbunden ist. Im Antisemitismus wird behauptet, Juden seien besonders schlau, reich und mächtig. Antisemiten glauben immer, sie seien Opfer. Sie sind deshalb auch zur Radikalisierung und Gewalt bereit.

Warum trifft es durch die Jahrhunderte und viele Kulturen hindurch immer wieder die Juden?

Blume: Weil sie die erste Religion der Schrift waren. Im ersten Buch Mose heißt es: Der Mensch sei im Bilde Gottes geschaffen. Daraus entsteht der Begriff der Bildung, der unsere europäische Kultur entscheidend geprägt hat. Die Idee, dass wir einmal in einer Welt leben, in der jedes Mädchen, jeder Junge lesen und schreiben kann, entstammt dem Judentum. Deshalb konnte der zwölfjährige Handwerkersohn Jesus drei Tage im Tempel mit den Schriftgelehrten diskutieren.

„Bekämpft Antisemitismus für eure eigene Zukunft!“

Ist Antisemitismus mehr als Hass auf Juden?

Blume: Rabbiner Lord Jonathan Sacks formulierte es so: „Dieser Hass beginnt immer bei den Juden, endet aber nie bei ihnen.“ Er setzte sich im Dritten Reich bei den Sinti und Roma oder den Homosexuellen fort. Im Islamischen Staat setzte sich dieser Hass gegen Jesiden, Wissenschaftler und Journalisten fort. Ich sage daher: Bitte bekämpft den Antisemitismus nicht nur den jüdischen Menschen zuliebe, sondern für eure eigene Zukunft! Wer glaubt, dass die Gesellschaft von der Verschwörung gesteuert wird, ist zur Demokratie nicht mehr in der Lage.

Es heißt, der Antisemitismus in Deutschland nehme wieder zu. Ist dies auch Ihre Feststellung?

Blume: Jein. Nach allen Daten, die uns vorliegen, nimmt die Zahl der Antisemiten weiter ab. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Die Menschen, die antisemitisch agieren, haben aber das Internet, und damit nimmt ihre Radikalisierung und Gewaltbereitschaft zu.

Was können wir gegen Antisemitismus tun?

Blume: Wir sind gefragt, zuzugeben, dass wir nicht alles wissen. Verschwörungsmythen geben eine scheinbar einfache Erklärung. Wenn ich sage, diese Verschwörer sind schuld, habe ich eine vermeintliche Erklärung für COVID-19, die Klimakrise, den Krieg in der Ukraine. Stattdessen zu sagen: Ich weiß, dass wir Männer die Wahrheit nicht mehr besitzen, sondern Unsicherheiten aushalten müssen – diese Stärke wünsche ich mir von uns Männern. Lebenslange Bildung macht uns stark gegen Antisemitismus.

Wann haben Sie als Beauftragter einen guten Job gemacht?

Blume: Wenn ich eingeladen werde, Menschen an diesem Thema Interesse zeigen, ich dafür sorgen kann, dass Menschen gar nicht erst zu Antisemiten werden. Jede Seele zählt.

„Die vernünftige Mitte bricht zusammen“

Sie differenzieren zwischen Verschwörungsmythen und Verschwörungstheorien. Warum?

Blume: Theorie ist ein Begriff aus der Wissenschaft. Verschwörungsmythen wollen nur Schuldige benennen. Das waren im Mittelalter die Hexen, heute werden die Zugewanderten als Invasoren betrachtet oder man wirft Frauen vor, dass sie für niedrige Geburtenraten sorgen. Wir müssen ertragen, dass sich die Welt nicht in gute und böse Gruppen spalten lässt, dass wir herausgefordert sind, das Böse in uns zu bekämpfen.

Warum haben Verschwörungsmythen und Fake News derzeit so Hochkonjunktur?

Blume: Immer dann, wenn neue Medien auftreten, haben wir eine Explosion von Verschwörungsmythen. Der Hexenwahn war nicht im vermeintlich finsteren Mittelalter, sondern fand vom 15. bis zum 18. Jahrhundert statt. Heute werden in 44 Ländern der Erde Frauen als Hexen verfolgt. Immer dann, wenn neue Medien wie Buchdruck oder elektronische Medien an Bedeutung gewinnen, ergeben sich unendliche neue Chancen für Bildung, aber es tauchen eben auch wieder alte Vorwürfe auf. Das erleben wir gerade mit einer nie dagewesenen Geschwindigkeit.

Sehen Sie einen Zusammenhang von zurückgehenden Kirchenmitgliedszahlen, einem schwindenden Glauben in der Gesellschaft und einer Zunahme von Mythen?

Blume: Ja. Unbedingt. Wir erleben leider in allen Religionen das Phänomen, dass die vernünftige Mitte zusammenbricht. Es wird die Religionslosigkeit propagiert. Es gibt immer mehr säkulare Menschen. Diese stehen den religiösen Dualisten gegenüber, die sich gegen den sogenannten Mainstream mit Verschwörungsmythen abgrenzen. Die vernünftige Mitte zerbröselt. Das ist der Teil, der mir am meisten Sorgen macht.

Blume geht gerichtlich gegen Hassnachrichten vor

Sind Männer anfälliger für Verschwörungsmythen als Frauen?

Blume: Ja! Bei Männern sehen wir öfter ein kämpferisches Weltbild. Da herrscht die Stimmung vor: Ich zerschlage jetzt die Verschwörer, wenn es sein muss auch mit Gewalt. Dies kickt vor allem jüngere Männer. Darin lassen sie sich dann gerne von älteren Männern bestätigen. Von daher sage ich, auch als ehemaliger Soldat: Liebe Mitmänner, die eigentlichen Helden stellen sich erst einmal ehrlich den Abgründen der eigenen Seele.

KI in Form von ChatGPT & Co. bringt nochmals eine ganz neue Herausforderung in puncto Fake News mit. Was wird in Zukunft wichtig(er) werden? Wie können wir Mythen oder Fake News entzaubern?

Blume: ChatGPT ist ein Werkzeug, welches unsere gesamte Welt verändern wird. Wir werden zukünftig mehrere KIs nutzen. Ob wir es wollen oder nicht, KI wird ein Teil unserer Mitwelt. Sie wird uns selbst verändern, wie uns auch das Smartphone verändert hat. Mein Ratschlag lautet: Mitmachen, aber auch nachdenken, was wir da eigentlich tun!

Hassnachrichten gehören zu Ihrem Tagesgeschäft. Wie gehen Sie damit um?

Blume: Am Anfang habe ich sie einfach ignoriert. Doch dann richteten sie sich gegen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vor allem gegen meine Familie. Seitdem wehre ich mich auch gerichtlich.

Sie klagen gegen Twitter. Warum?

Blume: Viele Bürger haben gar nicht die Möglichkeit, gegen diesen Giganten vorzugehen. Das ist unglaublich teuer. Stellvertretend für die Menschen streite ich daher gemeinsam mit HateAid. Ich will nicht den Hass im Internet bejammern, sondern mich auch hinstellen und den Hetzern und Trollen die Stirn bieten! Es hat mich Überwindung gekostet, im Regierungskabinett solch eine an mich adressierte Hassnachricht vorzulesen.

Was ist der aktuelle Stand der Klage?

Blume: Twitter vertritt die Auffassung, dass die gesendete Hassnachricht gelöscht werden kann, doch die Kläger sollen jede einzelne Hassnachricht neu melden. Wir halten dagegen und haben vom Landgericht Frankfurt/Main Recht gesprochen bekommen, dass Twitter kerngleiche Inhalte selbst löschen muss. Wenn also gegen eine Person eine Kampagne läuft, ist Twitter gefordert, löschend einzuschreiten. Twitter kann sich nicht zurücklehnen nach dem Motto: Meldet es und wir schauen dann mal. Twitter wehrt sich sehr dagegen …

„Jede Religion kann man liebevoll oder auch feindselig leben“

Was ängstigt Sie? Was macht Ihnen Hoffnung?

Blume: Mich treibt die Sorge um, dass die Klimakrise zur Wasserkrise wird. Ich habe im Irak gesehen, wie ein Staat zerfällt, wenn es nicht mehr genügend Wasser für alle gibt. Wasser ist ein mächtigeres Element als Öl. Es ist übrigens auch das erste Element, welches in der Bibel genannt wird, noch vor dem Licht! Es werden immer weniger Teile der Erde bewohnbar sein. Ich bin überzeugt: Wir werden die Krise meistern, aber die vor uns liegenden Jahre werden hart. Es geht ums Überleben in unserer Mitwelt. Dafür braucht es Frauen und Männer, die über sich hinauswachsen.

Sie sind atheistisch aufgewachsen, haben dann zum christlichen Glauben gefunden. Was hat Sie überzeugt?

Blume: Ich war politisch sehr aktiv. Im Angesicht der Hungerkatastrophe in Somalia stellte ich als junger Mensch fest: Es gelingt uns trotz allem Engagement nicht, die Welt zu einem gerechten Ort zu machen. Das brachte mich in eine Sinnkrise. Und in dieser frustrierenden Situation hat Gott mich aufgefangen und angesprochen in dem Sinne: Michael, wenn du tust, was du kannst, ist das genug. Du bist unendlich geliebt! Das hat mich unglaublich entlastet und bewahrt mich davor, mich selbst zu überfordern.

Sie und Ihre Frau entstammen einer Arbeiterfamilie. Sie sind ein glückliches Paar. Was sagen Sie Menschen, die Christen vor allem als Kreuzritter und Kolonisatoren und Muslime als Machos und Terroristen sehen?

Blume: Jede Religion kann man liebevoll oder auch dualistisch, feindselig, extremistisch leben. Das gilt fürs Christentum, den Islam und jede andere Glaubensrichtung. Zehra und ich haben jetzt unsere silberne Hochzeit gefeiert. Wir sind sehr glücklich miteinander. Wir haben drei gemeinsame Kinder, die sich in der evangelischen Kirche engagieren. Meiner Auffassung nach sollte sich Religion niemals gegen die Liebe stellen, sondern sie immer unterstützen.

Infolge der Flüchtlingskrise, der Corona-Pandemie, des Krieges in der Ukraine erleben wir eine starke Polarisierung der Gesellschaft. Wie geht es weiter? Was ist Ihre Prognose?

Blume: Wir alle stehen vor der Charakterfrage. Gerade auch wir Männer. Große Teile der Welt werden unbewohnbar werden. Es wird sogenannte Archeregionen geben, in denen Menschen überleben können. Wir alle stehen da vor der Herausforderung, die Menschen zu beschützen, die uns anvertraut sind, aber eben auch ein großes Herz gegenüber denen an den Tag zu legen, die bei uns Schutz suchen. Dies wird die Herausforderung des 21. Jahrhunderts werden. Sind wir Männer fähig, echte Partner zu sein, zu lieben statt zu hassen? Das wird die Aufgabe von uns Männern sein!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Rüdiger Jope.

Heißer Lesetipp für den Sommer:

„Eine Blume für Zehra – Liebe bis zu den Pforten der Hölle“ (bene!) Andreas Malessa erzählt eindrücklich die Liebes- und Familiengeschichte von Blumes. Ein packendes Stück deutscher Geschichte im Kleinformat.

Zahnarzt Dr. Marcel Cucu (Foto: Tobias Grimm)

Marcel Cucu flüchtet mit drei Jahren aus Rumänien – heute bringt er Menschen als Zahnarzt zum Lachen

Doktor Cucu ist kein normaler Zahnarzt. Seine Praxis ist knallbunt, Humor ist sein Antrieb. Dabei fing sein Leben überhaupt nicht lustig an.

Dr. Cucu kann nicht still sitzen. Er zupft sich sein buntes Hemd zurecht. Lacht herzlich. Ein Blick auf die Uhr. Zeit ist sein wertvollstes Gut. Marcel Cucu ist ein Exot. Denn Cucu heißt sonst niemand in der Schweiz. Aber auch neben der Einzigartigkeit seines rumänischen Nachnamens fällt Cucu auf, hier in Schaffhausen. Er ist Zahnarzt. Nicht für die faulen Zähne, sondern für Zahnspangen. Kieferorthopäde.

Einen Exoten nenne ich ihn an dieser Stelle auch, weil ihm bei einer zufälligen Begegnung wohl kaum jemand den Beruf Zahnarzt zuordnen würde. Und er fällt aus vielen Gründen auf – zum Beispiel mit seiner Zahnarztpraxis, die alles andere als weiß ist.

Lebensfroh heißt farbenfroh

Hellgrün, Orange, Himmelblau – das sind seine Farben. Angefangen beim Brillengestell. Es ist dick. Und knallig. Er habe mehrere davon, sagt er. Heute trägt er die violette. Kunterbunt, so sieht hier alles aus. Lebensfroh heißt hier farbenfroh. Überhaupt erinnert hier kaum etwas an die sonst so sterile Umgebung einer Arzt- oder eben Zahnarztpraxis.

Das Team trägt bunte Shirts, farbige Sneakers und an den Wänden hängen kunterbunte Kuckucksuhren. Jeder Kuckuck schnellt raus aus seinem Häuschen und ruft – zu jeder Stunde, in jedem Raum. Im Hintergrund läuft moderne Kirchenmusik. Eine Praxis voller Gegensätze. „Es gibt in dieser Welt genügend graue Mäuse. Ich will Farbe ins Leben bringen. Die bunten Farben in meiner Praxis sind für mich ein Abbild meiner Haltung zum Leben. Ein Statement für die Lebensfreude.“

Diese Freude zu leben sei für ihn ein lebenslanges Lernfeld. „Bleib so, wie du bist: Dieses Sprichwort ist für mich das schlimmste von allen. Wenn mir das jemand zum Geburtstag wünscht, dann sage ich ihm: Hör auf!“ Marcel Cucu will lernen. Sich entwickeln. Jeden Tag aufs Neue. Dabei lässt er sich gerne vom Leben treiben: „Ich bin ein spontaner Mensch. Dabei gehen manche Türen auf, andere zu. Ich will einfach mal machen, einfach mal losgehen.“

Auf der Flucht

„Ich bin handwerklich nutzlos„, dachte sich Marcel Cucu schon immer. Doch es kommt anders. Heute ist präzises Arbeiten sein Lebenselixier und der Weg dorthin eine Erfolgsgeschichte mit Stolpersteinen. Alles beginnt 1968 in Rumänien. Politische Unruhen plagen zu dieser Zeit das Land. Und so wird aus der Geschichte des kleinen Marcel die Geschichte eines Nomaden.

Seine Eltern müssen flüchten und lassen ihn bei den Großeltern in Rumänien zurück. Via Sowjetunion und Finnland reisen Cucus nach Schweden. Nach einer jahrelangen politischen Odyssee reist Marcel Cucu mit 3,5 Jahren endlich ebenfalls nach Göteborg. Seine Eltern kämpfen sich hoch. Und werden Zahnärzte. Auch Marcel wird Zahnarzt. Trotz Widerstand seiner Eltern.

Nach Südafrika auswandern

Der Arbeitsmarkt in Schweden ist schwierig. Aber Dr. Cucu lässt sich nicht unterkriegen (nicht das letzte Mal in seinem Leben) und sieht diese Herausforderungen als große Chance auf eine bessere Zukunft. So zieht er mit 22 Jahren nach Italien und wandert kurz darauf nach Südafrika aus.

In Pretoria bildet er sich weiter zum Kieferorthopäden. Hier ist er auf sich allein gestellt und die ganz großen Fragen werden laut. Warum bin ich eigentlich auf dieser Welt? Was soll ich tun? Was ist der Sinn des Lebens? Antworten findet er im christlichen Glauben. Das gibt ihm Kraft und Hoffnung.

„Humor hilft immer“

„Humor ist wichtig. Humor hilft immer“, sagt Marcel Cucu. Man müsse lachen können im Leben. Und überhaupt sei Humor der Antrieb in seinem Leben. Er will Menschen zum Lachen bringen. Und ihnen das Lächeln verschönern. An seinem Beruf fasziniere ihn deshalb besonders, dass er Menschen glücklich machen kann. Nach einer zweijährigen Behandlung wird aus einem schrägen Lächeln plötzlich wieder ein gerades.

Im Zentrum: der Mensch, die Begegnung. „Es ist ganz einfach: Mich begeistern Menschen“, sagt Marcel Cucu. „Auch wenn der Alltag in der Praxis mit einer hohen Geschwindigkeit läuft, will ich, dass sich die Patienten gesehen fühlen.“ Auch darum hat er ein fünfköpfiges Team angestellt – das gebe ihm selbst den Raum, sich Zeit für die Menschen zu nehmen. Den Alltag gut zu planen, schafft die Möglichkeit, im Hier und Jetzt zu sein.

Viel zu tun

Cucu ist voller Tatendrang. Rumsitzen ist nicht sein Ding. 7.000 Patientinnen und Patienten hat Dr. Cucu in den letzten 18 Jahren in seiner Praxis behandelt. Zahnärzte haben viel zu tun. Immer mehr. Das sei vor allem der Zahntechnik zu verschulden, die sich in den letzten Jahrzehnten massiv verbessert hat, sagt er. Kieferorthopädische Behandlungen sind heute schmerzfreier und schneller als früher – und günstiger.

Oft kommen Leute in die Praxis mit Rückenbeschwerden oder Migräne. Den Körper müsse man ganzheitlich anschauen. Alles habe einen Zusammenhang, sagt Cucu. Kieferschrägstellungen können chronische Kopfschmerzen auslösen – keine Luxusprobleme. Dabei haben Zähne viel mit Genetik zu tun. Mit einfachen Mitteln könne aber vieles korrigiert werden. Zum Beispiel nach einem Unfall die Zähne wieder in Stellung zu bringen oder eine Lücke mit anderen Zähnen zu schließen.

Freitag ist Frei-Tag

Über 50 Patient/-innen sind für Marcel Cucu normal – pro Tag. Diese Geschwindigkeit des Alltags ist Lust und Last zugleich. „Dauermüdigkeit und Unzufriedenheit – Gefahr für Burnout als Zahnarzt steigt“, titelte das deutsche Dental Magazin kürzlich und bezieht sich auf eine aktuelle britische Umfrage über die Burnout-Rate von Zahnärzten. Stress und Zeitdruck – eine Dauerbelastung. Ärzte – ob Zahnärztinnen oder Mediziner – sind Arbeitstiere. Waren es schon immer.

Schon Ende der 1980er-Jahre kamen Forscher zu dem Ergebnis, dass der Zahnarztberuf mehr Stress und stressbezogene Probleme mit sich bringe als die meisten anderen Berufe. Gerade Zahnärzte hätten ein zu 25 Prozent höheres Herzinfarktrisiko als der Durchschnitt der Bevölkerung. Dass er nicht auch ausbrennen will, dafür hat sich der 54-jährige Dr. Cucu bei der Eröffnung seiner Praxis entschieden. Sein Rezept ist so simpel wie bestechend: „Der Freitag ist mein Frei-Tag.“

Dieser Tag heiße ja nicht umsonst so. Also mache er frei. Und auch seine Praxisassistentinnen haben jeden Freitag den bezahlten Frei-Tag. Gas geben und Pause machen. Das gibt Platz für Relevantes im Leben. Luft zum Atmen. Zeit für die Familie, für sich und Freunde. Ein Tag zum Sein, zum Kochen und Biken. Ohne diesen bewussten Frei-Tag hätte er wohl schon lange einen Burnout, sagt er.

Ein Nomade, der sesshaft wurde

Rumänien, Schweden, Italien, Südafrika, Schweiz. Die Liste ist lang. „Ich fühle mich überall wohl“, sagt Marcel Cucu. Er fühle sich da zu Hause, wo er gerade sei. Seit 22 Jahren ist es nun die Schweiz. Wichtig sind ihm dabei die Menschen. Das zeigen auch die kunstvollen Porträtbilder von Menschen aus aller Welt, welche die Wände zwischen den Kuckucksuhren seiner Praxis zieren: „Ein Lächeln sagt so viel über einen Menschen aus.“

Marcel Cucu ist Geschäftsmann, aber auch ein Menschenfreund. Dass dabei das Streben nach einem ausgeglichenen Leben nicht in Vergessenheit gerät, macht Hoffnung für unsere Gesellschaft. Dieses Fragen nach dem Haben oder Sein und dem Ringen nach einer Haltung für ein besseres Leben erinnert an den Philosophen Erich Fromm, der sagte: „Wenn ich bin, der ich bin, und nicht, was ich habe, kann mich niemand berauben oder meine Sicherheit und mein Identitätsgefühl bedrohen. Mein Zentrum ist in mir selbst.“

Tobias Grimm ist selbstständiger Grafiker, Multimedia-Produzent und freier Journalist. Er lebt mit seiner Frau in Bern. Er mag Fragen, Menschen und den Flugmodus. tobiasgrimm.ch

Die Freiwilligen des TuS Ennepetal transportierten mit fünf Sprintern Hilfsgüter nach Polen. (Foto: Eckhard Stolz)

Hilfstransport für die Ukraine: „Ich habe 34 Stunden nicht geschlafen“

Eckhard Stolz fuhr 2.600 Kilometer in zwei Tagen, um Hilfsgüter für geflüchtete Ukrainer zu liefern – mit dem Transporter seines Arbeitgebers. Seinen Chef hatte er nicht um Erlaubnis gefragt.

Eckhard, andere legen nach einer harten Arbeitswoche die Füße hoch. Du bist dagegen 2.600 Kilometer bis zur polnisch-belarussischen Grenze gefahren, um Hilfsgüter abzuliefern. Warum?

Den Krieg in der Ukraine habe ich im Fernsehen verfolgt. Schrecklich. Mir war klar: Ich möchte helfen. Große Reden sind nicht mein Ding, ich muss immer etwas machen – was sinnvoll ist, wo den Menschen geholfen wird …

Und wie kam es dann zu dieser Hilfsgüterfahrt?

Der TuS Ennepetal [ein Fußballverein im Ruhrgebiet / Anmerkung der Redaktion] hat Kontakt zu einem ehemaligen Spieler, der an der polnisch-belarussischen Grenze wohnt und sich jetzt für die Flüchtenden einsetzt. Der Verein hatte entschieden, Hilfsgüter dorthin zu schicken. Ich wollte eigentlich nur als Unterstützung Kartons von meinem Arbeitgeber vorbeibringen, habe dann aber drei Tage beim Packen mitgeholfen.

Am vergangenen Freitagabend gegen 19 Uhr haben die mich dann gefragt: „Eckes, du kommst doch immer mit dem Sprinter?! Uns ist einer ausgefallen. Hast du Lust, in sechs Stunden zur polnisch-belarussischen Grenze aufzubrechen? Wir fahren um zwei Uhr nachts los.“ Naja, und da ich für dieses Wochenende keine Schalke-Karten hatte, war die Sache für mich klar. [lacht]

„Gefragt habe ich nicht wirklich“

Was hat deine Frau dazu gesagt, dass du spontan nach Polen fährst?

Sie fand die Aktion super! Meine Familie stand voll dahinter. Wir haben noch eine zweite Wohnung, die wir bereitstellen würden, falls Geflüchtete nach Nordrhein-Westfalen kommen.

Du bist mit dem Sprinter deines Arbeitgebers gefahren … Wie hat dein Chef darauf reagiert?

Nachdem wir den Wagen mit Hygieneartikeln und etwas Kleidung vollgepackt hatten, habe ich ihm ein Foto davon geschickt. Gefragt habe ich nicht wirklich. [lacht] Ich habe nur gesagt, dass ich dieses Wochenende nach Polen fahre. Nicht dass der denkt: Wo ist der Stolz das ganze Wochenende mit dem Auto? Aber er fand es dann auch eine klasse Idee.

„Es hat richtig Spaß gemacht“

Wie verlief die Fahrt?

Wir haben uns um zwei Uhr nachts am Vereinsheim des TuS Ennepetal getroffen, Zwischenstopps ausgemacht und dann ging es auch schon los. Fünf Sprinter mit je zwei Personen. Wir haben uns viel unterhalten und laut Musik gehört. Jeder hatte Cola und Energy-Drinks dabei, Schokolade und all so‛n Mist. Es hat richtig Spaß gemacht.

Wer war außer dir dabei?

Alles Freiwillige aus dem Sportverein. Typen, die wirklich gerne helfen. Das hast du denen abgespürt. Da hat sich jeder auf die Tour gefreut. Einer suchte noch einen Mitfahrer und hat einen Freund angerufen. Der kam dann extra aus Bremen, hat also weit über 3.000 Kilometer an dem Wochenende zurückgelegt.

Zwischendurch hat man übrigens total viele andere Kleintransporter mit deutschem Kennzeichen gesehen.

„Wir haben die enorme Hilfsbereitschaft der Polen erlebt!“

Was habt ihr am Zielort erlebt?

Am Samstagnachmittag gegen 17 Uhr sind wir an der Lagerhalle im polnisch-belarussischen Grenzgebiet angekommen. Geflüchtete haben wir nicht gesehen, weil es schon spät war und die Lagerhalle außerhalb der Stadt liegt. Wir haben aber die enorme Hilfsbereitschaft der Polen erlebt! Es waren bestimmt 10, 15 Leute da, die kamen und uns beim Ausladen geholfen haben.

Wir haben dann eine Kleinigkeit gegessen, ab aufs Klo und nach einer Stunde sind wir zurückgefahren. Um kurz vor zehn am Sonntagmorgen waren wir wieder in Ennepetal. Ich bin direkt in den Gottesdienst gegangen und danach ins Bett gefallen. Von der Predigt habe ich nicht wirklich viel mitbekommen, denn ich hatte 34 Stunden nicht geschlafen. [lacht]

Habt ihr mit der einen Fuhre schon alle gesammelten Hilfsgüter hingebracht?

Nein, wir hatten nur zwei bis drei Paletten pro Auto dabei. Vier große Lastwagen sind später mit den restlichen 120 Paletten rübergefahren. So viel wurde gesammelt. Die Leute sind echt hilfsbereit, das ist großartig!

Danke für das Gespräch, Eckhard.

Die Fragen stellte Pascal Alius.

Unfertige Schreibtischnotizen

Schwarz-Weiß-Antworten sind leicht gefordert – und doch so schwer zu geben. Das gilt besonders für das Thema Nummer Eins dieser Tage: Flüchtlinge.

1. Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. „Und  Gott schuf den Menschen zum Bilde Gottes, zum Bilde Gottes schuf er ihn“ (1. Mose 1). Weiß, schwarz, bunt. Männlich, weiblich. Menschlich. Ein Humanum, jederzeit jeder Humanität wert.

2. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1,1). Unantastbar? Unverlierbar ja. Und doch wird sie täglich angetastet: Die Würde der Frauen durch Unterdrücker, Vergewaltiger und Menschenhändler. Die Würde der Glaubenden durch Fundamentalisten und Fanatiker. Die Würde der frei Denkenden durch politische Verfolgung und diktatorische Zensur. Die Würde der Intimität des Individuums durch Moralisten und Voyeure. Die Würde der Armen durch den Zynismus der Reichen.

3. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (GG Art. 16a). Dazu das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: „Politisch ist eine Verfolgung dann, wenn sie dem Einzel-nen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Das Asylrecht dient dem Schutz der Menschenwürde in einem umfassenderen Sinne.“

4. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 „legt klar fest, wer ein Flüchtling ist, und welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte sie oder er von den Unterzeichnerstaaten erhalten sollte. Aber sie definiert auch die Pflichten, die ein Flüchtling dem Gastland gegenüber erfüllen muss, und schließt bestimmte Gruppen – wie Kriegsverbrecher – vom Flüchtlingsstatus aus“ (zitiert nach www.uno-fluechtlingshilfe.de)

5. „Alles, was Recht ist“, sagt der Volksmund. Und: „Was Recht ist, muss Recht bleiben“. Asylrecht ist Asylrecht. Eine Bürgerpflicht und eine Christenpflicht. Eine Aufgabe von Verfassungsrang. Kein Almosen. Aber auch kein Rechtskreis, über den sich Zuwanderung regeln ließe oder regeln dürfte. Schutz bekommt, wer Schutzes bedarf.

6. Ein Bekannter sagte neulich: „Die Arschlöcher sind überall auf der Welt gleichmäßig verteilt.“ Bei Deutschen ebenso wie bei Migranten. Also wird man immer Beispiele für Kriminalität finden. Hier wie dort.

7. Was Christen glauben, geht noch einen Schritt weiter: Jeder Mensch ist Geschöpf und Sünder zugleich. Niemand ist nur Täter. Niemand ist nur Opfer. Die Unterscheidung in gute und schlechte Menschen ist kein christlicher Gedanke. Politisch Verfolgte haben in Deutschland ein Recht auf Asyl. Menschen aus wirtschaftlich schlecht entwickelten Regionen nicht. Das ist eine juristische Tatsache. Keine moralische. Flüchtlinge, also Menschen erster und zweiter Klasse, darf es nicht geben – auch, wenn nicht alle bleiben dürfen.

8. „Hass macht hässlich!“, las ich vor kurzem auf einem Demo-Plakat. „Stimmt“, dachte ich, als ich den Träger des Schildes ansah … In der islamischen Welt blühen Terror, Diskriminierung und auch Antisemitismus – »
das dürfen wir auf deutschem Boden nie wieder zulassen. Jeder Flüchtling, der hier bleiben will, muss das Grundgesetz akzeptieren. Wie jeder Deutsche auch. Aber niemand, der seine Angst vor dem Islam oder seine Kritik an der Regierung äußert, hat das Recht zu hassen. Keine NPD und keine Antifa und niemand sonst. Ein Christ schon gar nicht. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus, aber er fährt nicht fort, „doch euer Hass wird sie überwinden“, sondern „seid getrost, ich habe sie überwunden“ (Johannes 16,33).

9. Sozialer Frieden und rechtsstaatliche Prinzipien sind neben wirtschaftlichen Interessen der Kerngedanke der Europäischen Einigung. Man kann die Abkommen Schengen und Dublin diskutieren, und es zeichnet sich ab, dass man sie wohl auch neu wird verhandeln müssen, aber sie de facto außer Kraft zu setzen, ist inakzeptabel. Recht ist nur dann wirklich Recht, wenn es auch umgesetzt wird.

VON EINER OHNMACHT IN DIE NÄCHSTE OHNMACHT

10. Gehen wird, wer keinen Grund zum Bleiben hat. Doch Rausekeln funktioniert nicht. Weder „Nazis raus!“ noch „Alle abschieben!“. Wohin denn, bitteschön? Seenotrettung im Mittelmeer. Eine humanitäre Pflicht. Doch zu wem soll man sie bringen? Einen libyschen Staat gibt es nicht mehr. „Dann lasst sie doch ersaufen“, sagte mir ein Nachbar vorige Woche, „das wird sich schon rumsprechen.“ Muss man das noch kommentieren? Fluchtursachenbekämpfung ist das Gebot der Stunde. Doch wie kriegt man Putin und Obama und die Weltgemeinschaft an einen Tisch zum Thema? Und setzt man Assad dazu? Es ist ein Dilemma: Wer Diktatoren gewähren lässt, riskiert das Leben von Menschen, siehe Nordkorea; wer sie stoppt, riskiert ebenfalls das Leben von Menschen, siehe Irak.

11. „Schwerter zu Pflugscharen“. Ja. Am besten man baut gleich Pflüge. Aber rüstet man damit seine Polizei und seine Armee aus? Und wer gibt freiwillig sein Schwert beim Schmied ab?

Und noch so viel mehr wäre zu sagen, ist zu erwägen – und dabei auch noch in Akkordtempo täglich zu erledigen.

Uwe Heimowski (51) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Stadtrat, Vater von fünf Kindern, Ehemann und Gemeindereferent in der Evangelisch freikirchlichen Gemeinde Gera.