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Ernährung, Schlaf und Sport helfen, Körper und Geist fit zu halten.

Essen, Schlafen und Bewegen – So kommst du zu einem ausgewogenen Leben

Um gut durch das Leben zu kommen, müssen wir Körper und Geist pflegen. Michael Stief erklärt, wie drei Standbeine für einen gesunden Körper und Geist sorgen.

„Du bist nicht du, wenn du hungrig bist!“ Dieser Werbeslogan für einen bekannten Schokoriegel bringt es auf den Punkt: Wir sind keine Geister in einer Maschine aus Fleisch und Blut. Stattdessen sind unser Körper und Geist aufs Engste miteinander verwoben. Wie aber funktioniert ein gutes Zusammenspiel von Körper und Geist und was können wir unserem Körper Gutes tun, damit auch unser Geist profitiert?

Nahrung für den Geist

Nicht nur Bücher sind „Nahrung für den Geist“, unser Essen ebenso. Es sorgt dafür, dass wir – neben der körperlichen – die geistige und seelische Energie haben, die wir täglich brauchen. Den engen Zusammenhang zwischen körperlicher und mentaler Verfassung bestätigt die empirische Wissenschaft: Wenn wir nicht genug essen, sinkt unweigerlich unser Blutzuckerspiegel und dadurch werden wir „hangry“, also hungrig und zornig zugleich, wie es auf Englisch heißt. So berichtet der US-Biologe Robert Sapolsky, dass Richter strengere Urteile fällen, wenn sie hungrig sind, als wenn sie gerade gegessen haben. Ebenso sprichwörtlich sind der „Hungerast“ oder das „Suppenkoma“, die beide beschreiben, wie zu wenig oder zu viel Nahrung uns gleichzeitig physisch und mental schwächt. Und nicht nur die Ernährung schlägt sich auf die Laune nieder. Der Kabarettist und Mediziner Eckart von Hirschhausen liefert dazu einen Fünf-Finger-Kurzcheck:

1. Wann habe ich zuletzt was gegessen?

2. Wann habe ich mich zuletzt unter freiem Himmel bewegt und durchgeatmet?

3. Wann habe ich zuletzt geschlafen?

4. Mit wem?

5. Und warum?

(Quelle: Glück kommt selten allein, S. 87)

Essen und Trinken, Bewegung und Schlaf sind in komplexe Stoffwechselkreisläufe eingebunden, die nicht nur unseren Körper funktionstüchtig halten, sondern auch unseren Geist. Die Idee, dass ein gesunder Geist einen gesunden Körper braucht, ist nicht neu – sie geht auf den griechischen Philosophen Platon zurück und wurde als Sinnspruch „mens sana in corpore sano“ („ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“) sprichwörtlich.

Der Mensch ist kein Geist in der Maschine

Dabei war diese Vorstellung immer wieder umstritten. Im Zuge der technischen Entwicklung gipfelte die Trennung von Geist und Körper bei dem französischen Philosophen René Descartes in der Erklärung: „Ich denke, also bin ich!“ Damit bahnte er der Vorstellung den Weg, dass der Mensch ein rein geistiges Wesen in einem uhrwerkgleichen Körper sei. Doch schon Jahrhunderte zuvor hatte sein griechischer Berufsgenosse Sokrates die Ideen für wirklicher erklärt als die Erscheinungen der Wirklichkeit. Damit begann die Überbewertung des Geistes und eine letztendliche Geringschätzung des Körpers (trotz des Körperkultes bei den Olympischen Spielen).

Unsere westlich-europäische Kultur hat so über die Jahrhunderte einen immer größeren Gegensatz zwischen Körper und Geist aufgetürmt und auf Kosten des Körpers aufgelöst: Der Körper ist lange Zeit zu einem Instrument, zu einem Lasttier degradiert worden. Erst in den letzten Jahrzehnten findet die Wissenschaft wieder zu der Erkenntnis, dass wir nicht einen Körper haben, sondern ein Körper sind – und kein Bewusstsein, das sich eines Körpers bedient oder schlimmstenfalls in diesen eingesperrt wäre. Wir essen, schlafen und bewegen uns also nicht, um eine Maschine intakt zu halten, sondern weil wir dieser Körper sind und weil unsere körperliche Verfassung auch unsere mentale Verfassung beeinflusst, unser Erleben, Denken und Entscheiden.

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen

Was, wie viel und wann wir essen und trinken, hat einen maßgeblichen Einfluss auf unser subjektives Wohlbefinden, unsere körperliche und kognitive Leistungsfähigkeit und die emotionale Regulation im zwischenmenschlichen Verhalten. „Der Mensch ist, was er isst!“ Das gilt im einfachen Sinne, dass unser Körper einen Teil der Nahrung in Energie für Bewegung und Hirnaktivität umsetzt, den anderen Teil aber tatsächlich in vielfältiger Weise in unserem Körper verbaut, wie z. B. aufgenommenes Eisen in neue Blutkörperchen oder Proteinbausteine in Muskeln. Wenn wir daher konsequent unsere Mahlzeiten selbst aus Wasser, Obst, Gemüse, Getreide und den weiteren Etagen der Ernährungspyramide zusammenstellen, anstatt an einem Computerdisplay zu einem „Happy Meal“, dann bekommen wir das nötige „Material“ für Muskelaufbau, einen optimalen Energiestoffwechsel, einen ausgeglichenen Hormonhaushalt und eine gesunde Hirnchemie.Wer die Ernährungspyramide aber regelmäßig auf den Kopf stellt, zu viel Zucker, Fett und Fleisch zu sich nimmt, der muss z. B. aufgrund der „Zucker-Fett-Falle“ mit krankhaftem Übergewicht, womöglich gar erworbenem Diabetes-II oder schlimmstenfalls mit ernährungsbedingten Formen von Krebs rechnen.

Aus dem Essen lässt sich eine Wissenschaft machen und teils auch eine Weltanschauung. Am Ende aber bleiben drei Erkenntnisse, wie wir so essen können, dass es unserem Körper, unserer Seele und unserem Geist guttut:

  • Wähle natürliche und unverarbeitete Nahrung.
  • Halte dich an die weitgehend unumstrittene Ernährungspyramide.
  • Esse maßvoll – pro Mahlzeit und über den ganzen Tag.

Und nicht zu vergessen: Trinke regelmäßig Wasser, 300-400 ml pro 10 Kilo Körpergewicht oder einfach rund 2 Liter.

Wer schläft, sündigt nicht

Wir verbringen ca. ein Drittel unserer Lebenszeit im Schlaf. Aber warum schlafen wir eigentlich? Das hat hauptsächlich drei Funktionen:

  • Im Schlaf verarbeiten wir die Sinneseindrücke, das Wissen und besonders die Emotionen des Tages, insbesondere im Traum und während des sogenannten „REM-Schlafes“.
  • Im Schlaf werden schädliche Stoffwechselprodukte im Gehirn abgebaut.
  • Im Schlaf regeneriert sich der Körper, das Immunsystem und die Wundheilung arbeiten in Tiefschlafphasen auf voller Leistung.

Umgekehrt bewirkt zu wenig Schlaf eine Einschränkung dieser Funktionen: Wundheilung und Immunsystem arbeiten schlechter, die kognitiven Funktionen werden zunehmend eingeschränkt und wir reagieren „dünnhäutiger“. „Hast du schlecht geschlafen?“, hören wir dann etwa, wenn wir vor Müdigkeit knatschig oder übel gelaunt sind. Wie aber kommen wir zu einem gesunden Nachtschlaf? Dabei spielt vor allem die Tatsache eine Rolle, dass unser Schlaf in einen 24-stündigen Tages-Nacht-Zyklus eingebettet ist. Dieser ist vom Tageslicht und dem lichtabhängigen Hormon Melatonin abhängig, das uns bei Dunkelheit schläfrig macht. Förderlich sind daher folgende Gewohnheiten:

  • Abends künstliches Licht und speziell das blaue Licht von Computerbildschirmen vermeiden, um die natürliche Melatonin-Produktion zu fördern.
  • Ein eigener regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus auch am Wochenende, um den natürlichen Zyklus nicht zu stören.
  • Regelmäßige ausreichende Bewegung am Tage, nur moderate Bewegung, Sport oder Yoga am Abend, um den Kreislauf nicht zu stark anzukurbeln und die Entspannung zu fördern.

Dieses Programm mag weniger verlockend klingen, als lange zu feiern, zu zocken oder Serien zu schauen, um dann erschöpft ins Bett zu fallen. Es hat jedoch einen Super-Bonus: Wer seinen Schlaf wie beschrieben pflegt, nimmt tendenziell an Gewicht ab, an Gelassenheit zu und vergrößert seine Chancen auf ein langes Leben. Dafür lohnt sich in der Regel der Verzicht auf „wilde Nächte“.

I like to move it, move it

Wer trotz maßvollen Essens und genügend Schlaf jede freie Stunde nur auf dem Kanapee verbringt, wird auf Dauer weder schlank noch gesund bleiben. Denn Ernährung und Schlaf dienen letztlich dem Zweck, uns tagsüber kraftvolle Aktivitäten zu ermöglichen. Auch wenn diese im 21. Jahrhundert immer öfter nur geistige und dazu sitzende Tätigkeiten sind. Gemacht ist unser Körper aber für die körperliche Aktivität, für das Gehen und Laufen, und dementsprechend ist Bewegung das dritte „Standbein“ für ein stabiles und gesundes Leben. In der Biologie gilt der Satz „use it or loose it“, frei übersetzt: „Wer’s nicht trainiert, verliert’s.“ Wenn wir unsere Muskeln, wenn wir Skelett und Gelenke oder auch unser Herz-Kreislauf-System nicht trainieren und fordern, dann verfällt unser Körper mit der Zeit wie ein ungepflegtes Haus. Unsere Muskeln wachsen und heilen nur, wenn sie genutzt werden. Unsere Knochen bleiben nur dann stabil. Unsere Gelenke werden nur versorgt, wenn wir sie bewegen. Herz, Arterien und Venen bleiben nur intakt bei Belastung. Wir bleiben nur dann fit und in Form, wenn wir mindestens die Kalorien, die wir verzehrt haben, auch wieder verbrauchen. Ja, selbst unser Schlaf wird besser, wenn wir die Stresshormone, die unser Körper im Alltag produziert, auch wieder abgearbeitet haben.

Wie viel Bewegung ist aber genug in einer Welt, in der Sitzen das neue Rauchen ist? 10.000 Schritte am Tag sollten es nach einer „urban legend“ angeblich sein. Doch das ist zu zwei Dritteln ein Marketing-Gag. Real und nach neuen Forschungen reichen auch schon 3.500. Optimal wäre ein auf die persönlichen Vorlieben und Bedürfnisse abgestimmtes Fitness-Programm. Doch das ist sicher nicht mit allen Lebensstilen heutzutage kompatibel. Drei Strategien können aber auch eingespannten Menschen weiterhelfen:

  • Gehe die Extra-Meile. Wann immer du eine Strecke zu Fuß zurücklegen kannst, gehe sie. Egal, ob es die Treppen zum nächsten Büro oder ins eigene Zuhause sind, der Weg zum Supermarkt oder zum Bäcker. Geh oder nimm das Rad, aber nutze jede Gelegenheit für zusätzliche Bewegung.
  • Mach Yoga. Das stärkt die Muskeln und hält beweglich. Dazu braucht es für den Anfang auch keinen Kurs und kein Yoga-Outfit.
  • Mach Krafttraining. Kniebeugen, Sit-ups und Liegestütze oder andere „Bodyweight-Übungen“ bieten auch hier einen niedrigschwelligen Einstieg.

Wer dieses Minimalprogramm konsequent durchzieht, erreicht mehr als mit sporadischen langen Joggingrunden aus schlechtem Gewissen.

Freundschaft zwischen Leib und Seele

Die moderne Lebenswelt hat uns Menschen immer weiter von unserer natürlichen Umwelt und Lebensweise entfernt, die unseren Körper und seine Funktion über Jahrtausende geformt hat. Heute übernehmen dies Fast Food und eine sitzende Lebensweise und sorgen so nicht nur für zunehmende Fettleibigkeit, sondern auch manche psychischen Belastungen. Eine maßvolle und ausgewogene „Diät“ ist daher nicht nur beim Essen eine gute Idee, sondern auch beim Schlafen und Bewegen. Wer Freunde hat, kümmert sich um sie und das sollte auch für unseren Körper gelten. Darum mögen wir dem Rat der Heiligen Teresa von Ávila folgen: „Tu deinem Körper etwas Gutes, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.“

Michael Stief (60) ist Berater für Positive Kommunikation in Führung, Teamentwicklung und Strategie und Gründer des Beratungsnetzwerks POSITIVE HR. MANAGEMENT (positive-hr.de).

Ingmar Krimmer, Foto: Rüdiger Jope

Besuch beim Bäcker: So choreografiert entstehen preisgekrönte Biobrötchen

Die Backstube von Ingmar Krimmer ist mehrfach ausgezeichnet. Doch damit Qualität entsteht, braucht es vom Team viel Disziplin und Zeit.

Es ist 3:02 Uhr. Noch ist es stockdunkel in Untermünkheim. Fast. Aus einer offenen Stahltür tritt Licht. Bäckermeister Ingmar Krimmer lädt mich ein in seine Welt, die sich der Genussfreude verschrieben hat. Der Pausenraum ist übervoll, eng, chaotisch. „Den Pulli kannst du auslassen, bei uns ist es warm“, lacht der Meister und reicht mir ein Haarnetz. Eine Kreidetafel verkündet: Nachtschicht! Na dann mal los!

Heiß und eng

Über einen verwinkelten Gang geht es in die Backstube. Es ist heiß. Bleche scheppern. Ein Rührgerät summt. „Vorsicht!“ Ich suche mir eine Nische – gefühlte 100-mal in den sechs Stunden. Ein Wagen mit Blechen rumpelt an mir vorbei. Es ist eng, sehr eng. Ein Azubi bemehlt die Arbeitsfläche, packt einen großen Berg Teig drauf und beginnt, diesen zu portionieren. Die Klingel schrillt. Eine der zehn Ofentüren wird aufgeklappt. 229 Grad zeigt das Thermometer. „20 Quadratmeter Backfläche. Das Gas heizt das Wasser. Dieses läuft sozusagen drumherum und sorgt für ein optimales Backklima“, erklärt mir Ingmar nahe am Ohr. Mit großen Schiebern angelt der Geselle nach den knusprigen Vollkornbroten. Sie werden mit feinem Wasserdampf besprüht, „damit der Glanz bleibt“. Der Meister packt sie auf lange Holzbretter. Ich lese die digitale Anzeige: „Laugenbrötchen Rest 8 min“, „Brezeln Rest 7 min“, „Baguettes Soll 24 min“ … „Vorsicht!“ Bin schon weg! Der Geselle fegt mit einem langstieligen Besen den Ofen aus.

Aus dem Pfarrerskind wird ein Bäcker

Zusammen mit zwei Kollegen knetet und formt der 33-jährige Krimmer beidhändig (!) Kartoffelbrote, platziert diese dann in Gärkörben. „Wie wird man Bäcker?“, frage ich. Lachen. „Ich stamme aus einer Pfarrersfamilie. Wir waren zehn Geschwister. Da musste man sich seine Nische suchen, um nicht unterzugehen.“ Mit 15 ½ Jahren ist Ingmar zu jung für den eigentlich anvisierten sozialen Beruf. Er lernt erst mal was Solides, „ebbes rechts“. Dabei stellt er fest: Mit Backen macht man Menschen glücklich! Er setzt seinen Meister drauf, „bäckt sich“ seine Traumfrau, lächelnd: „Hat sich so ergebe.“ Er heiratet Tanja, seine erste Auszubildende. Es folgen gemeinsame Lern- und Wanderjahre …

„Vorsicht!“ Ich verschwinde hinter einem Stapel mannshoher leerer Eimer. Eine Mitarbeiterin walzt Teigplatten für Croissants. Es klingelt. Der Ofenmann braucht Unterstützung. Frische Baguettebrötchen fallen rasselnd in Körbe. So muss es im Paradies gerochen und geschmeckt haben! Zwei Frauen sortieren die reifen Leckerbissen in Körbe und Tüten für die Auslieferung. Meister Krimmer formt jetzt filigran die „Seelen“, eine Art langgestrecktes Weißbrotgebäck aus Dinkel.

Ehrliches Handwerk statt Industriebetrieb

2014 hauchte Ingmar zusammen mit Tanja einem alten Bäckerladen eine neue Seele ein. Die Bäckerdynastie hatte nach sechs Generationen keinen Nachfolger mehr vorzuweisen, zum Backstuben-Jünger wird nun der 25-Jährige aus der Pfarrerdynastie. Mit sechs Mitarbeitern starten sie durch, heute wirbeln rund um die Uhr an sechs Tagen die Woche 40 Leute durch Backstube und Laden im Drei-Schicht-System. „Industriebetrieb?“, frage ich. „Nein“, wehrt der Meister mit aufgerissenen Augen ab, „ehrliches Handwerk, mit Sinn für Qualität und Geschmack.“

Die Laugenweckle fliegen förmlich aus den Händen auf lange Schiebebretter mit integriertem Förderband. Diese werden von vier kräftigen Armen schwungvoll an den geöffneten Ofen angesetzt. Behänd wird das umlaufende Stoffband surrend nach hinten geschoben, die Teiglinge landen sanft für 21 Minuten auf dem heißen Stein.

14 Leute arbeiten im Takt

5:18 Uhr. Hochbetrieb. Die Backstube atmet jetzt etwas von einem Ameisenhaufen. 14 Leute wirbeln umher. Ingmar jongliert lange Bretter mit Broten nach vorne in den Laden. Zwei Frauen belegen Brötchen mit Schinken, Käse, Gurken, Tomaten. Ein kalter Luftzug umweht die Beine. Aus der Kühlung werden Wagen mit Kleingebäck die Alurampe hochgewuchtet. Laugenspeckschnecken, Osterhasen, Nusshörnchen werden belegt, bestrichen, bestreut. Eine Helferin schält Äpfel. Zwei Konditorinnen rühren, mischen, mixen. Ich habe mir einen Kaffee erbeutet. „Vorsicht!“ Nur wohin? Vor mir setzt ein Geselle den Teig für das Weizen-Kürbis-Vollkornbrot für den nächsten Tag an. „Wo ist der Teig für das italienische Weißbrot?“ Schlechte Stimmung? Chaos? Mitnichten! Sieht nur für Laien wie mich so aus. Jeder weiß hier, was zu tun ist. Ein sechsseitiger Produktionsplan gibt den Takt vor, zeigt, was nach der Nacht in welcher Stückzahl in der Theke und in den Tüten landen soll. „What’s love got to do with it?“ schmettert Tina Turner aus dem zugestaubten Lautsprecher in das leidenschaftliche Gelingen.

1.800 Laugenbrezeln täglich

6:12 Uhr. Wo ist der Meister? Steht mit zwei Kollegen an einer hölzernen Arbeitsfläche. Zwei weitere Mitarbeiter reichen ihnen aus einer Formmaschine längliche Teigrollen. Zwei strahlende, stolze Augen zeigen mir: Inklusion wird hier gelebt. Die Teigstücke werden links und rechts gerollt. Fix sind die original schwäbischen Laugenbrezeln gezwirbelt und geschnürt. 1.800 Stück landen hier täglich handgefertigt (!) auf dem Blech, flitzen durch die Laugendusche und werden mit Salz bestreut. „Samstags werden es auch mal 2.200, dann aber in der halben Zeit, da wir nur sechs Stunden geöffnet haben“, ruft mir Ingmar zu. „Vorsicht!“ Auf der Flucht vor den vollgepackten Blechen trete ich durchs Fliegengitter in den Hof nach draußen.

Die ersten Kunden stehen in der Morgensonne Schlange. 13 Minuten später orgelt der Backofen im Fertig-Alarm-Modus, spuckt braungebrannte Brezeln aus. Im Gang zwischen Backstube und Laden ist eine Frau dabei, die Laugenbrezeln an einer Art Kasten mit Gabel aufzuspießen. Der Meister sieht mein Fragezeichen. Lächelnd erklärt er mir: „Wir Schwaben mögen doch Butterbrezeln. Dieses Gerät hat uns ein Maschinenbauer ausgetüftelt. Per Knopfdruck landet der Aufstrich durch die dünnen Spitzen mit den Düsen im Gebäck.“ Jetzt grinse ich: Aufschneiden gespart mittels schwäbischem Tüftlergeist.

Was macht ein gutes Brötchen aus?

7:20 Uhr. Zeit für ein Süßstückchen und ein belegtes Baguettebrötchen. Ingmar sitzt mir im Büro gegenüber. „Kannst du Brötchen eigentlich noch sehen?“, frage ich. „Na klar! Das Backen ist für mich ein Abenteuerspielplatz. Die Selbstständigkeit gibt mir unglaublich viel.“ Den Spaß spürt man ihm beim Arbeiten und im Umgang mit seinen Mitarbeitern ab. Wir reden über Qualität. Das ist sein Leib- und Magenthema.

„Was macht ein gutes Brot, ein gutes Brötchen zu einem Qualitätsprodukt?“ Der 33-Jährige kommt ins Plaudern. „Es ist die Summe vieler Kleinigkeiten. Ein Teig braucht vor allem Zeit. Die Ruhezeit ist ein Gut, das sich kein Discounter leistet.“ Ein durchschnittliches Brötchen braucht in Krimmers Backstube drei Tage, um auf dem Frühstücksteller zu landen. Der angemachte Vorteig wird einen Tag später zum Hauptteig verarbeitet. „In den 24 Stunden Fermentierung werden die Giftstoffe abgebaut. Heraus kommt ein gereiftes, bekömmliches Produkt.“ Immer wieder geben Ernährungsberater Menschen mit der „Unverträglichkeits-Diagnose“ den Tipp: „Geh doch mal zu Krimmers!“

Backen braucht Zeit, Zeit, Zeit

8:27 Uhr. Ingmar prüft den Teig für den Nachschub an Vollkornbrötchen. „Nein, der Teig ist noch zu jung.“ Die Maschinen des Vorgängers wurden aussortiert, weil „ich mit der Hand das Grundprodukt, die Reife spüren will“. Seit einigen Jahren ist die Bäckerei als Biobetrieb zertifiziert. Backmischungen haben hier Hausverbot. Der leidenschaftliche Bäcker und sein Team setzen auf Transparenz und Regionalität bei Mehl und Eiern. Preise wie der „Top-Gründerpreis im Handwerk“ oder der „KfW-Gründerpreis“ ermutigen ihn auf dem eingeschlagenen Weg: „Menschen suchen gute Lebensmittel.“ Der Handwerksbetrieb mit seinem Jahresumsatz von 1,8 Millionen platzt aus allen Nähten. Der im Pfarrhaus eingeübte Glauben hilft ihm, mit dem Druck, den vielen Erwartungen und Wünschen klarzukommen, bei der Wahrheit zu bleiben. „Mein christlicher Glaube ist meine Basis. Er hilft mir, alles hier immer wieder ins richtige Verhältnis zu setzen, mich nicht zu wichtig zu nehmen. Wir lehnen immer mal wieder Aufträge, eine Filialisierung ab, weil Wachstum nicht alles ist, obwohl das Unternehmerherz in mir hier und dort auch mal zusammenzuckt.“

„Vorsicht!“ Drei Kuchen fliegen an mir vorüber. Krimmer springt einem Kollegen bei, der Hasen bepinselt. Der Backofen nervt schon wieder. Eine Schüssel wird gespült. Der 33-Jährige nimmt einen Besen in die Hand. „Bäckerei gelingt nur im Team. Jeder hilft hier jedem.“

Ausufernde Bürokratie

9:13 Uhr. Feierabend. Fast. Übergabe an den Tagschichtleiter. Jetzt gibt’s gleich Frühstück mit der Familie. Danach geht’s für zwei Stunden ins Bett, um sich dann den Kindern (0, 4 und 8), dem Häuslebau, dem Laufen und dem Podcast zum Thema „Backen“ zu widmen. Vor den vollgepackten Ladenregalen hake ich nach: Was ist die größte Herausforderung? „Jedenfalls nicht das Backen!“ Wir lachen. „Die ausufernde Bürokratie. Der Familie gerecht zu werden, man selbst zu bleiben, ein gutes Verhältnis zu den Mitarbeitern zu haben. Leute mitzunehmen, ihnen zum Blühen zu verhelfen, delegieren zu lernen, nicht auf regelmäßiges Coaching zu verzichten.“

19:45 Uhr. Es dämmert. Ich räume den Abendbrottisch ab. Der leer gefutterte Brotkorb zaubert mir ein Grinsen ins Gesicht. Ich ahne: Der Volksmund „Pfarrers Kinder, Müllers Vieh geraten selten oder nie“ hat noch nie die Theke von Krimmers Backstube geplündert.

Rüdiger Jope ist Chef-Redakteur des Männermagazins MOVO. Nach dem Geschmackserlebnis bedauern seine Familie und die Nachbarn, dass Krimmers Backstube 415 km entfernt liegt.

Die Backstube ist im Netz unter krimmers-backstub.de zu finden.