Der katholische Militärbischof Dr. Franz Josef Overbeck begleitet Männer inmitten kriegerischer Auseinandersetzun-gen. Ein Ex-Zivi sprach mit ihm über Pazi-fismus, Verletzungen und den männlichen Glauben.
Papst Franziskus verurteilte Christen, die in die Waffenindustrie investieren, als Heuchler. Unter-stützen Sie mit Ihrem Militärbischofsein nicht diese Sparte?
Die Seelsorge ist für alle Menschen da. Sie stellt sich auch uneingeschränkt zu den Soldatinnen und Soldaten. Sie will ihnen in dem Friedensdienst beistehen, den sie für diese Welt leisten.
Ja, es gibt auch eine überbordende Waffenproduktion, die eine Einladung zu noch mehr Gewalt, Tötung und Korruption ist. Von daher begrüße ich die Kritik des Papstes.
Das einfache Block- und Konfliktdenken des „Kalten Krieges“ wurde in den letzten Jahren von komplizierten und vielschichtigen Auseinandersetzungen überholt. Auch die Bundeswehr ist beteiligt im Kongo, in Afghanistan, im Kosovo. Muss Kirche da nicht grundsätzlich auf der Seite der Pazifisten stehen? Kirche muss an der Seite aller Menschen stehen. Sie ist gefordert, dies mit einem gesunden Realismus zu tun. Man kann an der Geschichte sehen, dass der vor fünfundzwanzig Jahren mit dem Mauerfall geträumte Traum von einer friedlicheren Welt geplatzt ist. Spätestens die Ereignisse auf der Krim und der Vormarsch des IS im Irak und in Syrien führen vor Augen: Mit dem Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ allein ist keine Politik zu machen.
Schafft man Gerechtigkeit und Frieden mit der Maxime „Gewalt gegen Gewalt“? Lehrt nicht gerade der Irak- und Afghanistankrieg, dass sich dadurch unkontrollierbare Dominoeffekte in Gang setzen?
Das Böse ist ein unbestreitbares Faktum in dieser Welt. Wir leben in einer Welt, die nicht frei von Sünde ist. Von daher müssen wir uns damit arrangieren, dass Gewalt, Streit, Aggression und Hass zum Menschsein dazugehören. Das sollte uns aber nicht hindern, Menschen und Initiativen in ihrer Friedfertigkeit, in ihrem Willen zum Frieden zu unterstützen. Zu einem gesunden Realismus und zur Schadensbegrenzung gehört es aber auch, dass sich Gewalt vielfach nur durch die Androhung von Gewalt verhindern lässt. Dabei bleibt eines klar: Gewalt ist immer ein Übel.
Was sind ihre ureigentlichen Aufgaben als katholischer Militärbischof?
Meine originäre Aufgabe als Militärbischof ist es, den Ka-tholiken in der Deutschen Bundeswehr die Seelsorge, das Glaubenswissen und die Sakramente der Kirche zugänglich zu machen.
Mit welchen Anliegen wenden sich Soldaten an Sie? Mit ganz normalen Fragen, die auch jedem anderen Seelsorger gestellt werden. Große Themen, die die Soldaten beschäftigen, sind natürlich die Fragen nach Gewaltanwendung, Gewalterfahrung und nach Kriterien für die Gewissensbildung, um eine belastungsfähige Grundlage für eigene Entscheidungen zu haben.
Sie begleiten unter anderem auch Soldaten, die aus den Krisengebieten zurückkehren. Was macht deren Heimkehr so schwierig?
Die meisten Soldaten gehen sehr professionell mit ihrem Beruf um. Viele kommen aus Einsätzen wieder und knüpfen nahtlos an ihrem Alltag an wie jeder andere Arbeitnehmer auch. Doch wir erleben auch Menschen, die mit einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ zurückkehren, oder die plötzlich Mühe haben, sich hier wieder sozial einzuleben, denen es nach den vielen Monaten im Ausland schwerfällt, in Partnerschaften, Ehen und Freundeskreisen sprichwörtlich einen Fuß auf den Boden zu bekommen.
Was tut die Kirche in diesen Krisen?
Die Militärseelsorger nehmen Anteil an den Sorgen, Nöten und Konflikten der Soldaten. Sie hören zu, trösten und bieten Orientierung in Lebens- und Glaubensfragen – gerade angesichts der extremen Erfahrung von Verwundung, Sterben und Tod.
Ist Krieg nach Ihrer Einschätzung vor allem ein männliches Phänomen?
Ja! Das fängt mit dem ersten in der Bibel geschilderten Konflikt an und setzt sich in den Krisenherden dieser Welt fort. Gewalt ist zuallererst ein männliches Problem.
Sie haben einmal gesagt: „Krieg verändert die Seele“. Was wollten Sie damit ausdrücken?
Krieg verändert die Seele eines Menschen, weil das Gewaltpotenzial das eigene Innere zerreißen kann. Die Soldaten sind in die Spannung gestellt, entweder Gewalt anzuwenden oder Gewalt zu erleiden. Wenn die Selbstverteidigung als Ultima Ratio nötig wird, kommt später niemand um eine Neujustierung seines inneren Kompasses herum. Und dabei wollen und müssen wir helfend zur Seite stehen.
Welche Rolle spielt der christliche Glaube in der Kaserne?
Der gelebte christliche Glaube kann ein Deutungshorizont sein. Er beantwortet die Fragen nach dem Woher und Wohin. Er gibt dem Leben Sinn. Das ist für die, die es leben, mehr als ein Etikett, sondern wirkliche Lebenshilfe.
Sind Menschen in extremen, ja in krisenbehafteten Situationen offener für spirituelle Erfahrungen?
Wir erleben gegenüber uns Seelsorgern jedenfalls eine große Off enheit für den Glauben und die Fragen, die sich daran anschließen.
Die da wären?
Verarbeitung von Angst. Die Frage nach Liebe und Zuneigung … Dieser Kern tritt aber nicht nach außen … Nein, der gehört auch nicht in die Öffentlichkeit. Aber wenn diese Männer ihre bis zu 50 kg schwere Ausrüstung ablegen, dann entdecken Sie hinter diesem klassischen männlichen Kriegerideal ganz sensible und feine Charaktere.
In den normalen Sonntagsgottesdiensten sitzen in der Mehrzahl Frauen. In denen von ihnen zelebrierten Messen sitzen mehrheitlich Männer. Feiern, glauben und singen Männer anders?
(lacht) Glaube ist zum einen das Geschenk Gottes an uns und zum anderen eine Entscheidung, die jeder für sich persönlich treff en kann. Da Gott uns als Mann und Frau geschaffen hat, gibt es auch deshalb natürlich unterschiedliche Erscheinungsformen des Glaubens. Meine Beobachtung ist die: In den letzten Jahrzehnten wurden in der katholischen und der evangelischen Kirche mehr die „weicheren“ Faktoren betont. Kante zeigen und leben war nicht so sehr gefragt. In diesem Sinne ist uns die männliche Seite des Glaubens etwas verlorengegangen. Hier sollten wir uns weiterentwickeln.
In welche Richtung sollte sich Kirche entwickeln?
Militärseelsorge ist von ihrem Ursprung eher eine Männerbastion. Männer wollen sehen und erleben, was der Glaube praktisch bedeutet.
Sind Ihrer Erfahrung nach Männer verschlossener gegenüber dem Evangelium als Frauen?
Nein! Ich erlebe sie genaus offen wie Frauen, nur eben abwartender und mit dem Hang zur Praxis. Männer wollen keinen Stuhlkreis, sondern suchen und brauchen die handfeste Erfahrung.
Ein Erlebnis, welches Sie in den letzten Wochen ermutigt hat, war …
… ein Friedensgottesdienst mit Soldaten in Berlin. Bei der Zusammenkunft nach dem Gottesdienst ergaben sich ehr-liche und nachdenkliche Gespräche. Ich erlebte sehr viele aufmerksame und für Gott aufgeschlossene Männer.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
MOVO-Chefredakteur Rüdiger Jope diente unter dem Motto „Suppe, Seife, Seelenheil“ in der Heilsarmee. Die von General William Booth gegründete Kirche feiert in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag.