Warum einem die Rätsel des Lebens nicht immer auf der Zunge zergehen.
Nach meinem Referat über Dankbarkeit stand er vor mir. Ein eleganter Herr, ehemaliger Bankkaufmann. Nun klagt er mir sein Leid. In farbigen Bildern malt er mir seine attraktive Frau vor mein inneres Auge. Gestorben sei sie. Vor zwei Jahren, mitten aus dem Leben genommen. Untröstlich ist er seither. Es war so schön mit ihr. „Was sagen Sie dazu?“, wollte er von mir wissen und wollte doch mehr, als eine Antwort zu hören, seine Erfahrungen mit gutmeinenden Christen teilen: „Ich soll Hiob lesen, haben sie mir geraten.“ Oder davon, dass „alles zuerst bei Gott durch muss“, haben sie ihm erzählt. Und dass sein Schicksal eine göttliche Prüfung sei.
Da kam mir die Serviette mit dem Aufdruck “Chocolate is the answer – who cares what the question is” wieder in den Sinn. „Schokolade ist die Antwort – wen interessiert, was die Frage ist?” Ist es wirklich so einfach? Das Leben ist aber etwas komplizierter und die Schoggi-Antwort greift einfach zu kurz. Die schnellen Antworten „schützen“ uns davor, uns den komplexen Fragen und komplizierten Problemen im Alltag stellen zu müssen. Wer eine schnelle (Schoggi-)Antwort bereithält, braucht nicht nachzudenken, kommt nicht ins Grübeln, hat keine Zweifel … Hauptsache, er oder sie hat Schoggi. Aber was, wenn die Schoggi eines Tages doch zu einfach ist und wir feststellen: Nicht jede Frage kann mit einer Schoggi-Antwort befriedigend geklärt werden?
Leider treffe ich das Schoggi-Phänomen immer mal wieder auch in christlichen Kreisen an. „Jesus ist die Antwort – wen interessiert da noch die Frage!?” Ich bin zutiefst überzeugt, dass Jesus tatsächlich an jeder unserer Fragen interessiert ist, unsere Probleme ernst nimmt und uns helfen will, in unserem komplexen Leben Frieden und Zufriedenheit zu erfahren. Doch die zu einfache Schoggi-Lösung „Jesus ist die Sofortlösung für alle Probleme” greift entschieden zu kurz. Davon kann der elegante Witwer ein Liedchen singen. Ich habe einen Verdacht: Wer sich allzu schnell mit einem „Jesus ist die Antwort” zufriedengibt, hat sich nicht wirklich den Problemen gestellt, bleibt an der Oberfläche kleben. Und möglicherweise bleibt der „Schoggi-Jesus“ eine schöne Theorie, die sich jedoch noch nicht in einem von Krisen erschütterten Leben bewährt hat. Wer aber durch all die Irrungen und Wirrungen des Lebens gegangen ist und dabei das Leben mit Jesus „durchgekaut“ hat, kommt hoffentlich tatsächlich zum Schluss: Jesus hat mir nicht all meine Probleme weggenommen, aber er hat mich durchgetragen, hat mir Freunde an die Seite gestellt, führte mich zu professionellen Stellen …
Ich habe begonnen, mich damit abzufinden, dass ich so manches Rätsel des Lebens nie lösen werde. Das heißt jetzt nicht, dass ich mich den Rätseln des Lebens als machtloser Spielball hingeben will. Keinesfalls! Ich werde das Leben entdecken, entfalten und gestalten. Und wo möglich, werde ich auch das ein oder andere Rätsel knacken und dem Leben auf die Schliche kommen. Doch ich gebe den Versuch auf, alles verstehen zu müssen. Die Warum-Frage macht mich nicht glücklich. Ich will nicht rückwärtsgewandt den ungelösten Fragen meines Lebens nachhängen, sondern vorwärtsgewandt den Weg gestalten, auf dem ich jetzt Schritt für Schritt unterwegs bin. Eines ist auch da gewiss: Das Leben bleibt ein Rätsel.
Stefan Gerber, Theologe im SCM Bundes-Verlag (Schweiz) sowie Autor von „Glück finden – hier und jetzt“. Verheiratet mit Brigitte Gerber-Urfer und Vater von Joy Nina (13) und Janosch Noah (10).