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Hartei-Glaube

Ein gängiges Vorurteil lautet: Nur den Schwachen, Spießern und Deppen dient der Glaube als Gehhilfe. Alexander Garth hält dem entgegen: Das Christsein ist nichts für Weicheier.

Vor einigen Jahren kamen die Weichei-Wörter auf. Einige davon finde ich recht lustig. Meine Favoriten: Brigitte-Leser und Teletubbies-Zurückwinker. Noch besser fand ich die Hartei-Wörter: Hooligan-Schubser, Kampfhund-Fressen-Wegnehmer, Kaktusstreichler und Russenmafia-Bescheißer – darüber kann ich mir ins Knie beißen vor Lachen. Nachdenklich wurde ich indes, als jemand auf einer Party behauptete, gläubige Menschen seien Weicheier.

NUR SCHWACHE BRAUCHEN KRÜCKEN

Das Christentum – eine Weichei-Religion? Ich kenne die Meinung, dass der Glaube vor allem etwas ist für Menschen, die im Leben nicht klarkommen, für die Schwachen, Abhängigen, Labilen, vom Leben Betrogenen. Wer sein Leben im Griff hat, stark und selbstbewusst ist, braucht die Krücke des Glaubens nicht. Die Erfolgreichen und emotional Gesunden haben so etwas wie Religion nicht nötig. Sie finden sich ohne himmlischen Beistand in dieser chaotischen Welt zurecht. Ist etwas dran an dieser Partybehauptung? Macht das Gefühl der eigenen Schwäche und des eigenen Unvermögens für den Glauben empfänglich? Sind Christen anlehnungsbedürftiger? Wahr ist, dass der Glaube Halt gibt und Sinn stiftet. Und wahr ist auch, dass es unter den Gläubigen viele Menschen gibt, die ihr Leben nicht so recht packen. Der Glaube kann in der Tat eine Krücke sein, um das Dasein überhaupt zu meistern. Aber für viele ist er ein Sprungbrett, durch das man sich mit vermehrter Kraft ins Abenteuer Leben stürzt. Der Glaube hat durchaus etwas Sportliches. Es geht darum, etwas in dieser Welt positiv voranzubringen. Wohl tröstet der Glaube, aber Trost und Lebenshilfe ist eher ein Nebeneffekt eines Engagements für Gottes Idee von einer besseren Welt.

DIE KIRCHENGESCHICHTE STROTZT VOR HARTEN MÄNNERN UND FRAUEN

Das Christentum fing eigentlich an als eine Hartei-Bewegung. Eine Handvoll Leute, die an einen hingerichteten und auferstandenen Messias glaubten, waren beseelt davon, die Botschaft von der Liebe Gottes in Wort und Tat zu den Menschen zu bringen. Und sie haben einen hohen Preis dafür gezahlt. Fast alle der zwölf Jünger mussten ihr Leben lassen für ihr Engagement im Namen Jesu. Sie wurden gesteinigt, gekreuzigt, geköpft, verbrannt. Man findet unter den Christen aller Zeiten viele todesmutige Männer und Frauen, die alles einsetzten für das Gute in der Welt. Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie der Glaube Menschen inspirierte, gegen Unrecht zu kämpfen: Der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, der sich gegen das nationalsozialistische Regime stellte und von den Nazis gehenkt wurde; der Bürgerrechtler und Pfarrer Martin Luther King, der die Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung in den USA durchsetzte und erschossen wurde; der Priester Damian de Veuster, der sich auf eigenen Wunsch auf eine Leprainsel versetzen liess, um den Kranken dort zu dienen, und der schließlich selbst an Lepra erkrankte; der katholische Pater Maximilian Kolbe, der stellvertretend für einen Familienvater in den Hungerbunker des KZ Auschwitz ging; und das sind nur ein paar Beispiele. Die 2000 Jahre Kirchengeschichte sind auch eine Geschichte der Verfolgung der Anhänger von Jesus. Besonders in unseren Tagen ist es in vielen Teilen der Welt lebensgefährlich, sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Das haben die einundzwanzig koptischen Christen fürchterlich erfahren. Ihnen wurden durch Kämpfer des Islamischen Staates am Strand des Mittelmeeres durch Messer die Köpfe vom Leib getrennt – für alle Welt in einem Propagandavideo im Internet zu sehen.

AUCH DER ATHEISMUS ATMET DURCHSCHNITTLICHKEIT

Und Atheisten? Atheismus hat durchaus etwas Kühnes. Schließlich ist ein Atheist jemand, der „ohne unsichtbare Unterstützung auskommen muss“ – so der Entertainer Robert Lemke. Es gehört schon ein signifikantes Quantum Unerschrockenheit dazu, dem Nichts ins tote Auge zu blicken. Also doch eher eine Hartei-Angelegenheit? Philosophen haben den Atheismus vergoldet als eine Haltung, welche die Absurdität und letztliche Sinnlosigkeit des Seins mit todesverachtender Rationalität erträgt. Stolz und selbstbewusst beschwören sie die innere Größe des Menschen, die darin besteht, dem Nichts tapfer zu begegnen. Bei Jean Paul Sartre, dem großen französischen Existentialisten, hatte der Atheismus etwas Heroisches. Heute, wo der Atheismus von den geistigen Höhen genialer Denker in die Niederungen alltäglicher Durchschnittlichkeit und Spießigkeit herabgestiegen ist, verbreitet er Ungeborgenheit und Existenzangst. Eine witzige Szene aus Woody Allens Film „To Rome with Love“ nimmt die „Heidenangst“ des modernen Ungläubigen augenzwinkernd aufs Korn, wenn Woody Allen als Passagier in einem Flugzeug, das gerade heftig durchgeschüttelt wird, furchterfüllt zu seiner Sitznachbarin sagt: „Du kennst das doch, ich kann bei Turbulenzen nicht entspannen. Ich bin schließlich Atheist.“
Nun, Atheisten und Christen sind mutige und feige Menschen wie andere auch. Aber es gibt viele Gründe, dass der Glaube im Menschen Kräfte freisetzt, dem Leben mit seinen Herausforderungen unerschrocken die Stirn zu bieten. Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Zwangs-weise habe ich 30 Jahre in einer religionsfeindlichen Diktatur verbracht. Eingekreist von Stacheldraht, Minenfeldern und Selbstschussanlagen waren wir im Lande fast ohnmächtig dem Atheismus als offizieller Staatsdoktrin ausgeliefert. Die Staatssicherheit installierte ein fast perfektes Überwachungssystem. Wer sich eine Überzeugung leistete, die von der Maßgabe der Partei abwich, machte sich verdächtig. Das konnte unangenehm werden. Wer sich zum Glauben an Gott bekannte, musste damit rechnen benachteiligt, ausgegrenzt und verlacht zu werden. Christen durften meistens kein Abitur machen, wurden öffentlich verhöhnt und als dumme Ignoranten und Wissenschaftsfeinde denunziert. Gläubige mit einem hohen Bedürfnis nach Harmonie und Akzeptanz hatten es daher besonders schwer. Wer hat schon Lust, wegen seiner religiösen Überzeugung als Depp dazustehen. Nicht wenige hielten den Druck nicht aus und wandten sich von der Kirche ab. Aktives Christsein bedeutete in der DDR: Gegen den Strom schwimmen, sich eine alternative Überzeugung gegen die atheistische Staatspropaganda leisten, sich mutig zu seinem Glauben bekennen, Nachteile in Kauf nehmen. Als engagierter Christ konnte man es sich nicht leisten, ein Weichei zu sein. Atheisten hatten es leichter. Nicht an Gott zu glauben war opportun.

BIBLISCHE TEXTE ERMUTIGTEN ZUM AUFSTEHEN

Letztlich war es der Mut von Christen, die das atheistische Regime in der DDR zu Fall brachten. Die Geschichte der friedlichen Revolution von 1989 belegt die Kraft und Kreativität des christlichen Glaubens. Wie gelang das Wunder einer Revolution ohne Blutvergießen in Anbetracht eines waffenstarrenden, totalitären, gewaltbereiten, menschenverachtenden Regimes mit seiner allgegenwärtigen Staatssicherheit? Der Grund dafür liegt entscheidend darin, dass das Herz dieses Umsturzes der christliche Glaube war. Die Revolution wurde in den Kirchen des Landes geboren. Zu Tausenden versammelten sich Menschen dort, beteten, diskutierten und hörten das Evangelium des Friedens. Dann zogen sie mit Kerzen auf die Straße, um für Freiheit und für ein Ende des DDR-Regimes zu demonstrieren. Der Ruf nach politischen Veränderungen war durchdrungen von dem Ruf „Keine Gewalt“. Es waren biblische Texte, welche die Akteure in diesen Tagen zum Handeln inspirierten. „Wir hatten mit allem gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebeten“, kommentierte der Präsident der DDR-Volkskammer die Ereignisse. Um die Stasimitarbeiter im Leipziger Stasi-Hauptgebäude vor der Lynchjustiz einer wütenden Masse zu schützen, bildeten damals Christen eine schützende Menschenkette um den Bau. Sie hatten in den Jahrzehnten der Bedrängnis gelernt, zu ihrer Überzeugung zu stehen. Und mit dieser verteidigten sie sogar das Leben von Stasi-Offizieren.

WIDERSTAND GEHÖRT ZUM CHRISTSEIN

Im wiedervereinigten Deutschland angekommen, fanden wir eine reiche Kirche mit einem armen, weil überzeugungsschwachen Christentum vor. Oft war der Glaube reduziert auf bürgerliche Anständigkeit oder linkes Revoluzzertum. Zu einer Kirche zu gehören, war vor allem in Süddeutschland der Normalfall. Aber die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen hat die Säkularisierungswelle, die durch Europa geht, auch in Westdeutschland das gesellschaftliche Klima verändert. Die Kirchen schrumpfen in Ost und West. In weiten Kreisen gilt der christliche Glaube als veraltet, überholt und reformbedürftig. Gleichzeitig werden die Versuche vor allem von evangelischen Kirchenvertretern, das Christentum an die Entwicklungen unserer Zeit anzupassen, verhöhnt oder zumindest nicht ernstgenommen. Den Christen weht zunehmend ein rauer Wind entgegen. Gläubige aus der ehemaligen DDR erleben diese Entwicklung als eine Art Rückkehr zu einem alten Normalzustand. Das Leben und das Denken der Menschen wird von gesellschaftlichen Megatrends geprägt, die oft mit dem Glauben nur schwer zu vereinbaren sind: Ökonomisierung, Sexualisierung und Relativierung von Werten. Glaube verliert an Bedeutung in der Öffentlichkeit und wird immer mehr in die Privatsphäre gedrängt. Spiel und Genuss, Konsum und Freizeit werden zu primären Zielen und zum Religionsersatz. Könnte es sein, dass für die Zukunft wieder Hartei-Christen gefragt sind, Menschen, die um Gottes Willen ihre Knie nicht beugen vor Profitmaximierung, Hedonismus, Fremdenfeindlichkeit und Vergötzung von Wohlstand?

Pfarrer Alexander Garth (www.alexandergarth.de) gründete die Junge Kirche Berlin. Er ist Autor des Buches „Warum ich kein Atheist bin – Glaube für Skeptiker“ (SCM Hänssler).