Wie kommen Männer im Leben voran? Indem sie die Kunst der Selbstführung einüben. Ein Gespräch mit Thomas Härry, dem Autor des Buches „Die Kunst sich selbst zu führen“.
Pastor Bill Hybels hat schon vor Jahren gesagt, die Führungsaufgabe bestehe zu rund 50% aus Selbstführung. Würden Sie beipflichten?
Es scheint mir noch fast zu tief angesetzt. Eigentlich hat fast jede Situation, in der wir Verantwortung tragen, mit Aspek-ten von Selbstführung zu tun.
Warum ist Selbstführung derart wichtig?
Weil ich immer die erste Person bin, die agiert. Ich agiere und reagiere in meinem Kontext – in der Familie oder im Job. Dabei bin ich fortlaufend daran, Entscheidungen zu treffen – oft auch unbewusst.
Warum tun sich Menschen mit Selbstführung so schwer?
Eine erstaunlich große Zahl von Menschen ist nicht darin geübt, sich selbst zu reflektieren. Sie sind es nicht gewohnt, hinzuschauen und eigene Anteile zu erkennen. Sie verpassen es, aktiv zu gestalten und lassen sich stattdessen einfach treiben, ohne zu hinterfragen.
Was ist Ihr Verständnis von Selbstführung?
Es geht um das Zusammenspiel von Verantwortung und Freiheit. Ich übernehme die Verantwortung für alles, was ich mache. Für mein Denken, Fühlen, Reden. Und ich lebe die mir geschenkte Freiheit: Ich nutze meinen Gestaltungsrahmen. Viele Leute sagen: „Weißt du, in meinem Umfeld geht das gar nicht.“ Es wird zum Killersatz, aber auch zur Ausrede: „Ich kann hier gar nicht gestalten.“
Wie haben Sie die Wichtigkeit der Selbstführung in Ihrem Leben entdeckt?
Vor allem in Konfliktsituationen, besonders in der Ge-meindearbeit. Beim Leiten von Menschen. Überall wo es verschiedene Interessen und Missverständnisse gibt. Und im Umgang mit mir selbst, mit meiner überbordenden Ten-denz, zu viel zu wollen. Hier galt und gilt es, zu lernen, mich einzuschränken. Zu lernen, am rechten Ort „Nein“ zu sagen.
Haben Sie ein aktuelles Beispiel, das Sie selbst gerade fordert?
Ein Veranstalter fordert immer mehr Leistungen für densel-ben Preis. Wie kann ich diesen Punkt ansprechen und damit den negativen Gefühlen, ausgenutzt zu werden, vorbeugen? Wenn ich mich hier nicht selbst gut führe, verlasse ich am Ende die Veranstaltung mit der „Faust in der Hosentasche“ und bemitleide mich als ausgenutztes Opfer.
Man sollte sich also nicht in der Opferrolle suhlen?
Ja. Absolut!
Von der Kanzel höre ich sonntags: Überlass die Verantwortung für dein Leben Gott. Steht Selbststeuerung nicht im Konfl ikt zu „Dein Wille geschehe“?
Aus meiner Sicht nein. Gott hat es off enbar so gewollt, dass der Mensch gestaltet, entscheidet, ordnet. Es ist ein Ausdruck davon, Gott nicht ernstzunehmen, wenn wir diese Verant-wortung von uns weisen. Es ist eine fromme Form der Verweigerung, wenn wir die Verantwortung Gott abschieben.
Sie ermutigen dazu, „aus Gottes Ressourcen zu schöpfen“. Wie tut man das?
Zum einen, indem ich überall den Raum einnehme, den Gott mir sowieso schon gegeben hat. Er erlaubt mir, in Situation nach bestem Wissen und Gewissen Einfl uss zu nehmen für das Gute. Zum anderen ganz konkret überall dort, wo ich schwierige Entscheide zu treffen habe. Wo es mich etwas kostet, kann ich Gott bitten, mir den Mut zu schenken, mich nicht zu verbiegen.
Sehr spannend fi nde ich den Ansatz, dass wir manchmal nur zwischen „Falsch“ und „Falsch“ auswählen können. Was meinen Sie damit?
Das beste Beispiel dafür ist Dietrich Bonhoeff er, der sich entscheiden musste, sich mit Gewalt gegen das verheeren-de Hitlerregime zu stemmen und sich dadurch schuldig zu machen. Oder um seiner Sicherheit willen nichts zu unternehmen, während viele weitere Menschen ihr Leben lassen. Beide Optionen sind letztlich falsch.
Und wie kann ich damit umgehen, wenn scheinbar jede Option falsch ist?
Einige Kriterien können helfen: Welchen Weg erachte ich intuitiv als den richtigen? Darauf alleine würde ich mich jedoch nicht zu sehr stützen. Wichtig sind auch gute Ratgeber, weise Mitmenschen, die mich unterstützen. Die Bibel und ihre Grundwerte können zudem als Grundlage zur Einschätzung dienen. Und dann: Mach nicht nichts! Entscheide, etwas zu tun! Du musst am Ende nicht in jedem Fall wissen, ob es richtig oder falsch ist. Überlass Gott das Urteil.
Sind nicht einige Leute auch aus Angst, dass Gott eines Tages mit uns abrechnen wird, blockiert?
Wer Angst hat, Fehler zu machen, bildet sich ein, ohne Feh-ler leben zu können. Das hat viel mit falschen Menschen- und Gottesbildern zu tun. Männer müssen manchmal aus ihrer Komfortzone geholt werden.
Sie schreiben, wir seien von Gott nicht nur begnadigt, sondern auch ermächtigt. Was heißt das praktisch?
Ich darf mir eine Meinung bilden, entscheiden und vor-wärtsgehen. Natürlich in einem gewissen Rahmen. Er-mächtigt zu sein, heißt gestalten. Der Mensch darf Einfl uss nehmen. Wie es im Schöpfungsbericht heißt: „Du sollst herrschen!“ Mach etwas, du darfst, es ist okay!
Warum sollten Männer Ihr Buch lesen?
Weil wir in einer Zeit leben, in der Männer ganz viel der Ermächtigung über Bord geworfen haben. Es gibt viele ge-schwächte Männer, die angepasst leben, die nur ihren Frei-zeit- oder Karrierebereich aktiv gestalten. In den anderen Bereichen erdulden sie bloß und schwimmen mit. Ich wün-sche mir, dass Männer mutig ihr gesamtes Leben als einen großen Garten sehen, den sie bewirtschaften können.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Stefan Gerber ist Theologe im Bundes-Verlag (Schweiz), Leiter der Netzwerk-Kirche „gms – gospel movement seeland“ und freiberufl ich als Seminarleiter und Coach im Bereich Life-Balance www.motivation-training.ch tätig. Er ist verheiratet mit Brigitte Gerber-Urfer und Vater von Joy Nina (11) und Janosch Noah (8).
Gewinnspiel
Unter allen, die unter diesem Artikel ihre Erfahrung mit Selbstführung schildern, verlosen wir eins von drei Exemplaren des aktuellen Titels von Thomas Härry „Von der Kunst sich selbst zu führen„.