SERIE: POLITIKBETRIEB VON INNEN
Christen wählen Christus – wo Politik an ihre Grenzen stößt
Manchmal ist der Zeitpunkt, um eine politische Kolumne in einer Quartalszeitschrift zu schreiben, etwas unglücklich. Wenn diese Ausgabe der MOVO erscheint, ist die Bundestagswahl 2017 Geschichte. Martin Schulz geht mit der SPD in die Opposition. Angela Merkel befindet sich in Koalitionsverhandlungen. Wer regiert mit wem? Welche Inhalte werden vereinbart werden? Welche Auswirkungen könnte das auf die Zukunft Deutschlands haben? Da gäbe es manches Spannende zu kommentieren. Nun denn, das ist immerhin eine Gelegenheit, einige grundsätzliche Gedanken zum Thema „Christ und Politik“ zu formulieren, die mir seit Monaten durch den Kopf gehen.
WIE HAST DU’S?
Eine Anleihe dafür möchte ich bei Goethe und seiner „Gretchenfrage“ nehmen. Was würde Gretchen heute fragen? „Nun sag, wie hast du’s mit …“ Der CDU? Der SPD? Den Bündnisgrünen? Der Linken? Der FDP? Der AfD? Wie hast du’s mit der inneren Sicherheit? Mit der Flüchtlingspolitik? Dem Islam? Mit der Familienpolitik? Mit der Ehe für alle? Mit dem Klimawandel? Mit sozialer Gerechtigkeit? Mit Vollbeschäftigung? Mit Elektromobilität? Mit der Bildung? Mit Donald Trump? Mit Erdogan? Dem Euro?
Gretchens tatsächliche Frage heißt: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Und manchmal bekommt man das Gefühl, dass die Antwort auf politische Fragen heute quasireligiös daherkommt. Christen sprechen einander den Glauben ab, wenn sie zu unterschiedlichen politischen Einschätzungen kommen. Theologisch gesprochen: Christen bemühen den „status confessionis“, den Bekenntnisstand, um sich voneinander abzugrenzen. Doch ab wann ist eine politische Frage tatsächlich eine Frage des Bekenntnisses? Werfen wir einen Blick in die Geschichte. Die Barmer Theologische Erklärung, verfasst 1934 unter Federführung von Karl Barth als Antwort auf die von den Nazis gleichgeschalteten „Deutschen Christen“, wurde zur Grundlage der „Bekennenden Kirche“. Darin heißt es: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“
Und weiter: „Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte. Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“
Man höre besonders den ersten und letzten hier zitierten Satz: Jesus Christus ist das „eine Wort Gottes“, keine andere Quelle wird als „Gottes Offenbarung“ anerkannt, und die Botschaft der Kirche habe unabhängig zu sein vom „Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen“.
POLITISCHE POSITIONEN SIND NICHT GLEICH GEISTLICHE BEKENNTNISSE
Wenn Gretchen also heute fragen müsste, um herauszufinden, wie es um den Glauben – nicht nur – des Dr. Faustus bestellt ist, dann würde sie das hoffentlich nicht auf Personen oder Parteien oder unterschiedliche Meinungen beziehen. Denn diese Themen sind allesamt politischer Natur, nicht geistlicher. Und Christen tun nicht nur in Wahlkampfzeiten gut daran, das nicht zu vergessen. Christ bin ich wegen Christus. Er hat mich angenommen, ich habe Ja zu ihm gesagt. Christen wählen Christus. Das, und nur das, ist die Basis unseres Glaubens. Nicht das Sakramentsverständnis, nicht unsere Dogmatik, ja nicht einmal unsere Ethik. Und schon gar nicht unsere politische Meinung.
Parteien vertreten Positionen. Manche davon überzeugen mich, andere tun es nicht – überzeugen aber einen anderen. Darüber kann man diskutieren und streiten, und das ist gut so, denn es ist das Wesen einer Demokratie. Aber Bekenntnisfragen sind es solange nicht, wie sie uns nicht zwingen, unseren Glauben zu verleugnen oder gegen unseren Glauben zu handeln oder einen quasi göttlichen Anspruch eines Herrschers zu dulden. Christen sollten Position beziehen. Auch politisch. Und wann immer sie Gottes Gebote verletzt sehen oder menschenfeindlich gehandelt wird, werden sie – hoffentlich – deutlich widersprechen. Wer allerdings anderen den Glauben abspricht, weil sie politisch anders ticken als er selbst, der hat weder das Wesen der Politik in einer Demokratie noch das der Religion verstanden. In diesem Sinne: Bleiben wir politisch aktiv offen für die Argumente der anderen und – jenseits der politischen Überzeugung – unseres Glaubens gewiss.
PS: Drei Tage vor Drucklegung ließ die FDP die Koalitionsverhandlungen platzen.
Uwe Heimowski (53) ist ehrenamtlicher Stadtrat in Gera. Er vertritt die Deutsche Evangelische Allianz als deren Beauftragter beim Deutschen Bundestag in Berlin.