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Ethik 4.0

SERIE: POLITIKBETRIEB VON INNEN

 

Moralische Maßstäbe für das Zeitalter der Digitalisierung

Meine Tochter Melissa lächelt mich an. Sie ist erst wenige Tage alt. Als frisch gebackener Vater platze ich fast vor Stolz. Bis meine Frau trocken kommentiert: „Das ist ein Reiz-Reaktionsschema, du hättest ihr auch einen Smiley hinhalten können.“ Es gibt Momente, wo man sich fragt, ob es vernünftig war, eine Pädagogin zu heiraten … Natürlich hatte Christine recht. Nur: Ersetze die persönliche Zuwendung dauerhaft durch ein „technisches“ Hilfsmittel oder beschränke sie auf die rein materielle Versorgung und das Kind wird nicht lange überleben (wie die sogenannten „Kasper Hauser-Versuche“ im Mittelalter gezeigt haben). Dieses kleine Erlebnis wirft eine ethische Fragestellung auf: Wo kann Technik den Menschen ersetzen – und was kann nur der Mensch dem Menschen geben?

Die sogenannte „Digitale Revolution“ wird häufig mit der „Industriellen Revolution“ des 19. Jahrhunderts verglichen. Und tatsächlich, es gibt viele Parallelen: Die Erfindung der Maschinen führte zu einem kompletten Wandel der Gesellschaft. Die Großfamilie löste sich auf. Entschiedene Erleichterungen für den einzelnen Arbeiter gingen mit der Verelendung der Arbeiterklasse und der Ausbildung einer armen Bevölkerungsschicht Hand in Hand. Mit dem technischen Fortschritt wurde das 19. Jahrhundert auch zum Sozialen Jahrhundert. Große Konzepte wurden entworfen. Neue Parteien und Gewerkschaften entstanden, Sozialversicherungen und Bildungsprogramme wurden entwickelt.

Von kirchlicher Seite wurden vor allem die Prinzipien der katholischen Soziallehre prägend, die auch bei der Entstehung des Grundgesetzes 1949 Pate standen: Personalität, Subsidiarität und Solidarität. Maßstäbe, die auch einer Ethik 4.0 im Zeitalter der Digitalisierung Struktur geben können.

PERSONALITÄT 4.0: MENSCHENWÜRDE UND MENSCHENRECHTE
Im Mittelpunkt der Soziallehre steht das Individuum. Der Mensch als Geschöpf Gottes, mit unverletzlicher Würde ausgestattet. In diesem Sinne fragt die Soziallehre nicht danach, was technisch möglich ist, sondern: Wo dient Technik dem Einzelnen? Digitalisierung bietet Chancen: Sie kann Dienstleistungen zur Verfügung stellen, die Selbstbestimmung und Selbstständigkeit eines Menschen fördern. Sie bietet medizinische Therapien, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren, sie stellt moderne Kommunikationsmittel zur Verfügung. Aber sie kann eben auch zur Vereinsamung führen, wenn technische Hilfsmittel die menschliche Zuwendung ersetzen. Schon heute leiden viele alte Menschen an Deprivation (Vernachlässigung). Die Erfahrungen mit demenzkranken Menschen zeigen, dass dieser Zustand sich durch menschliche Zuwendung deutlich verbessern lässt.

SUBSIDIARITÄT 4.0: FREIHEIT ZUR VERANTWORTUNG
Nach dem Subsidiaritätsprinzip ist die jeweils kleinste Einheit zu berücksichtigen, bevor die höhere Ebene „hilft“ (subsidere = stärken, helfen). Unser föderales Gemeinwesen ist so aufgebaut: Familie vor Staat, Kommune vor Land oder Bund.

Für die Pflege von Menschen heißt das: In der Entscheidungsfindung sind immer zuerst der Patient selber, dann seine Familie, schließlich die Einrichtung und erst dann der Staat zu befragen. Der Staat wird übergriffig, wenn er ohne Einwilligung Daten auswertet, Tests durchführt oder – wie zurzeit diskutiert – Organe verwertet. Andererseits muss die Politik (der Staat) einheitliche Pflegestandards entwickeln, etwa in der Ausbildung, der pflegerischen Qualität oder bei den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie der Vergütung. Digitalisierung kann hier deutlich entlasten. Ein Hebekran kann helfen, den Patienten regelmäßig zu wenden, ein intelligenter Teppich meldet Stürze, Messgeräte liefern Megadaten zur Evaluierung – und vieles mehr. Die Vereinfachung von bestimmten Tätigkeiten und in der Verwaltung kann zu einer Freisetzung des Personals führen. Die Regel dabei sollte lauten: Technik kann den Menschen ergänzen, ersetzen kann sie ihn nicht.

SOLIDARITÄT 4.0: TEILE UND ZAHLE
Auch wenn der Begriff abgenutzt wirkt: Solidarität ist ein Kerngedanke des Sozialstaates. Sie ist das Grundprinzip der Krankenkassen, der Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Die Jungen und Gesunden zahlen ein, die Kranken und Alten werden durch die Solidargemeinschaft versorgt.

Der demografische Wandel und steigende Gesundheits- und Pflegekosten bringen dieses System zunehmend an seine Grenzen. Digitalisierung bietet in vielen Bereichen die Möglichkeit, Kosten zu sparen.

Aber darin liegt auch eine Gefahr: Wenn an die Stelle sinnvoller Einsparungen die Gewinnmaximierung tritt. Mit Gesundheit und Pflege lässt sich viel Geld verdienen – aber sie sind mehr als (nur) ein Geschäftsmodell. Digitalisierung darf nicht auf Kosten des Personals und damit des Patienten erfolgen. Bei allem technischen Fortschritt wird gelten: Unsere Zukunft ist zwar digital, aber nicht virtuell, für die Menschen ist sie real, Tag für Tag. Um sie menschlich zu gestalten, bietet die Soziallehre einen sinnvollen Orientierungsrahmen.

Kommen wir zu meiner Tochter zurück. Ein Smiley mag kurzfristig ein Reiz-Reaktionsschema auslösen – echte Zuwendung ersetzt er aber nicht.

Uwe Heimowski (54) vertritt die Deutsche Evangelische Allianz als deren Beauftragter beim Deutschen Bundestag in Berlin. Er ist verheiratet mit Christine und Vater von fünf Kindern.

Arbeit 4.0

Wie die Digitalisierung unsere Arbeitswelt revolutionieren wird

Die Digitale Transformation ist in allen Medien im Gange. Die Botschaften sind dabei immer die gleichen: Roboter und Computer werden den Menschen die Arbeit wegnehmen. Alle Menschen werden vom Staat ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen. Man darf sich Geld dazuverdienen – aber virtuell, weil es kein Bargeld mehr gibt. Den Geldtransfer wird die sogenannte Blockchain-Technologie ganz ohne Mittelsmänner einer Bank erledigen. Wir werden keine Autos mehr besitzen, sondern bestellen autonom fahrende (vielleicht fliegende?) Autos, die uns individuell von A nach B bringen. Der Hyperloop hat viele Züge ersetzt und macht Mobilität zeiteffizient wie noch nie zuvor. Unser Kochroboter kocht selbstständig, bestellt mit dem smarten Kühlschrank Lebensmittel nach.

DEN SPEISEPLAN BESTIMMT DIE KRANKENKASSE
Die Freizeitgestaltung und der Urlaub laufen über VR-Brillen (Virtual Reality), interaktive Speisekarten schlagen mir aufgrund meiner gesundheitlichen Daten das „richtige“ Essen vor und die Krankenkasse – es wird dann nur noch eine nötig sein – belohnt spielerische bestandene Challenges im Bereich Ernährung und Sport mit Boni. Fernsehen streamen wir auf der TV-Tapete und smarte Kleidung wird unseren Gesundheitszustand überwachen. Retinakameras werden unser Leben aufzeichnen und speichern unsere biografischen Highlights in der Cloud. Ärzte werden durch Apps, Gadgets und chirurgische Roboter für Standardprozesse ersetzt. Menschen mit Behinderungen und körperlich stark belastete Arbeiter (z.B. Bauarbeiter oder Pflegekräfte) werden durch intelligente Robotik in ihren Körperbewegungen unterstützt. Das Heben von Gewichten wird zum Kinderspiel. Und die Krönung des Szenarios wird die Implantierung von medizinischen Chips sein, die unsere Identität speichern und von Notärzten einfach abgescannt werden können – mitsamt unserer Patientengeschichte. Chips werden zu Entzündungsherden im Körper schwimmen und dort reparieren. Der Nachteil: Die Chips können örtlich orten. Das ist genauso selbstverständlich wie heute schon die Biometrik, die Ident-Nummer beim Finanzamt oder Kreditkarten, die bald der cashless society weichen werden (Das Bargeldverbot wird in Europa bald realisiert sein). Alles hinterlässt Spuren, die man nachverfolgen kann. Big Brother is watching you. Nun kann man das alles schrecklich finden oder sich entspannt zurücklehnen und für sich beschließen, dass einen das nicht trifft, denn „erleben werde ich das sowieso nicht mehr“, aber ändern kann man es nicht, aufhalten auch nicht. Als vor zehn Jahren das Smartphone kam, wurde auch nicht gefragt. Es war plötzlich da und vielleicht halten Sie es auch gerade in der Hand und lesen darauf diesen Artikel. Wenn man es also nicht ändern kann, was kann man dann machen? Sich darauf einstellen und klug damit umgehen. Was heißt das persönlich? Etliche Berufe werden im Zuge der Digitalisierung nicht mehr gebraucht. Beim erwähnten Auto braucht es keine Fahrer, Taxis oder den öffentlichen Nahverkehr mehr. Die gesamte Automobilbranche mitsamt ihren Zulieferern, Dienstleistern und Nachbarbranchen wird sich neu erfinden müssen. Das Internet of Things (das Teilen von Dingen) wird verstärkt genutzt.

DER WISSENSARBEIT GEHÖRT DIE ZUKUNFT
Wir werden zu Wissensarbeitern, Big Data ist das neue Erdöl und Cryptocoins werden zur neuen virtuellen Währung. Aber nicht nur Berufe, sondern auch die Arbeitszeiten werden sich verändern. Zeitkonten werden wie digitale Fingerabdrücke erfasst. Coworking Spaces ermöglichen es, immer und überall zu arbeiten. Die Menschen werden mehr Zeit und Möglichkeiten haben, sich nach dem Sinn zu fragen: Wer bin ich? Wo komme ich her? Wozu bin ich hier? Wo werde ich hingehen? Weniger arbeiten, dafür mehr das tun, „was ich wirklich, wirklich will“. Diese Formulierung stammt von Frithjof Bergmann, einem Philosophie-Professor, dessen Zukunftsvisionen politisch von vielen geteilt werden. Ein Drittel der Arbeit wird seiner Meinung nach von Computern und Robotern übernommen werden. Bereits heute gibt es Produktionshallen groß wie Fußballfelder, die von Robotern betrieben werden und in denen sich nur eine Handvoll Ingenieure um Programmierung und Instandhaltung kümmert. Die Arbeiter am Fließband braucht man nicht mehr. Gewerkschaften übrigens damit auch nicht, sie werden sich eine völlig neue Rolle erdenken müssen. Das zweite Drittel der Arbeit wird eben von diesen hochspezialisierten Fachexperten übernommen, die für die kongeniale Komposition der High-Tech-Maschinen, die bereits heute schlauer als Menschen sein können, verantwortlich zeichnen. Das letzte Drittel an Arbeit, das dann noch übrig bleibt, verbringen Menschen damit, das zu tun, „was sie wirklich, wirklich“ wollen.

BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN FÜR ALLE
Klar ist, dass viele soziale und ehrenamtliche Berufe, die wenig oder gar kein Einkommen erzielt haben, auf einmal aufgewertet werden. Das bedingungslose Grundeinkommen wird vielen Berufen endlich die Aufmerksamkeit und Sorglosigkeit bringen, die sie verdient haben. Viele andere Berufe werden untergehen und nicht mehr gebraucht werden. Bereits heute lässt sich schon erahnen, welche Berufe davon betroffen sein werden: Sämtliche Berufe, die heute noch mit Excel arbeiten, die eine automatisierte Software präziser, schneller und besser erledigen kann; Berufe, die routinemäßig körperliche Kraft brauchen, werden von Maschinen übernommen; Berufe, die menschliches Spezialistentum, Emotionen und Beurteilungsvermögen brauchen, werden überleben. Die einen sagen, dass eine tolle Zeit anbrechen wird. Die anderen sind besorgt, sich in eine selbst gewählte Unmündigkeit zu begeben. Bereits heute arbeiten wir digital. Unsere Smartphones sind voll von Alltags-Apps, die uns das Leben leichter machen. Und wir lieben es. Unsere sozialen Netze wie Facebook, Twitter, Xing und LinkedIn ermöglichen uns unbegrenzte Kommunikation. Das nutzen auch Unternehmen und lassen ihre Mitarbeiterkommunikation darüber laufen. Virtuelle Teams arbeiten über Ländergrenzen hinweg an Projekten und kommunizieren über E-Mails, Chats, Telefon- und Videokonferenzen.

BEÄNGSTIGEND ODER FREUDIG?
Alles wird agil und bewegt sich auf Augenhöhe. Die klassische, starre Hierarchie hat ausgedient. Das verunsichert Führungskräfte, die noch nach der alten Schule leiten und sich auf einmal zur „Chef-Wahl“ aufstellen lassen sollen. Die Arbeit in flachen Hierarchien wird erstarken, und innovative Designs bringen Team Spirit hervor. Gleichzeitig ergibt sich aber für soziale Unternehmen die Möglichkeit, sich wieder auf die Kernkompetenzen zu besinnen.

MEINE TIPPS FÜR DEIN DIGITALES LEBEN IM NEW WORKZEITALTER:

  • Überlege dir, was du wirklich willst. Das gilt nicht nur für die Digitalisierung, sondern grundsätzlich für dein Leben. Macht es dir ausreichend (nicht immer!) Spaß, womit du dein Geld verdienst?
  • Wie digital ist dein Leben? Kannst du noch ohne oder bist du permanent online? Leg dein Handy bei Qualitätszeiten mit deiner Familie oder deiner Frau beiseite. Erziehe deine Kinder auch dazu.
  • Öffne dich den Neuen Medien und bewege dich online. Viele Teams arbeiten verteilt an völlig anderen Orten und in anderen Zeitzonen. Die vielfältigen Online-Collaboration-Tools lassen sich aber auch – meist kostenfrei – privat nutzen, z. B. zu Projektplanungen, für Events etc.
  • Die sozialen Netzwerke wie Facebook kannst du auch wunderbar zur Pflege von Freundschaften einsetzen. Das ersetzt keinesfalls ein richtiges Treffen, aber für die Zeit zwischen euren Treffen kann man sie gut nutzen. Wenn du lieber SMS, Videochat oder WhatsApp magst, kannst du natürlich auch dies nutzen.
  • Wenn du Unternehmer bist: Reicht dein Geschäftsmodell auch für die digitale Welt? Dein Kunde ändert sich, Kundenorientierung und seine „experience journey“ müssen dich interessieren, wenn deine agile Organisation in dem Sog der Märkte überleben soll.
  • Mach ruhig mal eine „digitale Entschlackungskur“ ein- oder zweimal die Woche, um auf dich selbst zu achten. Bete, schließ dich in dein stilles Kämmerlein und sei mal für niemanden zu erreichen. Sei aber auch wachsam für die schleichenden oder schlagartigen Entwicklungen. Überdenke, welche Konsequenzen dich betreffen werden, und entwickle deine eigenen Nischenstrategien, um dich anzupassen und auch Impulse in dein Umfeld abzusetzen.
  • In allem verbergen sich immer Gefahren, aber auch Chancen. Wichtig ist, dass du die Chance erkennst, in allem. Immer. Und: „Habe niemals Angst, etwas Neues zu versuchen. Denke immer daran: Amateure bauten die Arche und Profis die Titanic!“

Tobias Illig berät Unternehmen und Führungskräfte in Sachen Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf Führung, agile Organisation und Zusammenarbeit (www.tobiasillig.com). Sein Buch „Die stärkenfokussierte Organisation“ behandelt den Aufbau und das Management einer starken Organisation. Tobias ist ehrenamtlich im Vorstand der deutschen Navigatoren tätig, verheiratet und betreut familiär vier Personalentwicklungsprojekte.

LINKLISTE ZU WICHTIGEN TOOLS:

www.asana.com – Aufgabenverwaltung im Team
www.meistertask.com – To-do-Liste
www.mindmeister.com – Brainstorming-Tool
www.wunderlist.com – To-do-Liste
https://job-futuromat.ard.de – Check: Wie betroffen ist dein Job von Automation?
www.zoom.us – Videochatsystem