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Trendsetter

SERIE: POLITIKBETRIEB VON INNEN
Von Anstand und Glauben in der Politik

Während ich diese Zeilen schreibe, ist noch vieles offen im Berliner Politikbetrieb. Eines aber steht fest: Der alte Innenminister wird nicht der neue sein. Thomas de Maizière wird der nächsten Bundesregierung nicht mehr angehören. Das möchte ich zum Anlass nehmen, mich diesem bemerkenswerten Mann einmal näher zu widmen.

AMT AUF ZEIT
„Geschasst“ worden sei er, sagten manche, „fallengelassen“ schrieben andere, „geopfert“ und „abserviert“ wieder andere. Und er selbst? Was sagte Thomas de Maizière, als er davon erfuhr, nicht weiterhin am Kabinettstisch zu sitzen? „Ein Ministeramt ist immer ein Amt auf Zeit. Das war mir immer bewusst. Ich bin sehr dankbar, dass ich dem Land in einer schwierigen Zeit dienen durfte.“

Souveräner kann man nicht abtreten. Kein Nachkarten, keine Klage, keine bittere Miene, nichts. Leicht wird dem ehemaligen Minister die Demission kaum gefallen sein. Immerhin gehörte er der Bundesregierung zwölf Jahre an. Der gesamten Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel. De Maizière war Kanzleramtschef, Innen-, Verteidigungs- und erneut Innenminister. Und nun: Opfer der Koalitionsverhandlungen. Dennoch: Er verabschiedete sich mit Würde und Anstand.

2013 erschien im Siedler Verlag das Buch „Damit der Staat den Menschen dient. Über Macht und Regieren“ – Thomas de Maizière im Gespräch mit Stefan Braun. Lesenswert. Schon damals sagte er: „Ein guter Politiker zeichnet sich dadurch aus, dass er etwas erreichen will und dafür Macht anstrebt, nutzt und verteidigt. Und wenn er verliert, demütig wieder abtritt. Einen schlechten Politiker interessiert nur die Macht oder die Position als solche, nicht aber das, was man damit macht.“ Macht als Option zur Gestaltung, ein Mandat immer als ein Wahlamt auf Zeit. Wer Politik so versteht, zeigt, dass er die Demokratie verstanden hat und ein hohes Verantwortungsbewusstsein besitzt.

»MAN SOLL DEN GLAUBEN NICHT ZU SEHR AUF DEN LIPPEN TRAGEN.«

Thomas de Maizière war beileibe kein unumstrittener Minister. Spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 eckte er an. Er äußerte sich in der Bild am Sonntag mit zehn Punkten und einem markigen Satz zur deutschen Leitkultur: „Wir sind nicht Burka“ – worauf viele den Dresdner weit in die rechte Ecke rückten. Er befürwortete Auslandseinsätze der Bundeswehr und den Einsatz bewaffneter Drohnen – worauf er als Kriegstreiber verschrien wurde. Bei vielen Christen kam seine Entscheidung, den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige zeitweilig auszusetzen, gar nicht gut an. Politisch gibt es in der Retrospektive einige Entscheidungen zu diskutieren.

CHRISTLICHE FREIHEIT MACHT MÜNDIG
Menschlich jedoch ist Thomas de Maizière – und ich wiederhole mich gerne – ein Muster an Anstand. Und für meine Begriffe ist er damit kein Muster ohne Wert, kein Auslaufmodell, kein Soldat alter Schule, sondern im Gegenteil: Er könnte ein Trendsetter sein. Ein Vorbild. Einer, der junge Menschen inspiriert. „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“ Dieses berühmte Zitat von John F. Kennedy – es hätte von de Maizière stammen können. Und es könnte Schule machen in einer Zeit, in der Männer sich nach Werten sehnen und nach Vorbildern suchen.

Als eine der Wurzeln seines Lebens und Wirkens nennt Thomas de Maizière in dem Gesprächsband den christlichen Glauben. „Mir ist wichtig, dass es Gott gibt, über mir, uns allen. Dass es letzte Dinge gibt, über die ich nicht entscheide. Etwas anderes ist aber auch wichtig: Man soll den Glauben nicht zu sehr auf den Lippen tragen. Das wirkt erstens in einer säkularen Gesellschaft leicht ein bisschen aufdringlich, und zweitens hat die Frage, ob man die Rente mit 67 einführt, mit dem christlichen Glauben nichts zu tun. Natürlich kann ich sagen, das ist nachhaltig, und Nachhaltigkeit ist gut und ein Prinzip der Schöpfung und so. Aber wirklich gläubig sein heißt für mich mehreres: Das Allererste ist ganz schlicht, aber tiefgehend: der Glaube an Gott und die Auferstehung. Das hat viele Dimensionen: dass das Leben nach dem Tod nicht zu Ende ist; dass wir eine Verantwortung über unser Leben hinaus haben; dass es den Unterschied zwischen den letzten und den vorletzten Dingen gibt; dass wir uns nur mit den vorletzten Dingen beschäftigen und die letzten Dinge in Gottes Hand sind.“ Und weiter: „Für mich als Protestant kommt in besonderer Weise noch hinzu, was wir die ‚Freiheit des Christenmenschen‘ nennen. Dietrich Bonhoeffer hat mich sehr geprägt – ich habe ihn viel gelesen. Der Auftrag des Christenmenschen, des freien Christenmenschen ist es, Freiheit in die Welt zu bringen. Das ist sehr protestantisch. Freiheit – das heißt für mich auch, mit Freiheit mündig umzugehen und sich zu freuen, dass es Unsicherheit gibt, weil es keine Freiheit gibt ohne Unsicherheit. Das ist für mich ein zentraler Punkt. Und dann gehört für mich dazu, dass man sich nicht zu wichtig nimmt. Wenn es Dinge gibt, die wichtiger sind als das eigene Leben, dann wird man im Erfolg nicht übermütig und in der Niederlage nicht zu verzweifelt.“ In der Niederlage nicht zu verzweifeln, sondern Größe zu zeigen: Das können wir von Thomas de Maizière lernen.

Uwe Heimowski (53) ist ehrenamtlicher Stadtrat in Gera. Er ist verheiratet mit Christine und Vater von fünf Kindern. Er vertritt die Deutsche Evangelische Allianz als deren Beauftragter beim Deutschen Bundestag in Berlin.