Er startet motiviert als Führungskraft. Heftige Turbulenzen zwingen ihn, als Mitarbeiter zu landen.
Er kam aus heiterem Himmel. Dieser Satz, den keine Führungskraft jemals hören will: „Ihre Abteilung wird aufgelöst!“ Ja klar, es gab auch organisatorische Gründe, in der Firma wurde „umgebaut“. Aber eben auch diesen einen Grund, den wir Männer so sehr fürchten: Die Abteilung hat nicht die erwarteten Ergebnisse gebracht. Der Abteilungsleiter ist seiner Aufgabe nicht gewachsen. Der Fisch stinkt vom Kopf. Ich hatte es nicht gepackt.
IN DIE MAGENGRUBE
Volle Breitseite! Treffer in die Magengrube! Du Versager! Rückblende. 1999 hatte ich in der Firma angefangen. Ich ging (meistens) gerne zur Arbeit und mochte die Kollegen, das Produkt und das Flair des Unternehmens. Ende 2011 stellte mich mein Chef vor die Entscheidung: Ich könnte zur Führungskraft für eine Handvoll Mitarbeiter werden oder meine Fachaufgaben ausbauen. Führungskraft zu werden klang gut. Ich entschied mich fürs Führen und mein Chef willigte ein. „Reizvoll“, dachte ich. „Das kann ich“, dachte ich.
Ich startete mit Zuversicht, erkannte in der neuen Aufgabe eine „logische“ persönliche Entwicklung und war überzeugt, auf Gottes Weg unterwegs zu sein. Doch je älter das Jahr 2012 wurde, umso schlechter ging es mir. Die Dinge liefen nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ergebnisse blieben aus. Immer höher stapelten sich die Aufgaben auf meinem Tisch. „Selbermachen statt delegieren“ wurde im täglichen Handeln mein unbewusster Leitspruch. „Irgendwie“ musste es wieder besser werden, ich musste mich nur mehr anstrengen, noch hineinwachsen in die neue Aufgabe, strenger mit mir und meinen Mitarbeitern sein. Von heute aus gesehen ein echt dämlicher Ansatz: Aus dem Stress herauskommen, indem ich mich mehr anstrengte …
ANGST VOR DEM MONTAG
Es stellten sich Magenschmerzen und Schlafstörungen ein. Druck am Sonntag wegen des drohenden Montags. Ich zog mich innerlich zurück und hoffte, es würde von alleine aufhören. Meine Frau signalisierte, dass die Familie sich „mehr“ von mir wünschte. Aufgaben in Haus und Garten blieben liegen. Kleinlaut gelobte ich Besserung und schrieb hilflos To-Do-Listen – natürlich ohne nachhaltigen Erfolg.
Und dann kam dieser Donnerstag Anfang Oktober. Kurz vor Mittag war das erwähnte Gespräch, verbunden mit dem Angebot, als Fachkraft im Unternehmen zu bleiben. Es folgten die härtesten drei Monate meines Arbeitslebens. Hart für mich. Hart für meine Frau. Einerseits weiterarbeiten als wäre nichts, andererseits diese bohrenden Fragen: Wie soll es weitergehen? Bleiben oder Gehen? Ein Jobwechsel rückte ins Blickfeld. Sollte ich die Gelegenheit nutzen und „mich verändern“? Natürlich sollte es wieder eine Führungsaufgabe sein! Mein Tagebuch aus dieser Zeit erzählt, dass mein Emotionspendel heftig ausschlug: Von „Lasst mich weiterarbeiten – und wenn ich Pförtner werde“ bis zu „In dieser Firma kann ich nicht bleiben“. Manchmal von einem Tag auf den anderen. Jeder neue Gedanke barg die vage Hoffnung, endlich den entscheidenden Aspekt gefunden zu haben – bis zum nächsten Gedanken.
DIE NERVEN LAGEN BLANK
Meine Frau musste zusehen, wie sie dem Sturm meiner Gedanken standhielt und bei den schnellen Richtungswechseln mitkam. Unsere Nerven lagen blank. Wir stritten. Wir beteten. Wir rangen um Hoffnung und Mut. Meine Frau sprach mir zu: „In dieser Situation liegt eine Chance verborgen“. Ich bin ihr dankbar, dass sie diese Wochen an meiner Seite gestanden, zugehört und wichtige Fragen gestellt hat. Aus dieser Zeit stammen zahllose Gebete in meinem Tagebuch: „Herr, was hast du vor mit uns? Wo ist denn das Leben in Fülle, das du verheißt?“
Im Ringen um eine Entscheidung erkannte ich nach und nach, was eigentlich abging: Zum einen stand meine Glaubwürdigkeit zur Diskussion. Seit Jahren hatte ich an anderen Stellen geführt. Wurde jetzt deutlich, dass ich gar nicht leiten konnte? Alles nur Show? Nun erkennen die anderen, dass ich bloß aus Fassade bestehe! Ich war an einer Urangst des Mannes angekommen, irgendwann ist klar: „Du bist nur ein Schauspieler, ein Poser, mehr Schein als Sein.“ Zum anderen kam eine ebenso einfache wie ernüchternde Erkenntnis zu Tage: Ich kämpfte mit verletztem Stolz. Sollte ich nicht in der Lage sein, in der Firma Menschen zu führen? Wenn „die in der Firma“ nicht sehen wollten, was ich kann, „dann gehe ich eben und suche mir Leute, die meine Fähigkeiten zu schätzen wissen!“ Ist verletzter Stolz ein guter Grund, aufzugeben und viel Gutes zurückzulassen? Brauchte mein Ego den Chefsessel?
Ende 2012 kristallisierte sich endlich die Entscheidung heraus: Ich bleibe! Ich „brauche“ es nicht, im Job eine Führungsposition zu haben. Zu viel Kostbares würde ich opfern, wenn ich ginge. Gott sprach in dieser Zeit viel über meine Identität. Dass ich vergessen hatte, wer ich bin und was wirklich zählt. Dass er mich bewusst geschaffen und in diese Zeit gesetzt hat. Dass er mir Stärke gegeben hat. Und dass ich einen Auftrag habe.
DANKBARKEIT BLEIBT
Im Rückblick erkenne ich, dass es gut war, zu bleiben. Meine Fachaufgaben wandeln sich. Sie machen mir Spaß. Zudem empfinde ich es als große Erleichterung, nicht mehr den Druck der Führungskraft zu spüren. Ich schlafe wieder gut. Und auch die Magenschmerzen sind weg. Noch etwas empfinde ich: Dankbarkeit, dass ein anderer erkannt hat, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen war. Das war der erste Anstoß für einen wichtigen Prozess und Auslöser für gute Fragen, denen ich mich stellen musste. Hätte er nicht die Notbremse gezogen – ich weiß nicht, wie lange ich noch gebraucht hätte, um meine Überforderung zu erkennen. Was bis dahin alles auf der Strecke geblieben wäre, kann ich nicht ermessen. Vielleicht kommt noch eine Zeit als Führungskraft. Aber wenn nicht, auch gut. Auch ohne sichtbare Karriere führe ich ein großartiges Leben, gefüllt mit Ehe, Familie, Arbeit und privatem Engagement. Auch diese Dinge fordern mich heraus und erfüllen mich. Und zuletzt: Über allem steht meine Identität. Die kann mir nichts und niemand nehmen. Sie hängt nicht an Leistung und Position, sondern an Gottes Bild von mir. Dieses Bild bleibt, auch wenn alle Abteilungen der Welt aufgelöst werden.
Jan-Hendrik Krause ist Informatiker und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Lübeck. Er gehört zum Leitungsteam von FreeatHeart Deutschland (www.freeatheart.de).
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JAHR DER DANKBARKEIT
Die überkonfessionelle Initiative „Jahr der Dankbarkeit“ will lebensbejahende, geistliche und ermutigende Akzente setzen gegen Gleichgültigkeit und das alltägliche Vergessen (www.jahr-der-dankbarkeit.net).