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Tankwart Martin Weimer

Geläutert: Gestern Tankstellenräuber, heute Tankwart

Martin Weimer überfiel eine Tankstelle und landete hinter Gittern. Nach der Haft machte er eine Lehre zum Tankwart. Mit seiner fahrenden Werkstatt ist er der einzige mobile Tankwart Deutschlands.

Der eiskalte Fahrtwind fühlt sich an wie 1.000 stechende Nadeln. Es ist elf Uhr vormittags und minus zwei Grad kalt – gefühlt sind es minus zehn. Zum Glück ist es nicht glatt. Der Nebel hängt wie ein Bühnenvorhang in den Straßen Osnabrücks und lässt nur erahnen, was nach der nächsten Ampel kommt. Durch meinen Helm zieht der Wind durch und schlägt mir ins Gesicht. Ich sitze als Beifahrer auf einem Roller und halte mich an Martin fest, der sicher und routiniert die Strecke fährt. Ihn begleite ich heute bei seinem Job. Martin ist 41 Jahre alt. Er hat kurze, schwarze Haare und ein sicheres Auftreten. Er ist eigentlich ein ruhiger Typ, aber trotzdem nicht auf den Mund gefallen und hat einen trockenen Humor. Diese Fahrt ist Teil seiner Arbeit, denn Martin ist mobiler Tankwart – der Einzige in Deutschland.

Er steht nicht hinter der Kasse und fragt nach der Zapfsäulennummer, sondern ist selbstständig. Er fährt zu den Kunden hin und sucht mit seinem Roller im Straßenverkehr nach Aufträgen, ganz nach dem Motto: Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten kommen. Durch den Nebel sind die Lichter der Autos etwas matt, aber er zeigt mir während der Fahrt einige Autos mit defekten Lampen. Für mögliche Kunden hat Martin ein sehr wachsames Auge und stets einen Koffer mit Lampen und Werkzeug parat. Vor der Fahrt hat mir Martin seine Lebensgeschichte erzählt.

Der Tankstellenraub

Ich kann es mir kaum vorstellen, aber der ruhige Mann vor mir saß vor 21 Jahren im Gefängnis – wegen eines Tankstellenraubs. Dafür musste er drei Jahre in Haft. Martin hatte damals Schulden und wusste nicht, wie er sie begleichen sollte. So kamen er und seine damaligen Freunde auf die Idee, die Tankstelle in der Nähe „plattzumachen“. Nach seiner Haftzeit und vielen Jobs bei Zeitarbeitsfirmen machte er schließlich eine Ausbildung zum Tankwart. Auf die Idee kam er durch eine Pizza, die er ausliefern musste: „In der Tankstelle hing ein Zettel mit der Aufschrift ‚Lehrling gesucht‘. Da dachte ich mir: Gut, ich habe eh nichts zu tun, dann mache ich das mal.“ Seine Geschichte ist tragisch – mit einer Prise Humor. Martin ist dankbar für seinen Lebensweg: „Ich bin froh, dass ich direkt beim ersten Mal erwischt wurde. Vielleicht hätte ich sonst noch etwas Schlimmeres gemacht.“

Von den deutschen Gefängnissen ist er jedoch nicht sehr überzeugt. Er findet, dass die Häftlinge dort keine Perspektive bekommen und einander eher zu kriminellen Handlungen ermutigen: „Ich habe im Knast gelernt, wie man Alarmanlagen kurzschließt, Fenster geräuschlos öffnet und andere krumme Dinge. Es ist wie eine kriminelle Community, die sich austauscht – über Verbrechen und wie man Verbrechen begeht. Viel sinnvoller wäre es, einen offenen Vollzug mit Therapien anzubieten.“

Vom Spiegel bis zur Autobatterie

Wir kommen beim Auto-Teilehändler an und steigen ab. Martin trägt eine helle Warnweste mit dem Logo seiner Firma. Die hat er vor ein paar Jahren gegründet. Nach seiner Ausbildung hat er lange als Angestellter gearbeitet. Nach einem Pächterwechsel wurde er gekündigt und kam schnell auf die Idee, sich selbstständig zu machen. Da die Frist für einen Förderungsantrag ablief, trug er sich kurzerhand als „mobiler Tankwart“ ein – ein Konzept, das er selbst vorher nicht kannte … Martin braucht beim Händler neue Teile für eine Reparatur: „Heute bestelle ich zwei Spiegel, bei einem Kunden wurden beide Spiegel abgefahren.“ Wie konnte das denn passieren? „Ein LKW hat den linken Spiegel abgefahren. Dann ist der Kunde vor Schreck zu weit nach rechts gegen die Leitplanke gefahren und der andere Spiegel ist dadurch demoliert worden.“

Wir gehen in den Laden. Der Verkäufer am Tresen erkennt Martin und sie unterhalten sich ein wenig. Er bestellt die Spiegel und kauft sich noch einen Werkzeugkoffer. Die Spiegel sind ein gutes Beispiel dafür, was Martin als mobiler Tankwart reparieren darf und was nicht. Vereinfacht gesagt darf er Kraftfahrzeuge pflegen, warten und kleinere Reparaturen wie diese durchführen. Er erklärt es mir so: „Nehmen wir einmal an, ein Kunde kommt zu mir mit einem PKW, der eine Beule in der Tür hat. Ich dürfte die Schadstelle ausbeulen. Wenn ich aber für diese Arbeit die Tür ausbauen müsste, dürfte ich das nicht. An die Bremsen darf ich beispielsweise auch nicht gehen.“ Wir gehen aus dem Laden. Die Sonne zeigt sich und es ist nicht mehr ganz so neblig.

„Vorher war er fast obdachlos, jetzt ist er ein Unternehmer“

Wir schwingen uns wieder auf den Roller und fahren zu einer Tankstelle ganz in der Nähe. Dort sind wir mit einem Kunden verabredet. Heute ist die Innen- und Außenreinigung eines Wagens dran. Wir kommen auf dem Hinterhof der Tankstelle an. Diesmal ist der Fahrtwind nicht so stechend, vor einer Stunde war es definitiv kälter. Ich frage ihn, ob er bei jedem Wetter unterwegs ist. Jetzt im Januar könnte es ja auch schneien. Kein Problem für Martin: „Wenn es schneit, fahre ich einfach langsamer. Wenn es mir zu kalt wird, fahre ich nach Hause. Das ist meistens um die Mittagszeit, dann werden die Finger aufgewärmt und es geht weiter.“ Warum noch mal mit dem Roller? Wäre ein Auto nicht wärmer und schneller? Er hat sich bewusst für den Roller entschieden: „Wenn ein Auto zwei oder drei Reihen vor mir an der Ampel ist, würde ich als Autofahrer viel zu lange brauchen, um das Fahrzeug zu erreichen. Mit dem Roller kann ich direkt ranfahren, klopfen und meine Dienste anbieten. Das ist eine Flexibilität, die der Roller mir gibt, die ich mit dem zweispurigen Fahrzeug niemals hätte.“

Wir treffen den Kunden. Es ist Martins ehemaliger Pastor. Die beiden verstehen sich sehr gut und tauschen sich erst mal über die letzten Wochen aus. Dann beginnt Martin mit der Außenreinigung, und ich komme mit Fidan ins Gespräch. Dabei sprechen wir auch über Martins Lebensgeschichte. Dazu meint er: „Martins Geschichte zeigt, dass Gott Humor hat. Vorher war er arbeitslos und fast obdachlos, jetzt ist er ein Unternehmer.“ In einer Gemeinde haben sie sich näher kennengelernt. Martin ist nach seiner Haftzeit und einem mehrjährigen Aufenthalt bei einer Gefährdetenhilfe Christ geworden. Auch das Fisch-Symbol auf seiner Jacke zeigt deutlich, woran Martin glaubt. Der Fisch und die gesamte Jacke sind allerdings bei der Wäsche etwas dreckig geworden – kein Problem, etwas abputzen und fertig. Martin ist mit der Außenwäsche fertig. Er feilscht zum Spaß mit Fidan um den Arbeitspreis. Unter viel Gelächter einigen sie sich beim „Schnick, Schnack, Schnuck“. Wir fahren zu einer Halle, die Martin gemietet hat. Dort steht die Innenreinigung von Fidans Wagen an. Der Vermieter der Halle gehört zu Martins Stammkunden, die er sich über die Zeit aufgebaut hat. Damit es schneller geht, fahre ich diesmal bei Fidan mit.

War er nach dem Überfall nochmal dort?

An der Halle angekommen, sehe ich am Straßenrand das Auto mit den abgefahrenen Spiegeln. Martin inspiziert den Schaden noch mal und zeigt mir, was er in ein paar Tagen genau austauschen und reparieren wird. Wir gehen in die Halle. Hier gibt es alles, was das Schrauber-Herz begehrt: eine Werkbank mit Werkzeugen, Schrauben und sehr viel Platz. Jetzt ist die Innenreinigung dran. Die passenden Geräte dafür hat Martin natürlich parat. Er reinigt das Auto von innen und poliert die Armaturen. Das frisch gereinigte Auto glänzt jetzt von außen, und von innen sieht es wieder aus wie neu. Ein Licht scheint kaputt zu sein. Er fährt den Wagen aus der Halle und prüft noch mal alle Lampen. Doch alles in Ordnung. Nach einem gemeinsamen Mittagessen fahren wir zu Martins Wohnung, wo wir uns verabschieden.

Eine Frage bleibt noch: War Martin jemals wieder bei der Tankstelle, die er überfallen hat? Nach seiner Haftzeit war er nicht dort – bis vor ein paar Monaten. Da hat ihn ein Fernsehteam bei seiner Arbeit begleitet, und sie sind dorthin gefahren. Die Tankstelle sieht heute völlig anders aus, weil es einen Besitzerwechsel gab. Dadurch, dass bei Tankstellen auch das Personal sehr häufig wechselt, hat er auch nicht die Person angetroffen, die er damals bedroht hatte. Von außen und von innen hat sich sehr viel verändert. Im Grunde ist es eine neue Tankstelle. Martin hat sich in den 21 Jahren auch sehr verändert. Nun ist er als mobiler Tankwart unterwegs und tauscht vielleicht in diesem Moment eine defekte Birne aus – oder eine Batterie.

Tim Bergen arbeitet im SCM Bundes-Verlag bei der Zeitschrift MOVO. 

Autofans aufgepasst: Das neue PS-Mekka liegt in Ewersbach!

Vergiss München, Monza oder Stuttgart! Die wirklich tollen Karren stehen im Nationalen Automuseum, The Loh Collection, in Ewersbach. MOVO-Redakteur Rüdiger Jope geriet beim Anblick von Chrom, Lack und Karbon ins Schwärmen.

„Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen“ heißt es im Märchen, aber wo genau das ist, das verraten die Brüder Grimm uns nicht. Ob sie damit die Gemeinde Dietzhölztal im mittelhessischen Lahn-Dill-Kreis meinten? Vielleicht. Die Abfahrt von der A45 führt uns ins grüne und hügelige Nichts. Auf dem Smartphone verschwinden die Verbindungsbalken. Der Tesla schnurrt durch Dörfer, die noch den Charme der Siebziger atmen. Dann stehen wir in Ewersbach auf einem großen Parkplatz. Eine Art Märchenschloss für kleine und große Jungs tut sich vor uns auf. Weiß auf rot schlägt es uns entgegen: Nationales Automuseum – The Loh Collection.

Das neue Mekka der Autofans

An der Pforte zu diesem geheimnisvollen Märchenland der PS begrüßt uns Florian Urbitsch. Er ist die gute, ordnende Fee in dieser benzin- und dieselgeschwängerten Welt der Autohistorie aus Chrom, Lack, Blech und Karbon. Urbitsch versteht es, mit Fakten zu zaubern. Dabei ist er ganz Profi, detailverliebt, absolut drin im Stoff. Er hat auf alle Fragen der zwei Väter und zwei Jungs zu diesen einzigartigen Kutschen auf vier Rädern eine Antwort parat. Schon nach den ersten zwei Schlitten ist mir klar: Vergiss Stuttgart! Vergiss München! Vergiss Monza! Das traumhafte Märchenland der Auto-Enthusiasten befindet sich seit Juli 2023 abseits der Metropolen. Dort in Ewersbach stehen sie poliert im Original, die Zwerge und Riesen von Porsche, Ferrari, Daimler, Ford, Bugatti & Co.

35 Jahre hat der Industrielle Friedhelm Loh Autos zusammengesucht, getauscht und gekauft, wie kleine Jungs Matchbox-Autos – aus 135 Jahren Automobilgeschichte. 150 dieser Unikate hat er jetzt in dieser Schatzkammer zugänglich gemacht. Dafür wurde eine alte Fabrikhalle ummantelt, ein Kino der Sechziger und eine historische Kfz-Werkstatt eingebaut, die schräge Pistenarena von Indianapolis nachempfunden, eine Art Setzkasten für fahrbare Schmuckstücke an die Wand geschraubt. Die dazugehörige Aura von roten Ziegeln, alten Stahlträgern, einer rostigen Kranbahn und blitzenden Karossen verfehlt ihre Wirkung nicht. Sie fesselt sogar einen Autoverschmäher wie mich. Jonathan (12) macht große Augen. Joshua (13) noch größere. Die Jungs sind geflasht. Sie stehen den Favoriten ihrer Autokartenspiele gegenüber. Zum Anfassen. Fast.

Autos mit besonderer Vita

Während sich die Jungs nach dem Besuch der Sonderausstellung „100 Jahre Paris – Le Monde“ mit der Kamera auf Motivjagd in der weitläufigen Halle der Dauerausstellung verlieren, entlocken Stefan und ich dem Hüter der Schätze noch einige Details. Dabei verrät er uns die Philosophie von Prof. Dr. Loh. Dieser sammele nicht wahllos, sondern „jedes Auto hat hier seine ganz besondere Geschichte“. Gleich am Eingang steht der Benz Victoria Phaeton (5 PS, 1895): Erstbesitzer die Familie Benz, dann Henry Ford, dann Friedhelm Loh. Auf dem Marktplatz glänzt der Ferrari 288 GTO (1985, 400 PS) von Asterix-Zeichner Albert Uderzo neben dem Porsche von Herbert von Karajan. Wenige Schritte davon entfernt findet sich der Lincoln Continental „Limo One“, das letzte Auto, das Präsident Kennedy lebend verließ. Hinter der Steilkurve parkt der Ferrari F1-2000, in dem Michael Schumacher zu seinem ersten WM-Titel raste, der McLaren MP4-5A von Ayrton Senna, mit dem dieser den Grand Prix 1989 gewann, der Peugeot, in dem Enzo Ferrari urlaubte,…Märchenhafter Moment

Wenige Meter davon entfernt strahlt eines der teuersten Autos der Welt, der Bugatti Veyron, 8,0-Liter-W16-Motor mit Vierfach-Turboaufladung. „Er verkörpert in Form, Funktion und Schönheit eine Philosophie, das Lebenselixier von Bugatti, die hier Hand in Hand geht“, so Urbitsch strahlend, um dann noch eins draufzusetzen. „Heute ist die Firma Bugatti draußen mit einem französischen Filmteam vor Ort.“ Sie nehmen Szenen mit dem alten Bugatti aus dem Museum auf, zusammen mit „einem Erlkönig, einem getarnten neuen Prototyp des Bugatti Veyron“. Knirschender Kies, ein röhrender Wagen. Ein Märchen für die Jungs. Sie haben feuchte Augen. Sie sind plötzlich echte Car-Spotter, werden zu Geheimnisträgern, denn die Bilder von diesem PS-Giganten dürfen zu dem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht werden.

Ehrfürchtiges Staunen vermischt sich mit Magenknurren. Der Museumsbesuch macht hungrig. Doch das Smartphone und der Tesla finden keine Verbindung. Wir rollen offline vom Parkplatz. In einer Kurve finden wir eine Imbissbude. Dort „hinter den sieben Bergen“ gefühlt „bei den sieben Zwergen“ lassen wir uns Pommes, Schnitzel und das Gesehene auf der Zunge zergehen, ganz im Sinne der Gebrüder Grimm: „Und wenn sie nicht verschrottet sind, leben sie noch heute – im Nationalen Automuseum.“

Rüdiger Jope ist Chef-Redakteur des Männermagazins MOVO.

Nationales Automuseum – The Loh Collection

Das Nationale Automuseum in Dietzhölztal-Ewersbach öffnet jeweils von Mittwoch bis Freitag, 11 bis 18 Uhr, sowie Samstag und Sonntag von 10:30 bis 18 Uhr. Der Eintritt beträgt 19 Euro für Erwachsene, 15 Euro für Kinder. Das Familienticket kostet 50 Euro. Aktuell kann die Sonderausstellung „Ferrari“ angesehen werden. nationalesautomuseum.de