Wenn Windkraftanlagen etwas übers Männerleben erzählen
Das Thema Windkraft fasziniert mich. Und es verfolgt mich – es begegnet mir in meinem Leben immer wieder auf verschiedenen Ebenen. Mein erster Kontakt mit Windkraft war ganz handgreiflich: Während meiner Zivildienstzeit, die ich am Dü-nenhof in der Nähe von Cuxhaven verbracht habe, wurde dort auf dem Gelände des Freizeitheims eine Windkraftanlage errichtet. Zunächst war da einfach die Begeisterung für so eine Baustelle mit einem Schwertransport ins unwegsame Gelände und einem Mobilkran, dessen Fahrer mit filigraner Steuerkunst zunächst die Stahlröhren des Turmes punktgenau aufeinandersetzte. Anschließend wurde in 30 Metern Höhe die Gondel montiert und zum Schluss kam das „Fummeligste“: Die Rotorblätter mussten an der Nabe befestigt werden – auch das gelang, obwohl während der Montage ein ordentlicher Wind wehte. Aus heutiger Sicht ist die Anlage ein Zwerg, aber 1991 war es schon eines der größeren Modelle auf dem Markt: Nabenhöhe 30 Meter, Rotorblätter mit 12 Metern Länge und ein 150-kW-Generator, der die Strommenge für mindestens 100 Haushalte erzeugte. Nur so zum Vergleich: Eine der aktuell größten serienmäßig hergestellten Onshore-WKA’s hat eine Nennleistung von 7600 kW, eine Nabenhöhe von 135 Metern und einen Rotordurchmesser von 127 Metern, sodass die Rotorspitzen bis 198,5 Meter in die Höhe ragen – gigantisch!
IM WIND STEHEN
Ich war und bin beeindruckt von der vergleichsweise simplen Form der Stromerzeugung und verfolgte mit, wie die Anlage am Dünenhof durch ihren windexponierten Standort zu einer der Anlagen mit der größten Stromausbeute ihres Typs wurde. Auch die Ästhetik und Eleganz der schlanken Architektur und der drei gleichmäßig kreisenden Rotorblätter trugen mit zu meiner Faszination bei. Und dann dieses Bild: Die WKA stellt sich in den Wind, sie bietet Angriffsfläche für eine unsichtbare Kraft. Sie lässt sich in Bewegung versetzen, sie erzeugt Energie. Höhe, Kraft, Bewegung, Dynamik, …
Das Bild gewann vor etwa zehn Jahren eine weitere Facette für mich: Ein Freund hatte einen bildlichen Eindruck für mich, bei dem es um eine WKA ging. Ich spürte sofort, dass dies ein Bild und auch eine Zusage für mich war. Leider war es in diesem Bild nicht eine stolze Anlage, die mit ruhig und gleichmäßig drehendem Rotor im Wind steht, sondern sie drehte sich nur langsam, knarzte und stockte. Es waren auch Monteure dort, die an der Anlage mit eher mäßigem Erfolg herumdokterten, aber sie wurden weggeschickt, von einem, der sich der Sache mit viel Zeit und Geduld annahm – und der die Anlage letztlich wieder in Schwung brachte. Das war „mein Bild“, das ich aufschrieb und an das ich mich oft erinnerte, aber ich wusste nicht, ob, wann und wie es in meinem Leben Anwendung finden würde …
DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE
Inzwischen habe ich so eine Ahnung, an welchem Punkt in dem Bild ich mich gerade befinde. Vor einigen Jahren rutschte ich in eine Phase, in der ich mich in meiner Arbeit total „verzettelte“, meiner Familie nicht mehr gerecht wurde, krampfhaft versuchte, es allen recht zu machen, und dadurch alles nur noch schlimmer machte. Ich musste eine Notbremse ziehen, sonst hätte mein Körper die Notbremse gezogen und mich wahrscheinlich mit einem handfesten Burnout eingebremst. Ich verordnete mir eine Auszeit und merkte schnell, dass ich danach nicht einfach auf eigene Faust weitermachen konnte. „Das Leben ist eine Baustelle“, der Titel eines Filmes aus dem Jahr 1997, bringt es gut auf den Punkt. Mein Leben ist eine Baustelle, auch wenn es mir schwerfällt, das zu akzeptieren und mit dieser persönlichen Baustelle richtig umzugehen. Dass es da Dinge zu bearbeiten gibt, war mir ja schon lange klar, aber ich habe lieber ein wenig Flatterband zur Pseudo-Absicherung am Rand der Baustelle befestigt, damit ja keiner die Baustelle betritt und mitbekommt, wie es dort aussieht.
Natürlich wurde dadurch nichts besser und der Sanierungsstau fing an, sich aufzubauen. „Baustelle“, das hatte immer einen negativen Beigeschmack für mich. Dabei sind Baustellen wichtig: Ohne Baustellen gibt es keine Veränderung und Verbesserung. Wichtig ist nur, wie ich mit meiner Baustelle umgehe, ich brauche eine gut geführte Baustelle. Und die Verantwortung für diese Baustelle hat kein anderer als ich selbst. Deshalb will ich lernen, ein guter Bauleiter zu werden. Ein guter Bauleiter muss nicht alles können und wissen, aber er muss die Fähigkeit haben, im richtigen Moment Experten mit der erforderlichen Fachkompetenz ins Boot zu holen. Das kann ganz unterschiedlich aussehen.
Dem einen reicht es, im richtigen Moment in eine gute, tragfähige Männerfreundschaft oder Zweierschaft zu investieren. Anderen mag es wie mir gehen: Für die ist eine Entscheidung für helfende Begleitung in Form von Seelsorge, Coaching oder therapeutischer Beratung dran. Auch eine längere Auszeit, Kur oder Therapie schiebt der eine oder andere vielleicht vor sich her. Wichtig scheint mir, dass wir uns nicht durch unsere inneren Kämpfe, Baustellen, Einsamkeit, Vermeidungsstrategien und Stolpersteine bis in einen Burnout oder in eine psychische Erkrankung treiben lassen. Es gilt, ein guter Bauleiter zu werden und Verantwortung für die eigenen Veränderungsprozesse zu übernehmen. Inzwischen genieße ich es sehr, Teil einer verbindlichen Gruppe von Männern zu sein, sehr intensiven und ehrlichen Austausch über unsere „Baustellen“ zu haben und gemeinsam voranzukommen. Sicher läuft noch nicht alles wie geschmiert, aber bei der knarzenden und schwergängigen WKA aus meinem „Bild“ haben sich doch viele wesentliche Punkte verändert, und sie dreht sich nun ruhiger und gleichmäßiger.
EFFIZIENTER WERDEN
Repowering – dieser Begriff ist gerade ein wichtiges Stichwort in der Windkraft-Szene. Es bedeutet, dass bei älteren bestehenden Anlagen die Turbinen durch leistungsfähigere und effizientere ersetzt werden. In manchen Fällen wird sogar an einem vorhandenen Standort eine alte Anlage komplett rückgebaut und durch eine neue, größere ersetzt. Die aktuellen Turbinen sind so konzipiert, dass sie ruhiger und langsamer laufen und trotzdem effizienter arbeiten. Ich wünsche mir persönliches Repowering, auch wenn das heißt, dass ich an mir arbeiten muss, und dass in einigen Lebensbereichen Dinge ersetzt und erneuert werden müssen – wenn es hinterher ruhiger und effizienter läuft, dann ist es das wert.
Und was ist aus „meiner“ ersten WKA am Dünenhof geworden? Sie hatte im wahrsten Sinne des Wortes einen Burnout: Der Generator ist in Brand geraten und wurde komplett zerstört. Aber auch sie hat ein Repowering erfahren und hat von einer baugleichen Anlage mit geringerer Laufleistung ein neues Turbinenhaus geerbt – und so steht sie weiter als Landmarke im Wind.
Jan Schulte arbeitet als selbstständiger Architekt in Lemgo, ist verheiratet mit Sandra, gemeinsam haben sie drei Söhne und einen Hund.
Weiterführende Links:
www.live-gemeinschaft.de/fuer-maenner/die-maennerreise/
www.duenenhof.org